Protokoll der Sitzung vom 20.05.2015

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Weil er von uns ist.)

Nein. Bitte, Herr Ulrich. Vielleicht wäre es mal ganz gut, wenn wir hier sachlich diskutieren könnten.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Erklären Sie es doch.)

Ich war gerade dabei. Wenn Sie mich nicht ständig unterbrechen würden - - Es wäre gut, wenn ich mal einen Satz beenden könnte.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Frau Abgeordnete, ich möchte dies zum Anlass nehmen, Ihr Verhalten, Herr Ulrich, zu rügen. Sie unterbrechen die Rednerin andauernd. Wenn Sie das nicht lassen, ist ein Ordnungsruf fällig.

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Viel Spaß dabei.)

Im Übrigen erinnere ich daran, dass Sie heute Morgen am Rednerpult standen und sich über Zwischenrufe beschwert haben. Es wäre jetzt an der Zeit, dass Sie sich das mal selbst überlegen.

(Zuruf: Genau! - Beifall von den Koalitionsfraktio- nen.)

Ich darf aus dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zitieren: „Dazu brauchen wir eine Schule, die Leistung, nachhaltigen Lernerfolg und Chancengleichheit sichert, und keine, die Kinder

(Abg. Rink (CDU) )

krank macht.“ - Ich verwehre mich hier ganz klar dagegen, dass gesagt wird, wir haben im Saarland Schulen, die Kinder krank machen. Das ist ein Satz, das ist nur ein Beispiel aus dem Vorspann Ihres Antrags, für den ich die Hand nicht heben kann, und ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen auch nicht.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich möchte es nur an diesem einen Satz festmachen. Sie können Ihre Prosa weiterlesen, dann werden Sie andere Sätze finden, die von unserer Seite nicht zustimmungsfähig sind. Wir haben engagierte Lehrerinnen und Lehrer vor Ort. Ich habe gesagt, wir können Schule immer weiterentwickeln. Ich verwehre mich aber ganz entschieden gegen die Aussage, wir brauchen keine Schule, die Kinder krank macht. Ich sage nur eines, wir werden diese Diskussion führen, wir werden sie aber nicht mit dem Ziel führen zurück zu G9, sondern G8 weiterentwickeln. Wir haben uns in der Großen Koalition zum Ziel gesetzt, ein leistungsfähiges und modernes Schulsystem im Saarland zu haben. Das haben wir damals auch gemeinsam auf den Weg gebracht. Es wäre gut, wenn wir gemeinsam diesen Weg weiter gehen würden und uns nicht wieder um Schulstrukturen streiten. Gemeinsam dieses Bildungssystem weiterzuentwickeln, das wäre gut für unsere Kinder und auch für die Eltern hier im Land. - Vielen Dank.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Jasmin Maurer von der PIRATEN-Landtagsfraktion

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren. Im Jahr 2001 wurde G8 von Bildungsminister Schreier übereilt und unüberlegt eingeführt, ohne Modellversuch oder Testphase. Es gab zu dieser Zeit sehr viele Proteste, ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit zurück. Das Abitur sollte nun nach acht Jahren am Gymnasium abgelegt werden und nicht wie bisher in neun Jahren. Die Mittelstufe, in der die Schüler ohnehin mit der Pubertät eine sehr schwere Phase durchmachen, wurde um ein Jahr verkürzt. Die Elterninitiative G9-jetzt! hat im Saarland letzte Woche sage und schreibe 6.229 Unterschriften im Landtag überreicht. Das sind Unterschriften von saarländischen Bürgern, die das Gymnasium mit acht Jahren als gescheitert betrachten und eine Rückkehr zu G9 wollen.

