Protokoll der Sitzung vom 28.10.2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, grüner Wasserstoff ist die Kohle und das Öl der Zukunft und ein

(Andreas Hein)

fundamentaler Schlüssel beim Gelingen der Energiewende und dem Erreichen der Klimaschutzziele. Dass die Landesregierung nun die lang angekündigte Strategie vorgelegt hat, ist gut, ein Jahrhundertwerk ist es allerdings nicht. Wasserstoff ist selbstverständlich ein Teil der Energiewende, er ist in vielen Bereichen notwendig. Damit stellt sich die Frage, wo wir ihn einsetzen; denn von allen Seiten wird am Wasserstoff gezerrt.

Wir brauchen Wasserstoff in der Chemieindustrie, bei der Stahlproduktion, wir brauchen Wasserstoff als synthetischen Treibstoff im Flugverkehr und insgesamt für die Mobilität. Gerade für die deutsche Industrie ist grüner Wasserstoff häufig die einzige Alternative zu Kohle, Öl und Gas. Es geht darum, Industriestandorte und Arbeitsplätze zu sichern, zu halten und weiterzuentwickeln. Eine Deindustrialisierung infolge der Energiewende kann nicht gewollt sein.

In diesem Zusammenhang bekennen wir uns auch zu dem energieintensiven Industriestandort Brunsbüttel.

(Beifall SPD und Oliver Kumbartzky [FDP])

Eine gute Wasserstoffstrategie ist die einzige Möglichkeit, nicht nur die Energiewende, sondern auch die Industriewende zu schaffen. Schleswig-Holstein hat die besten Voraussetzungen dafür, grünen Wasserstoff selbst zu produzieren und zu verwenden. Wir haben ausreichend erneuerbaren Strom, wir haben Speicherkapazitäten in Kavernen und ein gut ausgebautes Gasnetz.

Wasserstoff ist aber auch die Schlüsseltechnologie für die Mobilität der Zukunft. Luftfahrt, Schwerlastverkehr und Schifffahrt. Überall dort, wo Batterieantriebe an ihre Grenzen stoßen, führt kein Weg an Wasserstoff vorbei.

Es geht hier zum einen um die Massentauglichkeit für die industrielle Anwendung, zum anderen um den Aufbau einer regionalen Wasserstoff-Wertschöpfungskette in Schleswig- Holstein. Dafür ist eine Wasserstoffstrategie eben auch regional zu denken; denn zahlreiche Windmühlen gehen 2021 aus der EEG-Förderung und können nicht repowert werden.

Vor Ort Wasserstoff zu produzieren und damit für eine regional gesicherte Versorgung mit Wasserstoff zu sorgen, ist eine gute Alternative. Dem muss sich der Aufbau eines Tankstellennetzes anschließen, vorzugsweise an Verkehrsachsen und in der Nähe von Logistikzentren. Damit wären Speditionen, kommunale und kommerzielle Verkehrsbetriebe be

reit, in wasserstoffangetriebene Fahrzeuge zu investieren. Die Notwendigkeit ist also unbestreitbar.

Ihre vorgelegte Wasserstoffstrategie birgt allerdings deutliche Defizite. Wer den Ausbau von grünem Wasserstoff fordert, muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Er muss auch sagen, auf welchen Flächen und mit welchen Energieerzeugern der Strom erzeugt werden soll. Mit dem Bau von drei Windkraftanlagen an Land im ersten Halbjahr ist das nicht zu erreichen.

In der Strategie, die Sie vorgelegt haben, fehlt ein zentraler Pfeiler. Es fehlt ein klares Bekenntnis zum Aufbau eines Wasserstoff-Kompetenzzentrums. Wir müssen uns der Notwendigkeit bewusst werden, dass wir Anwendungsforschung im ganz großen Stil betreiben müssen, um Unternehmen auch langfristig an Schleswig-Holstein zu binden und in dieses Land holen zu können.

Irritierend sind die Anmerkungen zum Wasserstoffimport im Bericht der Landesregierung. Sie übernehmen kommentarlos und kritiklos aus der nationalen Wasserstoffstrategie die Hinweise, dass wir Wasserstoff im großen Stil importieren müssten. Wir müssen doch erst einmal im eigenen Land dafür sorgen, dass unser Potenzial ausgeschöpft und nutzbar gemacht wird, bevor wir über Importe nachdenken. Das tun Sie nicht.

Noch dramatischer finde ich den Hinweis zur Wettbewerbsfähigkeit der Wasserstofferzeugung in Schleswig-Holstein. Ich zitiere aus dem Bericht:

„Da bei den Importen davon auszugehen ist, dass diese aus (ausländischen) Regionen mit besonderen Standortvorteilen kommen werden, stellt sich die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der Wasserstofferzeugung in Schleswig-Holstein. Die Landesregierung geht dieser Frage im Gutachten ‚Regionale Wasserstofferzeugung und -märkte‘ nach.“

Was heißt denn das am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen? Heißt das, wenn die Landesregierung zu dem Ergebnis kommt, dass es sich nicht lohnt, diesen Wasserstoff hier herzustellen, alles umsonst gewesen ist? Das heißt, die Wasserstoffstrategie muss sich damit beschäftigen, einen Weg zu finden, der dazu führt, dass Wasserstoff hier wettbewerbsfähig produziert werden kann. Um die Beantwortung dieser Frage drücken Sie sich, und insofern ist dieser Passus wirklich ein Makel dieser Strategie, weil am Ende alles infrage gestellt werden kann, wenn Sie mit diesem Gutachten feststellen, dass in Schleswig-Holstein Wasserstoff vor Ort nicht wirtschaftlich produziert werden kann.

