Protokoll der Sitzung vom 13.10.2015

Kolleginnen und Kollegen, wir treten nun in die Mittagspause ein. Wir treffen uns hier wieder um 13.10 Uhr.

(Die Sitzung wird von 12.02 Uhr bis 13.12 Uhr unterbrochen.)

Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Ich darf zunächst Frau Katja Oltmanns, die Sprecherin der Elterninitiative „G9 jetzt! Saarland“ herzlich bei uns willkommen heißen.

Wir kommen zu den Punkten 21, 23, 28 und 29 der Tagesordnung:

Beschlussfassung über den von der CDULandtagsfraktion und der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Nein zu Strukturveränderungen - Ja zu Qualitätsverbesserungen (Drucksache 15/1530)

Beschlussfassung über den von der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Zwei-Säulen-Modell konsequent ausbauen: Echte Gleichwertigkeit zwischen Gymnasium und Gemeinschaftsschule herstellen (Drucksache 15/1538)

Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 an der Schulform Gymnasium auf den Weg bringen (Drucksache 15/1552)

Beschlussfassung über den von der PIRATEN-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Rückkehr zu G9 an saarländischen Gymnasien (Drucksache 15/1546)

Zur Begründung des Antrages der Koalitionsfraktionen erteile ich Frau Abgeordneter Gisela Kolb das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen die Debatte zu G8/G9 jetzt zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate, zuletzt am 20.05.2015. Sie werden in den Redebeiträgen der Kolleginnen und Kollegen viele Argumente aus dieser Debatte wiederfinden.

Inzwischen hat die Volksinitiative „G9 jetzt! Saarland“ dem saarländischen Landtag mehr als 5.000 Unterschriften übergeben. Die Initiative wurde im zu

(Ministerin Rehlinger)

ständigen Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien am 24. September angehört. Aber wir hatten ja in der Plenardebatte vom 20. Mai verabredet, dass wir nicht nur die Initiative anhören, sondern dass wir alle bildungspolitischen Akteurinnen und Akteure im Saarland einladen und auch sie nach ihrer Auffassung fragen.

Meine Damen und Herren, die Einführung von G8 war und ist eine der umstrittensten bildungspolitischen Reformen der letzten Jahrzehnte, nicht nur im Saarland. Es gab Debatten bei der Einführung und gibt auch jetzt die Bestrebungen in anderen Bundesländern, zum Teil wieder zu G9 zurückzukehren. Diese Bestrebungen hatten allerdings einen wechselnden Erfolg.

Die Anhörung brachte ein in meinen Augen eindeutiges Ergebnis. Für eine Rückkehr zu G9 oder eine Wahlmöglichkeit an der Schulform Gymnasium sprachen sich die Initiative „G9 jetzt! Saarland“ einschließlich ihrer Expertinnen und Experten und Unterstützer aus. Die Rückmeldungen der Verbände und Organisationen der Schüler und Lehrer waren ebenso eindeutig: keine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium und auch keine Wahlmöglichkeit an dieser Schulform. Die Frage ist auch nicht, ob man alle bei der Einführung von G8 gesetzten Ziele erreicht hat. Darüber könnte man durchaus kontrovers diskutieren. Aber das sind nach meiner Auffassung die Schlachten der Vergangenheit. Die richtige Frage wäre: Würde eine Rückkehr zu G9 den saarländischen Schülerinnen und Schülern und den Lehrerinnen und Lehrern, dem Bildungssystem insgesamt, einen Mehrwert gegenüber dem Status quo bringen? Da sage ich: Nein.

