Zweitens muss man genauer hinschauen, wenn man diese Lücke bewerten will. Was versteckt sich hinter der Zahl von 45 000 Bewerbern? Nur 52 % der Bewerber sind Schulabgänger, die in diesem Jahr die Schule verlassen. Über 21 000 junge Leute, also fast die Hälfte, gehören zur Gruppe der so genannten Altbewerber. Hier liegt das Problem: Wie gelingt es der Wirtschaft, gemeinsam
Meine Damen und Herren! Wenn man an die Problemlösung herangeht, stellen sich folgende Fragen: Was kann man tun? Was ist zu tun? Was sind die Voraussetzungen, um das Problem noch besser und noch schneller lösen zu können, als es bisher gelungen ist?
Zunächst einmal müssen die jungen Menschen ausbildungsfähig sein. Wenn man eine ausreichende Zahl von Betrieben besucht und mit den Geschäftsführern gesprochen hat, weiß man, welche schulischen Voraussetzungen viele junge Menschen mitbringen und wie Bewerbungsrunden dementsprechend ablaufen. Man muss den jungen Leuten immer wieder deutlich sagen: Zur Ausbildungsfähigkeit gehören gute schulische Ergebnisse.
Die Bewerber müssen ferner ausbildungswillig sein. In diesem Zusammenhang gibt es eine Reihe von Problemen, die aus den Unternehmen immer wieder an uns herangetragen werden. Es geht um die Einstellung zur Ausbildung, zum Lernen generell. Hier muss es möglich sein, dass Schule, Elternhaus und natürlich auch die Unternehmen gemeinsam den jungen Leuten klar machen, dass es nur einen Weg gibt, um zu einer vernünftigen Ausbildung zu kommen: gute Ergebnisse und den Willen, etwas lernen zu wollen.
Herr Lämmel, worauf führen Sie die unzureichenden fachlichen und sozialen Kompetenzen der angehenden Lehrlinge zurück?
Das ist natürlich eine gute Frage, die Sie da stellen, die sich aber auch nicht so sehr in kurzen Worten beantworten lässt. Es ist eine Vielzahl von Gründen, die hier eine Rolle spielt. Das ist zum einen, dass die Schule für viele nicht mehr so im Vordergrund steht. Wenn ich an meine Kinder zurückdenke, habe ich mich manchmal gefragt, was sie in der Schule eigentlich noch lernen oder wozu sie angehalten werden. Es ist auch so, dass durch die Öffentlichkeit – ich schaue einmal auf die linken Bänke – den jungen Leuten immer wieder eingeredet wird: Ihr habt sowieso keine Chance! Wenn man junge Leute dermaßen demotiviert, muss man sich auch fragen, welche Motivation zu wirklich guten Leistungen führen soll. Es muss ganz einfach realistisch darüber gesprochen werden, wie die Situation in unserem Lande ist. Ich kann nur sagen, unsere Fraktion und die Koalitionsregierung sind immer bereit, ein realistisches Bild zu zeichnen. Das erwarten wir auch ganz einfach von Ihnen.
Ich gehe weiter. Es wird aber immer lernschwache Schüler in der Schule geben. Auch diesen jungen Leuten muss die Möglichkeit einer Ausbildung geboten werden. Deswegen brauchen wir Teilabschlüsse, brauchen wir theoriereduzierte Berufe; denn wenn ein junger Mann
oder eine junge Frau in der Schule nicht so gut sind, heißt das noch lange nicht, dass sie mit ihren Händen nicht genauso geschickt und fleißig sein können wie ein schulisch Besserer. Aber wir brauchen dafür gesonderte Modelle. Es gibt erste Beispiele, aber das hat die Breite noch nicht erreicht, da auch die Gewerkschaften hier versuchen, die Vollberufe zu erhalten.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen eine dringend früher einsetzende Berufsorientierung. Hier liegt, glaube ich, im Moment eines der größten Probleme in unserem Land. Ich möchte das untermauern.
Es gibt, durchgeführt durch die DSA GmbH in Dresden, eine Unternehmensbefragung in verschiedenen Landkreisen und der Stadt Dresden und es gibt eine Schülerbefragung in Landkreisen und in der Stadt Dresden. Das heißt, in den Unternehmen wird der Bedarf abgefragt, welche Berufe, welche Facharbeiter in den nächsten Jahren gebraucht werden, und bei den Schülern wurden die Berufswünsche erfasst. Wenn man die Ergebnisse übereinander legt, meine Damen und Herren, sieht man sofort das Riesenproblem, das hier auf uns zukommt, nämlich dass die Berufswünsche und die Anforderungen der Wirtschaft stark auseinander fallen. Immer noch ist es so, sich sogar wieder verstärkend, dass die Berufswünsche der jungen Leute den tradierten Mustern folgen.
