Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

Ich meine, auf diese Schüler, die das erkannt haben, sollten wir stolz sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Frau Bonk, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hähle, bei aller gebotenen Geschlossenheit und Einheit der demokratischen Fraktionen halte ich es für wichtig, noch einmal zu betonen, dass gerade eine solche Debatte in der Auseinandersetzung mit den Problemen und mit der Propaganda des Rechtsextremismus an sächsischen Schulen notwendig ist, ohne Werbung dafür zu machen. Aber wir dürfen uns doch von denen nicht die Themen vorschreiben lassen, die wir hier besprechen oder nicht besprechen. Deswegen, denke ich, sollten wir uns hier im Parlament durchaus über die Situation und über Maßnahmen austauschen und deswegen sind wir froh über die Debatte, die hier geführt wird.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich finde es, ehrlich gesagt, entsetzlich, welche Propaganda, welche antidemokratischen Tiraden hier abgezogen werden können. Ich möchte an eines erinnern: In der Geschichte hat es das bereits einmal Anfang der dreißiger Jahre gegeben: eine Partei, vom Wesen her antidemokratisch, die allermeist noch auf Bürgerrechte und demokratische Freiheiten gepocht hat, um sie dann, als sie die Macht ergriffen hatte, sofort abzuschaffen. – Das haben wir erkannt.

(Zuruf von der NPD)

Wir erkennen sie. Deswegen gehen wir gegen sie hier und gehen gegen sie an den Schulen vor, denn die NPD setzt in ihrer Propaganda besonders auf junge Menschen. So wird versucht, kulturelle Hegemonie in Jugendeinrichtungen und Vereinen aufzubauen. Es werden sogar zentral organisierte Fortbildungen für 12- bis 14-Jährige durchgeführt und es wird Material hergestellt, das in Form und

Aufmachung junge Menschen besonders ansprechen soll. Ein solches Material ist die Schulhof-CD der NPD, weil nachweislich Inhalte unkritischer aufgenommen werden können, wenn es über Musik geschieht.

Ich möchte noch einmal auf die Wertung der CD eingehen – Frau Astrid Günther-Schmidt hat das bereits getan –: Man findet darauf nichts als Wirklichkeitsverzerrung und Propaganda. Maschinengewehrknattern soll militaristisches Wertgut über die Ohren in die Köpfe befördern. Hetzen gegen den „Zentralverein“ – und damit ist der Zentralrat der Juden gemeint – beschwören den Antisemitismus, der in der Vergangenheit zu einem der größten, in seiner Schrecklichkeit und Unmenschlichkeit singulären Verbrechen in der Geschichte der Menschheit geführt hat.

Ich möchte auf diese Dinge noch einmal eingehen, weil sie eindeutig die Tradition zeigen, in der die NPD steht, denn Lieder über Vertriebene beschwören in die Wirklichkeit verzerrender Weise einen deutschen Opfermythos, und das alles umrahmt vom Deutschlandlied in allen drei Strophen: „Von der Maas bis an die Memel“. Militarismus, Antisemitismus, Geschichtsverzerrung und in menschenverachtender Fremdenfeindlichkeit gipfelnder Nationalismus auf dieser CD beweisen eindeutig, in wessen Tradition die Nationalisten und Antidemokraten der NPD stehen. Sie haben sich dieses Zeugnis wieder einmal selbst ausgestellt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, bei den GRÜNEN und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Die Verteilung dieser CD – und anderer Propagandamaterialien – wurde in den letzten Wochen angekündigt. Sie widerspricht in allen Punkten den Grundwerten der Demokratie. Darum müssen alle Institutionen des demokratischen Staates, müssen die Bürgerinnen und Bürger, müssen wir aufmerksam und entschlossen auf zwei Ebenen auf die versuchte rechtsextremistische Verführung durch die NPD reagieren: zum einen, indem durch Aufmerksamkeit und Entschlossenheit die Verteilaktionen an Schulen weitestgehend unterbunden werden. Schule ist kein gesellschafts- und politikfreier Raum, aber Parteipropaganda – in ihrem Wesen streng gegen die Demokratie gerichtet – hat an Schulen nichts zu suchen. Darum haben mich Meldungen von Schulleitern, die die CDs wieder eingesammelt haben, von Schulen, die die CDs umgetauscht haben, ebenso erfreut wie von einer Stadt, die geklagt hat, und von Schulen, die Transparente gegen die Verteilaktion gezeigt haben.

