Protokoll der Sitzung vom 20.11.2013

Menschen sind zu Recht empört über die Enthüllungen der ausländischen Geheimdienste, die unsere Kommunikation flächendeckend und ohne jeden Anlass abfangen und erfassen. Das ist eine permanente Menschenrechtsverletzung, und Deutschland sollte auf keinen Fall selbst anfangen, eine ungezielte verdachts- und unterschiedslose Speicherung sämtlicher telefonischer und elektronischer Kontakte und Bewegungsdaten sozusagen ins Blaue hinein auf Vorrat vorzunehmen, wie es derzeit im Rahmen der Koalitionsverhandlungen - der Kollege Hilberer hat es gesagt - zwischen CDU/CSU und SPD auf Bundesebene diskutiert wird.

Liebe Kollegin Ruth Meyer - entschuldigen Sie den Fauxpas von vorhin, ich bin lernfähig -, Sie haben zu Recht auf die Clouds außerhalb Europas hingewiesen. Es stimmt auch: Im Internet findet viel Kriminalität statt. Sie stellen aber mit der Vorratsdatenspeicherung die Bevölkerung eines ganzen Landes unter Generalverdacht!

(Zuruf.)

Ich bin der Meinung, das darf nicht sein. Zu Recht wird immer noch auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes gewartet.

(Beifall bei der LINKEN.)

Kollegin Döring - sie ist im Moment nicht im Raum -, Sie haben nicht verstanden, dass es auch um eine Signalwirkung aus dem Landtag heraus geht.

Die Vorratsdatenspeicherung kostet Geld, das darf man auch nicht vergessen. Sie gefährdet die Privatsphäre unschuldiger Menschen, beeinträchtigt die vertrauliche Kommunikation - das können Sie hinstellen, wie Sie wollen, es ist einfach so - und ebnet den Weg in eine immer weiter reichende Massenansammlung von Informationen über die gesamte europäische Bevölkerung. Wer so etwas will, befindet sich gedanklich im permanenten Ausnahmezustand, aber schon längst nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes.

(Zurufe von der CDU.)

(Abg. Huonker (DIE LINKE) )

Der Landtag sollte daher mit breiter Mehrheit die Konsequenz aus dem NSA-Überwachungsskandal ziehen und den Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung erklären. Das eine hat mit dem anderen sehr wohl zu tun, das kann man auch so hinnehmen, Herr Kollege Theis. Ob man sich für einen Sicherheitsstaat oder für den Rechtsstaat entscheidet, ist keine Frage der Moral, sondern eine politische Richtungsentscheidung. Ich bitte Sie daher, dem Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der PIRATEN und der GRÜNEN zuzustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN.)

Das Wort hat für die Fraktion der PIRATEN der Fraktionsvorsitzende Michael Hilberer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsfraktion, Sie haben klargemacht, dass Sie den Antrag so nicht unterstützen werden. Meine Überraschung hält sich in Grenzen, allerdings muss ich doch auf die eine oder andere Argumentation eingehen, die hier vor allem von der Kollegin Meyer dazu benutzt wurde, ein Bild zu malen von einem Präventivstaat, der uns Bürger schützt vor den unzähligen Gefahren, die draußen im Internet auf uns lauern.

Zuerst habe ich mich gefragt: Kann das ihr Ernst sein? Aber dann war mir klar: Ja, da steckt tatsächlich eine Argumentation dahinter, die offenbart, dass eine gewisse Angst besteht vor diesem neuen Medium, vor diesem großen Grad an Freiheit, die wir in diesem internationalen, schwer zu regulierenden Medium haben. Aber ich glaube, Sie sind weit über das Ziel hinausgeschossen. Sie haben sich in Äußerungen verstiegen, dass ein Großteil der Verbrechen im Internet geplant würden, in sozialen Netzwerken etc. Ein Großteil der Verbrechen wird geplant - wenn sie überhaupt geplant werden, denn ein Großteil von Verbrechen findet spontan statt - in Hinterzimmern, in irgendwelchen Kneipen, in Wohnzimmern. Aber können wir deshalb von jedem Bürger verlangen, dass er Buch darüber führt, wo er sich aufhält, mit wem er spricht? Das würde die Ermittlungen extrem vereinfachen, aber das ist nicht das, was wir haben wollen.

(Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN.)

Aber genau das ist es, was Sie vom Bürger im Internet verlangen, dass nämlich Buch geführt wird, dass wir einen Blockwart haben an jedem Internetknoten, der aufschreibt, wer wann wo war und sich mit wem getroffen hat.

Selbst wenn wir uns damit noch im Bereich unserer Verfassung bewegen, so muss auch hier gelten, wie das bei jeder guten Rechtspolitik ist, dass man durch das Gesetz für die Ermittlungsbehörden nicht

alles möglich machen muss, was verfassungsrechtlich möglich ist. Man muss die Grenzen sogar enger setzen, weil Ermittlungsbehörden den Rahmen, den man ihnen setzt, immer maximal ausschöpfen. Wissen Sie, wie man Kriminelle einfach fängt? Durch Polizeiarbeit - offline. Das heißt, wir müssen die Polizei entsprechend personell ausstatten, wir müssen die Leute vernünftig ausbilden, dann kann man Kriminelle fangen.

