Protokoll der Sitzung vom 28.08.2020

(Lars Harms)

wieder! Nach dem Terror der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft haben die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes mit der Formulierung des Artikels 3 Absatz 3 ein deutliches Zeichen gegen rassistische Ausgrenzung und Hass gesetzt. Als Reaktion auf den Rassenwahn der Nationalsozialisten haben sie ausdrücklich auch den Begriff „Rasse“ zum Gegenstand des grundgesetzlich verbürgten Diskriminierungsverbots gemacht. Dort heißt es bis heute:

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Niemand darf wegen seiner Rasse diskriminiert werden. Ich muss nicht betonen, dass dieser Satz nicht dem heutigen Sprachgebrauch entspricht. Spätestens seit der UNESCO-Erklärung gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung von 1995 ist klar, dass es keinen wissenschaftlichen Grund gibt, den Begriff weiterhin zu verwenden.

Gleichwohl sollten wir uns davor hüten, den Begriff vergleichsweise eindimensional aus dem zeitgeschichtlichen Kontext zu reißen. Damals war das erklärte Ziel, sich deutlich vom Rassenwahn der Nationalsozialisten abzugrenzen. Von dieser Wirkkraft hat Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz bis heute nichts verloren. An seiner Schutzwirkung sollten wir daher auch nicht rütteln. Bis heute verurteilen wir, verurteilt unser demokratisches Deutschland die Ideologie des Dritten Reichs und distanziert sich davon. Es war, ist und bleibt unser erklärtes Ziel, Rassismus zu bekämpfen.

(Beifall CDU)

Deshalb ist der Ansatz, den Begriff zu streichen oder auch, ihn zu ersetzen, ein sensibles Vorhaben.

Denn dieses „Nie wieder“ ist jetzt und bedauerlicherweise auch heute noch hochgradig aktuell. Das machen uns jüngste Ereignisse deutlich. Es ist ein halbes Jahr her, dass uns am 19. Februar 2020 das rassistische Attentat in Hanau erschüttert hat. Wir sind über diese abscheulichen Taten aufs Tiefste empört, und wir verurteilen sie scharf. Sie zeigen uns aber auch, dass Rassismus als Gedankengut immer noch lebendig ist. Immer wieder kommt es auch in Deutschland zu rassistisch motivierten Anschlägen, zu Schändungen jüdischer Friedhöfe, rassistischen Graffitis und Gewaltakten bis hin zu Morden. Dem Auftreten rassistischen Gedankenguts müssen wir uns deshalb als Gesellschaft mit

aller unserer Kraft konsequent entgegenstellen und ihm ein klares, unübersehbares Zeichen entgegensetzen.

Gerade deshalb sollten unsere politischen Reaktionen wohldurchdacht sein. Das gilt auch und gerade in Bezug auf eine mögliche alternative Formulierung des Diskriminierungsverbots in Artikel 3 Absatz 3 GG.

Für das Allgemeine Gleichstellunggesetz, mit dem verschiedene Antidiskriminierungsrichtlinien der EU umgesetzt worden sind, ist hier vor einigen Jahren der Kompromiss gefunden worden, die Formulierung „aus Gründen der Rasse“ zu verwenden. Auch über diese Formulierung mag man heute streiten. Das gilt jedoch nicht für die Begründung im damaligen Gesetzentwurf.

Danach haben - ich zitiere - an diesem Begriff

„die Mitgliedstaaten und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften letztlich … festgehalten, weil ‚Rasse‘ den sprachlichen Anknüpfungspunkt zu dem Begriff des ‚Rassismus‘ bildet und die hiermit verbundene Signalwirkung - nämlich die konsequente Bekämpfung rassistischer Tendenzen - genutzt werden soll“.

Es sollte deutlich gemacht werden, „dass nicht das Gesetz das Vorhandensein verschiedener menschlicher ‚Rassen‘ voraussetzt, sondern dass derjenige, der sich rassistisch verhält, eben dies annimmt“. So hieß es damals im Gesetzentwurf.

