Protokoll der Sitzung vom 29.10.2020

Das alles ist gut so, aber keineswegs selbstverständlich. Als Lübecker Abgeordnete erfüllt es mich mit großer Dankbarkeit, dass sich dort inzwischen nicht nur eine Stiftungsuniversität, sondern mit der TH und der Musikhochschule auch ein stark wachsender Dreiklang mit entsprechend hoher Nachfrage entwickelt hat. Die Universität und die Hochschulen bringen Gründungen hervor, tragen maßgeblich zur Innovationskraft der Wirtschaft bei und wachsen immer besser in die Stadtgesellschaft hinein.

Viele aktuelle Fragestellungen - ob Klimawandel, Energiewende, Digitalisierung oder die Angriffe auf unsere Demokratie; die Fragestellungen reichen bis hin zu dieser Coronapandemie - erfordern wissenschaftlich fundierte Antworten und die Übersetzung in eine für jeden verständliche Alltagssprache. Deshalb haben unsere Hochschulen eine wichtige Funktion für unsere gesamte Gesellschaft.

In diesen Tagen hat an den meisten Hochschulen schon wieder die Vorlesungszeit begonnen, oder sie beginnt in der kommenden Woche. Mit der CoronaVerordnung für die Hochschulen haben wir ihnen analog zu den Schulen - klare Regeln und damit auch Sicherheit im Umgang mit der Pandemie gegeben. Unsere Hochschulen haben sich auf ein Hybridsemester eingestellt. Das ist im Hinblick auf die nächsten Wochen gut und wichtig, wie wir an den jüngsten Ereignissen gesehen haben. Diese enorme

Herausforderung wurde durch den großen Einsatz der Hochschulbeschäftigten gut gemeistert. Dafür möchte ich an dieser Stelle allen Beteiligten ganz herzlich danken.

Natürlich gilt es für eine gute digitale Lehre noch viele weitere Dinge anzugehen. Deswegen haben wir den Hochschulen im ersten Schritt 2,75 Millionen € für die Umsetzung einer hochschulübergreifenden IT-Konzeption bereitgestellt und weitere 2,24 Millionen € für Einzelmaßnahmen an Hochschulen, um die digitale Lehre zu verbessern.

Die stabilen Anmeldezahlen zeigen, dass junge Menschen sich auch jetzt bewusst und gern für ein Studium im Land zwischen den Meeren entscheiden. Es besteht gerade jetzt ein hohes Annahmeverhalten bei zulassungsbeschränkten Studiengängen. Nicht nur Unsicherheiten am Arbeitsmarkt und der coronabedingte Wegfall von Auslandsaufenthalten haben dazu geführt, dass viele junge Menschen unmittelbar im Anschluss an die Schule und damit bereits im Alter von 18 oder 19 Jahren mit einem Studium beginnen. Ob und wie dieses Studium in Coronazeiten gelingt, lässt sich noch nicht pauschal beurteilen.

Die Pandemie erfordert gute Hygienekonzepte und das Wechselspiel zwischen Präsenz- und OnlineAngeboten in Hybridsemestern. Das ist die eine Seite, der verordnete Verzicht auf Feiern und Freizeitaktivitäten die andere. Wir brauchen daher in diesen besonderen Zeiten auch den besonders sorgfältigen Blick auf jeden einzelnen Studierenden und jeden einzelnen Studiengang. Das erfordert die Möglichkeit des schnellen Zugangs zu guten Ansprechpartnern.

Herr Habersaat, ich bin Ihnen dankbar, dass auch Sie diesen Punkt sehr ausführlich in diese Debatte eingebracht haben. Es macht einen Unterschied, ob es um Erstsemester geht, die jetzt in das Wintersemester einsteigen und den Campusbetrieb noch nicht kennen, oder um diejenigen, die mittendrin feststellen, dass die gewählte Fachrichtung nicht die richtige ist, oder die die Prüfungen nicht bestanden haben. Jeder Einzelfall erfordert Entscheidungen in unsicheren Zeiten. Lebensbrüche und psychosozialen Folgen gilt es, nach Möglichkeit zu vermeiden.

