Protokoll der Sitzung vom 10.03.2005

Die Bundesregierung hat bereits ein so genanntes – und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes – Lastenheft mit nationalen Vorschriften erstellt. Für mich sind diese Regelungen zum Teil völlig überzogen, weil Landwirte Verstöße teilweise gar nicht erkennen können. Ich verweise an dieser Stelle nur auf den § 26 des Naturschutzgesetzes.

Die Einhaltung der Cross-Compliance-Auflagen unterliegt einer strengen Kontrolle durch die in den Ländern zuständigen Fachbereichsbehörden. Dazu muss man sagen, dass strengere Maßstäbe im nationalen Bereich die EU-Vorgaben ersetzen. Hier hat das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft durch verstärkte Regelungen bis hin zu Grenzwerten an der Nachweisgrenze zu zusätzlichen Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Landwirtschaft geführt.

Die Anforderungen müssen in allen Produktionsbereichen eingehalten werden, auch wenn diese in unter

schiedlichen Bundesländern liegen oder Betriebszweige betreffen, die sich bisher ohne Preisausgleich am Markt behaupten mussten, wie zum Beispiel Schweinehaltung, Weinbau oder Forstwirtschaft. Dieses „Querdurchschlagen“ von Sanktionen könnte natürlich Anlass für die Ausgliederung von Betrieben sein –, wobei auch hier der Gesetzgeber gut vorgesorgt hat –, wenn sämtliche von einem Betriebsinhaber verwalteten Produktionseinheiten in einem Mitgliedsstaat als Gesamtbetrieb angesehen werden. Das heißt, der Verstoß in einem Betrieb schlägt auf alle anderen Betriebe durch. Die Königin von England als umfangreiche Landbesitzerin tut mir hier etwas weniger Leid als die eine oder andere Beteiligung unserer Landwirtschaftsbetriebe.

Weiter kann man fragen: Warum Cross Compliance nur bei den Landwirten? Gibt es so etwas im geförderten Wohnungsbau oder bei den Werften? Wie wäre es mit der Einführung von Cross Compliance im Hinblick auf Kindergeldkürzungen bei Schulschwänzern oder Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch die Eltern? Man stelle sich die Reaktionen darauf einmal vor!

Das nächste Kapitel ist die Einbeziehung von Landschaftselementen in die Antragstellung 2005. Diese mutiert zu einem einzigartigen Hecken- und Biotopkartierungsprogramm, was an und für sich nichts Schlechtes ist; nur wird hier der einzelne Landwirt sehr angreifbar, wenn er gewisse Landschaftselemente falsch bewertet oder nirgends ausgewiesene Biotope nicht in die Antragstellung einbezieht. Damit riskiert er Prämienkürzungen bis zum Totalverlust im Wiederholungsfalle.

Insbesondere die Verpflichtung zur Angabe sämtlicher zur Verfügung stehender Flächen ist aus meiner Sicht äußerst gefährlich. Damit kann ein Betriebsinhaber nicht aus Vorsicht, eventuell zu viele Flächen zu beantragen, einfach weniger angeben, weil ihm – unabhängig davon, ob er zu viel oder zu wenig Fläche angibt – in jedem Fall 3 % der Zahlungsansprüche abgezogen werden. Für die Praxis würde dies eine Katastrophe bedeuten.

Ziel unserer Politik muss sein, die Risiken für die Landwirtschaft weiterhin so gering wie möglich zu halten und Betriebszweige zu stärken, die auch bisher als Stützen der landwirtschaftlichen Einkommen galten. Unter dem hehren Ziel der EU-Verwaltung und dem Versprechen aller Mitgliedsverwaltungen, die Bürokratie abzubauen und dem Markt wieder mehr Geltung zu verschaffen, kann ich mir kein System vorstellen, das dieser Zielsetzung erfolgreicher und nachhaltiger entgegenwirkt als das, was wir demnächst einführen werden. Wir wachsen immer mehr in einen aufgeblähten Überwachungsstaat, der von einem landwirtschaftlichen Unternehmer mehr Verwaltungskenntnis, Verwaltungsaufwand und beihilferelevante Betriebsentscheidungen verlangt als landwirtschaftliche Fachkenntnisse. Dies dürfte der Qualität unserer Nahrungsmittelproduktion ebenso wenig dienlich sein wie einer freiheitlichen, kreativen Entwicklung unserer landwirtschaftlichen Betriebe.

