Protokoll der Sitzung vom 15.10.2008

Im Bildungsbericht ist nachzulesen, dass im Schuljahr 2007/2008 insgesamt 29 948 Schüler, das sind 6,4 %, einen festgestellten Förderbedarf haben. Während zunächst an den Grundschulen, dann an den Mittelschulen und Gymnasien ein erheblicher Rückgang der Schülerzahlen zu verzeichnen war, sinken die Schülerzahlen an den Förderschulen jedoch kaum. Was mir noch mehr zu denken gibt ist die Tatsache, dass in Sachsen – wie in den neuen Bundesländern insgesamt – der Anteil dieser Schüler höher ist als in den alten Bundesländern. Ich glaube, dass dieser Förderbedarf in einer gewissen Weise hausgemacht ist und es eben durch die Struktur dieses Schulsystems ermöglicht wird, dass das Abschieben nach unten zum Prinzip erhoben wird.

Die Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die allgemeinbildenden Schulen liegt in Sachsen nur bei 0,7 % der Gesamtschülerzahl. Das ist knapp unter dem Bundesdurchschnitt. Der Erfolg von Förderschulen fällt – das gibt übrigens auch die Kulturministerkonferenz zu – relativ schlecht aus. Acht von zehn Förderschülern verlassen ihre Einrichtung ohne Abschluss. Ich glaube, dass wir schrittweise zu einer hundertprozentigen Integration von benachteiligten Kindern kommen müssen für Kinder, die Behinderungen oder Lernbesonderheiten aufweisen. Die Förderschulen müssen mehr mit den allgemeinbildenden Schulen zusammenarbeiten und sich schließlich zu Kompetenzzentren für alle Schulen entwickeln.

In der Vergangenheit wurde in unzähligen empirischen Untersuchungen der Frage nachgegangen, welche Wirkung der Unterricht von Kindern in Förderschulen hat. Es gibt nur wenige empirische Befunde, die so eindeutig sind wie zu dieser Frage. Kinder am unteren Leistungsende profitieren in heterogenen Klassen in der allgemeinbildenden Schule mehr von ihrer Leistungsentwicklung als die auf niedrigem Niveau homogenisierten Lerngruppen.

Dieser positive Effekt für die Leistungsschwachen geht nicht mit einer immer wieder befürchteten Benachteiligung der Leistungsspitze einher. Der vorgebrachte Einwand, dass förderbedürftige Kinder in heterogenen Lerngruppen hinsichtlich ihres Selbstwertgefühls und ihrer gesamten Emotionalität besonders belastet werden,

konnte bislang nicht empirisch belegt werden. Lernzielgleiches Lernen ist einer der Haupthinderungsgründe für gelingende Integration. Wir brauchen lernzieldifferenziertes Lernen und heterogene Gruppen und wir müssen auf selbsttätiges Lernen ein größeres Augenmerk legen. Den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund widmet der Sächsische Bildungsbericht leider nur eine Seite.

(Jürgen Gansel, NPD: Leider noch zu viel!)

Dass Sie das als zu viel empfinden, ist uns allen klar. Dass uns Ihre Bemerkung zu viel ist, sollten Sie auch wissen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Kultusminister hat gerade einmal vier Sätze zu diesem Thema aufgewendet. Mich würde interessieren, ob jenseits der besonders Begabten Zuwandererkinder mit Migrationshintergrund häufiger von Zurückstellungen vor der Einschulung oder von Klassenwiederholungen betroffen sind, ob es bereits in der Primarstufe einen Leistungsrückstand dieser Kinder gibt und wie die Hürden zur Sekundarstufe bewältigt werden.

Wir wissen seit PISA, dass der Leistungsnachteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gegen Ende der Schulpflicht in kaum einem PISA-Teilnehmerstaat so groß ist wie in der Bundesrepublik. Ich glaube nicht, dass dies an dem weniger günstigen Begabungspotenzial von Zuwanderern liegt.

Ich frage mich zum Beispiel, wie systematisch und konsequent in Sachsen eine Sprachförderung im Fachunterricht stattfindet. Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund oft eine hohe Leistungsmotivation aufweisen und die Eltern hohe Bildungserwartungen an ihre Kinder haben. Treffen diese Kinder in Sachsen aber auch auf geeignete Systeme, um diese Motivation abzuholen? Dazu wird im Bericht überhaupt nichts gesagt.

Abschließend möchte ich gern noch zwei Punkte ansprechen: erstens die Modularisierung der Berufsausbildung und zweitens die Weiterbildung. Ich denke, dass wir uns in Sachsen Gedanken machen müssen, was die zukünftige berufliche Ausbildung anbelangt. Sie haben zwar die Berufsschulzentren thematisiert, aber Sie haben leider nicht die richtige Konsequenz gezogen. Wenn wir so viele lernschwache Schülerinnen und Schüler haben, die in den BSZ im Berufsvorbereitungsjahr untergebracht werden, dann müssen Sie Angebote finden, um diese Schülerinnen und Schüler zu einem qualifizierten Berufsabschluss zu bringen. Sie sind eigentlich verpflichtet, Schulsozialarbeiter einzustellen, und haben es immer noch nicht geschafft, das auch umzusetzen. Das könnte zum Beispiel darin bestehen, dass Sie endlich Qualifikationsbausteine entwerfen, in denen Teilabschlüsse aufeinander aufbauen. Dann kommen auch diese Schülerinnen und Schüler zu einem Abschluss.

