Protokoll der Sitzung vom 22.06.2005

Drucksache 4/1841, Antrag der Fraktion der PDS

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge: PDS, CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich bitte die PDS-Fraktion, das Wort zu nehmen. Bitte schön, Herr Dr. Pellmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es in der Tat bei dem im Antrag angesprochenen Thema mit einer wichtigen Problematik zu tun, die viele Menschen im Freistaat Sachsen unmittelbar betrifft. Wir konnten deshalb auch nicht auf eine schriftliche Stellungnahme der Staatsregierung warten – auf die ich mich demzufolge dann auch nicht beziehen kann –, sondern aus unserer Sicht ist die Angelegenheit in der Tat dringlich; denn seit Wochen erhalten Tausende von Beziehern von Arbeitslosengeld II in ihrem Bescheid einen Zusatz, in dem sie nicht etwa, wie vielleicht verkürzt behauptet werden könnte, zu Umzügen genötigt oder aufgefordert werden, nein, die Amtssprache ist hier etwas vorsichtiger, sondern betont lediglich, dass die Betroffenen ihre Miete mindern möchten. Dann gibt es dafür noch Vorschläge. Man solle also möglicherweise mit dem Vermieter verhandeln oder solle einen Untermieter mit hineinnehmen oder, oder, oder.

(Dr. André Hahn, PDS: Die gehören dann zur Bedarfsgemeinschaft!)

Das heißt im Klartext, dass damit die Ankündigung ergeht, dass in einigen Städten und Kreisen bereits ab 1. Juli, in anderen etwas später, die ARGE oder die entsprechenden Ämter in den optierenden Kreisen nicht mehr die vollen Kosten für Unterkunft und Heizung übernehmen.

In Sachsen haben wir bis heute – vielleicht kann Frau Ministerin uns dann etwas weiterhelfen – keine genauen Angaben darüber, wie viele es denn betrifft, die eine solche Ankündigung erhalten haben. Unsere vorsichtigen Erfahrungen, die uns aus Kreisen erreichen, zeigen, es gibt Kreise – das ist beileibe nicht der Durchschnitt, da

mit wir uns nicht falsch verstehen –, in denen es bis zu 20 % der Empfänger von Arbeitslosengeld II betreffen könnte. Dass das, meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich die Betroffenen in hohem Maße verunsichert und auch möglicherweise zu großer Sorge treibt, lässt sich sicher verstehen.

Es ist auch eines deutlich geworden: Vor Jahresfrist hatten wir noch Großanzeigen – sie waren meist in gelbem Ton gehalten, ich weiß nicht warum – von der Bundesregierung, in denen offensichtlich auch gegen unsere Befürchtungen, die wir öffentlich geäußert haben, den Betroffenen mitgeteilt wurde, es müsse niemand durch Hartz IV umziehen. Solche Anzeigen sind natürlich inzwischen verschwunden, mehr noch – ich hatte das heute Vormittag schon gesagt –: Die Bundesregierung ist an Hartz IV gescheitert und sie muss jetzt sozusagen dem Land eine Situation auferlegen, aus der man entnehmen kann, sie ist eigentlich nicht mehr handlungsfähig.

Deshalb kommt den Ländern in dieser Krisensituation eine höhere Verantwortung zu, zumal sich auch der Freistaat Sachsen diese Verantwortung durch seine Zustimmung zu Hartz IV redlich verdient hat. Deswegen sollten wir gemeinsam – das betone ich hier ausdrücklich und sage dann noch im weiteren Verlauf der Debatte, wie ich mir das vorstelle – deutlich machen: Wie können wir diesen betroffenen Menschen helfen, damit wir sie aus der Sorge entlassen, dass sie ihre Wohnung verlassen müssen?

Zum Ersten: Wir beantragen die Einberufung des zuständigen Landesbeirates, damit dieser Empfehlungen ausarbeiten und vorlegen kann, selbstverständlich auf der Basis von weiter zusammenzutragenden Daten, wie das Problem zu lösen sein könnte.