Wir müssen denn auch zur Kenntnis nehmen, dass sich seit der Einführung von G8 hier im Saarland die Erde weitergedreht hat. Das G8 des Jahres 2015 ist nicht mehr das G8 der Startphase. Am Gymnasium hat sich vieles verändert. Dr. Marcus Hahn, der Vorsitzende des Philologenverbandes, hat ja in der Anhörung darauf hingewiesen und hat die Beispiele aufgelistet. Ich möchte hier nur markante Punkte aufzählen. Erstens: Die Lehrpläne am Gymnasium wurden sowohl qualitativ als auch quantitativ überarbeitet. Zweitens: Mit dem Projekt „Fördern statt Sitzenbleiben“ waren wir erfolgreich; es ist auf die Zeit des Kollegen Kessler als Bildungsminister zurückzuführen. Aber durch dieses Projekt ist die Anzahl der Klassenwiederholungen und auch die Anzahl der Schulwechsler gesunken. Drittens: In diesem Schuljahr hat der Bildungsminister Ulrich Commerçon das Projekt ProfIL zur individuellen Lernbegleitung an Gymnasien gestartet. Auch das ist ein Baustein zur Verbesserung der Lern- und Lehrbedingungen am Gymnasium.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wir müssen natürlich auch an den Qualitätsverbesserungen im Gymnasium weiterarbeiten. - Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es mit der Einführung der Gemeinschaftsschule zum Schuljahr 2012/13 im Saarland nun eine Schulform gibt, die die Möglichkeit bietet, die allgemeine Hochschulreife in neun Jahren zu erreichen. Die Gemeinschaftsschule ist die zweite gleichwertige und leistungsstarke Schulform im saarländischen Schulsystem, die die Möglichkeit bietet, zum Abitur zu kommen. Ich möchte auch daran erinnern, dass Schülerinnen und Schüler nach dem mittleren Bildungsabschluss an insgesamt neun beruflichen Oberstufengymnasien die allgemeine Hochschulreife erlangen können. Diese Alternativen zu G8 gibt es also flächendeckend, wenn auch an einer anderen Schulform. Aber wichtig ist doch, dass Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeiten und Begabungen entwickeln können, dass sie unterstützt und gefördert werden, unabhängig davon, ob sie eine Gemeinschaftsschule, ein Gymnasium oder ein berufliches Oberstufengymnasium besuchen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Meine Damen und Herren, die Gemeinschaftsschule als neue Schulform braucht Zeit, sich zu entwickeln. Sie wird noch nicht von allen Eltern als gleichwertige Alternative zum Gymnasium wahrgenommen. Aber vielleicht kann die Diskussion, die wir in den nächsten Wochen führen werden, diese Wahrnehmung unterstützen. Dazu nenne ich das Stichwort Oberstufenstandorte. Die Konzeption dieser Oberstufenstandorte wird in den nächsten Wochen mit den Schulträgern und den Schulen abgestimmt werden. Es ist wichtig, dass wir uns hier auf eine einheitliche Linie einigen. Das braucht ein bisschen Zeit, aber es geht nicht ohne die Schulträger.

Es gab Verbesserungen bei G8, das habe ich erwähnt, aber natürlich haben wir da auch noch eine Baustelle, Stichwort Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe. Schülerinnen und Schüler klagen, dass seit der Reform der gymnasialen Oberstufe im Saarland im Jahr 2007 eine fachbezogene Schwerpunktbildung mit entsprechenden Anforderungen nicht mehr für alle Fachbereiche möglich ist. Wir müssen uns diese gymnasiale Oberstufe ansehen und entscheiden, ob jetzige Einschränkungen, zum Beispiel in der Fächerbelegung, in den Anforderungen einzelner Fächer oder in den Abiturprüfungen aufzuheben sind. Wir müssen entscheiden, ob im Rahmen der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz eine fachbezogene Schwerpunktbildung ermöglicht werden soll. In dieser Frage werden wir allerdings auch den Dialog mit allen Bildungsakteurinnen und -akteuren im Saarland suchen.

Ich sage also eindeutig Ja zu den Qualitätsverbesserungen, ob in der Gemeinschaftsschule oder im Gymnasium. Aber ich sage Nein zu einer erneuten Strukturreform.

(Abg. Kolb (SPD) )

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Die Koalitionsfraktionen stehen für eine innere Schulentwicklung und jagen nicht Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer im Dreijahresrhythmus durch neue Strukturreformen.

