Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend dem Koalitionsvertrag sollen auf Antrag der Schulträger Schulen mit besonderem pädagogischem Profil, Gemeinschaftsschulen, stellenneutral unter Einhaltung der KMK-Vereinbarungen, der Bildungsstandards sowie unter wissenschaftlicher Begleitung ermöglicht werden. Damit sollen nach den Festlegungen im Koalitionsvertrag insbesondere Herkunftsnachteile abgebaut und Schüler individueller gefördert werden. Ein produktiver Umgang mit pädagogischer Vielfalt soll gefördert werden. Meine Damen und Herren! Ich sehe für meine Fraktion keinen Zweifel am Willen zur Umsetzung dieser Vorgaben. Im Gegenteil hat es schon konkrete Schritte der Verständigung zur praktischen Umsetzung – auch im Sinne des vorliegenden Antrages – gegeben. Herr Kollege Herbst, nicht erst die Pressemitteilung von heute dokumentiert das, sondern wir haben uns schon eine Woche vorher zu diesen Regelungen verständigt und geeinigt.
Das heißt, wir sind auf dem Weg zur praktischen Umsetzung. Um jedoch mögliche Irrwege auszuschließen, will ich außer den im Koalitionsvertrag beschriebenen Vorgaben doch noch drei Prämissen kurz nennen, die bei der anstehenden Entwicklung zu beachten sein werden.
Erstens. Gemeinschaftsschulen können einen Beitrag zur stärkeren individuellen Förderung durch mehr Vielfalt pädagogischer Angebote leisten – einen Beitrag, aber nicht den alleinigen. Insofern geht es auch nicht um eine neue Schulstrukturdebatte oder um die generelle Auflösung eines bewährten differenzierten Schulsystems, das sich gerade im nationalen Ländervergleich bewährt hat.
Deshalb kann ich auch den Satz in der Begründung zum vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion unterstreichen, in dem es heißt: „Ohne ideologische Barrieren sollen ver
schiedene Modelle erprobt werden.“ – Herr Kollege Hahn, gerade im Blick auf die aktuellen Pisa-Veröffentlichungen, die Ihnen offensichtlich nicht allzu gut gefallen,
Im nationalen Vergleich einen zweiten Platz zu belegen, Herr Kollege Hahn, und im internationalen Bereich – schauen Sie sich ganz einfach mal den Bericht intensiv an – weit über dem OECD-Durchschnitt zu liegen,
das sind Ergebnisse, die man nicht kleinreden kann, es sei denn, man hat doch die ideologischen Barrieren vor sich. Das scheint bei Ihnen der Fall zu sein.
Meine Damen und Herren! Auch die Kopplung von sozialer Herkunft und erzielbaren schulischen Leistungen lässt sich aus den aktuell veröffentlichten Daten so nicht herleiten. Ich will hierzu aus dem Material, das schon vorliegt, zitieren: „Die ansonsten in Deutschland zu beobachtende starke Kopplung von sozialer Herkunft und (mathematischer) Kompetenz gilt für Sachsen wie für Bayern, Brandenburg und Thüringen nicht.“
„Sachsen gehört so mit Bayern und Thüringen zur internationalen Vergleichsgruppe, in der ein hohes Kompetenzniveau mit geringer Kopplung an die soziale Herkunft erreicht wird, wie Finnland, Japan, Kanada und Schweden.“
Bereits die im Koalitionsvertrag benannten vergleichbaren Rahmenvorgaben schließen das meines Erachtens aus.
Drittens – damit schließe ich an das an, was Kollege Herbst schon gesagt hat – war und bleibt es unser Anliegen, die konzeptionelle Entwicklung auf die regionale
Ebene zu übertragen. Es geht also nicht um staatlich vorgegebene und übergestülpte neue Strukturen, sondern es geht um Vielfalt pädagogischer Konzepte, die am besten in Anlehnung an die konkreten Gegebenheiten vor Ort entwickelt werden kann. Daran haben sich auch die Vorgaben der Schulverwaltung, die jetzt auf den Weg gebracht werden, zu orientieren.
Fakt ist, meine Damen und Herren, dass Klarheit über das Antragsverfahren hergestellt werden muss. Nur bedarf es dazu der vorherigen Klärung bezüglich der Einhaltung der KMK-Vereinbarung, der Anschluss- und Abschlussfähigkeit sowie der Anpassungsmöglichkeiten an die Schulnetzplanung. Insofern war es gut, dass wir die Einführung der Gemeinschaftsschulen nicht als Schnellschuss realisiert haben. Die sorgfältige Vorbereitung und die intensive Diskussion aller notwendigen Rahmenbedingungen schaffen letztlich eine Grundlage für Verlässlichkeit und Transparenz.