Jedes Studium bedeutet in der Regel auch Einkommensverzicht und erfordert über mehrere Jahre finanzielle Unterstützung. Damit bin ich beim zweiten Antrag und beim Thema BAföG. In diesen Zeiten sind viele Nebenjobs weggefallen; das haben wir bereits in den vorherigen Berichten gehört. Die Wohnungssuche bleibt schwierig und teuer. Eine

rein digitale Lehre ist weder für jeden Studiengang durchgängig geeignet noch für jeden Studierenden der richtige Weg.

Die BAföG-Reform ist bereits zu Beginn der Legislaturperiode auf den Weg gebracht worden. Sie erfordert nun eine Anpassung im Bereich der coronabedingten Folgen. Deswegen haben wir schon im August die individuelle Regelstudienzeit angepasst. Für die Zukunft haben wir den Alternativantrag eingereicht.

Herr Habersaat, ich habe Ihren Appell sehr wohl gehört und verstanden. Deshalb schlage ich vor, dass wir im Sinne unserer Hochschulen und Studierenden im Ausschuss weiter über dieses Thema beraten. Ich beantrage daher die Überweisung in den Bildungsausschuss und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wenn man zurzeit Studierende nach der Lage an den Hochschulen befragt und danach, wie es denn so ist, in diesen Zeiten zu studieren, erhält man relativ oft einheitliche Rückmeldungen: Man wünscht sich einheitliche Regeln und Verfahren, zum Beispiel was Lehrplattformen angeht. Es kommt hinzu, dass sie nicht immer ideal funktionieren. Man wünscht sich einen besseren Zugang zu Literatur. Hinzuzufügen ist: Ja, viele Bibliotheken sind nicht so gut zugänglich, wie es vorher der Fall war. Aber wie schnell die Bibliotheken auf die erhöhte Nachfrage nach Fernleihe reagiert haben und wie schnell sie erweiterte Möglichkeiten geschaffen haben, Inhalte zu kopieren, ist doch mehr als bemerkenswert, und zwar positiv bemerkenswert.

Man wünscht sich klare Regeln, auch was die Verwendbarkeit von aufgezeichneten Vorlesungen und Seminaren angeht. Es wundert mich sehr, wie viele Dozierende dann doch sagen: „Ich mache meine Vorlesungen nur live“, oder: „Ich lasse sie nur vier Tage online; dann nehme ich sie offline“. Wenn es dem Lernerfolg dient, dass die Vorlesung länger online ist, warum sollte man sie herunternehmen, außer aus Egogründen oder aus der Sorge heraus, ir

gendwann überflüssig zu werden? Es wäre sehr sinnvoll, die Lehrveranstaltungen online zu lassen. Zumindest einigen Menschen würde das vor der Prüfung helfen. Wenn man am Ende eine bessere Prüfung schreibt, dann ist auch das Sinn der Hochschule.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und vereinzelt CDU)

Viele Menschen an den Hochschulen treibt Einsamkeit um. Das war vorher schon ein Thema, und natürlich ist es in der aktuellen Situation zu einem noch viel wichtigeren Thema geworden. Gerade zum Studienstart in einer neuen Stadt ist es schwierig, Fuß zu fassen, zumal dann, wenn man sich kaum treffen kann. Viele Studierendenvertretungen sind aber sehr kreativ im Umgang mit der neuen Situation und bieten draußen viele Begegnungsmöglichkeiten an. Ich sehe hier in Kiel überall kleine Studierendengruppen, die sich, wenn auch mit viel Abstand, bei einem Kurzen oder einem Bierchen kennenlernen. Auch das kann funktionieren, aber eben draußen. Wie es nach der neuen Regelung zur Begrenzung auf Mitglieder zweier Haushalte wird? - Es wird kompliziert.

Viele Studierende machen sich auch Gedanken darüber, wie es denn mit einem „Nichtsemester“ wäre. Das Hauptargument zur Beruhigung im Sommer war „Semesterferien“ oder „vorlesungsfreie Zeit“. Jetzt wird es wieder komplizierter.

Hierauf brauchen wir schnell Antworten; denn auch viele Studierende in den Sozialberatungen treibt die Frage um, wie es jetzt genau weitergeht. Das heißt: Zählt das jetzt als Semester? Ist es Teil meiner Regelstudienzeit? - Hierauf werden wir schnell reagieren müssen.

