Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

Reichskriegsflaggen und schwarz-weiß-rot: Nicht nur in der breiten Öffentlichkeit werden diese Flaggen gezeigt. Sie hängen auch bei uns auf Balkonen, in Schrebergärten, an Fahnenmästen in privaten Gärten. Auf dem Landeshaus, das Gebäude der alten kaiserlichen Marineschule, wehen schon lange keine Reichskriegsflaggen mehr. Unser Staat ist heute ein anderer, ein demokratischer, ein liberaler, ein sozialer. Und deshalb wehen hier heute Fahnen der Demokratie.

Innensenator Mäurer aus Bremen ließ vor Kurzem dem Ganzen einen Erlass folgen, der das öffentliche Zeigen der verschiedenen Versionen der Reichskriegsflaggen seit dem 21. September 2020 als Ordnungswidrigkeit einstufte. Dann hat aber das Oberverwaltungsgericht Bremen - und das haben wir in unserem aktuellen Antrag berücksichtigt - diese Regelung gekippt, weil das Verbot die Meinungsfrei

(Vizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber)

heit einschränke. In Mecklenburg-Vorpommern hat Herr Caffier - von der CDU übrigens - am Dienstag einen ähnlichen Erlass wie die Bremer herausgegeben. Heute ist es zeitgleich im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern auch Thema.

Das Verbot von Reichskriegsflaggen wird in allen Bundesländern diskutiert, wobei es kaum noch um das Ob geht, sondern rechtlich um das Wie. Deshalb verwundert mich ein wenig die Kehrtwende, die Jamaika hier machen möchte. Wir haben in unserem Antrag zunächst Abstand genommen von der Idee einer landesrechtlichen Regelung per Erlass, um auf dieses OVG-Urteil in Bremen zu reagieren. Wir begrüßen, dass sich Frau Ministerin SütterlinWaack bereits zu einer bundeseinheitlichen Lösung bekannt hat, und wollen ihr mit dem Antrag den Rücken stärken. Wir hoffen, dass auch der Landtag das heute tun wird.

Das Thema soll im Dezember auf der Innenministerkonferenz in Weimar in Thüringen behandelt werden. Thüringen ist dafür wahrscheinlich eine gute Location, die kennen sich leider nur zu gut mit Rechtsextremisten aus. Deshalb ist der Zeitpunkt für eine Positionierung auch aus Schleswig-Holstein heraus mehr als günstig.

Wir bitten Sie, unsere Initiative zu unterstützen und heute ein starkes Signal zu setzen, ähnlich wie es zum Beispiel der Landtag in Nordrhein-Westfalen überparteilich getan hat. Schwarz-Weiß-Rot gehört in die Mottenkiste der Geschichte. Wir wollen dieses Symbol eines vordemokratischen Deutschland nicht auf unseren Straßen sehen. Wir bitten Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall SPD)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Tim Brockmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

„Die Tradition von Schwarz-Rot-Gold ist Einheit und Freiheit. Diese Flagge soll uns als Symbol gelten, dass die Freiheitsidee, die Idee der persönlichen Freiheit, eine der Grundlagen unseres zukünftigen Staates sein soll.“

So kommentierte Ludwig Bergsträsser, Abgesandter der Sozialdemokraten im Parlamentarischen Rat,

die Entscheidung, dass die Flagge der Bundesrepublik Deutschland schwarz-rot-gold sein soll.

Die Farben Schwarz-Rot-Gold sind historisch gesehen eine wiederkehrende Kombination, wenn es um ein demokratisches, geeintes und friedliches Deutschland geht. Bereits im März 1848 erklärte der Bundestag diese Farben zu den Nationalfarben. Die Frankfurter Nationalversammlung folgte dem im November 1848, die Weimarer Republik erklärte in ihrer Verfassung am 11. August 1919 SchwarzRot-Gold zu den Reichsfarben.

1989 waren es die Bürgerinnen und Bürger der DDR, die mit schwarz-rot-goldenen Flaggen friedlich für Demokratie und Freiheit demonstrierten und die Wiedervereinigung herbeiführten. Gleichzeitig wurden die Farben Schwarz-Rot-Gold immer wieder von antidemokratischen Kräften bekämpft und verbannt. Zuletzt waren es die Nationalsozialisten, die mit der Machtübernahme 1933 dafür sorgten, dass die Farben Schwarz-Weiß-Rot zumindest vorübergehend wieder zu den Reichsfarben wurden.

Deshalb waren die Bilder Ende August auch besonders beschämend, als am Rande einer Coronademonstration auf den Treppen des Reichstagsgebäudes in Berlin schwarz-weiß-rote Reichs- und Reichskriegsfahnen geschwenkt wurden. Ich denke, dass wir in diesem Hohen Haus uns einig sind: Solche Flaggen haben vor dem Bundestag nichts zu suchen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Sie stehen nicht für ein demokratisches, freies und friedliches Deutschland. Sie repräsentieren das genaue Gegenteil. Sie schließen an die Zeiten des Nationalsozialismus und des Kaiserreichs an. Deshalb haben wir uns auch in der CDU-Fraktion darüber Gedanken gemacht, wie wir mit dem Verwenden von Reichskriegsflaggen umgehen wollen.

