Protokoll der Sitzung vom 11.03.2005

Zum Ersten muss es aus meiner Sicht um eine grundsätzliche Entscheidung zugunsten der Freiheit und der eigenverantwortlichen Gestaltung durch die Menschen gehen. Wenn wir da zum Beispiel diese heillose Diskussion um ein Antidiskriminierungsgesetz erleben, dann wissen wir, dass das natürlich genau auf Gegenkurs ist. Damit werden wir die Tagesordnung nicht bewältigen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir dürfen – zweitens – vorläufige Lösungen nicht endgültige nennen. Man könnte es auch anders formulieren: Wir dürfen nicht trippeln, sondern wir müssen mutige Schritte gehen. Schauen Sie einmal im Internet unter der Rubrik „Agenda 2010“ nach. Da kommen Sie relativ schnell auch zu der Frage der Rentenversicherung. Dort gibt es eine Zeile, die man anklicken kann: „Reformen sorgen für stabile Rentenbeiträge“. Wenn man dort klickt, klickt man seit Tagen ins Leere. Das scheint mir symptomatisch zu sein. Ich habe sogar die Befürchtung, dass, wenn wir bei „Gesundheitssituationen, Situationen der Krankenkassen“ auf „Die Beiträge sinken“ klicken, demnächst der Link möglicherweise auch verschwunden sein wird. Hier wird deutlich, dass wir vorläufige Schritte und vorläufige Ergebnisse nicht als die endgültigen Lösungen betrachten können.

Mir ginge es dabei noch dringlich darum, Ursache und Wirkungsbeziehungen deutlicher zu analysieren und Lösungen zu implementieren, die dem Rechnung tragen. Da ist zum Beispiel die Lösung „Renten finanziert aus der Mineralölsteuer“ und sicher vieles andere sehr fragwürdig.

Ein weiterer Punkt ist, dass wir gute Lösungsansätze nicht in Bürokratie ersticken dürfen. Das Antidiskriminierungsgesetz habe ich genannt. Ein anderes Beispiel will ich an dieser Stelle noch anführen.

Bei den Mini-Jobs, die Sie so verschrien haben, verehrte Kollegin von der PDS, hat sich ja wirklich etwas bewegt.

(Katja Kipping, PDS: Nach unten!)

Wenn man über das Haushaltscheckverfahren mit einer A4-Seite Formular gegenüber der Bundesknappschaft so ein Arbeitsverhältnis quasi legitimieren kann, ist das ein minimaler Aufwand für denjenigen, der davon Gebrauch macht. Dann halte ich das für eine gute und richtige Lösung. Wenn aber die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber, die im Haushalt geholfen bekommen wollen, ein paar Wochen später vom Arbeitsamt ein Paket von Formularen bekommt, die auszufüllen sind, und ein Abgleich mit der Arbeitsverwaltung durchzuführen ist, wozu man quasi ein Personalbüro brauchte, um es wirklich mit Sachkenntnis und sinnvoll ausfüllen zu können, dann ist das Ziel wohl sicher nicht erreicht. Also bitte nicht in Bürokratie ersticken!

Bitte zum Schluss kommen.

Dann bitte ich darum, keine Scheinantworten und Scheinlösungen für komplexe Probleme zu bringen.

Bitte zum Schluss kommen!

Wenn wir auf die Frage „Pisa“ und auf die Zukunft der Menschen mit Ganztagsschulen antworten, dann sind wir nicht auf der richtigen Strecke.

(Beifall bei der CDU)

Allein am Zeitverlauf merken wir, dass dieses Thema in fünf Minuten hier nicht erschöpfend zu behandeln ist.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Prof. Weiss, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich komme heute nicht umhin, ein paar eindringliche Worte speziell an die Initiatoren dieser Aktuellen Debatte, an die PDS, zu richten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der größten Oppositionsfraktion! Sie werden mir hoffentlich zustimmen, wenn ich für mich in Anspruch nehme, kein blindwütiger Feind Ihrer Partei zu sein. Dazu habe ich viel zu viel Respekt vor der Meinung Andersdenkender und dazu habe ich in meinem Leben einfach zu viel gesehen und erlebt, um die Mitglieder einer so bunten Truppe wie der Ihren einfach zu etikettieren und in eine Schublade zu stecken.

Natürlich – da sind wir uns einig – muss eine Oppositionspartei Opposition machen, den Finger in die Wun

den legen. Sie muss aber auch besonders dann, wenn sie so viele Wählerstimmen wie die PDS auf sich vereint, konkrete und realistische Konzepte erstellen,

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Richtig!)

anstatt immer nur darauf zu setzen, die Volksseele am Kochen zu halten.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Agenda Sozial, Herr Weiss! – Beifall bei der PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS! Spätestens seit dem vergangenen Sommer müssten Sie doch eigentlich wissen, dass die Saat eines billigen Populismus an ganz anderer Stelle aufgeht, als Sie es gedacht haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von der PDS)

Die PDS trägt in zwei Bundesländern Regierungsverantwortung mit, besetzt in Sachsen Oberbürgermeister- und Bürgermeisterposten. Sie sind doch eigentlich viel zu erfahren, um die Realität einfach zu ignorieren.

