Protokoll der Sitzung vom 21.01.2009

Ich rufe Punkt III auf. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist auch Punkt III nicht zugestimmt worden.

Damit muss keine Gesamtabstimmung durchgeführt werden.

Nun gibt es den Entschließungsantrag der Linksfraktion, Drucksache 4/14477. Ich bitte um Einbringung.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fasse es einfach nicht! Warum hat denn jetzt die Mehrheit des Hohen Hauses nach einer insgesamt dreieinhalbjährigen konstruktiven Arbeit einer Formulierung nicht zustimmen können, die da lautet: „Der Landtag dankt den Mitgliedern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den referierenden Gästen der Enquete-Kommission Demografischer Wandel für ihre geleistete Arbeit.“?

Das können Sie doch niemandem erklären, dass Sie sich nicht dazu herablassen konnten, diesem sachlichen und – Entschuldigung! – auch banalen Punkt zuzustimmen, nur weil er von einer Oppositionsfraktion stammt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Insofern mache ich mir jetzt wenig Hoffnung, dass Sie dem Entschließungsantrag der Linksfraktion zustimmen werden; auch wenn es sicherlich besser für Sachsen wäre, unseren Zielen Ihre Zustimmung zu geben. Dreieinhalb Jahre Arbeit in der Kommission, im Verbund mit vielen Sachverständigen, mit Expertinnen und Experten sowie mit Gastreferenten dürfen nicht folgenlos bleiben. Wir haben als Parlament einen Bericht vorgelegt, der die Konkurrenz mit dem Bericht der Staatsregierung locker aufnehmen kann. Es ist unsere Verantwortung als Politikerinnen und Politiker, der Staatsregierung die entsprechenden Handlungsoptionen mit auf den Weg zu geben; denn wir sind die Legislative.

Unserer Ansicht nach sind folgende sieben Punkte entscheidend, um den demografischen Wandel in Sachsen zu bewältigen.

Erstens. Wir brauchen eine Abkehr von der Niedriglohnstrategie, um eine Abwanderung von Fachkräften zu verhindern.

Zweitens. Wir wollen das sächsische Schulsystem an den demografischen Wandel anpassen, das heißt eben nicht, Schulen zu schließen, sondern Gemeinschaftsschulen zuzulassen und zu befördern.

Drittens. Wir wollen eine transparente und nachhaltige Haushaltspolitik. Deswegen sprechen wir uns für die Einführung eines WNA-Budgets aus.

Viertens. Wir wollen mit Regionalbudgets, mit kommunalen Investitionspauschalen und mit einer demografiefesten Finanzierung der sächsischen Kommunen dafür sorgen, dass ländliche Regionen in Sachsen eine Perspektive erhalten.

Fünftens. Wir wollen die Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung – weg vom Straßenbau hin zur Innovationsförderung – verschieben.

Sechstens. Wir wollen das sächsische Gesundheitswesen durch Vernetzung und Verzahnung von stationären und ambulanten Angeboten an den demografischen Wandel, an die Anforderungen einer alternden Gesellschaft anpassen.

Siebentens. Wir wollen eine zukunftsfeste Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme.

Meine Damen und Herren! Diese politischen Weichenstellungen sind aus unserer Sicht notwendig, um die Folgen des demografischen Wandels handhabbar zu machen und den demografischen Wandel gestalten zu können.

Ich bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Gibt es dazu Diskussionsbedarf? – Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Linksfraktion, Drucksache 4/14477. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist der Entschließungsantrag abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren! Da wir zu diesem Tagesordnungspunkt nichts weiter zu beschließen haben und die Debatte abgeschlossen ist, kann ich nur hoffen, dass uns dieser Bericht der Enquete-Kommission in den nächsten Jahren als Erkenntnisrahmen für zukünftiges politisches Handeln in diesem Haus leiten wird.

Ich beende den Tagesordnungspunkt 1. Wir treten an dieser Stelle in die Mittagspause ein und treffen uns 13:20 Uhr wieder.

(Unterbrechung von 12:27 bis 13:21 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 2

2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Sicherung der kostenfreien Mittagsversorgung in sächsischen Kindertageseinrichtungen und Schulen (Sächsisches Mittagsversorgungsgesetz – SächsMittagVersG)

Drucksache 4/12531, Gesetzentwurf der Linksfraktion

Drucksache 4/14312, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Es beginnt die Linksfraktion und danach die gewohnte Reihenfolge. Ich erteile der Linksfraktion das Wort; Herr Abg. Neubert, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum 1. Januar dieses Jahres trat in Rheinland-Pfalz eine Vereinbarung zwischen der Landesregierung, dem Landkreistag und dem Städtetag in Kraft. Inhalt dieser Vereinbarung ist ein gemeinsam aufgelegter Sozialfonds der benannten Partner, aus welchem das Mittagessen in der Kindertagesstätte für Kinder aus sozial schwachen Familien bezahlt wird. Seit 2006 ist diese finanzielle Unterstützung und damit die Ermöglichung eines kostenfreien Mittagessens wenigstens für die Bedürftigen in Ganztagsschulen des Landes Rheinland-Pfalz bereits Realität.