Schließlich zur vierten Säule im Bildungssystem, der Weiterbildung. Die Weiterbildung muss nach meiner Einschätzung weiterhin in der öffentlichen Verantwortung stehen, aber Lernen betrifft nicht nur die Sechs- bis Achtzehnjährigen, sondern alle Altersgruppen. Hierzu bedarf es einer notwendigen Gesamtstrategie. Leider haben Sie es in Ihrem Bericht versäumt, auf die Volkshochschulen einzugehen. Wir haben in Sachsen immer noch kein modernes Erwachsenenbildungsförderungsgesetz.

Schließlich ist festzustellen: Ihre Fachregierungserklärung, Herr Prof. Wöller, ist nichts weiter als ein „Weiter so“ gewesen. Sie haben den Renovierungsbedarf in der Bildung nicht richtig erkannt und Sie haben offenbar keinen Mut in dieser Koalition, die notwendigen Veränderungen endlich anzunehmen, zu erkennen und dann auch Maßnahmen zu ergreifen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich erteile der Sächsischen Ausländerbeauftragten, Frau Abg. de Haas, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dass Bildung die zentrale Ressource unseres Landes ist, Bildung die Zukunft unserer Kinder und damit die Zukunftsfähigkeit unseres Freistaates in einer globalisierten Welt sichert, darüber ist hinlänglich diskutiert worden.

Ich möchte auf einen Bildungserfolg unseres Landes näher eingehen, den Herr Staatsminister Wöller kurz vorgestellt hat. Ausländische Kinder und Jugendliche tragen zum Bildungserfolg unseres Landes in erheblichem Maße bei. In Sachsen schließt jeder fünfte ausländische Schüler die Schule mit dem Abitur ab – deutschlandweit schafft das nur jeder zehnte –, und dies mit steigender Tendenz. Derzeit besuchen in Sachsen deutlich mehr ausländische Schülerinnen und Schüler ein Gymnasium als eine Mittelschule. Im Schuljahr 2006/2007 waren es rund 2 300 Schülerinnen und Schüler zu 1 800 Schülerinnen und Schüler in der Mittelschule. Ich habe in meinem Bericht bereits darauf hingewiesen. Drei Viertel aller vietnamesischen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe besucht ein Gymnasium. Bei den russischen und ukrainischen Kindern und Jugendlichen sind es zwei Drittel. Unlängst hat ein junger Gymnasiast, ein Vietnamese aus dem Leipziger Wilhelm-Ostwald-Gymnasium, den ersten Preis, nämlich die Goldmedaille, bei der Biologieolympiade in Indien gewonnen. Er wird in Zukunft in Heidelberg Molekulare Zellbiologie studieren.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Er ist damit der beste europäische Vertreter gewesen. Darauf können wir in Sachsen stolz sein.

Meine Damen und Herren! Andere Zuwanderungsgruppen haben größere Schwierigkeiten. Auch das soll nicht verschwiegen werden. Deshalb verbietet sich eine Generalisierung. Doch es gibt kein anderes Bundesland, welches ähnlich gute Bildungsergebnisse unter ausländischen Kindern und Jugendlichen aufweist.

(Beifall bei der CDU)

Das zeigt auch, dass es möglich ist, aus einer schwierigen sozialen Situation heraus hervorragende Bildungsergebnisse zu erzielen.

Meine Damen und Herren! Dieser Erfolg hat Ursachen. Sprach- und damit integrationsfördernd wirkt sich die flächendeckend vorhandene Struktur von Kindertagesstätten aus. Eine in der vergangenen Woche vorgestellte brandenburgische Studie weist nach, dass die erfolgreichen vietnamesischen Gymnasiasten zu einem hohen Anteil die Kindertagesstätte besucht haben. Vor allem aber ist es die sächsische Konzeption zur Integration von Migrantinnen und Migranten im schulischen Bereich mit ihren Betreuungslehrern und regelunterrichtsbegleitenden Sprachkursen, die die Grundlage für diesen Erfolg ist.

Meine Damen und Herren! Mehrsprachigkeit stellt für diese Kinder und Jugendlichen eine Selbstverständlichkeit dar. Sie sind von Haus aus für Vielfalt und für unterschiedliche kulturelle Hintergründe sensibilisiert. Das sind Kinder und Jugendliche, die ein enormes Potenzial besitzen – für sich wie für unser Land. Das müssen wir noch mehr als bisher zur Kenntnis nehmen und auch bekannt machen. Wir müssen es in unserem ureigenen Interesse fördern, und zwar fördern für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Bereits jetzt verzeichnen wir in einigen Branchen einen Fachkräftemangel, der angesichts des demografischen Wandels zunehmen wird. Dagegen tauschen sich schon jetzt vietnamesische Schülerinnen und Schüler in Internetforen darüber aus, ob es nicht besser sei, mit einem Abitur- und dem Hochschulabschluss nach Vietnam zu gehen, um dort Geld zu verdienen.

