Protokoll der Sitzung vom 10.03.2005

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion spricht Frau Dr. Deicke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Januar 2005 fiel der Startschuss für die Umsetzung der GAP-Reform. Damit betreten alle Beteiligten völliges Neuland – auch in Sachsen. Ziel dieser Reform ist eine weitere Liberalisierung des Agrarmarktes. Bis zum Jahre 2013 soll eine Entkopplung der staatlichen Direktzahlungen von der Produktion erfolgt sein. In Deutschland wird hierfür das so genannte Kombinationsmodell, eine Mischung aus Betriebs- und Regionalmodell, angewendet. Durch die Entkopplung der Betriebsprämien müssen sich die landwirtschaftlichen Betriebe künftig noch stärker als bisher an betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten orientieren. Dabei bietet der Übergangszeitraum bis zum Jahre 2013 genügend Zeit, um erforderliche Anpassungen vorzunehmen. Gleichzeitig wird die notwendige Planungssicherheit gegeben.

Es zeichnet sich aber klar ab, welche Einkommenseinschnitte auf die einzelnen Betriebe zukommen und welche Auswirkungen das haben wird. Es ist zu erwarten – das ist bereits angeklungen –, dass nicht alle Milchviehbetriebe dem verstärkten Druck werden standhalten können. Die Folge ist der Abbau von Tierbeständen, der wiederum einen Arbeitskräfteabbau nach sie ziehen wird. Dann könnten sich betriebliche Kooperationen zwischen Ackerbau- und Viehzuchtbetrieben zukünftig wieder als sinnvoll erweisen.

Neben den gravierenden Veränderungen bringt die GAP-Reform für die Landwirte und für den ländlichen Bereich aber auch Zukunftschancen. Die Landwirtschaftsbetriebe der Zukunft werden unweigerlich durch Multifunktionalität geprägt sein. Natürlich soll der Landwirt weiterhin hochwertige Nahrungsmittel produzieren. Er soll aber auch verstärkt als Landschaftspfleger und Dienstleister und darüber hinaus als Produzent nachwachsender Rohstoffe tätig werden. Sowohl die natürlichen Gegebenheiten als auch die ostdeutschen Betriebsstrukturen bieten in den neuen Bundesländern günstige Voraussetzungen für einen großflächigen Anbau von Energiepflanzen und anderen nachwachsenden Rohstoffen. Mit dieser Produktions- und Einkommensperspektive können im ländlichen Raum gleichzeitig Beschäftigungseffekte erzielt werden.

Aufgrund von Cross Compliance als Bestandteil der Reform gibt es weitere neue Vorschriften. Diese umfassen Regelungen zum Erhalt von Agrarflächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand sowie zur Betriebsführung nach bestehenden europäischen Rechtsvorschriften.

Insofern ist es nichts Neues, dass Standards zur Lebensmittelsicherheit und zum Umwelt- und Tierschutz eingehalten werden müssen. Die Betriebe müssen das künftig nachweisen und es wird mehr und systematisch kontrolliert. Wer vorschriftsmäßig arbeitet und dieses bisher belegen konnte, braucht deshalb nichts zu befürchten. Den anderen sei zum Schluss ins Stammbuch geschrieben: Eine dauerhafte Unterstützung durch die Gesellschaft rechtfertigt es allemal, dass zugesagte Leistungen tatsächlich erbracht und dokumentiert werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Für die NPD-Fraktion ist mir der Abg. Paul angekündigt worden. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zahlreiche sächsische Landwirtschaftsbetriebe werden langfristig aufgrund der zu erwartenden Auswirkungen der GAP-Reform vor große finanzielle Probleme gestellt. Einkommensverluste können flächenreiche Betriebe mit Schwerpunkt Ackerbau und stark extensiv wirtschaftende Betriebe auffangen. Alle landwirtschaftlichen Unternehmen werden jedoch langfristig mit geringerem Einkommen rechnen müssen, was angesichts der derzeitigen Marktlage zu weiterem Arbeitsplatzabbau führen wird. Diese Entwicklung mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu rechtfertigen, ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht eines jeden Bauern und ein Schlag ins Gesicht derer, die auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz im landwirtschaftlichen Bereich hoffen. Die größten Verlierer der GAP-Reform werden vor allen Dingen die Viehzucht- und Milchbetriebe sein. Langfristig können meiner Meinung nach die betriebsindividuellen Übergangshilfen die zu erwartende Entwicklung nicht aufhalten. Auch hierbei werden sich eher Großbetriebe gegenüber den kleinen Unternehmen behaupten können. Der zu erwartende Preisverfall wird zudem durch die EU-Osterweiterung gefördert.