Wir meinen – auch in Ansehung des heute verabschiedeten Gesetzes –, die Kommunen brauchen mehr Mittel, um der drohenden Gefahr von Umzügen begegnen zu können. Ich sage Ihnen: Während bis heute zum Teil behauptet wird, dass Kommunen ja nicht schlechter gestellt seien als vorher, rechnet meine Heimatstadt Leipzig –

das ist eine offizielle Rechnung – mit 16 Millionen Euro Verlust, die in diesem Jahr auflaufen werden. Ich persönlich halte diese Zahl für zu gering bemessen.

Selbst die Landeshauptstadt Dresden, der es ja bekanntermaßen aufgrund vieler Zusammenhänge recht gut geht, meint, dass sie mindestens zehn Millionen Euro für die Kosten von Unterkunft und Heizung in diesem Jahr mehr brauchen würde, als man durch die Weiterleitung der entsprechenden Mittel erhält.

Deswegen regen wir an, dass es zumindest bis zum Ende dieses Jahres eine Art Moratorium geben möge, das besagt, dass niemand in dieser Zeit umziehen soll. Wir hätten damit Zeit gewonnen, das Gesetz so zu novellieren, dass wir den Betroffenen wirklich Hilfestellung geben können.

(Beifall bei der PDS)

Ein Riesenproblem – ich habe das an dieser Stelle schon mehrfach angesprochen – sind die Selbstnutzer ihres Wohneigentums. Das ist einer der schlimmsten handwerklichen Fehler dieses Gesetzes. Wir haben die Situation, dass es ein Gesetz für Mieter ist und die Eigenheimbesitzer nicht ausreichend berücksichtigt werden. So frage ich: Wie sollen die Hausbesitzer beispielsweise Maßnahmen der Werterhaltung finanzieren? In den bisherigen Bescheiden ist kein Euro für diese Dinge vorgesehen. Gesetzeskommentare, die uns vorliegen, machen deutlich, dass mindestens 50 Euro pro Monat dafür in Anwendung kommen müssten. Deswegen habe ich das Moratorium angesprochen. Wir fordern die Staatsregierung auf, eine Gesetzesnovellierung vorzunehmen.

Als Letztes möchte ich deutlich machen, damit keine falschen Eindrücke entstehen, dass es wohl niemanden in diesem Hause gibt, weder auf der Bank der Staatsregierung noch im Saal, der sich diese Zwangsumzüge wünschen würde. Wir wollen sie verhindern. Ich sage das ganz ausdrücklich. Deswegen betone ich in Anlehnung an bestimmte Zeitungsmeldungen: Wir verbreiten keine Horrorszenarien, sondern wir richten unsere Forderungen an der Realität aus, die wir täglich erfahren, wenn Bürgerinnen und Bürger bei uns Rat suchen. Deswegen brauchen wir eine Einzelfallprüfung, die die Staatsregierung, denke ich, zusagen kann, in jedem Fall. Es kann nicht sein, dass vorschnell Menschen aus ihren Wohnungen ausziehen müssen, obwohl man das verhindern könnte.

Ich werde im Laufe der Debatte noch etwas dazu sagen, wie wir mit dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion, für den ich mich an der Stelle schon herzlich bedanken möchte, umgehen könnten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Herr Prof. Schneider spricht für die Koalition.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion will mit ihrem Antrag ein Tätigwerden der Staatsregierung dahin gehend erreichen, dass massenhafte Zwangsumzüge in Sachsen als Folge der Hartz-IV-Gesetzgebung nicht erfol

gen werden. Eines vorab, und da stimme ich Ihnen, Herr Dr. Pellmann, diesmal zu: Weder die CDU-Fraktion noch die Koalition wollen etwas anderes. Niemandem kann daran gelegen sein, dass es zu massenhaften Zwangsumzügen kommen wird. An dieser Zielsetzung halten die CDU-Fraktion und die Koalition fest. Anders als der PDS-Fraktion geht es uns aber darum, gerade bei der Bewältigung der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zu einem einheitlichen Leistungssystem Politik sachgerecht und mit Verantwortung zu machen. Das ist der Unterschied zu der Panikmache, die in Ihrem Antrag, aber auch in dem Änderungsantrag, auf den ich ebenfalls kurz eingehen will, zum Ausdruck kommt.