Ich danke vorerst für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. – Frau Altmann, bitte noch einmal hinsetzen. Außergewöhnliche

Anlässe gestatten auch einmal eine Veränderung der Tagesordnung. Herr Ministerpräsident möchte eine kurze Erklärung abgeben.

Ministerpräsident Prof. Dr. Georg Milbradt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen Folgendes mitteilen zu können: Gerade lief eine dpaMeldung über den Ticker: Essen und Görlitz sollen auf Vorschlag einer deutschen Expertenkommission ins Rennen um den Titel der „Europäischen Kulturhauptstadt 2010“ gehen.

(Beifall des ganzen Hauses)

Dies verlautete am Rande einer Tagung der Kultusministerkonferenz am Donnerstagabend in Berlin. Der Vorschlag ist noch nicht die endgültige Nominierung. Über diese entscheidet der Bundesrat. Die letzte Entscheidung fällt dann auf europäischer Ebene.

Ich möchte den Görlitzern sehr herzlich gratulieren und bitte um Verständnis, dass ich jetzt die Sitzung verlasse und nach Görlitz fahre.

Herzlichen Dank.

(Beifall des ganzen Hauses)

Ich glaube, es gab niemanden im Saal, der diese Unterbrechung missbilligen wird. – Frau Altmann, ich bitte Sie jetzt, in der Tagesordnung fortzufahren.

(Dr. André Hahn, PDS: Bestellen Sie einen schönen Gruß, Herr Ministerpräsident!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein lieber Kollege Heinz, so schwarz, wie Sie das dargestellt haben – genau das, was Sie uns sonst immer vorwerfen: dass wir in vielem so sehr schwarz malen würden –, sehen es noch nicht einmal die Landwirte draußen in der Praxis. Das als Erstes.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der FDP)

Die PDS – nicht nur die PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag – ist von Beginn der Debatte an nicht gegen eine Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Wir waren aber von Anfang an dagegen, dass diese Reform erstens die EU-Agrarsubventionen generell infrage stellt, dass zweitens bei dieser Reform handelspolitische Interessen in der EU und in allen anderen Teilen der Welt über die Ernährungssicherheit und das Recht auf Ernährungssouveränität gestellt werden und dass drittens das flächendeckende multifunktionale und auch auf finanzieller Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten der EU beruhende EU-Agrarmodell infrage gestellt wird.

Um diese PDS-Position „Reform ja, aber nicht um jeden Preis“ deutlich zu machen, ein Rückblick auf die Anfänge der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik:

Die gemeinsame europäische Agrarpolitik spielte eine wichtige Vorreiterrolle im westeuropäischen Integrationsprozess. Sie ist inzwischen genauso alt wie ich; denn sie wurde schon im Jahr 1957 im Gründungsvertrag der EWG verankert. Ihre Ziele waren schon damals sowohl

an den Erzeuger- als auch an Verbraucherinteressen orientiert. Besonders die Berücksichtigung von Verbraucherinteressen fordern wir auch heute wieder und auch vor diesen vielen Jahren waren die Verbraucherinteressen schon deutlich im Mittelpunkt der europäischen Agrarpolitik.

Diese Ziele waren: erstens die Sicherung der Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln zu angemessenen Preisen, zweitens die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards für die landwirtschaftliche Bevölkerung, drittens die Steigerung der Produktivität und bestmöglicher Einsatz der Produktionsfaktoren und viertens die Stabilisierung der Märkte.

Die gemeinsame europäische Agrarpolitik war damit die erste – und für sehr lange Zeit auch die einzige – wirklich gelebte Gemeinschaftspolitik in der EU. Lange bevor der seit 1993 bestehende EU-Binnenmarkt überhaupt zustande kam, gab es einen gemeinsamen Markt für landwirtschaftliche Produkte. Dieser Markt umfasste zum Schluss immerhin 70 % der landwirtschaftlichen Produkte. Er war gekoppelt mit einem einheitlichen Preissystem, mit Produktionsquoten für Milch und Zucker, und Zoll- und Handelshemmnisse waren innerhalb der EU weitgehend beseitigt.

Wie sehen nun nach über 40 Jahren die Ergebnisse dieser gemeinsamen Agrarpolitik aus? Sie sind Aufsehen erregend – das kann man auf jeden Fall sagen –, und das sowohl im positiven wie auch im negativen Sinn; denn schon in den siebziger Jahren war die Lebensmittelknappheit in der EU beseitigt. Schon zu diesem Zeitpunkt war eine hundertprozentige Selbstversorgung mit Lebensmitteln innerhalb der EU überschritten – und das nicht zuletzt durch Steigerung der Produktivität. Deutlich wird das an wenigen Zahlen: Im Jahr 1960 wurden von einem Landwirt 17 Menschen ernährt, heute sind es immerhin 125 Menschen.