Was aber die sächsische Wirtschaft braucht, sind technisch orientierte Berufe, zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie, sind andere Berufe, die im verarbeitenden Gewerbe gebraucht werden. Hier muss es uns gelingen, durch frühere Berufsberatung den jungen Menschen klar zu machen, wo die Chancen liegen, wie interessant ein Beruf sein kann und dass einfach die tradierten Berufswünsche nicht mehr so zu befriedigen sind. Ich würde es begrüßen, wenn man sich in Sachsen durchringen könnte, die Schüler- und Unternehmensbefragungen weitaus stärker auszudehnen, denn es ist auch für die Eltern, für die Arbeitsämter und die Politik doch sehr interessant zu sehen, wie sich Bedarfe und Wünsche in Sachsen entwickeln.
Meine Damen und Herren! Ein ganz wichtiger Punkt, der unmittelbar damit zusammenhängt ist: Wirtschaft und Schule müssen näher zusammenrücken. Dies ist einfach ein Garant des Erfolgs für die Zukunft, wenn sich Schule und Wirtschaft näher verschränken. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig das oftmals ist. Die Schule versteht die Wirtschaft nicht, die Wirtschaft versteht die Schule nicht, und so kommt man nicht zusammen.
Es gibt einen guten Vorschlag der Industrie- und Handelskammern, ein so genanntes Mentorenprogramm aufzulegen, indem erfahrene Mitarbeiter aus der Wirtschaft in die Schulen gehen, um zu versuchen, die Verbindungen auf einer anderen Ebene herzustellen, Schulen in Unternehmen zu holen und Unternehmen in die Schulen zu bringen. Hier sehe ich in den nächsten Jahren den Schwerpunkt unserer Arbeit.
Meine Damen und Herren! Weiterhin müssen sich die Tarifpartner an einen Tisch setzen. Sie müssen über die deutliche Reduzierung der Kosten für die Ausbildung diskutieren. Es ist ein wesentlicher Grund, warum in Deutschland und warum auch in Sachsen viele Unter
nehmen nicht ausbilden, dass Ausbildungskosten und Ausbildungsvergütungen einfach zu hoch sind. Letztlich ist auch für mich ein wichtiger Punkt, dass die staatliche Bürokratie endlich auch begreifen muss, dass Schnelligkeit und Flexibilität zur Lösung von Problemen gefragt ist. Da kann es nicht darum gehen, ob das Komma rechts oder links sitzt, sondern man muss am Problem arbeiten und Dinge zügig durch die Gremien befördern.
Meine Damen und Herren! Immer wieder wurde über die Abwanderung junger Menschen aus Ostdeutschland diskutiert und geklagt. Das ist auch ein echtes Problem. Auf der einen Seite gehen viele junge Leute freiwillig. Sie wollen etwas von der Welt sehen. Sie wollen etwas erleben. Sie wollen Sprachen lernen. Das kann man nur begrüßen. Ich hätte das früher auch gern gemacht, nur war es uns verwehrt.
Viele gehen aber auch nicht freiwillig. Sie gehen wegen fehlender Ausbildungsplätze oder wegen eines fehlenden Ausbildungsplatzes genau in den Beruf, den sie gern erlernen möchten, und sie gehen, weil sie die Perspektive nicht sehen.
Meine Damen und Herren! Man muss den Transfer, der von Ost nach West stattgefunden hat, in die Gesamtrechnung der Transferkosten Deutschlands einbeziehen. Immer wieder wird uns aus den alten Ländern vorgehalten, wie hoch der Transfer von West nach Ost ist, vor allem im Sozialsystem, aber auch in anderen Bereichen. Der Transfer, der von Ost nach West in Form von Menschen, in Form von Köpfen stattgefunden hat, wird nirgendwo beziffert. Letztlich lässt sich feststellen, dass viele Probleme in den alten Bundesländern einfach damit abgedeckt werden konnten, dass junge Leute aus den östlichen Bundesländern zur Verfügung standen, um viele Lücken zu schließen.