Ich halte diese Gedankenführung für sehr bedenkenswert: Denn es macht mir Sorgen, dass moderne Rechtsextremisten heute viel häufiger von unterschiedlichen Völkern, Ethnien oder Nationen sprechen. Sie vermeiden ganz bewusst den Begriff Rasse, unterstellen aber eine natürliche Verschiedenartigkeit, die dann zwar verbal nicht so negativ klingen soll, die aber nichts anderes als blanker Rassismus ist.

Die Argumentation dieser rassistischen Hetzer kommt also wie der Wolf im Schafspelz daher. Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns gemeinsam keine Plattform für Diskussionen solcher Art liefern. Wir dürfen uns nicht zu Steigbügelhaltern von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten machen lassen. Wir dürfen diesen Leuten keine begrifflichen Vorlagen geben.

Für eine sachliche inhaltliche Debatte - so hat sich diese Debatte hier auch entwickelt -, die der Stärkung des rassistischen Diskriminierungsverbots dient, stehe ich gern zur Verfügung. Wir müssen

(Minister Claus Christian Claussen)

diese Debatte in der Öffentlichkeit führen, an jedem Platz und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Denn Zivilcourage, gegenseitige Achtung, Offenheit und menschliche Solidarität zu zeigen und zu leben, ist das wichtigste Gebot in unserer Gesellschaft.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rother?

Herr Minister, vielen Dank für Ihren Beitrag, den ich inhaltlich auch teile. Es ist eher die Frage nach der Veränderbarkeit des Artikel 3 GG aufgekommen. Er ist ja schon verändert worden. Herr Dr. Stegner hat in seinem Wortbeitrag darauf hingewiesen.

(Zurufe: Lauter! Du musst weiter rangehen!)

- Es ist nicht zu verstehen? Einen kleinen Moment.

(Abgeordneter Rother geht zum Mikrofon des Schriftführers)

- Ein neuer Versuch. Oh, das ist jetzt sehr deutlich zu verstehen.

Vielen Dank, Herr Minister. Ich teile Ihre Auffassung. Vielen Dank für den Beitrag. Es hat hier auch die Fragestellung zur Veränderbarkeit des Artikel 3 GG gegeben, ohne den Gehalt, die Schutzwirkung, die er gegenwärtig hat - Sie haben das beschrieben - damit an irgendeiner Stelle aufzuweichen. Es ging vielmehr darum, eine andere Begrifflichkeit zu wählen. Der Artikel ist bereits ergänzt worden. Herr Dr. Stegner hat in seinem Beitrag darauf hingewiesen. Wie ist Ihre Auffassung dazu?

- Meine Auffassung dazu ist, dass wir mit Änderungen des Grundgesetzes sehr vorsichtig umgehen sollten. Gerade der Grundrechtsteil des Grundgesetzes ist der Teil, der den Schutz gegen staatliche Willkür garantiert. Insofern ist er eine zentrale Säule unseres Rechtsstaates.

Ich finde es gut, dass man darüber nachdenkt, ob und wie man zu einer Verbesserung des Diskriminierungsverbotes kommt. Aber ich würde es nicht für richtig halten, dass man jetzt schon festlegt, dass

es nur mit einer Änderung zu einer besseren Lösung kommen kann. Insofern beziehe ich mich auch auf die Worte des Kollegen Kilian. Meines Erachtens sollte man da ergebnisoffen rangehen. Im Ziel sind wir uns einig. Wir wollen das Diskriminierungsverbot, wir wollen Rassismus bekämpfen und ein klares und deutliches Signal in der Verfassung haben, dass so etwas bei uns verfassungswidrig ist.

Wenn wir uns darauf einigen können - so habe ich es verstanden, dass noch versucht werden soll, diesen Antrag zu einen -, dann ist das aus meiner Sicht ein gutes Zeichen, was wir von hier aussenden können.

(Beifall CDU, vereinzelt FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich nehme - auch für meine Kolleginnen und Kollegen aus der Regierung - das hier zum Anlass, Ihnen zuzusagen, dass diese Landesregierung allen fest zur Seite steht, die sich gegen Diskriminierung und Rassismus betätigen und engagieren wollen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW, Wolfgang Baasch [SPD] und Bernd Heinemann [SPD])

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Christopher Vogt.