Wir werden allerdings vor dem Hintergrund dessen, dass wir, wie gesagt, auch Handlungsbedarf im Blick auf die geltenden Rahmenbedingungen sehen, dem vorliegenden FDP-Antrag zustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Wo ist eigentlich der Spatz? Ich wollte ihn die ganze Zeit im Auge behalten. – Es wurde ja einiges relativ gehetzt die ganze Zeit. Aber sehen wir es mal so: So kurz vor Ende des parlamentarischen Jahres haben wir die Möglichkeit, uns über ein derart wichtiges Thema zu unterhalten. Selbst wenn sich manchmal die Sichtweise erst einmal nicht erschließt, so ist sie doch wichtig und auch sehr hilfreich für die Diskussion.
Zum Thema „Das längere gemeinsame Lernen“: Wir wollen es, weil wir davon ausgehen, dass Kinder nicht besser oder schlechter sind als andere, dass sie nicht dumm oder klug zur Welt kommen, und auch nicht davon, dass man im Alter von zehn Jahren sehen kann, ob jemand mal Handwerker oder Uniprofessorin werden soll. Kinder und junge Menschen sind einfach unterschiedlich und genau in dieser Unterschiedlichkeit müssen sie gefördert werden.
Jedes Kind ist unterschiedlich und das lässt sich nicht in Schulformen abgrenzen, die im Übrigen von der Tradition des gegliederten Schulwesens her auf die preußische Dreiklassengesellschaft zurückgehen. Denn wenn wir uns damit auseinander setzen, müssen wir einfach auch die Tradition dessen sehen. Dort sollte ein Teil Elite für den Adel und das gehobene Bürgertum an einer Schulform ausgebildet werden, ein Teil als besser ausgebildete Verwaltungsangehörige und ausführende Mittelschicht und dann gab es eben die Volksschule.
Die Gesellschaft, meine Damen und Herren, hat sich verändert. Überhaupt muss das Ziel der Bildungspolitik sein, Teilung von Gesellschaft zu überwinden und jedem
jungen Menschen bestmögliche Förderung und Chancen zu geben. Darum: Grundsätzlich, meine Damen und Herren, sind wir für eine Schule für alle, in der dann binnendifferenziert werden kann und muss, um eben jene individuelle Förderung zu ermöglichen.
Wir wollen also das längere gemeinsame Lernen für mehr soziale Gerechtigkeit und Qualität im Schulwesen, wir wollen es flächendeckend und, Herr Herbst, wir halten es für einen der entscheidenden Schlüssel zur Veränderung des Schulwesens, weil ein integriertes Schulwesen mit einer veränderten Lehr- und Lernkultur der Schritt in eine andere Schule sein kann.
Wiederum muss ich sagen, Herr Colditz, wenn Sie sich jetzt auf die Pisa-Veröffentlichungen des gestrigen Tages berufen, dass es an sich eine Unmöglichkeit ist, jetzt über Ergebnisse zu diskutieren, wovon nur ein ganz ausgewählter Teil durch die Kultusministerkonferenz zu diesem Zeitpunkt vorgelegt worden ist. Ich möchte noch einmal sagen: Die von Ihnen ausgemachten Relationen im internationalen Vergleich treffen einfach nicht zu. Deutschland ist nicht in der Spitzengruppe – auch nicht Sachsen – und kann sich mit Ländern wie Kanada und Japan nicht messen. Wir wollen das sehr gern. Da gibt es keine ideologischen Scheuklappen. Deswegen führen wir diese Diskussion.
Frau Kollegin Bonk, ich wollte Sie ganz einfach noch mal mit ein paar Zahlen konfrontieren und fragen, ob Sie nachvollziehen können, dass man aufgrund solcher Zahlen davon sprechen kann, dass wir uns auch im internationalen Vergleich durchaus messen können, wenn es also so ist, dass beispielsweise Sachsen im Kompetenzbereich Mathematik 523, Bayern 533 und Baden-Württemberg 512 Punkte erzielt haben und man das mit dem erreichten Punktwert beispielsweise von Finnland bzw. von anderen in der Spitze liegenden Einrichtungen vergleicht,
dass man dann durchaus davon sprechen kann, dass wir über dem OECD-Durchschnitt liegen. – Kennen Sie den OECD-Durchschnitt?