Gleichzeitig mit diesen positiven Ergebnissen der gemeinsamen Agrarpolitik haben aber seit 1960 bis zum Ende der neunziger Jahre immerhin zwei Drittel der Landwirte – nicht in der Landwirtschaft Beschäftigte, sondern zwei Drittel der Landwirte – ihre Produktion aufgegeben; das Einkommen, das auch ein wichtiger Punkt der eigentlichen Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik war, liegt heute an der untersten Skala aller in der EU Erwerbstätigen und von Stabilität der Märkte kann seit einigen Jahren überhaupt keine Rede mehr sein.

Genau diese beiden extremen Entwicklungen stellen auch das Problem dar, das wir heute mit der Agrarsubvention und mit der gemeinsamen EU-Agrarpolitik haben und auch damit, dass diese Unterstützung der Landwirte aus europäischen Steuermitteln von vielen Menschen nicht mehr mitgetragen wird. Der Grund dafür ist, dass fernab von den ursprünglichen Zielen seit nunmehr 20 Jahren eine steigende Überproduktion innerhalb der EU mit einer immer aggressiver werdenden Exportpolitik und gestützt mit Steuergeldern zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt gebracht werden.

Wir sind der Meinung, dass es so auf keinen Fall weitergehen konnte. Allerdings sind die seit dem 1. Januar dieses Jahres gültigen Regelungen der jüngsten EU-Agrarreform – Herr Heinz, das wird nicht erst in Zukunft auf

die Landwirte zukommen, sondern das kommt seit 1. Januar auf die Landwirte zu – nun auch nicht das Wahre.

Ich bin der Meinung, der Spagat zwischen dem Druck der Welthandelsorganisation zu einer weitgehenden Agrarglobalisierung auf der einen Seite und der Rettung des europäischen Landwirtschaftsmodells der Multifunktionalität auf der anderen Seite ist nur unzureichend gelungen. Das macht auch die nationale Umsetzung in Deutschland durch das Kombimodell nicht besser.

Für uns ist besonders bedenklich, dass die Verlierer – wie schon bei allen EU-Agrarreformen in der Vergangenheit – wieder die Tier haltenden und hier wieder ganz besonders die Milch produzierenden Betriebe mit einem sehr hohen Grünlandanteil sind. Aber gerade diese Betriebe waren bisher oft diejenigen, die noch die meisten Arbeitsplätze in den Dörfern erhalten. Von Neue-Arbeitsplätze-Schaffen kann auch hier schon lange keine Rede mehr sein.

Vor diesem Hintergrund ist es für uns nicht nachvollziehbar, dass zum Beispiel in Sachsen – ich weiß, dass Sachsen darauf kaum Einfluss hat, aber ich nenne mal das sächsische Beispiel – die auszuzahlende Flächenprämie nur einen Grünlandanteil von einem Drittel und immer noch einen Ackerlandanteil von zwei Dritteln hat. Also der Betrag, der pro Hektar Ackerland gezahlt wird, ist immer noch dreimal höher als der für Grünland.

Allerdings ist für uns grundsätzlich die in Zukunft fällig werdende Flächenprämie oder Betriebsprämie, die zum Glück noch an Bewirtschaftung gebunden ist, auch eine Chance. Für uns stellt diese Flächenprämie eine Art Grundeinkommen für die Landwirte dar. Dieses Einkommen wird ihnen dafür gezahlt, dieses Land mit einem relativ geringen Standard zu bewirtschaften. Auf der Basis dieses Grundeinkommens – nennen wir es ruhig einmal Grundeinkommen – haben die Landwirte die Chance, sich unabhängig von gerade geförderten Produkten auch andere Einkommensmöglichkeiten außerhalb der Lebensmittelproduktion zu erschließen. Ich denke dabei nur an unsere gestrige Debatte zu nachwachsenden Rohstoffen. Mit Fantasie und Unternehmergeist – ich denke, diesen haben auch unsere Landwirte – wird ihnen zwar nicht sofort, aber in Zukunft dazu viel einfallen. Zum Glück konnten bei dieser EU-Agrarreform in der nationalen Umsetzung auch relativ lange Übergangsfristen ausgehandelt werden.