(Thomas Hölck)

(Beifall SPD)

Insofern muss ich Ihnen sagen: Brennen für ein Thema sieht wirklich anders aus.

In der August-Tagung des Landtages haben wir festgestellt, dass Sie die bisherige Zielsetzung des schleswig-holsteinischen Energiewende- und Klimaschutzgesetzes teilweise verfehlt haben und verfehlen werden. Die bisherige Bilanz der JamaikaKoalition stimmt mich also nicht zuversichtlich, dass Sie die Wasserstoffstrategie zum Erfolg führen werden. Trotzdem lohnt es sich, den Bericht der Landesregierung im Ausschuss zu beraten. Deshalb stimmt die SPD-Fraktion für die Überweisung in den Fachausschuss. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort der Abgeordnete Bernd Voß.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal ein herzliches Dankeschön an die Landesregierung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Erarbeitung der Strategie und des Maßnahmenkatalogs. Wir Grüne, das betone ich ausdrücklich, setzen uns dafür ein, dass grüner Wasserstoff das Fluidum der Energiewende in allen Sektoren wird.

Deshalb begrüßen wir es, dass die Landesstrategie auch genau darauf abzielt. Wir haben sie gerade deshalb beantragt, um neben den inzwischen verabschiedeten Strategien des Bundes und der EU eine Strategie mit Maßnahmen für das Land zu setzen, die sich an den Potenzialen des Landes orientiert, die bereits getätigte Investitionen gerade in den mittelständischen Unternehmen aufgreift und darauf aufbaut; denn letztlich sind die erneuerbaren Energien unsere einzige wirkliche ökonomische Perspektive hier in Schleswig-Holstein. Wir setzen auf eine Strategie, die in Regionen im industriell geprägten Land Maßstäbe setzt und regulatorische Hemmnisse so weit wie möglich aufgreift, denn gegen eine fehlende Bepreisung von Klimagasen kann überhaupt und nirgendwo dauerhaft ansubventioniert werden. Wir brauchen eine Strategie, die administrative Hemmnisse aufgreift. Eine Erdgasbohrung ist privilegiert. Ein Elektrolyseur, der aus erneuerbaren Energien Wasserstoff erzeugt, ist nicht privilegiert.

Förderleitfäden können helfen, die Möglichkeiten, die sich aus Landesmitteln in Höhe von 30 Millionen € zusammen mit den vielen Mitteln, die von der EU und dem Bund für Wasserstoff bereitgestellt werden, ergeben, für einen optimalen Einsatz zu nutzen. Eine Landeskoordinierungsstelle Wasserstoff und ein Landeskompetenzzentrum Wasserstoffforschung, welches das alles in optimierte Bahnen lenkt, ist sinnvoll.

Den nächsten Punkt hat bereits Herr Kollege Hölck angesprochen: Wir wollen auf erheblich mehr Unabhängigkeit in der Energiebereitstellung setzen. Im Ölbereich werden 98 % importiert. Daher müssen wir bei den Erneuerbaren prüfen und aufmerksam sein, dass wir das beim Wasserstoff nicht genauso wiederholen. Kürzlich war ein Artikel in der „taz“, der sehr deutlich gemacht hat, dass europäische Konsortien im Kongo unterwegs sind und dort die erneuerbaren Energien zum Beispiel aus Wasserkraft ausbauen wollen, um diese Energie dann als Wasserstoff hierher zu exportieren. Dabei werde ich schon ein bisschen unruhig. Wir müssen es selber erzeugen und dürfen nicht anderen Weltregionen ihre Potenziale an erneuerbaren Energien mit unserer Wirtschaftskraft wegkaufen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kein anderes Industriegas hat in der Sprache so viele Farben: schwarz, grau, blau, türkis und grün. Dabei ist Wasserstoff farblos, man sieht ihm nicht an, ob er aus fossilen oder aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde, und erst recht nicht, in welchem Elektrolyseur mit welchem Strom er hergestellt wurde. Ich nenne hier nur eine Zahl, um wirklich deutlich zu machen, wie entscheidend es ist, dass er aus erneuerbaren Energien produziert wird. Wasserstoff aus erneuerbaren Energien hat eine Klimabelastung von ungefähr 26 g CO2/kWh, mit Strom aus dem klassischen deutschen Strommix ist die Belastung mehr als das 20-Fache höher, also ungefähr 650 g. Das macht wirklich deutlich, wie entscheidend es ist und wie streng wir sein müssen, dass er wirklich aus den erneuerbaren Energien kommt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ausschließlich Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, die sonst nicht hätte verwendet werden können, verdient wirklich das Zertifikat „grüner Wasserstoff“. Nur das hat dauerhaft Zukunft. Daher werden wir sehr genau prüfen, wie die Zertifizierung insbesondere auf europäischer Ebene läuft, um sicherzustellen, dass wir den richtigen Wettbewerbspfad bei der Wettbewerbsfähigkeit gehen, sei es in der Stahlerzeugung, in der schweren Mobilität

(Thomas Hölck)

oder in der Energiespeicherung. Alles andere ist verkappte fossile oder nukleare Energie und ist damit ein Auslaufmodell, auf das wir auf keinen Fall setzen dürfen. Mit dem Atom- und Kohleausstieg müssen wir auch den nächsten Ausstieg bei den fossilen Gasen anpacken und sie durch erneuerbare Gase ersetzen.