Meine Damen und Herren, ich habe in meinen Ausführungen dargelegt, warum die SPD die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium an dieser Schulform ablehnt. Diese Haltung wird von der Mehrheit der Akteurinnen und Akteure im Bildungsbereich bestätigt. Ich darf aus einer Pressemitteilung der Arbeitskammer zitieren, die mit dem Satz endet: „Die begrenzten finanziellen Spielräume des Saarlandes sollten unter Ausschöpfung der demografischen Rendite vielmehr dazu genutzt werden, das saarländische Schulwesen insgesamt bedarfsgerecht auszustatten, um die Rahmenbedingungen und die Unterrichtsqualität jeweils vor Ort zu verbessern und zur Verwirklichung von mehr sozialer Gerechtigkeit in den Schulen beizutragen.“ - Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Ich weiß auch, dass meine Ausführungen keine befriedigende Antwort für die Volksinitiative „G9 jetzt! Saarland“ ist. Die Initiative hat angekündigt - ich zitiere -: „Sollten diese Forderungen nicht erfüllt werden, dann werden wir mit einem Volksbegehren im Jahr 2016 starten. Das Volksbegehren wird dann einen Gesetzesvorschlag zu einem neunjährigen Gymnasium im Saarland vorlegen.“ - Das ist eine klare Ansage. Wie so oft, nicht nur im bildungspolitischen, sondern auch im politischen Leben, müssen wir hier im Parlament die Interessen abwägen. Unsere Abwägung ist klar erfolgt, auch mit dem heutigen Antrag.

Meine Damen und Herren, alle Bildungsstudien kommen zu einem Ergebnis: Entscheidend für den Bildungserfolg sind gut ausgebildete, engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Ihnen sollten wir nicht die Kraft rauben mit Strukturveränderungen im Dreijahresrhythmus. Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrerinnen und Lehrer haben keine Furcht vor Veränderungen, aber sie müssen das umsetzen, was wir hier im Parlament beschließen. Wenn das im Schulalltag umgesetzt wird, dann ist das eine viel größere Herausforderung als die Herausforderung für uns, zu unseren Entscheidungen zu stehen. Weil sie es umsetzen müssen, haben sie auch nach meiner festen Überzeugung das Recht auf stabile und verlässliche äußere Rahmenbedingungen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Unterstützung unseres Antrages und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Vielen Dank. - Zur Begründung des Antrages der B 90/GRÜNE-Landtagsfraktion erteile ich Klaus Kessler das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schulzeitverkürzung am Gymnasium wurde im Jahr 2001 durch die CDU-Alleinregierung als sogenanntes G8 eingeführt. Es geschah damals ohne Vorlauf, ohne Erprobung, beispielsweise in einem Modellversuch. Damals gab es viele Stimmen und Kritiker im Land. Die Kritiker befürchteten eine Zunahme an Stress, eine Zunahme an Leistungsdruck, es war die Rede von einem Verlust an Studierfähigkeit, von einem Verlust an gymnasialer Bildung insgesamt. Das waren die kritischen Punkte, die genannt wurden. Hinzu kam damals schon aber auch die Kritik an den unzureichenden Rahmenbedingungen, beispielsweise zu große Klassen, nicht angepasste Lehrpläne und eine mangelhafte Personalausstattung an den Gymnasien.

Im Jahr 2009 machten dann die ersten G8-Gymnasiasten Abitur. Im Ergebnis wurde damals festgestellt, dass es zumindest keine Leistungsunterschiede zwischen den neunjährigen und den achtjährigen Gymnasiasten gab. Wissenschaftlich eindeutige empirische Belege dafür, dass beispielsweise die G8Schüler schlechter seien in ihren Leistungen als G9-Schüler habe ich bislang auch nicht gefunden, die gibt es nicht. Die kritischen Punkte beim G8 blieben allerdings, eigentlich bis heute: der zeitliche Stress, die Stofffülle der Lehrpläne, unzureichende Rahmenbedingungen und fehlende Alternativen zu einem achtjährigen Bildungsgang bis zum Abitur. Das sind im Übrigen auch die wesentlichen kritischen Punkte, die wir GRÜNE - damals wie heute stets in der Debatte anführen. Meine Damen und Herren, wir GRÜNE waren es nicht, um das noch einmal zu betonen, die G8 eingeführt haben.

(Abg. Thul (SPD) : Wir auch nicht!)

Ich rede jetzt nur mal von uns.

(Zuruf: Es will keiner gewesen sein!)

Ich mache einen kleinen historischen Rückblick, im Laufe der mir zur Verfügung stehenden Zeit natürlich.

(Zuruf bei der CDU: Wir waren es! - Sprechen.)