Einfach ist es mit den Flaggen des Dritten Reiches. Kollege von Pein wies darauf hin: Die sind bereits verboten. Schwieriger wird es dagegen mit den Reichskriegsflaggen des Norddeutschen Bundes, des Kaiserreiches und der demokratischen Weimarer Republik. Deren öffentliches Zeigen ist nicht strafbewehrt. Gleichwohl steht völlig außer Frage, dass sich rechtsextreme Reichsbürger und andere Verfassungsfeinde der Flaggen aus symbolischen Gründen bewusst bedienen und sie für ihre Zwecke instrumentalisieren. Die wehrhafte Demokratie muss rechtsextremistischen Tendenzen entgegentreten. Gleichzeitig muss sich der Rechtsstaat bei sei

(Tobias von Pein)

nen Maßnahmen an den Maßstäben des Grundgesetzes messen lassen. Dazu gehören die herausragenden Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Diese Rechte können nicht einfach eingeschränkt werden.

Deshalb - sehr geehrter Herr Kollege von Pein, Sie haben darauf hingewiesen - ist der Verweis in Ihrem ursprünglichen Antrag auf die Bremer Erlasslage nicht zielführend. Denn jüngst hat das Bremer Oberverwaltungsgericht einem Antrag der NPD stattgegeben. Die NPD hatte sich gegen das Verbot gewandt, Reichskriegsflaggen und Symbole, die Inhalt des besagten Erlasses waren, auf einer Kundgebung zu zeigen. Begründet wurde der Beschluss des Gerichtes damit, dass das Zeigen der genannten Flaggen nicht gegen Strafgesetze verstoße. Mit diesem Zeigen von symbolträchtigen Gegenständen wie der Flagge werde von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen komme, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre diene, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 Grundgesetz in Betracht. In den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Strafgesetzen, habe der Gesetzgeber Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an konkrete tatbestandliche Voraussetzungen gebunden, so das OVG Bremen. Und diese lägen nun mal nicht vor. Auch der Tatbestand der Volksverhetzung werde nicht erfüllt.

Auch der Erlass selbst, so das OVG Bremen, könne schon mangels Gesetzesqualität kein die streitgegenständliche Einschränkung rechtfertigendes allgemeines Gesetz im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 Grundgesetz darstellen.

Also fassen wir zusammen: Der rot-rot-grüne Bremer Erlass hilft nicht weiter, und ich möchte mir in Schleswig-Holstein eine solche juristische Klatsche auch nicht abholen. Dennoch kann ich den Wunsch der Gesellschaft und auch vieler Ordnungsbehörden verstehen, eine rechtssichere Lösung für den Umgang mit der Reichskriegsflagge zu finden. Das ist Kern unseres Alternativantrags und unseres Auftrags an die Landesregierung.

Vielleicht müssen wir aber neben den ganzen rechtlichen Fragen zugleich die demokratischen Symbole unseres Staates noch stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung rücken. Meine Damen und Herren, auch das ist sicher unser aller Auftrag und auch Aufgabe der politischen Bildung.

Ich bitte Sie, beide Anträge an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen, damit wir uns dort

noch einmal ausführlich über die rechtlichen Rahmenbedingungen austauschen können und hoffentlich zu einer guten und sinnvollen Lösung kommen werden. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Nicht oft haben politische Forderungen einen so eindeutigen Ursprung wie diese. Ende August stürmten Teile einer Coronademonstration in Berlin auf das Reichstagsgebäude. Dazu gehörten Neonazis, Verschwörungsideologinnen und -ideologen, Esoterikerinnen und Esoteriker und viele, die all das und noch viel mehr auf sich vereinen können. Die Bilder, die wir dort gesehen haben, waren furchtbar und wurden zu einem Symbol einer doch nicht ganz so wehrhaften Demokratie. Das Kernsymbol dieses Tages und dieser Aktion war eine geschwenkte Reichsflagge vor dem Bundestag, vor dem Reichstagsgebäude.

Ja, besonders widerlich war natürlich die Symbolik, die damit einhergeht. Ich möchte aber daran erinnern, dass diese Flagge allein meiner Auffassung nach nicht das größte Problem dieses Tages war. Die größten Probleme dieses Tages waren auf der einen Seite die Stadt Berlin, die flächendeckend, und zwar die gesamte Innenstadt Berlin-Mitte, zu einem Angstraum für potenzielle Opfer rechter Gewalt werden ließ, weil man diese Demonstration, anders als bei vielen anderen klassischen NeonaziDemonstrationen, ganz anders abgeschottet hatte. Die Aktivistinnen und Aktivisten waren nicht einzuordnen, und somit haben viele Menschen, die Migrationshintergrund hatten oder aus diversen anderen Gründen zu Opfern rechter Gewalt werden, einen massiven Angstraum ausgemacht.

Das Problem war andererseits auch, dass bürgerliche Hippies offenbar kein Problem hatten, mit Neonazis auf die Straße zu gehen. Funktionäre der AfD gingen zusammen mit anderen wichtigen Persönlichkeiten anderer Bereiche auf diese Demonstration, und alle gemeinsam marschierten, ohne dass man ein Problem hatte, wer da so nebeneinander ging.