(Beifall des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wir müssen diese Potenziale in unserem Land halten. Unser Land profitiert von Zuwanderung.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Dies ist nicht zuletzt auch der Erfolg einer umfassenden Bildungspolitik. Tun wir also alles zur Stärkung des Bildungsstandortes Sachsen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Größtenteils sind auch die Redezeiten abgelaufen. Ich erkläre damit die Aussprache zur Regierungserklärung für beendet.

Sie haben es sicher registriert. Es liegt ein Entschließungsantrag zur Regierungserklärung vor. Es ist der Entschließungsantrag der Linksfraktion in der Drucksache 4/13567. Ich bitte die Fraktion um Einbringung. Danach haben die Fraktionen dazu die Möglichkeit zur Aussprache. Frau Abg. Falken, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erstens. Bildung gehört zu den elementaren Voraussetzungen, um sich in einer Gesellschaft ständigen Wandels bewusst orientieren, ein selbstbestimmtes Leben führen und die Zukunft des Gemeinwesens mitgestalten zu können.

Zweitens. Die guten Leistungen des sächsischen Bildungswesens sind Leistungen der sächsischen Lehrerinnen und Lehrer. Das ist auch eine Aussage des Kultusministers.

Unser Entschließungsantrag stellt weiterhin fest:

Drittens. Um den Bildungsstand der Sachsen zukunftsfähig zu gestalten, bedarf es einer Modernisierung des sächsischen Bildungswesens. Das geschieht vorwiegend auf dem Weg des sozialen Ausgleichs.

Schauen Sie sich noch einmal die PISA-Studie an. Herr Colditz, Sie zitieren sie sehr oft. Schauen Sie sich diesen Bereich genau an. Die Modernisierung wird nur funktionieren, indem eine Verbesserung des unteren Leistungsbereichs erzielt und damit eine Chancengleichheit verwirklicht wird.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Rede – Sie sind nicht der erste Kultusminister, der sich damit beschäftigt – die Worte gebraucht, jeder zählt. Jeder zählt heißt natürlich für uns, dass wir insbesondere in den Bereich schauen, in dem die Prozentzahlen für unseren Freistaat bei unseren Schülerinnen und Schülern sehr negativ aussehen. 8,7 % Schüler ohne Abschluss, 9,8 % der Schüler mit Hauptschulabschluss und 6,3 % Förderschüler sind ein Zeichen dafür, dass gerade in den unteren Leistungsbereichen im Freistaat Sachsen etwas passieren muss. Hier gilt es die notwendigen Voraussetzungen insbesondere im Vorschulbereich zu legen. Im Grundschulbereich sind Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen besonders als Grundlage notwendig. Daher fordern wir die Staatsregierung auf:

Erstens. Wir brauchen in Sachsen eine Bildungsreform, die Vernetzungen von Vorschule, Schulbereich und Hochschulbereich als Gesamtstrategie gestaltet. Es soll und muss das gegliederte Schulwesen schrittweise überwunden und das längere gemeinsame Lernen eingeleitet werden. Herr Colditz, Sie werden es noch erleben. Ich verspreche es Ihnen.

Zweitens. Die bessere personelle und sächliche Ausstattung der Bildungseinrichtungen muss vorgenommen werden. Ich weise hier auch noch darauf hin, dass eine umfangreiche Reform der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern und pädagogischen Fachkräften, die insbe

sondere den praxisbezogenen Bereich in ihrer Ausbildung gestalten müssen, zwingend notwendig ist.

Drittens. Das Recht auf Weiterbildung muss dauerhaft gesichert werden. Hier muss es im Freistaat Sachsen und auch in der Haushaltsdiskussion eine Stärkung der Volkshochschulen geben.

Ich fordere Sie auf, unserem Entschließungsentwurf zuzustimmen, damit wir im Bildungsbereich einen weiteren großen Schritt vorankommen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich bitte jetzt die Fraktionen, Stellung zu nehmen. Es beginnt die CDUFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es recht kurz machen. Wir werden den Entschließungsantrag aus zwei Gründen ablehnen. Wenn man sich den Punkt 1.2 anschaut, dass die Leistungen des sächsischen Bildungswesens maßgeblich auf den Leistungen der Lehrerinnen und Lehrer beruhen, dann ist das eine Selbstverständlichkeit, die wir alle in unseren Beiträgen festgestellt haben. Dazu bedarf es nicht einer Extra-Beschlussfassung, um das hervorzuheben, liebe Frau Falken.

Zum anderen sind wir, was die Entwicklung unseres Schulsystems anbelangt, natürlich völlig anderer Auffassung, als es die Antragsteller sind – wenn ich hier wieder lesen muss, dass das gegliederte Schulsystem schrittweise durch ein längeres gemeinsames Lernen überwunden werden soll.