(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Jette Waldinger-Thier- ing [SSW] - Volker Schnurrbusch [AfD]: Das ist ein demokratisches Ergebnis!)
Das ist ein Teil unserer gemeinsamen Verantwortung. Deswegen muss ich sagen: 30 Jahre sind eigentlich eine lange, aber, historisch gesehen, auch eine kurze Zeit. Ich bin sehr dankbar, dass es uns Herr Kollege Koch und die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen - gestern gelungen ist, eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden; denn ich glaube, es ist schon wichtig, dass wir zum Ausdruck bringen, dass es eben nicht zu Ende ist mit dem, was wir zu tun haben, sondern dass die soziale Einheit eine große Aufgabe bleibt und dass wir in Anbetracht der Herausforderungen des Jahres 2020 nicht aus den Augen verlieren dürfen, dass man die gemeinsame Geschichte auch kennen muss; denn nur wer das tut, kann aus ihr auch lernen und weiß, dass wir etwas zu tun haben.
Ich will ausdrücklich bekräftigen, was die Vorrednerin an einer Stelle gesagt hat. Wir haben das große Glück, dass die meisten in unserer Generation, die hier leben, in Frieden und Freiheit aufgewachsen sind - übrigens ganz anders als die Generation vor uns. Es ist unsere Aufgabe, das zu bewahren. Das schaffen wir nur, wenn wir uns um die innere Einheit bemühen und wenn wir auch fair sind gegenüber den Menschen, die es vielleicht ein bisschen schwerer hatten als der eine oder andere von uns. Deswegen ist es ein wichtiges Zeichen, heute zu sagen, dass dieser Tag ein Grund zur Freude ist, dass aber auch noch eine Menge Arbeit vor uns liegt, um die Demokratie und unsere Werteordnung für die Zukunft zu verteidigen. - Vielen herzlichen Dank.
(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW - Volker Schnurr- busch [AfD]: Hetze gegen die AfD!)
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort die Fraktionsvorsitzende, die Abgeordnete Eka von Kalben.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Einheit vollzogen, Einheit hergestellt, Einheit erreicht - das war das Fazit des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundeslän
der, Marco Wanderwitz, in seinem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, der letzte Woche veröffentlicht wurde.
Einheit erreicht? - Sicher, für ganz viele Bereiche, insbesondere für die Infrastruktur, für Krankenhäuser, für Energienetze und Straßen. So weit, so gut. Weniger euphorisch stimmt mich aber, dass es nach 30 Jahren noch nicht vollständig gelungen ist, die Einheit auch in den Köpfen nachzuvollziehen. Ja, die Mauer ist gefallen, die innerdeutsche Grenze abgeschafft. Trotzdem fühlt sich mit 57 % noch über die Hälfte der Ostdeutschen als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse. Trotzdem sind Ostdeutsche in Führungspositionen sogar in Ostdeutschland extrem unterrepräsentiert, im Westen sowieso.
Ich wurde wenige Jahre nach dem Mauerbau in Westdeutschland als Tochter von Eltern geboren, die nach dem Zweiten Weltkrieg von ihrer Heimat in Sachsen-Anhalt nur träumten, aber nicht dort leben konnten, dafür aber dann im kleinen Grenzverkehr - ich habe auch diese Stempel im Pass - sehr viele Besuche gemacht haben. So hat mich der Wunsch nach Wiedervereinigung sozusagen von klein auf geprägt.
Als es dann 1990 endlich soweit war, habe ich trotzdem mit gemischten Gefühlen auf diese Wiedervereinigung geschaut. Natürlich war das Ereignis ein Grund zur Freude. Ich war auch bei der Maueröffnung in Berlin. Es war ein großer Trubel. Es war toll, ein wirklich prägendes Ereignis. Das Ende der Diktatur bedeutete auch das Ende vielen Unrechts.
Aber durch meine Freunde in der DDR kannte ich auch viele Menschen, die sich das Ende ihrer Revolution anders gewünscht hätten: Nicht einfach eine Eingliederung in die bestehende Bundesrepublik, sondern auch die Würdigung ihres Lebenswerkes bei gleichzeitiger Aufarbeitung des geschehenen Unrechts in der DDR. Gerade die Menschen, die sich bei Bündnis 90 und damals im Neuen Forum organisiert hatten und viele Risiken eingegangen sind, haben sich von einer Wiedervereinigung noch mehr gewünscht.
Während die Menschen in Westdeutschland größtenteils einfach weiterleben konnten wie bisher, war die Wende für viele Menschen aus der ehemaligen DDR mit gravierenden Umbrüchen in ihrem Leben verbunden. Herr Dr. Stegner hat dies bereits gesagt. Noch heute prägt uns nicht wirklich ein Verhältnis auf Augenhöhe. Die Bundesländer im Osten wer
den von uns vor allem wahrgenommen, wenn es ein Problem gibt - mit der Demokratie, mit der Aufnahme von Geflüchteten und mit Rechtsextremismus. Ja, es ist ein Problem, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie in Ostdeutschland bei nur 22 % liegt. Aber ganz ehrlich: 40 % in Westdeutschland sind auch keine super Zahl, und Kassel und Hanau liegen bekanntlich nicht im Osten.