Zu den im Antrag behaupteten „zwangsweisen Wohnungswechseln in Tausenden von Einzelfällen“ wird es nicht kommen, und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens. Ganz unabhängig davon, dass Betroffene einen Hinweis darauf erhalten haben – und nur darum geht es –, dass ihre Aufwendungen für Unterkunft unangemessen hoch seien, kann daraus für sich genommen überhaupt nicht der Schluss auf die Notwendigkeit eines Umzugs gezogen werden, weder rechtlich noch, wie von Ihnen behauptet, faktisch.

Zweitens. Entscheidungen über Hartz-IV-Angelegenheiten erschöpfen sich nicht im Vorhandensein von abstrakten, generellen Regelungen. Vielmehr ist jede Entscheidung eine Einzelfallentscheidung. Sie, Herr Pellmann, haben eben darauf hingewiesen. Die Landesregierung ist der falsche Adressat. Jede Entscheidung ist eine vor Ort getroffene Einzelfallentscheidung. Gerade hier wird unser Ansatz deutlich. Sie dürfen davon ausgehen, dass jeder Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung vor Ort unterzogen wird.

Sie dürfen davon ausgehen, dass Einzelfälle auf der Grundlage von vor Ort getroffenen Regelungen wesentlich besser zu beurteilen sind als von einer zentral gesteuerten Stelle. Ich sage Ihnen, die CDU-Fraktion und die Koalition haben Vertrauen in das Verwaltungshandeln unserer kommunalen Stellen. Wir haben Vertrauen in das rechtsaufsichtliche Handeln unserer Staatsregierung. Deshalb ist es folgerichtig, dass wir die Anträge ablehnen werden, soweit sie sich auf staatliche Steuerung in solchen Angelegenheiten beziehen, die von den örtlichen Trägern in eigener Verantwortung tatsächlich übernommen werden können. Dazu gehört insbesondere die Wohnungsfürsorge. Sie muss daher auf dieser Ebene wahrgenommen werden, nicht aber von staatlichen Stellen oder Institutionen. Einzelfallgerechtigkeit lässt sich tatsächlich nur vor Ort für die Menschen regeln.

Drittens. Beide Anträge betreffen im Übrigen seit geraumer Zeit in diesem Hause behandelte Fragestellungen, so etwa in den Punkten I.3 oder I.4 des FDP-Antrages, Herr Zastrow. Dazu stehen entweder Antworten der Staatsregierung aus oder solche Antworten liegen bereits vor. Diese Anträge machen keinen Sinn. Mit Aktionismus ist niemandem geholfen. Ich nenne als Beispiel die Drucksache 4/1791, die Herr Kollege Gerlach von der SPDFraktion eingebracht hat. Dort geht es um eine Anfrage, wie viele Umzüge in Sachsen davon betroffen sind. Die Antwort wird wohl demnächst kommen. Ich nenne drei weitere Drucksachennummern zu Unterkunftskosten.

Hier liegen doch Antworten vor! Haben Sie die nicht zur Kenntnis genommen?

Viertens zur finanziellen Seite Ihres Antrages. Der Freistaat reicht die Wohngeldentlastung in vollem Umfang an die kommunalen Träger weiter. Dazu nehme ich auf die heutige Debatte zu Tagesordnungspunkt 2 Bezug. Wir haben deutlich gemacht, dass die finanzielle Entlastung vom Freistaat auf die kommunalen Träger vollständig weitergereicht wird. Ich weise darüber hinaus noch einmal auf die Sonderbedarfsergänzungszuweisungen hin, die ebenfalls zu einer adäquaten, vollständigen Entlastung der Kommunen in diesem Zusammenhang führen.

Fünftens. Soweit Sie zu Eigenheimbesitzern Stellung nehmen, will ich nur eines fragen: Ist Ihnen bekannt, dass es bei Eigenheimbesitzern beispielsweise zu einer teilweisen oder größeren Übernahme von Zinsen kommen kann? Wenn Sie in Ihrer Rede ausgeführt haben, dass die Bescheide diesbezüglich nichts vorsehen, kann ich nur sagen: Wenn es so wäre, wie Sie behaupten, müssten solche Bescheide rechtswidrig sein, soweit es um Eigenheimbesitzer geht.

(Dr. Dietmar Pellmann, PDS: Eben!)

Dann müssen Sie sich, Herr Pellmann, sagen lassen: Das kann nicht die Staatsregierung regeln, sondern das ist eine Frage, die sich in einem rechtlichen Prüfungsverfahren regeln lässt.