(Zurufe.)

Regen Sie sich doch nicht so sehr auf. Das ist ja der Grund, warum wir derzeit kein niedriges Sicherheitsniveau haben, seit wir keine Vorratsdatenspeicherung haben. Eben weil unsere Polizeibeamten diese Arbeit nach wie vor gut erledigen, auch ohne dieses völlig unverhältnismäßige Mittel.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Sie haben den Kanaldeckelwerfer noch einmal quasi als Kronzeugen aufgeführt. Das ist ein Beispiel, das in die völlig falsche Richtung führt, denn die Funkzellenabfrage haben wir auch jetzt schon. Damit haben wir den Kanaldeckelwerfer nicht gefangen. Wenn er nicht irgendwo in einem Internetforum geschrieben hätte, ich bin der Kanaldeckelwerfer, und wir hätten die IP-Adresse, dann würde Ihr Beispiel stimmen. So stimmt es aber nicht. Und die Leute, die momentan nicht über die Hasentalbrücke gehen können, sind keine guten Kronzeugen für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Einen Gedanken muss ich noch anführen. Es kam so ein bisschen die Idee rüber, es gebe ja keinen Zugriff auf die Daten, weil die bei den Privaten liegen. Es wäre ja keine zentrale Datensammlung, auf die irgendein Dienst dann zugreifen könnte. Dann haben Sie die Schlüsse aus der Überwachungsaffäre aber falsch gezogen. Denn wenn Datensammlungen erst einmal da sind, dann ist es egal, ob sie privat sind oder ob sie bei den öffentlichen Stellen liegen. Ich möchte gar nicht damit anfangen, dass die Telekommunikationsanbieter ihre Rechnungsdaten sogar im Ausland noch einmal von Dienstleistern bearbeiten lassen, aber sobald diese riesigen Datensammlungen vorliegen und wir gesetzlich vorschreiben, dass sie noch monatelang vorhanden sein müssen, werden diese Daten missbraucht werden, weil sie da sind und weil die Möglichkeit dazu besteht.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Herr Kollege Hilberer, ich darf Sie bitten, in Anbetracht der Redezeit zum Ende zu kommen.

(Abg. Huonker (DIE LINKE) )

Ich komme zum Ende. Ich möchte nur noch ganz kurz auf die SPD eingehen.

Nein, das geht nicht. Ich darf Sie bitten, noch einen abschließenden Satz zu formulieren.

Es reicht ein abschließender Satz, denn die Allgemeinplätze, die da geäußert wurden, lassen in mir keine Hoffnung zurück, dass die Interessen der Bürger in den Verhandlungen über die Große Koalition in Berlin ordentlich vertreten werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Das Wort hat für die SPD-Fraktion Frau Abgeordnete Petra Berg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem nun schon so viel zur Vorratsdatenspeicherung gesagt worden ist, hoffe ich, dass ich jetzt mit meinem Beitrag, Frau Huonker, den Ausnahmezustand beenden werde und das Ganze wieder auf den Boden des Grundgesetzes zurückführen kann.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Es erstaunt mich schon, in welcher Weise hier über höchstrichterliche Entscheidungen gesprochen und geurteilt wird. Herr Hilberer, Sie haben in Ihrer Antragsbegründung das Wort Mottenkiste gebraucht. Also, die Vorratsdatenspeicherung verschwindet bei einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sicherlich nicht in einer Mottenkiste. Das wird unserem höchsten Gericht nicht gerecht.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen. - Abg. Hil- berer (PIRATEN) : Da gehört sie aber hin.)

Nein, da gehört das auch nicht hin, Herr Hilberer. Hätten Sie die Entscheidung richtig verfolgt, wüssten Sie, was damit gemeint ist. Ich will es aber noch einmal kurz erklären. Mit diesem Urteil, das jetzt schon vielfach erwähnt wurde, wurde die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorerst gestoppt. Die EURichtlinie fordert von den Telekommunikationsanbietern, die Verbindungsdaten für einen Zeitraum von sechs bis 24 Monaten vorzuhalten, ohne jedoch konkrete Zugriffsregelungen vorzugeben. Diese EURichtlinie ist selbst nicht unmittelbar gültig. Sie muss von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden, wie es hier in Deutschland auch geschehen ist. Dieses Umsetzungsgesetz sah vor, vorsorglich Verbindungsdaten aller Personen für einen Zeitraum von sechs Monaten zu speichern. Die Telefondaten wurden seit

Anfang 2008 gespeichert, die der Internetnutzung seit 2009. Die entsprechenden Kosten mussten die Provider selbst tragen. Für den Abruf wurden verschiedentlich Entschädigungen gezahlt. Aber ich denke, die Finanzierung ist hier nicht der Kern der Dinge.