Herr Habersaat, ich finde den Vergleich mit den Schulen auf den ersten Gedanken hin zwar nachvollziehbar, er haut aber bei den Hochschulen nach meiner Auffassung nicht hin, weil Kohortenprinzipien an Hochschulen nicht umsetzbar sind. Wenn ich zum Beispiel VWL und Philosophie studiere, mein Kollege studiert aber VWL und Sport, dann haben wir nicht mehr ganz solche Kohorten, wie wir sie in den Schulen vielleicht hinbekommen. Das ist auch nicht vergleichbar mit den Leistungskursen oder Leistungsprofilen, je nachdem. - Sie kennen sich mit Schule besser aus. Ich glaube aber, es ist nicht vergleichbar; sagen wir es einmal so.

Aber einige Dozierende geben sich extrem viel Mühe. Ich habe von Studierenden der Medizin beschrieben bekommen, wie Dozierende ihre Versuche mit der Handykamera aufnehmen und dann on

(Anette Röttger)

line stellen und alles nachvollziehbar machen, was sie in dem Versuch alles gesehen haben. Das ist sehr, sehr großartig.

Insgesamt muss man sagen: Viele Rückmeldungen sind ähnlich wie in der Zeit vor Corona: Lehrende sind mal besser und mal schlechter, die Lage ist mal schwieriger, mal einfacher. Nichtsdestotrotz müssen wir schauen, wo wir coronabedingt nachsteuern müssen.

Die Unsicherheit ist in den letzten Tagen und sogar Stunden gestiegen. Es stellen sich zum Beispiel Fragen wie diese: Wie geht es weiter mit den Praktika, und wie geht es weiter mit den Anwesenheitsphasen an den Hochschulen? Wo aber soll es gelingen, wenn nicht an den Hochschulen? Wir haben dort hochausgebildete Leute, die im Wesentlichen oft mit dem Kopf arbeiten. Andere müssen auch mal die Praxis einbeziehen, das ist gar keine Frage. Aber die Hochschule ist durchaus ein Ort, wo das leichter und besser funktionieren kann als in vielen andere Bereichen unserer Gesellschaft.

Viele Spannungen, die gerade an Hochschulen stattfinden, bei denen es durchaus auch einmal kompliziert werden kann, muss man in einer wirklich ernstzunehmenden Krise auch einfach einmal aushalten. Andere Bereiche der Gesellschaft sind stärker belastet. Auch das gehört zur Wahrheit.

Aber die Krise verschärft Probleme, die vorher schon bestanden haben. Hier möchte ich explizit auf die finanzielle Situation einiger Studierender eingehen. Es handelt sich hier eher um ein Problem und betrifft durchaus nicht den Großteil der Studierenden.

Der Großteil der Studierenden kommt aus privilegierten Haushalten, in denen die Eltern auch mal einen Euro mehr geben können und in denen die Eltern auch vorher schon die finanzielle Herausforderung ihrer Kinder übernommen hatten. Dies macht den Großteil aller Studierenden aus. Das ist die Situation und das ist, wie gesagt, eher ein Problem, das uns gerade jetzt etwas entgegenkommt.

Viele Leute fallen immer noch durch das Raster der Hochschulbildung. Viele Menschen genießen eben nicht die Möglichkeit eines Zugangs zu einer Hochschule; dafür gibt es diverse Gründe.

Deswegen bin ich auch kritisch, was Forderungen von Studierendenvertretungen nach 3.000 € Überbrückungsgeld für alle Studierenden angeht, die zu Beginn der Pandemie bekannt wurden. Ein Großteil der Studierenden braucht dieses Geld schlichtweg nicht und lebt von dem Geld ihrer Eltern.

Aber es gibt einen anderen Teil. Das ist der Teil, auf den sich der Blick der Politik richten muss. Dieser Teil betrifft diejenigen, die die Krise vom Schlechten her denken möchten, die eben nicht in privilegierten Haushalten oder mit privilegierten Eltern aufgewachsen sind. Die müssen nämlich überlegen, wie sie jetzt über die Runden kommen.