Die Folgen von G8 sind: Eine gestiegene Wochenstundenzahl, die mit Referaten, Hausarbeiten, Hausaufgaben und Vorbereitung auf Klassenarbeiten teilweise an Arbeitsstunden von Spitzenmanagern herankommt. Eine zweite Fremdsprache bereits ab der

sechsten Klasse. Nachmittagsunterricht ab Klasse sieben. Viele Gymnasialabbrecher, die zu einer anderen Schulform wechseln. Einbrüche bei Vereinen und im Ehrenamt, weil einfach die Zeit fehlt. Und vor allem junge und unreife Schüler, die nach dem Abitur oft gar nicht wissen, was sie machen sollen.

(Abg. Becker (CDU) : Heute morgen wolltet ihr sie noch mit 17 Jahren zum Bundespräsidenten machen und jetzt sind sie unreif! - Sprechen.)

Es fehlt ihnen nämlich die Zeit, sich für einen Beruf zu begeistern, weil immer mehr Gymnasien gar keine Betriebspraktika mehr anbieten können.

(Zurufe des Abgeordneten Becker (CDU). - Unruhe.)

G8 sollte jüngere Abiturienten auf den Markt bringen, die der Wirtschaft und dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen. Fakt ist aber, dass sehr viele Universitäten und Hochschulen die teilweise fehlende Reife der Absolventen kritisieren. Die gesparte Zeit und das gesparte Geld, die wohl Hauptgrund für die Einführung von G8 waren, müssen zeit- und kostenintensiv an den Hochschulen und Universitäten für Vorkurse besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern und Mathematik wieder aufgebraucht werden.

(Zuruf des Abgeordneten Schmitt (CDU).)

Somit kostet G8 nicht weniger, nein es kostet mehr als G9, sowohl finanziell als auch zeitlich.

(Beifall von PIRATEN und LINKEN.)

Generell führt eine Rückkehr zu G9 oder eine Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 nicht zu Mehrkosten. Den Mehrunterricht, der dann in der 13. Klasse stattfindet, gibt es auch jetzt, nämlich in der Mittelstufe am Nachmittag.

Fast alle Befürchtungen und Kritikpunkte der Eltern und Lehrer zur Einführung von G8 im Saarland haben sich bestätigt. Das verkürzte achtjährige Gymnasium belastet die Schüler und behindert deren Freiräume und ihre Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung. Meine Damen und Herren, das wissen wir alle, Bildung findet nun mal nicht nur in der Schule statt. Da ist es besonders wichtig, die Möglichkeit zu haben, sich außerschulisch zu betätigen. Bildungsarbeit findet auch in Vereinen oder Jugendverbänden statt. Vor allem die politische Bildung, das wissen wir alle, das sagen auch sehr viele Verbände, findet überwiegend gar nicht mehr in der Schule statt, sondern in Jugendverbänden, teilweise in Jugendverbänden von Parteien, und gerät mit G8 immer mehr in den Hintergrund.

(Weiterer Zuruf des Abgeordneten Schmitt (CDU). - Andauerndes Sprechen.)

(Abg. Rink (CDU) )

Eines der Hauptargumente gegen die Wahlfreiheit an Gymnasien oder die Rückkehr zu G9 ist, dass dadurch die Gemeinschaftsschulen unattraktiver würden. Fakt ist aber, dass das Gymnasium nicht unnötig unattraktiv gehalten werden muss, nur um die anderen Schulformen zu bevorteilen. Die Entscheidung von Eltern und Schülern, ein Gymnasium oder eine Gemeinschaftsschule zu wählen, sollte von den jeweiligen Schulprofilen und Schwerpunkten der Schule abhängig gemacht werden und nicht von der Tatsache, in welchem Zeitraum man dort sein Abitur machen kann.

(Beifall bei PIRATEN und LINKEN.)

Zudem verfügen sehr viele Gemeinschaftsschulen noch nicht über eine eigene Oberstufe, weswegen ein weiterer Schulwechsel für die Kinder auf der Tagesordnung steht. Ich glaube, es kann sich jeder selbst denken, wie viel Spaß es einem Kind macht, in einer neuen Schule eingeschult zu werden.