Diesen Transfer junger Leute von Ost nach West müssen wir stoppen, meine Damen und Herren. Das bleibt das Ziel der Ausbildungsoffensive in Sachsen auch in diesem Jahr. Darum bleiben wir an diesem Thema und fordern die Staatsregierung auf, Gleiches zu tun. Wir sind optimistisch, dass wir das Problem der Berufsausbildung in den nächsten Jahren deutlich entschärfen können. Aber, meine Damen und Herren, um dieses Ziel erreichen zu können, bleibt es dabei: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Schule, Eltern und die jungen Leute müssen gemeinsam an diesem Problem arbeiten. Dann sieht auch die Perspektive in Sachsen nicht so schlecht aus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch in diesem Jahr zeichnet sich noch keine Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt ab. Eine große Anzahl von Altbewerbern und eine hohe Anzahl von Schulabgängern stehen einer immer kleiner werdenden Zahl von Ausbildungsplätzen gegenüber. Deshalb ist es notwendig und auch sinnvoll, dass alle Anstrengungen unternommen werden, damit jeder Bewerber,
der es wünscht, auch einen Ausbildungsplatz und damit eine Perspektive in Sachsen bekommt. Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels ist es umso wichtiger, dass wir dazu kommen, dass wir auch mit den Unternehmen in die Auseinandersetzung gehen, ins Gespräch gehen und vor allem auch darüber reden, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen müssen und zusätzliche Ausbildungsplätze bereitstellen, um so den eigenen notwendigen qualifizierten Nachwuchs zu fördern.
Die Ausbildungsoffensive 2005 versteht sich daher auch als dringend notwendige Fortsetzung der konsensorientierten Politik der Sozialpartner im Rahmen des Lehrstellenkollegiums Sachsen. Kollege Lämmel hat dazu bereits ausgeführt.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren war es noch so, dass rund 70 % eine duale Ausbildung erhielten. Heute sind das nur noch rund 40 %. Die unterschiedlichen staatlichen Maßnahmen und auch die Unterstützungsleistungen haben einerseits den Ansatz der dualen Ausbildung untergraben, aber andererseits auch dazu beigetragen, dass die Kosten für die Ausbildung für die öffentliche Hand gestiegen sind. In immer mehr Fällen kommt es dazu, dass die duale Ausbildung nicht mehr Anwendung findet und in vollzeitschulischen Maßnahmen oder in außerbetrieblichen Einrichtungen ausgebildet wird. Damit verlieren die Auszubildenden den aus meiner Sicht dringend notwendigen Kontakt zur Praxis. Auf Dauer können sie so den Anforderungen der Unternehmen nicht gerecht werden.
Insofern ist es im eigenen Interesse der Unternehmen, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen und dafür sorgen, dass sie zukünftig, um die Wettbewerbsfähigkeit herzustellen – auch gerade sächsischer Unternehmen –, rechtzeitig dem drohenden Fachkräftemangel entgegen wirken. Die Unternehmen und auch der öffentliche Dienst – das sagt auch der Antrag, den wir vorgelegt haben – müssen daher bestrebt sein, über den Bedarf hinaus auszubilden, denn jungen Menschen muss ein Übergang von der Schule zur Ausbildung möglich gemacht werden. Wir alle sind gefordert und müssen etwas dazu tun, damit Jugendliche nicht in eine Warteschleife geschickt werden und damit verbunden die Perspektivlosigkeit spüren. Ich stimme damit im Übrigen auch mit Minister Flath ausdrücklich überein, der davon spricht: „Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Wirtschaft zur dualen Ausbildung.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle das Engagement des SMWA, das seit Jahren Hilfsmaßnahmen in Absprache mit den Sozialpartnern anbietet und auch der Arbeitsverwaltung organisiert, würdigen.
Vielen Dank. – Herr Brangs, ich habe eine Frage. Sie haben an Unternehmen, aber auch staatliche Institutionen und Verbände appelliert auszubil
den. Wie sieht denn die Ausbildungsquote bei der Gewerkschaft ver.di aus, und wie verhält sie sich im Vergleich zur Ausbildungsquote über die gesamte Bundesrepublik hinweg?
Ich hoffe, Sie haben zur Kenntnis genommen, dass ich nicht als Vertreter der Gewerkschaft ver.di in dieses Parlament gewählt worden bin, sondern als Abgeordneter der SPD.
Hoffentlich nehmen Sie zur Kenntnis, dass ver.di und auch der DGB sich seit Jahren an der Ausbildung beteiligen und wir versuchen, über den Bedarf hinaus auszubilden. In der Tat ist es sehr schwierig, bei Unternehmen mit einem Lebenslauf aufzuwarten, bei dem eine dreijährige Ausbildung als Bürokauffrau beim DGB in der Biografie steht. Ich habe bisher leider Gottes erleben müssen, dass die Ausgebildeten nicht gern in Unternehmen gesehen sind. Wir machen es trotzdem, weil ich glaube, dass Ausbildung immer noch besser ist, als die Leute auf die Straße zu schicken.