Statt überheblich in Richtung Osten zu schauen, sollten wir uns auf die Dinge konzentrieren, bei denen wir noch hinterherhinken: bei der Kinderbetreuung, beim Ganztagsangebot, bei der Geschlechtergerechtigkeit. Insoweit können wir etwas lernen.
Einheit vollzogen. - Nun ja, wenn mich meine Kinder fragen, ob ich im Osten oder im Westen aufgewachsen sei, weil meine Eltern nun wieder in Sachsen-Anhalt leben, denke ich, sie müssten das doch wissen. Wir waren ein geteiltes Deutschland, und es ist doch klar, dass ich in Niedersachsen aufgewachsen bin. Für sie ist diese Grenze einfach nicht mehr da, und ob das Dorf in Sachsen-Anhalt BRD oder DDR war, spielt für sie überhaupt keine Rolle.
Auch bei der Wahl des Ausbildungs- oder Studienplatzes spielt es eigentlich keine Rolle mehr, ob es eine westdeutsche oder eine ostdeutsche Stadt ist. Es spielt höchstens eine Rolle, wenn es um Ängste, um Fremdenfeindlichkeit, geht; aber eine Universität in Leipzig wird nicht weniger gern gewählt als meinetwegen eine Universität in Passau.
Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern fühlen sich, glaube ich, aufgrund ihrer Kultur mehr mit Schleswig-Holstein verbunden als zum Beispiel die Bayern. Zwischen den Leuten in der Stadt und jenen auf dem Land gibt es zum Teil viel prägendere Unterschiede als die zwischen Ost und West.
Deshalb glaube ich, dass wir tatsächlich auf einem guten Weg sind und dass wir mit unserem Antrag und der Idee, dies noch mehr in der Bildung einzubringen und auch unsere Geschichte gemeinsam anzuschauen, einen guten Schritt gehen.
Wir sind ein Land mit einer gemeinsamen Geschichte mit zwei parallelen Unterkapiteln. Es ist wichtig, dass man auf beide Unterkapitel schaut. Diese in der Bildung auch den Jüngeren nahezubringen, muss unsere Aufgabe bleiben.
Alles in allem sind wir eine geeinte, föderale Republik in Europa. Unsere Einheit geht einher mit Vielfalt. Darüber bin ich froh. Unsere Aufgabe muss es
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bald dürfen wir 30 Jahre Wiedervereinigung feiern. 30 Jahre sind quasi eine ganze Generation. Die DDR gab es rund 40 Jahre, die Mauer bestand 28 Jahre.
Wir werden den 3. Oktober 2020 leider nicht so feiern können, wie es eigentlich angemessen wäre, wir sollten dieses Jubiläum aber nutzen, um uns gemeinsam über den Glücksfall der Wiedervereinigung zu freuen. Wir sollten uns an die schmerzhafte Zeit der Teilung erinnern, zurückblicken auf das, was wir seitdem gemeinsam geschaffen haben, und wir sollten auch optimistisch in die Zukunft blicken.
Die Wiedervereinigung, mit der auch ein neues Kapitel für unseren Kontinent einherging - das wird in Deutschland manchmal nicht allzu sehr beachtet -, ist allen Unkenrufen und Problemen zum Trotz eine Erfolgsgeschichte. Auch wenn man nach 30 Jahren immer noch feststellen muss, dass die „Mauer in den Köpfen“ teilweise noch vorhanden ist und es immer noch nennenswerte Unterschiede wirtschaftlicher, kultureller und damit eben auch politischer Art zwischen unseren Landesteilen in Ost und West gibt, zeigt die Zwischenbilanz doch eine enorme Kraftanstrengung sehr vieler Menschen, und dies ich betone dies ganz deutlich - vor allem in Ostdeutschland.
Ich will die Schwierigkeiten überhaupt nicht kleinreden. Natürlich wurden auf diesem Weg auch Fehler gemacht. Schließlich gab es für diesen Prozess keine wirklichen Erfahrungswerte. Aber anstatt vor allem über Missstände zu schimpfen, sollten wir mehr Verständnis dafür entwickeln, dass eine unterschiedliche Geschichte auch unterschiedliche Prägungen der Menschen bedeutet. Hoch problematisch - das wurde schon angesprochen - bleiben die Verklärung des Regimes, die teilweise immer noch vorhanden ist, und natürlich auch der Rechtsextremismus, wobei man auch schauen muss, ob er nur eine Folge der Wiedervereinigung oder nicht vielmehr eine Folge des Regimes in der DDR war und
Wir sollten gemeinsam mehr Stolz für das Erreichte entwickeln und uns neue Ziele setzen. Dazu gehört für mich auch die Erkenntnis, dass es mittlerweile auch in Westdeutschland Regionen gibt, die bei der Entwicklung von Infrastruktur und Wirtschaftsstruktur mehr Unterstützung brauchen, während es im Osten zum Glück auch sehr starke Regionen gibt, beispielsweise in Sachsen.