Ich möchte noch kurz auf die Gemeinschaftsschulen eingehen. Mit ihrem breiten Angebot an Wirtschaft, Gesundheitswesen und Technik werden diese weiterhin Vorteile gegenüber Gymnasien haben. Diese Vorteile müssen weiter ausgebaut und besser an die Öffentlichkeit gebracht werden. Ich frage mich gerade, wie konnten die ganzen Erweiterten Realschulen und Gesamtschulen in Zeiten des G9 überleben, wenn ich heute die Argumente gegen G9 höre? Es wurde eben als Beispiel angesprochen, dass es in Sachsen und Thüringen G8 seit 20 Jahren gibt. Schauen wir uns die Zahlen an. In Sachsen ist die durchschnittliche Klassengröße in der Sekundarstufe I 22,7 Kinder, im Saarland liegt sie bei 26,7. In Sachsen werden pro Gymnasiast über 7.100 Euro ausgegeben, im Saarland sind es 5.400 Euro. In Thüringen ist die Klassenstärke noch niedriger, und es wird noch mehr Geld für den einzelnen Schüler ausgegeben. Da kann man sich überlegen, warum dort G8 besser funktioniert als bei uns im Saarland.

(Beifall bei PIRATEN und LINKEN.)

Die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 im Saarland ist kein Untergang, sondern würde uns sehr gut weiterhelfen. Wir könnten es ja machen wie in Freiburg, Baden-Württemberg, wo die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 besteht und es auch dort zu keinem Einbruch gekommen ist. Enden möchte ich mit einem Zitat von Professor Tenorth von der Humboldt-Universität Berlin - wenn Sie es gestatten, Frau Präsidentin -: G8 war einer der strategisch dümmsten Entscheidungen, die im Bildungswesen jemals getroffen wurden. Ohne jeden Grund, ohne jegliche Rechtfertigung hat man das Wesentliche und Wichtigste reduziert, das man für die Bildung braucht, nämlich die Zeit. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Das Wort hat nun der Minister für Bildung und Kultur Ulrich Commerçon.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, meine Haltung zu der Art und Weise der damaligen Einführung von G8 im Jahr 2001 im Saarland ist bekannt. Ich hätte das G8 damals genauso wenig eingeführt wie die SPD-Fraktion, und schon gar nicht so, wie es eingeführt wurde: überstürzt, ohne Erprobungsphase, ohne Konzepte, ohne den Dialog mit den am Bildungswesen beteiligten Akteurinnen und Akteuren und vor allem ohne die notwendigen Vorbereitungen, von der Einrichtung der Schulmensen bis zu den Lehrplänen.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können nicht alle zehn Jahre das Rad zurückdrehen oder neu erfinden. Schülerinnen und Schüler, Eltern, aber auch die Lehrkräfte verlangen zu Recht Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Das bedeutet nicht, dass wir die Sorgen der Anhänger der G9-Initiative nicht ernst nehmen würden, im Gegenteil. Ich nehme diese Sorgen durchaus sehr ernst und habe mich aus diesem Grund auch schon in mehreren Gesprächen mit den Initiatoren zusammengesetzt. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass die Initiatoren und diejenigen, die sich mit ihrer Unterschrift angeschlossen haben, das Beste für unsere Kinder wollen, aber ich ziehe aus der Diskussion andere Schlussfolgerungen, als die Initiative dies tut.