Ein weiteres Problem für die Landwirte ist die Tatsache, dass in Zukunft die Betriebsmittel teurer werden. Ziel der Politik sollte es eigentlich sein, die vielfältig gewachsenen Strukturen zu bewahren und damit langfristig Arbeitsplätze zu sichern. Eine Strukturveränderung wäre nur sinnvoll, wenn diese nicht auf Kosten des Produktionspotenzials der deutschen Landwirtschaft ausgetragen wird. Die bundesdeutsche Agrarpolitik setzt sehr fragwürdige Meilensteine.

Mit Worthülsen wie Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität werden keine Arbeitsplätze geschaffen, die angesichts der offiziellen Zahlen an Arbeitslosen dringend benötigt werden. Das Einzige, was mit dieser Reform wohl geschaffen wird, ist noch mehr Bürokratie. Viel zu wenige Politiker haben dem Stellenwert der deutschen Agrarwirtschaft für die Menschen als Lebens- und Erwerbs

grundlage bisher wohl die nötige Beachtung geschenkt. Haben Sie sich bei diesem Hintergrund schon einmal gefragt, woher Ihr Brot, Ihr Schnitzel oder Ihr Frühstücksei kommt? Angesichts des zunehmenden Qualitätsanspruches aller Verbraucher, auch von Ihnen, meine Damen und Herren, sollte die Lebensmittelerzeugung für unsere Bevölkerung in unserer Heimat und weitestgehend auch unter unserer Kontrolle bleiben.

Stellt sich nun die Frage, ob die Politik gewillt ist, die deutsche Landwirtschaft in ihrer Existenz zu schützen oder ob man der drohenden Entwicklung freien Lauf lassen will. Auch die zahlreichen positiven Erscheinungen, die mit der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik eingeführt werden sollen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht nur Benachteiligte gibt, die weniger verdienen werden, sondern auch Opfer, deren berufliche Existenz zerstört wird. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Bindung von Zahlungen an die Umsetzung von EUStandards, die unter dem Begriff Cross Compliance gefasst werden, genannt. Der Handlungsspielraum der deutschen Landwirte wird durch die Umsetzung auf nationaler Ebene stärker eingeschränkt als der einiger europäischer Nachbarn. Dies ist eine nicht hinnehmbare Wettbewerbsverzerrung und trägt in keiner Weise zur Stärkung der landwirtschaftlichen Unternehmen bei. Die Anstrengungen der deutschen Agrarwirtschaft in der Umsetzung der Regeln der guten fachlichen Praxis werden dabei ebenso wenig geachtet wie das Verantwortungsgefühl der Bauern für ihren Boden und ihre Produkte. Die ökologischen Vorteile dieser Reform können die wirtschaftlichen Nachteile meiner Meinung nach nicht wegradieren.

Mich würde interessieren, was die Staatsregierung langfristig unternehmen will, um die stark benachteiligten Betriebe in Sachsen vor dem wirtschaftlichen Ruin zu schützen. Es gäbe zwar verschiedene Möglichkeiten auch über die betriebsindividuellen Beträge hinaus, doch das würde dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch von der EU wegen Wettbewerbsverzerrung angemahnt werden.

Wir haben ja im eigenen Land leider immer weniger Handlungsmöglichkeiten, weil durch die politische Mitte leider die Hoheit an Brüssel abgegeben wurde und wir dafür auch noch draufzahlen dürfen. Und dann werden die EU-Beihilfen als tolle Sache verkauft. Ein Schelm, der Arges dabei denkt.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDP-Fraktion Herr Dr. Martens, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP begrüßt zunächst grundsätzlich den Antrag und die Möglichkeit, heute und hier auch über die Frage der Auswirkungen der GAP-Reform seit 01.01.2005 und in den nächsten Jahren bis einschließlich 2013 zu sprechen, so wie sie Sachsen betreffen. Lassen Sie mich Folgendes vorwegschicken: Wir begrüßen diese GAP-Reform, denn sie schafft in vielen Punkten Vereinfachungen und vor allem auch den notwendigen Wechsel in der Struktur der Landwirtschaftsförderung, wie sie sich in den letzten 40 Jahren aufgebaut hat.