Das uns noch zur Verfügung stehende Budget an Klimagasen ist wahrscheinlich weit vor 2050, eventuell sogar schon vor 2035, verbraucht, wie es im neuesten Gutachten des Wuppertaler Instituts steht. Uns bleibt nur die direkte Stromerzeugung, die Erzeugung aus Wasserstoff mittels Elektrolyse aus neu zu errichtenden erneuerbaren Energiequellen wie PV oder Wind. Wer Wasserstoff sagt, muss letztendlich auch sagen, woher er kommt, wo Energie aus PV oder Wind entstehen soll.

Rund 50 bis 60 kW Strom braucht man für 1 kg Wasserstoff, und das ist ungefähr 1 m2 PV. Das ist zuerst einmal nicht viel. Ein normal benutzter Pkw, das wissen, Sie, braucht ungefähr die zehnfache Energiemenge und somit circa 100 kg Wasserstoff im Jahr. Das sind 100 m2 neue PV. Rund 1,5 Millionen Fahrzeuge in Schleswig-Holstein brauchen daher für den wasserstoffbetriebenen Individualverkehr ungefähr 1 % der Landesfläche für PV. Bei direkter E-Mobilität ist das ungefähr ein Drittel. Man muss sich das so vor Augen halten. Das Land verändert sich, wir müssen wissen, wohin wir wollen. Wir müssen dann aber auch ein klares Bekenntnis dazu liefern und entsprechend engagiert und zeitnah da hinarbeiten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei gilt immer wieder die Regel, ich denke, das ist uns allen klar: Je weiter und je schwerer das Fahrzeug, desto eher kann Wasserstoff eingesetzt werden. Fern-Lkw, Nutzfahrzeuge, kleine Personenzüge und auch Schiffe werden demnächst dazu gehören und so weiter.

Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Transportierbarkeit und die Speicherfähigkeit von erneuerbaren Energien als Wasserstoff. Genau in dem Bereich werden wir das jetzt vorhandene Erdgasnetz betrachten und zukunftsfähig ausrichten müssen. Es wird uns in die Lage versetzen, Schwankungen im Energienetz, im Stromnetz nachhaltig auszugleichen.

Wasserstoff kann aber eben nicht nur für Fahrzeuge, nicht nur direkt stofflich oder für die Stahlerzeugung genutzt werden, sondern letztlich auch für die Wärme. Bei der Elektrolyse und bei der Nutzung in Brennstoffzellen entsteht Wärme von ungefähr

80 °C, das ist bei Wärme nicht besonders viel, reicht aber zum Heizen.

Wenn wir die Vergangenheit betrachten, haben wir häufig nicht auf die Wärme geachtet, die irgendwo anfiel. Sie geht in die Luft. Damit muss Schluss sein, damit wir das nicht irgendwann in zehn Jahren bedauern. Betrachtet man bisher das alles als Verlust, dann muss man sagen: Richtig aufgestellt ist Wasserstoff ein ganz entscheidender Bestandteil der Wärmewende. Unsere Mittelständler - ich sage: draußen in der Diaspora, Bosbüll, ist plötzlich Mittelpunkt der Welt - haben es vorgemacht, wie man das machen kann, wie man Wärme nutzt, wie man direkt aus einem Solarpark und aus einem Windpark den Strom nutzt. Wir setzen im Grunde auf die richtige Strategie. Ich glaube, das wird an dieser Stelle deutlich.

Der Minister hat es schon gesagt: Wir brauchen die richtigen Regeln, um den Marktkräften zum Durchbruch zu verhelfen und mit den Marktkräften einem klugen, sinnvollen Wasserstoffeinsatz zum Durchbruch zu verhelfen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt CDU)

Setzen Sie in der Landesregierung mit bewährtem Tempo die Arbeit fort, und lassen Sie uns im Umweltausschuss und im Wirtschaftsausschuss beraten und den Bericht noch einmal diskutieren, vertiefen und die weiteren Erkenntnisse verarbeiten. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Oliver Kumbartzky das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Zurufe: Mikrofon bitte an!)

Jetzt? - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Zurufe: Ah! - Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass man dafür schon Applaus bekommt. - Wasserstoff ist ein Energieträger der Zukunft. Wasserstoff kann zur Dekarbonisierung und Minderung der Treibhausgasemissionen in allen Bereichen beitragen. Wasserstoff bietet die Chance, die Energiever