Meine Damen und Herren, sowohl der Antrag der PDSFraktion als auch beide Änderungsanträge malen in Wahrheit Schreckensszenarien an die Wand, nicht mehr und nicht weniger. Ich will nicht abstreiten, dass die Betroffenen in Einzelfällen vor möglicherweise schwierigen Fragestellungen stehen, soweit es um Aufwendungen für Wohnraum geht, aber zu den von Ihnen behaupteten massenhaften Umzügen kommt es nicht. Weder im Landtagswahlkampf 2004 ist es dazu gekommen, noch kommt es in Zukunft dazu.

Im Übrigen fehlen Ihnen, Herr Pellmann, zu solchen Behauptungen, wie sie in dem von Ihnen gestellten Antrag enthalten sind, jegliche Daten. Solche Daten existieren nicht. Daher erübrigen sich auch diesbezüglich gestellte Anträge.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Danke schön. – Ich rufe die NPD-Fraktion. Herr Apfel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben der Tagesordnung sicherlich entnommen, dass meine Fraktion für diese Plenarwoche ebenfalls einen Antrag zum Thema der mit Hartz IV verbundenen Zwangsumzüge gestellt hat. Wir hätten diesen Antrag, der zudem eher eingereicht worden ist, der Einfachheit halber gern mit dem heute zur Debatte stehenden PDS-Antrag zusammengezogen. Das wiederum wollte die PDS aus ihrer bekannten, vermeintlich antifaschistischen Abgrenzungsdoktrin heraus nicht. So müssen wir eben zweimal darüber diskutieren.

Da wir morgen alles, was wir zur Sache zu sagen haben, bei der Einbringung unseres eigenen Antrages sagen werden, will ich die Zeit nutzen, um einige Worte zum Antifaschismus der PDS zu sagen, dessen Kennzeichen seine völlige Unglaubwürdigkeit ist.

Da stellt sich in Chemnitz Oskar Lafontaine, der neue Spitzengenosse der PDS, hin und redet exakt so, wie auch ein NPD-Redner zu diesem Thema gesprochen hätte – vielleicht mit der Ausnahme, dass Lafontaine den NS-Ausdruck „Fremdarbeiter“ gebraucht hat, während wir Nationaldemokraten immer neutraler von „Billiglohnarbeitern“ geredet haben. Herr Pellmann, wir haben nichts dagegen, wenn Sie oder Ihre Genossen uns kopieren, auch wenn es beim nächsten Mal nicht so plump sein muss.

(Dr. Dietmar Pellmann, PDS: Was hat das mit dem Thema zu tun?)

Wir haben auch schon beim Thema Landesbank gesagt, dass nicht überall „NPD“ draufstehen muss, wo NPD drin ist, und es ist schön, wenn Politiker wie Lafontaine Themen aufgreifen, die in dieser Gesellschaft der selbsternannten Gutmenschen verpönt sind. Dies trägt zur Enttabuisierung von Themenkomplexen bei, über die wir heute in der Tat sprechen müssen.

(Zurufe von der PDS: Thema!)

Ich erinnere Sie das nächste Mal daran, zum Thema zu sprechen, wenn Sie wieder einmal meinen, Ihre antifaschistische Keule gegen die NPD schlagen zu müssen, wenn es nicht zur Sache passt.

Aber, Herr Apfel, jetzt kommen Sie bitte zur Debattenüberschrift!

Seien Sie sicher: Rechts blinken und links abbiegen, das nimmt Ihnen kein Wähler ab, sondern das führt zur Verunsicherung jener, die bisher tagtäglich mit multikulturalistischen Phrasen aus Ihrem Mund gefüttert wurden. Ihre Rechnung wird nicht aufgehen. Zum Wahltag werden Sie uns wie im letzten Jahr die Arbeit erleichtern. Am Ende entscheidet sich der Wähler lieber für das Original als für eine billige Kopie!

(Unruhe bei der PDS)

Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Antrag kann ich Ihnen nur empfehlen, aufzuhören mit Ihrem faulen, vermeintlich antifaschistischen Abgrenzungszauber, den Sie mit dem Antragssplitting zu den Zwangsumzügen hier vorexerzieren wollen. Das glaubt Ihnen nämlich längst kein Mensch mehr.