Herr Heinz, was die Cross Compliance betrifft, halten wir es für richtig, dass die Auszahlung dieser Mittel, wenn schon der Anspruch an die Bewirtschaftung so niedrig gehängt worden ist, zumindest an gewisse Umweltstandards und auch an eine gewisse landwirtschaftliche Praxis, also das Halten in einem guten landwirtschaftlichen Zustand, gekoppelt ist.

(Beifall bei der PDS)

Wenn ich jetzt konkret in den Antrag hineinschaue und mir die Stellungnahme der Staatsregierung ansehe, dann wird dort dargestellt, dass die Milchproduktionsbetriebe am meisten unter dieser Reform zu leiden haben. Deshalb finden wir es auch richtig und unterstützen es, dass die Staatsregierung sowohl die Modulationsmittel als auch das künftige Programm „Umweltgerechte Land

wirtschaft in Sachsen“, UL-Programm, genau an diesen Betrieben ausrichten will. Diese Ankündigung unterstützen wir sehr. Wir sind auch sehr gespannt, wie Sie das umsetzen werden. Ich denke, dazu werden wir schon in den anstehenden Haushaltsdiskussionen einiges sagen können. In den Zahlen des Haushaltes schlägt sich nieder, wie ernst Sie das mit der Ankündigung wirklich meinen. Aber dazu möchte ich heute nichts weiter ausführen.

Aufhorchen lässt uns allerdings die Aussage in der Stellungnahme der Staatsregierung, dass der Ökolandbau einer der Gewinner dieser GAP-Reform sei. Abgesehen davon, dass diese pauschale Aussage so nicht stimmt, denn unter den Ökolandbauern wird es Verlierer dieser GAP-Reform geben, scheint die Konsequenz dieser von Ihnen dort getroffenen Aussage die Abschaffung der Absatzförderung für die sächsischen Ökolandbauern mit dem nächsten Doppelhaushalt zu sein. Das ist für uns nicht akzeptabel.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Zum Schluss noch ein Wort zu Ihnen, Herr Heinz. Sie haben heute so viel gesagt, was ich nicht unwidersprochen hinnehmen kann. Sie sprachen davon, dass die neue Antragstellung für die Landwirte sehr gewöhnungsbedürftig und umfangreich sei. Die Landwirte fordern in diesem Zusammenhang von der Staatsregierung eine zweijährige Übergangszeit, weil es nicht so sein wird, dass diese Antragsunterlagen auf Anhieb ohne Fehler sein werden. Es kommen viele neue Dinge auf die Landwirte zu. Die Landwirte fordern, dass Fehler bei der Antragstellung nicht sofort mit Sanktionen belegt werden. Sie benötigen deshalb eine Übergangszeit von zwei Jahren. Ich bin gespannt, ob es möglich ist, auf diese Forderungen einzugehen.

Frau Altmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Herr Heinz, bitte.

Frau Altmann, jetzt treiben Sie mich quasi aus dem Sessel. Ist Ihnen bekannt, dass es bereits im vorigen Jahr einen Probelauf bei der Antragstellung gab, in dem eine Feldblock-CD mit Luftbildaufnahmen jedem Landwirtschaftsbetrieb zur Verfügung gestellt worden ist? Die Landwirte konnten somit ein Jahr lang parallel zum laufenden System üben. In der Definition der Fragen, was eine geschützte Hecke ist, die anzugeben ist oder was ein 26er Biotop ist, das nirgends auszuweisen ist, liegen die eigentlichen Unsicherheiten, die dann durch kontrollierende Behörden oder engagierte Naturschützer zu Einkommensverlusten in Größenordnungen führen können. Über diese Unsicherheiten können Sie nicht hinwegreden.

Ich denke nicht, dass ich über diese Unsicherheiten hinweggeredet habe. Gerade mit der Forderung, die ich von den Landwirten der Staatsregierung überbracht habe, spreche ich über diese Unsicherheiten

nicht hinweg. Ich denke, sowohl das eine als auch das andere wird bei den Landwirten Unsicherheiten hervorrufen. Die Landwirte bitten, dass die Staatsregierung bei den Ämtern für Landwirtschaft durchstellt, dass nicht sofort Sanktionen erhoben werden. Mein letzter Satz dazu; diese Forderung bringe ich ganz aktuell von der gestrigen Mitgliederversammlung des regionalen Kreisbauernverbandes mit. Die Antragstellung ist das eine. Aber eine der größten Sorgen der Landwirte ist, dass sie gut in diese neue Förderphase hineinkommen.