Dazu gehört zunächst einmal eine Feststellung. Ich nehme auch die Sorgen und Rückmeldungen derjenigen ernst, die uns sagen, fangt jetzt nicht wieder an, die Schulstruktur umzukrempeln. Die weit überwiegende Zahl der Rückmeldungen aus den am Schulleben wirklich unmittelbar Beteiligten lautet meiner Erfahrung nach, wir brauchen keine Rückkehr zu G9 am Gymnasium, aber wir brauchen dringend weitere Fortschritte bei der Qualitätssicherung und bei der Qualitätsverbesserung. Auch von diesen haben wir uns leiten zu lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Es sind nicht irgendwelche, die uns diese Rückmeldungen geben. Diese Rückmeldung wurde beim Start der G9-Initiative im Herbst unter anderem von der Landeselternvertretung der Gymnasien, von der Landeselternvertretung der Gemeinschaftsschule, von der Gesamtlandeselternvertretung, von der Gesamtlandesschülervertretung, von der Landeselterninitiative für Bildung, von den Lehrerverbänden und Gewerkschaften und nicht zuletzt auch von der Landesschulkonferenz öffentlich und auch in vielen Diskussionen mit mir und mit Mitarbeiterinnen und Mit

(Abg. Maurer (PIRATEN) )

arbeitern des Bildungsministeriums gegeben. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz klar und deutlich: Ja, wir müssen alle Stellungnahmen in der Öffentlichkeit ernst nehmen. Aber ich finde, wir müssen sie auch gewichten. Wir werden diejenigen, die die gewählten Vertreterinnen und Vertreter unserer Schüler, unserer Eltern sind, und die die Vertreterinnen und Vertreter der Lehrerinnen und Lehrer sind, auch gewichten und deutlich sagen, was von dieser Seite kommt, müssen wir mindestens genauso ernst nehmen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wir haben auch an anderen Stellen in Deutschland Diskussionen. Lustigerweise ist auf Niedersachsen und Hessen verwiesen worden. Es ist nicht verwiesen worden auf Bremen und Hamburg. Hamburg hat im Übrigen kürzlich einen Bürgerentscheid zu diesem Thema gehabt. Die hatten auch sehr schnell die Unterschriften zusammen - ich glaube, dort waren es 5.000 Unterschriften -, aber der eigentliche Bürgerentscheid ist genau andersherum ausgegangen. Also einfach jetzt aufgrund der Tatsache, dass hier 6.000 Unterschriften zusammengekommen sind, zu sagen, alle im Saarland seien dieser Auffassung und das noch vor dem Hintergrund, dass die wesentlichen Vertreterinnen und Vertreter, die gewählten Vertreterinnen und Vertreter derer, die am Schulleben unmittelbar beteiligt sind, uns etwas anderes sagen, wäre in meinen Augen völlig überstürzt, völlig übereilt und wäre an dieser Stelle deswegen für mich der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich sage trotzdem, beide Sichtweisen sind legitim, keine Frage. Legitim ist aber auch das politische Handeln dieser Landesregierung. Nach den heftig geführten Strukturdebatten in den Jahren 2010 und 2011, nach der Verfassungsänderung - es ist schon mehrfach angesprochen worden - und erst recht nach dem Scheitern der Vorgängerregierung war die Zukunft unseres saarländischen Weges in der Bildungspolitik auch Gegenstand einer sehr rege geführten Diskussion im Landtagswahlkampf 2012.

Die SPD hatte damals betont, beide Säulen unseres allgemeinbildenden Schulsystems, also Gymnasien und Gemeinschaftsschulen, zu gleichwertigen Wegen zum Schulerfolg und zur Hochschulreife zu entwickeln. Das saarländische Schulwesen bietet eben beides an. Ich glaube, das wird immer von denjenigen unterschlagen, die immer nur diese Diskussion führen wollen. Es geht nicht um die Alternative G8 oder G9, meine sehr verehrten Damen und Herren. Im Saarland gibt es die Alternative zwischen G8 und G9. Das unterscheidet uns im Wesentlichen von den Ländern, die eben genannt worden sind. Wir haben an unseren Schulen flächendeckend die Möglichkeit,

das Abitur nach acht Jahren oder das Abitur nach neun Jahren zu machen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Schulsystemen, die eben ansonsten angesprochen worden sind. Es ist unlauter, in einer solchen Debatte diese wesentliche Bemerkung dabei dann zu unterlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.