Angesichts des Defizits von betrieblicher Ausbildung sollte man diesen konsensorientierten Ansatz nicht gering schätzen. Nur auf dieser Basis gibt es eine gemeinsame Interpretation der Datenlage. Genau auf dieser Ebene trifft sich das sächsische Bündnis, nämlich die sächsische Lehrstellenoffensive.
Ebenso sind die in der Berufsausbildung vom Gesetz her definierten zuständigen Stellen, also die Kammern, an diese Absprachen, in denen Förderinstrumente und auch konkrete Projekte entwickelt werden, beteiligt. Die möglichst betriebsnahe außerschulische Ausbildung – das will ich ausdrücklich hier erwähnen –, die die Kammern durchführen und organisieren, ist ein sehr gelungenes, gutes, praxisorientiertes Beispiel. Aber auch die Projekte der zusätzlichen Managementqualifizierung und der Managementleistung gerade für kleine und mittelständische Unternehmen bei der Realisierung von betrieblichen Ausbildungsplätzen sind natürlich zu würdigen. Die zusätzlichen staatlichen Leistungen, wie sie in der vergangenen Woche von Minister Jurk und Ministerpräsident Milbradt verabredet worden sind, stellen angesichts der großen Anzahl von Bewerbern eine Notwendigkeit dar.
Aber eine Frage muss ich natürlich auch hier ansprechen. Gerade aus diesem Grund stellt sich immer wieder die Frage, warum sich immer weniger Unternehmen und Dienstleister an der dualen Ausbildung beteiligen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat in einem repräsentativen Betriebsbefragungsbericht ermittelt, dass das Thema Ausbildungsplatzangebot von den Unternehmern wie folgt gesehen wird: 72 % nennen fehlende finanzielle oder steuerliche Anreize als Grund dafür, dass sie nicht ausbilden. 61 % sagen, sie wollten bessere schulische Leistungen und erstaunlicherweise nur 14 % sprechen davon, dass eine Senkung der Ausbildungsvergütung notwendig sei. Insofern muss man den Kostenfaktor, der immer wieder angeführt wird, dringend hinterfragen. Wenn man den Kontext herstellt, frage ich mich, warum
denn das Handwerk der Träger der Ausbildung ist, wo doch gerade in diesem Bereich der stärkste Kosten- und Konkurrenzdruck herrscht und sehr viele Unternehmen von Insolvenzen betroffen sind, und trotzdem gehen sie ihrer Verantwortung nach.
Am 31. Mai dieses Jahres wurden in Sachsen nach den Zahlen, die ich ermitteln konnte, 13 291 Lehrstellen gemeldet. Das sind rund 10 % weniger als im Vorjahr. Demgegenüber erwartet man rund 56 000 Lehrstellenbewerber für 2005. Es fehlen also nach den jetzt vorliegenden Zahlen rund 33 000 Ausbildungsplätze, eine ähnliche Größenordnung wie im Vorjahr. Wir müssen deshalb alles in unserer Macht Stehende tun, um zum Jahresende keine größere Lücke entstehen zu lassen, und wir benötigen dafür natürlich die engagierte Mitarbeit der Sozialpartner, Kammern, Unternehmerverbände, der Gewerkschaften, aber auch der Arbeitsagenturen. Wir müssen dabei aber auch eindeutig vermitteln, dass die Politik nur die Rahmenbedingungen verbessern kann. Die Verantwortung für die Ausbildung und eine berufliche Perspektive für die Jugendlichen in Sachsen tragen nach wie vor die Unternehmer.
Ausdrücklich zu begrüßen ist die stärkere Förderung von Altbewerbern. Möglichst viele von ihnen müssen aus der Warteschleife herausgeholt werden, um ihnen einen am Arbeitsmarkt vertretbaren Berufsabschluss zu ermöglichen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir gerade bei Schülerinnen und Schülern mit schlechten Schulzeugnissen und auffälligem Verhalten alles tun müssen, damit sie nicht auf Dauer abgekoppelt werden. Es dürfen nicht frühzeitig Biografien entstehen, die verhindern, dass diesen Menschen eine Perspektive gegeben wird, und sie dauerhaft der Alimentierung des Staates unterliegen.