(Zuruf von der PDS)

Erstens. Realität ist, dass wir uns nun einmal im Zeitalter der Globalisierung befinden, einem Prozess, dem man sich nur entziehen kann, indem man eine Mauer um das Land zieht. Dass wir das schon einmal hatten und es am Ende, wie wir alle wissen, auch nichts genützt hat, zeigt uns, dass wir nicht umhin kommen, uns den neuen Herausforderungen zu stellen, das Zusammenwachsen der Staaten unserer Erde zu einem einzigen Wirtschaftsund Lebensraum als Ganzes zu begreifen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Realität ist zweitens auch, dass der Tanker Deutschland sich nicht nur im schweren Fahrwasser der Globalisierung befindet, sondern zusätzlich noch die Folgen der deutschen Teilung überwinden muss. Bei allen Mühen der Ebene und bei aller gelegentlichen Unzufriedenheit – ich glaube, wir sind auf diesem Wege in reichlich 14 Jahren bereits weiter fortgeschritten als unsere italienischen Freunde in den reichlich 140 Jahren seit Garibaldi.

Realität ist schließlich, dass wir uns den Folgen des demokratischen Wandels in unserem Land zu stellen haben. Wenn immer mehr Leistungsempfänger immer weniger Beitragszahlern gegenüberstehen, kann das nicht ohne Folgen bleiben. Das Maßnahmenpaket „Agenda 2010 – soziale Gerechtigkeit, Wachstum und Innovation“ der rot-grünen Bundesregierung stellt sich diesen Fragen. Die Agenda 2010 war auch deswegen überfällig, weil viele längst offenkundige Probleme zu lange ausgesessen wurden. Ich persönlich finde es gar nicht so schlecht, dass jetzt eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung die Verantwortung für die Erneuerung unseres Landes übernimmt. Denn, meine Damen und Herren, Gerhard Schröder ist eben nicht Margaret Thatcher.

Wir Sozialdemokraten wollen den Sozialstaat nicht abschaffen, wie uns dauernd unterstellt wird – vor allen Dingen von Ihnen –, wir wollen ihn dauerhaft sichern.

(Beifall bei der SPD – Dr. Cornelia Ernst, PDS: Aber wie?)

Sie können ja zuhören.

Dazu muss zunächst die Einnahmenseite, die wirtschaftliche Basis also, gestärkt werden. Einer aktuellen Erhebung zufolge ist Deutschland der einzige G7-Staat, der seinen Exportanteil am Weltmarkt steigern konnte. Wenn wir diesen Trend verstetigen wollen, müssen wir noch mehr investieren, insbesondere in Bildung und Forschung.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Und wann schlägt es durch?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Fraktion, das Problem Ihrer Herangehensweise besteht darin, dass Sie genau an der Stelle weitermachen wollen, an der die DDR wirtschaftlich zusammengebrochen ist.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sie wissen doch besser, dass es anders ist.)

Sie wollen Geld verteilen, das gar nicht da ist.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Nein, wir wollen Arbeitsplätze als Export verhindern!)

Wenn die von mir ansonsten sehr geschätzte Frau Kollegin Kipping als stellvertretende Parteivorsitzende die Einführung eines garantierten Grundeinkommens in Höhe von 1 000 Euro für jeden Bürger fordert,

(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll, PDS)

dann ist das zwar eine wunderschöne Utopie, aber sie hat nicht das Geringste mit der Wirklichkeit zu tun.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Widerspruch bei der PDS – Katja Kipping, PDS, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Fraktion, wenn Sie, woran ich gerne glauben würde, Demokraten sind, dann dürfen Sie nicht auf das Scheitern der Agenda 2010 hoffen. Um politisch stabil zu bleiben, muss Deutschland sozial bleiben. Um sozial bleiben zu können, muss unser Land konkurrenzfähig sein.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gerne.

Herr Weiss, Sie haben das Konzept des Grundeinkommens angesprochen. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Fragen stellen. 1. Ist Ihnen bekannt, dass es sich bei diesem Konzept um eine sehr langfristige Vorstellung handelt, die nicht

von heute auf morgen durchzuführen ist, was auch niemand von uns behauptet hat?

2. Ist Ihnen bekannt, dass sich vor zwei Jahren in Berlin ein bundesweites Netzwerk „Grundeinkommen“ gegründet hat, an dem nicht nur die PDS beteiligt ist, sondern auch die Katholische Arbeitnehmerbewegung, viele Wissenschaftler, Professoren, Mitglieder der GRÜNEN, Mitglieder der Erwerbsloseninitiativen, die sagen, dass das ein Konzept ist, für das es sich langfristig lohnt zu streiten?

Vielen Dank, beides wusste ich. Natürlich habe ich mich mit Ihrem Konzept auch beschäftigt. Entschuldigung – das könnte man gern als Vision vor sich hertragen, aber es ist unrealistisch, das zur Tagespolitik zu machen. Und genau das tun Sie.