BAföG ist vorher schon absolut unzureichend gewesen. BAföG ist zu gering und zu ungerecht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Christopher Vogt [FDP])

Ich nehme einmal den Kreis meiner Kommilitonen als Beispiel. Die Leute, die den Höchstsatz an BAföG bekommen haben, waren in der Regel die, deren Eltern selbstständig waren und die sich gegenüber dem BAföG-Amt irgendwie kleinrechnen konnten. Leute, deren Eltern arbeitslos waren oder schlecht verdient haben, haben in der Regel 200, 300 oder auch mal 400 € bekommen. Dann kann man sich vielleicht noch 450 € nebenbei verdienen. Jeder Euro jedoch, der darüber liegt, wird wieder abgezogen. Davon kann man in einer Stadt wie Kiel nicht gut leben. Wenn man sich allein die Mietsituation in Kiel anschaut, sieht man schon, wo die Probleme beginnen. Das heißt, das BAföG ist unzureichend. Ich kann dann nämlich teilweise nur noch schlecht arbeiten.

Wenn es dann wirklich immer noch nicht reicht, kommen wir auf Studienkredite zu sprechen. Studienkredite sind für viele die einzige Möglichkeit, einigermaßen zurechtzukommen. Es ist gut, dass diese Kredite zu Beginn der Pandemie zinsfrei wurden. Aber auch das ist keine wirklich tragfähige Lösung, und es ist vor allem nicht die Lösung, die wir eigentlich gern hätten.

Die Anzahl der BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger sinkt jedes Jahr. Das ist ein Alarmsignal. Das hat nichts damit zu tun, dass die Gesellschaft gerechter würde, sondern das hat damit zu tun, dass sich immer mehr Menschen aufgrund von finanziellen Ängsten und Nöten gegen ein Studium entscheiden. Dadurch gehen uns Talente verloren, die wir in unserer Gesellschaft dringend bräuchten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Bundeshilfe ist völlig unzureichend. Allein die Überprüfung, ob man jetzt 500 € auf dem Konto hat oder nicht, kann doch wohl nicht ernst gemeint sein. Wir haben Situationen erlebt, bei denen die Auszahlung so lange gedauert hat, dass man weit mehr als 500 € auf dem Konto hatte, weil das die

(Lasse Petersdotter)

Auszahlungen der letzten Monate waren und man nicht erneut beantragen konnte.

Das gleiche erleben wir auch immer wieder beim BAföG. Wer im Juli, August oder September BAföG beantragt, verfügt darüber längst nicht im Oktober, sondern wartet bis zum Januar. Da passiert es dann auch mal sehr schnell, dass man im Freundeskreis alle möglichen Leute angepumpt hat, die man anpumpen kann, dass man aber auch den Dispokredit ausgereizt hat. Die Förde-Sparkasse war da nicht immer so bereitwillig.

Ich will es kurzhalten: Die Bundeshilfen reichen nicht aus. Hier werden wir nachjustieren müssen.

Ich möchte mich in dem Zusammenhang einmal ganz kurz an die Studierenden wenden: Nehmt Kredite auf, wenn es sein muss! Habt davor nicht große Angst! Ich selber hätte ohne BAföG, einen 20-Stunden-Job und Studienkredite niemals studieren können. Wenn das die Abwägung ist, dann sollte man einen Kredit aufnehmen. Es lohnt sich, es ist eine Investition in sich selbst. Dann sollte man lieber unter diesen Prämissen studieren. Wenn man dann später kein Geld mehr für die Kreditzurückzahlung hat, dann ist es im Zweifelsfall egal.

(Heiterkeit CDU)

Aber wir sollten die Leute dazu ermuntern, ihre Chancen zu ergreifen und sich nicht aus finanziellen Gründen von Studiengängen an den Hochschulen fernzuhalten. Ich glaube, auch hier brauchen wir eine Solidarität mit denen, die sie brauchen. Es sind sicherlich nicht alle, aber es gibt welche. Und gerade diejenigen sind es, die auf die Politik zählen können müssen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt.

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch unsere Hochschulen, ihre Beschäftigten und ihre Studierenden sind von der Pandemie besonders betroffen; das ist richtig. Ich danke der Ministerin für ihren Bericht, und ich danke auch der SPD-Fraktion für die Vorlage. - Schönen Gruß an den erkrankten Kollegen Heiner Dunckel und gute Besserung.

In kürzester Zeit mussten neue Konzepte für Online-Veranstaltungen entworfen und umgesetzt werden. Nach den Rückmeldungen, die mich erreicht haben, war das zwar nicht einfach, hat aber oft auch besser funktioniert, als man gedacht hatte, weil sich viele Beteiligte kreativ, flexibel und engagiert gezeigt haben. Mein Dank gilt deshalb all denen, die zum Gelingen des Online-Semesters beigetragen haben.