Seit Einführung der Fonds im Jahre 1961, bereits beschlossen 1957, und Gründung des EAGFL 1968 ist der Anteil der Gesamtausgaben der EU für den Bereich der Landwirtschaft bis auf nahe 60 % Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre gestiegen, um dann jetzt abgesenkt werden zu können, und zwar nach 1992 zunächst einmal mit den Deckelungen in den Preisen und dann durch die Umsteuerung zu Betriebsprämien, weg von den produktbezogenen Prämien. Diese waren eine Ursache für eine hemmungslose Überproduktion, die anschließend tatsächlich dann mit strukturverzerrenden Exportsubventionen und mit einem riesigen bürokratischen Aufwand außer Landes geschafft oder gar zu hohen Preisen von der Intervention vom Markt genommen werden musste. Anschließend überlegte man, ob man sie denaturiert, das heißt vernichtet, oder ob man sie dann für extrem billiges Geld – das sind diese Dumping-Verkäufe gewesen – in großen Mengen zum Beispiel in die Dritte Welt schafft, wo sie die heimischen Agrarmärkte massiv zerstört haben. Dort, konnte man sagen, hat die EU und damit auch die deutsche Agrarpolitik tatsächlich zu Hunger in der Dritten Welt geführt. Das war ein Zustand, den wir lange schon beklagt haben.

Deswegen begrüßen wir es ganz klar, wenn jetzt von produktbezogenen Beihilfen der Umschwung kommt, und zwar weg von rein betriebsbezogenen Beihilfen zu flächenbezogenen Beihilfen und dort wiederum zu Beihilfen wie Kulturlandschaftsprämie und anderem, die nicht nur auf die Produktion, sondern tatsächlich auf die Multifunktionalität auch der Flächen abstellen und diese fördern.

Die Umstellung selber – das sehen wir so – fördert den Unternehmer. Sie macht die Landwirte weniger abhängig von Zahlungen, die sie garantiert bekommen. Auf der anderen Seite werden sie gefordert. Sie müssen sich an einem Markt bewähren und können nicht so einfach hoffen, dass sie, egal, was sie produzieren oder in welcher Struktur auch immer sie produzieren, gefördert werden.

Wir haben allerdings auch einige Punkte, wo wir sagen, damit haben wir Probleme, zum Beispiel die Frage der Cross Compliance und der damit verbundenen Bürokratie, nicht das Instrument als solches, das muss auch gesagt werden. Es macht Sinn, wenn man sagt, wir haben bestimmte Funktionen, die wir stärken wollen, in der Landwirtschaft ökologische Funktionen, und dann muss das auch eingehalten werden, wenn es dort bestimmte Qualitätsanforderungen oder Anforderungen an die Rücksichtnahme auf ökologische Belange gibt.

Frau Altmann, ich bin da nicht Ihrer Auffassung, dass man zum Beispiel bei der Erfassung der Flächenbögen sagt, wir machen eine Übergangszeit von zwei Jahren, in der dürfen ruhig einmal etliche Irrtümer vorkommen, bevor dann irgendwo Sanktionen greifen. Nein, wer Steuermittel für seinen Betrieb in Anspruch nehmen will – das sollen ja auch die Landwirte tun –, der steht dann auch in der Pflicht, ein Mindestmaß an Sorgfalt bei den Flächen walten zu lassen, die er angibt, denn wir alle wissen – siehe Herodes-Prämie, Milchviehhaltung und anderes –, welch buntes Geschehen in Landwirtschaftsbetrieben einreißen kann, wenn man nicht sorgfältig darauf achtet, dass das mit den Anträgen nicht nur sorg

fältig gemacht, sondern auch kontrolliert und dann auch sanktioniert wird.

Herr Dr. Martens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Altmann, bitte.

Herr Dr. Martens, ich weiß es einfach nicht, deshalb frage ich Sie: Wissen Sie, was ein Landwirt – viel mehr in einem Familienbetrieb als in einem großen Mehrfamilienbetrieb – den ganzen Tag um die Ohren hat und zusätzlich noch diesen ganzen bürokratischen Aufwand bewältigen muss? Ich halte so eine Übergangsfrist schon für angemessen und nicht gleich am Anfang auf alles, was dort vielleicht in den Anträgen falsch läuft, mit Sanktionen zu reagieren. Das sind meine beiden Fragen. Ich weiß, wie so etwas in einem landwirtschaftlichen Betrieb abläuft. Ich weiß es.