In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde das Umsetzungsgesetz gekippt, aber die Richtlinie selbst nicht angegriffen. Es sind lediglich einige Passagen für nichtig erachtet worden. Deshalb musste auch die Speicherung sofort gestoppt werden. Die Entscheidung sagte aber - und das muss der Ehrlichkeit halber auch betont werden -, dass die vorsorgliche anlasslose Speicherung nicht per se verfassungswidrig ist, sie muss aber verhältnismäßig sein. Das hat Frau Meyer ja auch schon gesagt. Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren: Es müssen hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen geschaffen werden, und zwar hinsichtlich Datensicherheit, hinsichtlich Datenverwendung, Transparenz und Rechtsschutz. Wenn man aber jetzt die Vorratsdatenspeicherung - wie in Ihrem Antrag gesagt - ablehnt und wenn man sagt, ich will sie nicht, es gibt sie einfach nicht, dann braucht man sich über Datensicherheit, über Datenverwendung und auch über den Rechtsschutz überhaupt keine Gedanken mehr zu machen. Dann hat man nämlich an dieser Stelle die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - deren Umfang hat Frau Döring schon dargelegt - einfach wieder hintangestellt.

Die entsprechenden Eingriffe können grundsätzlich auch durch die legitimen Zwecke der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und auch der Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste gerechtfertigt werden. Das Gericht hat eindeutig gesagt, dass die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich als geeignet angesehen werden kann, um diese Ziele zu erreichen. Herr Hilberer, das Quick-Freeze-Verfahren wird nicht als gleich effektiv angesehen, das wissen Sie bestimmt. Deshalb hat man auch gesagt, grundsätzlich ist diese Sechsmonatsfrist nicht als zu lange zu verwerfen. Sie ist zu überprüfen, da gebe ich Ihnen recht. Aber es stehen im Moment keine Alternativen zur Verfügung.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung machen. Was Sie gesagt haben, hat mich sehr erstaunt und auch bestürzt. Unsere Polizei, Herr Hilberer, macht eine ganz hervorragende Arbeit.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen. - Abg. Hil- berer (PIRATEN) : Das habe ich doch gesagt.)

Ja, das haben Sie gesagt. Aber unsere Polizei muss von uns auch unterstützt werden und sie braucht unsere Hilfe. Deshalb können Sie die Polizei doch nicht einfach von den Medien und von Technologien

ausnehmen, auf die jeder zurückgreifen kann. Unsere Polizei muss auch EDV-technisch gut ausgestattet sein.

(Abg. Hilberer (PIRATEN) : Das habe ich gar nicht bestritten.)

In welchem Unfang und auf welche Daten sie zurückgreifen kann, das muss geprüft werden. Und es obliegt dem Bundesgesetzgeber, das zu regeln. Sie können doch unsere Polizei nicht einfach so außen vor lassen,

(Beifall bei den Regierungsfraktionen)

nach dem Motto: Mach eure Arbeit mit den Mitteln, die ihr habt, aber nicht mit den Mitteln des Fortschritts. So geht es nicht! Wir müssen unserer Polizei Mittel an die Hand geben, mit denen sie Sicherheit gewährleisten kann. Das ist im Übrigen auch ein Anspruch, den die Opfer von Straftaten an uns stellen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trifft zwei elementare Grundaussagen zur Sicherheit, wie ich es eben schon gesagt habe. Ich darf noch einmal kurz zitieren: Die Effektivierung der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste sind eben diese legitimen Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen können. Und eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungsdaten ist für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung. Hier gibt es wieder die Brücke zur Polizei: Das müssen wir der Polizei auch an die Hand geben können. Deshalb wird ein pauschales Verbot beziehungsweise ein Begrüßen oder Verlangen - wie es in dem Antrag formuliert ist - der Wichtigkeit dieses Themas nicht gerecht. Das ist dieser Bedeutung nicht angemessen. Es muss ein Abwägungsprozess stattfinden, der nicht einfach mit zwei Sätzen erledigt ist, denn es hat auch in der Gesetzgebung ein Wandel stattgefunden.

Bisher hat man gesagt, die Sicherheit ist primär zu betrachten. Je mehr Daten gespeichert werden, desto besser ist es. Jetzt kommt auch der Datenschutz in den Blick. Man sagt, je weniger Daten, desto besser. Man nimmt die Bedürfnisse der Menschen und ihre Ängste sehr, sehr ernst im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Daten. Zwischen Sicherheit und Grundrechtsschutz sollte man nicht so sehr auf Konfrontation der politischen Kräfte bauen, sondern man sollte hier viel mehr kooperieren. Es sind Verhandlungen vonnöten, auch zwischen Koalitionspartnern, die aufgrund der Bedeutung des Themas auch Zeit beanspruchen.