Sehr geehrte Damen und Herren! Als wir hier im Landtag als Linke vor drei Jahren erstmals die Notwendigkeit betont und die Forderung aufgestellt haben, Kindern aus armen Familien den kostenfreien Zugang zu einem Mittagessen zu garantieren, gab es heftige Diskussionen. Man kann auch sagen, der Aufschrei war groß. Eine solche Forderung unserer Fraktion hier im Haus wurde weit von sich gewiesen.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle Ihre vorgebrachten Argumente von damals nicht ersparen. Es wurde die Gefahr heraufbeschworen, dass eine solche Unterstützungsleistung des Staates angeblich vom Regelsatz abgezogen werden müsste. Das ist eine Meinung, die auch heute hin und wieder kursiert. Der Vertreter des Landkreistages hat sich in der Anhörung des Sozialausschusses zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wieder zu einer solchen Bemerkung hinreißen lassen. Denjenigen, die so argumentieren, sei vorab gesagt, dass es inzwischen eine Reihe von Sozialgerichtsurteilen gibt, die sich gegen diese Zwangsläufigkeit wenden.

Ein Mittagessen in der Schule ist eben keine geldwerte Leistung an die Eltern, genauso wenig, wie eine Unterrichtsstunde eine geldwerte Leistung ist. Aus diesem Grund verbietet sich eine Gegenrechnung. Das gilt umso mehr, als unser Gesetzentwurf eben nicht nur ein Mittagessen für Bedürftige vorschlägt, sondern eines für jede Schülerin und jeden Schüler, für jedes Kind in der Kita.

Ich erinnere mich an den Vertreter des Kinderschutzbundes, der in der ersten Anhörung im Ausschuss fast resignierend feststellte, dass es leider zu viele Leute in Deutschland gibt, die, anstatt etwas gegen Kinderarmut zu tun, lieber ihren Grips darauf verwenden nachzuweisen, warum es juristisch angeblich nicht geht. Das ist schon ein paar Monate her. Jetzt leben wir in einer Zeit, in der noch ganz andere Dinge gehen, wenn man es politisch nur will.

Wie absurd die vorgeschobene Debatte war, sieht man allein schon an den Zahlen. Was soll man denn von den im Regelsatz für Kinder vorgesehenen 2,59 Euro für Nahrungsmittel und Getränke bei der Gewährung eines kostenlosen Mittagessens abziehen? Die vollen Kosten von durchschnittlich 2 Euro pro Mittagessen? Das ist beileibe nicht der höchste tatsächlich zu zahlende Essensbeitrag. Es würden noch 59 Cent pro Tag übrig bleiben für Frühstück, Abendessen und all das, was ein Kind zwischendurch isst oder trinkt. Vielleicht machen die Zahlen auch deutlich, wie dringend ein solches kostenloses Mittagessen aus der sozialpolitischen Perspektive ist.

Die Leiterin der Dresdner Tafel verwies darauf, dass 25 % ihrer „Kunden“ Kinder sind. Diese Kinder gehen regelmäßig zur Dresdner Tafel, weil sie Unterstützung brauchen, um eine ausreichende Ernährung zu erhalten. Die Prozentzahlen der von Armut betroffenen Kinder in Sachsen liegen nach unterschiedlichen Studien zwischen 25 % und einem Drittel. Sehr geehrte Damen und Herren, das ist eines solch reichen Landes wie Deutschland unwürdig!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Universität Bonn hat vor reichlich einem Jahr in einer umfangreichen Studie dargestellt, dass der Regelsatz für Kinder und Jugendliche nicht einmal dafür ausreicht, eine ausgewogene Ernährung beim Discounter sicherzustellen. – So weit ein paar Eckdaten innerhalb der politischen Diskussion um die Frage der Gegenrechnung von Essengeldzuschüssen gegen den Regelsatz von Hartz IV.

Letztlich ist eine solche Argumentation am Praxistest gescheitert. Weder den Kindern, die in Boxberg in den Genuss eines kostenfreien Mittagessens gelangen, noch den Kindern, die in den verschiedensten sächsischen Kommunen Teilzuschüsse zum Mittagessen erhalten,

wurde Geld vom Regelsatz abgezogen. Auch der Praxistest aus Rheinland-Pfalz zeigt, dass eine solche Argumentation nur von den realen Problemlagen ablenken will.

Gegen den heute vorliegenden und zu diskutierenden Gesetzentwurf können solche Argumente sowieso nicht mehr vorgebracht werden. Im heute vorliegenden Gesetzentwurf ist das kostenfreie Mittagessen konzeptionell in den Bildungsanspruch von Kitas und Schulen integriert. Damit ist das kostenlose Mittagessen Bestandteil des pädagogischen Konzeptes, eine Selbstverständlichkeit wie in vielen westeuropäischen Ländern.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das zweite Argument gegen unseren damaligen Gesetzentwurf war die drohende Gefahr der Stigmatisierung der sozial schwachen Kinder und Jugendlichen, wenn sie ein kostenloses Mittagessen erhalten. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das Argument immer noch für den absoluten Tiefpunkt abgehobener und weltfremder Politik halte.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich hatte schon damals gesagt, dass arme Kinder vielfältig stigmatisiert und diskriminiert werden durch ihre Kleidung, ihr geringes Taschengeld oder die Nichtteilnahme an kostenpflichtiger Freizeitgestaltung, nicht aber dadurch, dass sie ein kostenloses Mittagessen erhalten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau GüntherSchmidt, bitte.

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der Vorwurf der Stigmatisierung auch vom Deutschen Kinderschutzbund ins Feld geführt wurde, und teilen Sie meine Einschätzung, dass man Argumente des Kinderschutzbundes durchaus ernst nehmen sollte?

Selbstverständlich sollte man jedes Argument ernst nehmen. Aber man kann es auch bewerten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Aber auch dieses Argument, Frau Kollegin, so abwegig ich es finde, können Sie heute nicht mehr vorbringen. Übrigens steht die Frage, inwieweit man es sich in der politischen Debatte hier im Hause zu eigen macht, denn dieses Statement des Kinderschutzbundes entstand aus einer ziemlich spezifischen Diskussion.