Zu Ihren beiden Fragen. Erstens: Der Arbeitsaufwand, der für die Beantragung von Flächenprämien zu machen ist – ich habe die Bögen und Broschüren gesehen –, grenzt schon an Wahnsinn, das muss man sagen. Das ist ein irrer Aufwand. Ich habe auch gesagt, was wir dort beklagen, ist der bürokratische Aufwand, der gemacht werden muss, wenn man sich dazu entschlossen hat. Das ist in der Tat kritikwürdig. Aber ich sage auch: Wenn wir bestimmte Anforderungen haben, dann müssen sie auch eingehalten werden, wobei natürlich die Frage ist, ab welchem Grad von nicht stimmenden Antragsbögen Sanktionen greifen. Sie kennen die Drei-Prozent-Regelung der Abweichung in der Flächenprämie, bei der noch nichts passiert. Aber bei 30 % wird es ernst und bei zweimal 30 % wird man auch gutmütigerweise sagen können, dass das kein Irrtum mehr war, sondern da sind wir ganz einfach im Bereich des § 264 StGB, des Subventionsbetruges. Man muss auch sagen, wer zwei Jahre lang hintereinander 30 % überhöhte Fragebögen abgegeben hat, der kommt nicht ungeschoren davon. Auch das ist ganz klar die Position unsererseits.

(Zuruf des Staatsministers Stanislaw Tillich)

Herr Minister, dazu kann ich sagen, es gab in der Vergangenheit – das weiß ich sehr genau – Betriebe, die in Einzelfällen bis zu 80 % falsche Anträge herausgegeben haben, und zwar im Bereich der Milchviehprämien und der Schlachtviehrinder Anfang der neunziger Jahre. Ich erinnere an die sagenhaften Exporte von so genannten Zuchtrindern mit der TZ-61-Stammkarte. Da erwischen Sie mich auf dem richtigen Fuß, darüber habe ich nämlich promoviert:

(Heiterkeit)

Die so genannte TZ 61 war die Karte für LPG-Kühe, hier für ausgesonderte Milchkühe, die als Schlachtvieh ins EU-Ausland, damals noch die Tschechische Republik, gebracht worden sind. Dort wurden Exportprämien in Anspruch genommen für den Export reinrassiger Zucht

rinder, und zwar ganz einfach, weil die an der EU-Außengrenze aus dem DDR-Zolldienst übernommenen Beamten keinen blassen Schimmer von EU-Beihilferecht hatten, die Exporterstattungsregelungen nicht kannten und auch die TZ-61-Karte der LPGs überhaupt noch nie gesehen hatten. An denen vorbei haben sie ganze Lastwagen an schlachtreifen LPG-Milchrindern über die Grenze gefahren und haben pro Rind rund 1 200 Mark Exporterstattung für reinrassige Zuchtrinder abgegriffen – und das in etlichen hundert Fällen.

(Bravo-Rufe, Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der PDS, der SPD und den GRÜNEN)

Die Akten können Sie nachschauen – hier in Dresden, um die Ecke beim Zollfahndungsamt, die haben das ganze Zeug; das müsste unten im Archiv liegen. Wenn Sie wollen, können wir gleich rüberfahren, ich kann es Ihnen zeigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der PDS, der SPD und den GRÜNEN)

Herr Martens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gerne.

So ist das richtig, jawohl, bitte, Herr Minister.

Herr Abg. Martens, geben Sie mir Recht, dass wir über die Agrarreform, die umgesetzt werden soll, im Jahr 2005 sprechen?

Richtig, ich bezog mich aber auf Ihre Zwischenfrage, in der Sie fragten, ob denn in Sachsen schon so beschissen worden ist.

(Schallende Heiterkeit und Beifall)

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Sie sind mir aber noch die Antwort schuldig geblieben, das mit Ross und Reiter zu benennen.

Sie werden mir nachsehen, dass ich die Namen und Adressen der dort Betroffenen im Moment nicht auswendig habe. Lassen Sie mich fortfahren. Wir sehen in der GAP-Reform eine große Chance. Wir sehen sie auch für die sächsischen Betriebe, die tatsächlich davon profitieren können, und zwar mehr als Betriebe in den westdeutschen Bundesländern. Wir wissen alle, dass die Durchschnittsgröße des landwirtschaftlichen Betriebes hier ein Vielfaches von dem in Baden-Württemberg beträgt: 140 zu 43 Hektar im Durchschnitt.

(Zuruf des Staatsministers Stanislaw Tillich)

143 zu 45, okay, Herr Minister, da gebe ich mich geschlagen; aber in der Relation sind wir uns einig.