Ja, Ihr wart es. - Es gab 2009 einen Regierungswechsel, und bekanntermaßen hatten wir GRÜNE in dieser Regierung Bildungsverantwortung. Ich sage mal, wir hatten damals auch von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein schweres Erbe übernommen in der Schulstrukturdebatte. Das war ein schweres Erbe: G8 war flächendeckend ausgebaut,

(Abg. Kolb (SPD) )

es gab auch keine Stimmung in diesem Land für eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, das muss man fairerweise sagen, und es gab in dieser Situation, das ist bekannt, auch keine politische Mehrheit. Allerdings bestanden im System, nachdem wir das übernommen haben, nach wie vor große Ungerechtigkeiten, große sozialen Disparitäten im Schulsystem an sich, das war bekannt. Und es gab eine große Zersplitterung in unserem Schulsystem. Das war das Erbe, das wir übernommen haben.

Aus dieser Situation heraus entstand 2011 nach einer Verfassungsänderung in diesem Hause - die Vorgänge sind bekannt - das sogenannte Zwei-Säulen-Modell mit dem achtjährigen Gymnasium auf der einen Seite und einem neunjährigen Bildungsgang mit einer neuen Schulform, der Gemeinschaftsschule, auf der anderen Seite. Seitdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir hier im Saarland eigentlich ein klar gegliedertes Schulsystem im allgemeinbildenden Bereich. Ich sage noch einmal dazu, um dieses System beneiden uns viele Bundesländer. Zahlreiche Bundesländer wären froh, wenn sie so ein klar gegliedertes, übersichtliches Schulsystem hätten. Frau Rink, Sie können gerne klatschen.

(Abg. Rink (CDU) : Ja! - Beifall von B 90/GRÜNE und bei der CDU.)

Wir hatten natürlich auch heftige Debatte um diese Schulreform. Es gab damals allerdings - um das noch einmal zu sagen, wenn wir über Schulreform reden - auch eine klare gesellschaftliche Mehrheit, dass wir das machen konnten. Wir hatten hier eine klare gesellschaftliche Mehrheit im Rücken. Ich erinnere mich noch, das haben alle Anhörungen und Diskussionen zur Reform unseres Schulsystems ergeben. Ich muss an dieser Stelle allerdings auch sagen, dass damals die SPD die Verfassungsänderung nicht mitgemacht hat, bedauere ich bis heute.

(Abg. Kolb (SPD) : Es gab auch einen Grund dafür!)

Nochmals danke an die Fraktion der LINKEN. - Aber immerhin bemühen Sie sich heute, diese Schulreform, für die Sie damals nicht gestimmt haben, konstruktiv mitzugestalten.

(Zuruf des Abgeordneten Thul (SPD). - Heiterkeit bei den Regierungsfraktionen.)

Von uns haben Sie es nicht geerbt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns heute aufgrund der Volksinitiative „G9 jetzt! Saarland“ wieder mit dem Thema Schulreform befassen, dann ist das die berechtigte Kritik vieler Eltern an den nach wie vor bestehenden Mängeln am achtjährigen Gymnasium. Aber ich entnehme dem auch eine Kritik an der nach unserer Auffassung nach wie vor

mangelhaften Umsetzung dieses Zwei-Säulen-Modells, das wir damals eingeführt haben. Das ist auch das Ergebnis der Anhörung, die wir im Mai in diesem Hause beschlossen und im September durchgeführt hatten. Wir hatten damals einen Antrag auch in diese Richtung gestellt. Ich bin froh und dankbar, dass diese Anhörung durchgeführt wurde, weil sie doch auch ein bisschen Klarheit im Hinblick auf eine weitere Schulreform in diesem Land gebracht hat.

Das erste Ergebnis dieser Anhörung ist, dass die meisten saarländischen Bildungsakteure - sie sind bekannt, Elternvertretungen, Lehrervertretungen, Gewerkschaften, auch die Landesschülervertretung - weder eine Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 noch eine Rückkehr zum G9-Gymnasium wollen. Das zweite Ergebnis ist die Forderung nach einer Verbesserung im System der zwei Säulen, das heißt im achtjährigen Gymnasium und an der Gemeinschaftsschule, die - das wissen wir mittlerweile alle bis zur achten Klassenstufe aufgewachsen ist.