Die Teilung war die Folge des von uns Deutschen ausgelösten Zweiten Weltkrieges, der unendlich viel Leid über Europa und die Welt gebracht hat. Die Menschen im Osten unseres Landes hatten für die Verbrechen Nazideutschlands nach dem Krieg einen deutlich höheren Preis zu zahlen als wir im Westen. Die Geschichte unseres Landes und ein Blick auf das Geschehen in vielen Ländern auf der Welt sollten uns allen verdeutlichen, dass Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft alles andere als selbstverständlich sind, dass sie die Voraussetzung für unsere Freiheit sind und immer wieder aufs Neue verteidigt werden müssen.
Gerade wir Deutschen sollten uns noch stärker an die Seite der mutigen Menschen in Hongkong und Belarus stellen. Sie erinnern uns an die mutigen Menschen, die im Jahr 1989 in der DDR für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind. Zum Glück hatten die Menschen in Ostdeutschland mit der friedlichen Revolution Erfolg. Auch das wünsche ich den Menschen, die heute in Minsk und in anderen Städten Osteuropas auf die Straße gehen.
Die DDR war Ende der 80er-Jahre wirtschaftlich und politisch komplett ruiniert. Moralisch war sie es eigentlich von Anfang an. Wir haben vor 30 Jahren nicht nur die Teilung überwunden, sondern auch ein sozialistisches Unrechtsregime auf deutschem Boden mit einem unglaublichen Ausmaß an staatlicher Überwachung, Drangsalierung und Zersetzung und mit der Mauer, die in Wahrheit ein menschenverachtender Todesstreifen mit Minen, Selbstschussanlagen und Grenztruppen mit Schießbefehl war. Daran gibt es nichts zu relativieren. Auch das muss man nach 30 Jahren noch einmal deutlich sagen.
Viele Menschen leiden noch heute unter den perfiden Methoden der sogenannten Staatssicherheit, und es war die absolut richtige Entscheidung, dieses dunkle Kapitel mit Hilfe der Gauck-Behörde intensiv aufzuarbeiten.
Ich halte es für absolut angemessen, dass wir uns auf einen gemeinsamen Antrag verständigen konnten. Die gemeinsame Beleuchtung der Geschichte ist ja immer ein interessantes Unterfangen. Uns war unter anderem wichtig, dass wir auch die großen Verdienste der USA bei der Wiedervereinigung würdigen. Aber wir hatten eben auch das Glück, dass es in der Sowjetunion einen Michail Gorbatschow gab und dass unsere europäischen Nachbarn ihren Segen gegeben haben, auch wenn die Skepsis bezüglich eines wiedervereinigten Deutschlands teilweise immer noch groß war.
Die neue Ostpolitik von Willy Brandt und Walter Scheel mit dem Wandel durch Annäherung war sehr wichtig, aber auch das unbeirrte Festhalten vor allem der Union an der Wiedervereinigung. Die zupackende Art von Helmut Kohl in der Wendezeit gilt es zu würdigen, aber die Helden bleiben natürlich die damaligen Demonstranten in Leipzig, Berlin und anderswo. Es berührt mich noch heute, wenn ich die Worte von Hans-Dietrich Genscher auf dem Prager Botschaftsbalkon und den Jubelschrei der Menschen höre, die sich auf das Botschaftsgelände geflüchtet hatten.
Ich war 1990 sechs Jahre alt und kann mich noch relativ gut an die Wendezeit erinnern. Auch ich komme aus einer Region, in der dies besonders präsent war. Ich war damals mit der Familie in Mustin, als die Grenze wenige Tage nach dem Mauerfall in Berlin geöffnet wurde. Ich sage ganz deutlich: Statt Verklärung brauchen wir mehr Aufklärung, vor allem der heutigen Jugend. Dabei sind vor allem die Schulen gefragt, und am besten eignen sich meines Erachtens der Besuch von Erinnerungsorten und das Gespräch mit Zeitzeugen.
Er ist 19 Jahre alt geworden und nach dem 11. September 2001 geboren. Dieser Generation sind wir es ganz besonders schuldig, dass wir erinnern und zurückblicken und mit den jungen Leuten darüber sprechen, damit dies auch in ihren Köpfen präsent ist. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer kam es in Berlin am Schöneberger Rathaus zu einer bizarren Szene. Sie erinnern sich? Es fand eine spontane Kundgebung statt. Willy Brandt, Helmut Kohl und Berlins regierender Bürgermeister, Walter Momper, hielten die Reden, und Momper hat dabei mit seinem berühmt gewordenen Satz „Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt!“ die Stimmung meiner Familie und die Stimmung der allermeisten meiner Bekannten genau auf den Punkt gebracht.