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fand, es war insgesamt eine sehr angemessene und ernsthafte Debatte zu einem sehr wichtigen Thema. Jetzt ist durch den Beitrag der Landesregierung noch einmal sehr deutlich geworden, dass wir uns im Ziel völlig einig sind. Über den Weg gibt es aber noch Diskussionsbedarf. Die Opposition hat angeboten, dass man heute noch zu einer gemeinsamen Lösung kommen kann. Ich biete - auch nach Abstimmung mit den übrigen Koalitionsfraktionen -, an, die Abstimmung um eine Stunde zu verschieben.

Ich möchte aber auch deutlich machen - weil die SPD sich vor allem an dem Wort „ob“ gestört hatte -, dass der Kollege Kilian und ebenso der Justizminister sehr deutlich gemacht hat, warum das durchaus seinen Sinn hat, es auch zu diesem Zeitpunkt noch im Grundgesetz drin zu haben. Ich biete deshalb an, dass SPD und SSW dem Antrag der Koalitionsfraktion beitreten, damit wir ein gemeinsames Signal senden.

(Minister Claus Christian Claussen)

(Lars Harms [SSW]: Dann könnt ihr doch auch unserem Antrag beitreten!)

Ich glaube, das wäre der Debatte und des Themas angemessen. Das ist das Angebot, das ich Ihnen an der Stelle gern machen möchte. Ich glaube, es wäre ein gutes Signal, dass wir ein gemeinschaftliches Signal senden, das auch bundesweit Bedeutung hat.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Das ist eher eine Bemerkung, Herr Kollege Vogt. Ich fände ein angemessenes Signal, sich zu bemühen, zu einem gemeinsamen Text zu kommen, außerordentlich richtig. Deshalb haben wir auch in einem Geschäftsordnungsantrag beantragt, die Abstimmung zu verschieben.

Beitritt ist aber, glaube ich, nicht die geeignete Form, eine gemeinsame Lösung zu finden. Es geht darum, dass man versucht, einen Text zu finden, auf den sich beide Seiten verständigen können. Dazu gehört die Offenheit, einen solchen Text zu suchen. Die Verschiebung lohnt also, wenn wir die Offenheit haben, einen gemeinsamen Text zu suchen. Wenn Ihr großzügiges Angebot aber darin besteht, dass SSW und SPD beizutreten haben, dann ist das, ehrlich gesagt, kein Signal, zu einer Einigung kommen zu wollen. Das würde ich sehr bedauern. Deshalb schlage ich Ihnen vor, dass wir einen gemeinsamen Text suchen und schauen, ob wir damit Erfolg haben. An unserer Anstrengung wird es nicht mangeln, eine gemeinsame Lösung zu erreichen.

- Ja. Ich finde das bedauerlich. In der Debatte ist deutlich geworden, was die einzelnen Punkte sind. Die müssen sich natürlich auch in einem gemeinsamen Antrag wiederfinden. Wenn die SPD sagt, es kann nur so sein, wie sie das will, dann würde ich das sehr bedauern.

(Widerspruch SPD - Zurufe SPD: Nein! Das hat keiner gesagt!)

- Doch. Noch einmal: Ich habe das Angebot gemacht - wir haben gerade sehr lange darüber gesprochen -, das ist sehr ernst gemeint. Ich kann Ihnen das Angebot gern machen: Wir verschieben die Abstimmung um eine Stunde. Ich habe deutlich gesagt, was uns wichtig ist. Das ist das Angebot.

Entweder geht die SPD darauf ein oder eben nicht. Es ist ja auch legitim, Herr Stegner, dass Sie sagen, das wäre für Sie nicht machbar. Ich sage Ihnen nur: Das Angebot ist sehr ernst gemeint, es wäre aus meiner Sicht sehr sinnvoll, das so zu handhaben. Das werden wir gleich sehen. Meinetwegen können wir die Abstimmung um eine Stunde verschieben. Ich habe nur sehr deutlich gemacht, was unser Ansinnen ist. Das muss auch berücksichtigt werden. Die Mehrheit im Haus sollte sich schon im Antrag wiederfinden.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Nachfrage oder weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?