(Tim Brockmann)

Natürlich war es auch ein Problem, dass diese Demonstration eine große Bühne für rechtsextreme Verschwörungsideologien und -erzählungen lieferte. Das Problem war auch eine nicht vorbereitete Polizei, die offenbar von ihrem Innensenator nicht ausreichend auf diesen Einsatz vorbereitet wurde, obwohl dies vorhersehbar war und obwohl es diverse Ankündigungen dieser Aktion mit der genauen Uhrzeit in einschlägigen Telegram-Chats und Discord-Channels gab.

Dagegen hilft kein Flaggenverbot, und ich muss ehrlich sagen: Mich überzeugt der Antrag der SPD nicht, weder in seiner Ursprungsfassung noch in seiner jetzigen Fassung.

Kurz zur Flagge: Erstens. Die Flagge vor dem Reichstagsgebäude war keine Reichskriegsflagge. Es war eine Reichsflagge. Die wäre von dem SPDAntrag ebenso wenig tangiert wie von unserem Antrag.

(Beifall Christopher Vogt [FDP])

Das ist offensichtlich der Ursprung dieser Debatte, aber das ist nicht die Lösung dieser Debatte.

Zweitens. Die 1935 eingeführte Reichskriegsflagge ist verboten. Aufgrund des Hakenkreuzes in der Mitte ist es schon jetzt nicht möglich, diese auf einer Demonstration zu zeigen. Das, was wir auf Demonstrationen also in der Regel sehen, sind Reichsflaggen, gelegentlich aber auch Reichskriegsflaggen. In der Regel ist es die Reichskriegsflagge von 1867. Das macht das Verbot ungleich schwieriger, denn normalerweise haben wir bei den Verboten, gerade wenn sie strafrechtlich organisiert und in der Regel eine Reaktion auf verbotene Organisationen sind, eine ganz klar eingegrenzte Gruppe, die dort getroffen werden soll. Das sind zum Beispiel die Organisationen „Blood & Honour“ und „Heimattreue Jugend“ und andere, die ihre Symbole haben. Diese wären dann verboten.

Es gibt Ausnahmen bei Hakenkreuzen und bei Symbolen des Nationalsozialismus. Hierbei handelt es sich eben nicht um ein Symbol des Nationalsozialismus, es wurde 1935 ersetzt, das wurde erwähnt. Rechtlich gab es in Bremen die Begründung: Gefahr für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben oder Belästigung der Allgemeinheit und grob ungehöriges Verhalten. - Das ist nicht die Sprache meines Antifaschismus. Ich glaube, der muss anders auftreten.

Zweitens. In Schleswig-Holstein schützt das Landesverwaltungsgesetz, das ja unser Polizeigesetz ist, nicht die Ordnung, sondern nur die Sicherheit

und das mit sehr gutem Grund, denn der Schutz der Ordnung ist eine sehr diffuse Herangehensweise. Andere Verbote sind hier konkreter, und wenn sie nicht konkret werden können, dann müssen wir in der Abwägung mit der Meinungsfreiheit sehr vorsichtig sein. Wir müssen auch immer berücksichtigen: Wie sieht die Welt aus, wenn einmal ein Innenminister von der AfD oder von noch schlimmeren Parteien kommt?

Bremen verliert die Verfahren, wir haben es gehört. Die SPD hat daraufhin ihren Antrag angepasst, aber ich glaube, das war nicht ausreichend. Unsere Politik muss vor Gericht Bestand haben, insbesondere gegen Neonazis. Ich glaube, das ist ein Anspruch, den wir mit der Vorgehensweise, wie die SPD sie vorschlägt, nicht erfüllen würden. Deswegen halte ich unseren Antrag für besser. Wir sollten ihn im Innen- und Rechtsausschuss ausführlich diskutieren, denn in dem Ziel, den Provokationen, den Machtbestrebungen und der Machtsymbolik entgegenzuwirken, die Neonazis durch das Zeigen der Reichsflagge und der Reichskriegsflagge auf Demonstrationen anstreben, sind wir uns einig. Wir tun das aber nicht auf dem vorgeschlagenen Weg. Vielen Dank, ich freue mich auf die Debatte.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe durchaus Verständnis für den Antrag der SPD, denn es ist auch mir zuwider, dass Menschen in unserem Land leben, die eine Staatsordnung, ein Regime, eine Gesellschaftsordnung fordern, die wir glücklicherweise seit 1949 überwunden haben.

(Beifall FDP)

Die Bundesrepublik Deutschland, das will ich hier einmal ganz klar zum Ausdruck bringen, ist einmalig auf deutschem Boden. Daran sollten wir uns immer erinnern. Nie zuvor gab es hier in Deutschland einen Staat, der demokratischer und gerechter war als die Bundesrepublik,

(Beifall FDP und Dr. Ralf Stegner [SPD])

und kein deutscher Staat hat den Menschen mehr Freiheiten gewährt als unser Land.

(Lasse Petersdotter)