Ich möchte noch einmal positiv erwähnen, dass zum Umgang mit fremdenfeindlicher Ideologie und Symbolik inzwischen auch Schulprojekttage und zum Beispiel die seitens des mobilen Beratungsdienstes angebotene Lehrerfortbildung beitragen. Das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, um auch Lehrerinnen und Lehrer zu sensibilisieren, aber ein Angebot pro Regionalschulamt, meine Damen und Herren, ist eben noch nicht genug. Es müssen hier weitere Anstrengungen unternommen werden.

Neben die konkrete Auseinandersetzung gehört natürlich auch eine innere Stärke, die die demokratische Kultur unserer Gesellschaft – und im Besonderen auch unsere Schulen – haben müssen. Dass sie ein Teil einer demokratischen Gemeinschaft sind und diese mitgestalten können, müssen junge Menschen von Anfang an in der Schule lernen. Dann sind sie auch nicht anfällig für Ideologien, die sie in antidemokratische Märtyrerschaft schicken.

(Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Bonk?

Nein, dazu sehe ich keinen Anlass. Ich glaube, Herr Gansel hat sich ausreichend geäußert.

Dazu gehört ein Unterricht, in dem sie sich in ihren Interessen und Bedürfnissen und ihrer Person ernst genommen fühlen und der im Übrigen auch zu besseren Lernergebnissen führt. Dazu gehört, dass sie über kulturelle Ausgestaltung der Schule – welche Feste gefeiert werden, ob und wie ein Schulklub eingerichtet wird, ob eine Schule Ganztagsschule wird und all diese Fragen – mitentscheiden können. Demokratische Werte können nicht einfach nur gelehrt werden – wie die französische Menschenrechtserklärung –, sie müssen an Schulen gelebt werden. Dazu gehört natürlich auch eine Stärkung der formalen Mitwirkungsgremien der Schülerrechte und der Schüler in Schulkonferenzen, die bislang noch zu sehr vom Willen und der Unterstützung der Akteure vor Ort abhängen.

Natürlich ist die Schule kein apolitischer Raum. Heines „Wintermärchen“, Beethovens „Ode an die Freude“ oder jede Geschichte, die gelehrt wird, sind ganz klar aus gesellschaftlichen Zusammenhängen entstanden.

Bitte zum Schluss kommen.

Ja, sehr gern. – Gesellschaftliche Zusammenhänge in Konfliktfragen müssen auch in Schulen diskutiert und ausgetragen werden können – ohne Verpflichtungen der Lehrerinnen und Lehrer zu einer apolitischen Zurückhaltung und auf einem demokratischen Grundkonsens beruhend. Wir brauchen natürlich Geschichtsunterricht in allen Jahrgängen, um die jungen Menschen gegen ideologische Verzerrung der Geschichte stark zu machen. Was wir aber nicht brauchen, ist Parteienpropaganda an Schulen –

Bitte jetzt zum Schluss kommen!

– und schon gar keine Nazi-CD, deren völkische Verschworenheit im Führerprinzip gipfelt und damit gegen jegliche aufklärerische und demokratische Tradition steht. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg und müssen unsere Anstrengungen verstärken.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und vereinzelt bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wird das Wort von der FDP gewünscht? – Dann rufe ich die Fraktion der GRÜNEN auf; Frau Günther-Schmidt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schule ist nicht neutral. Schule ist verpflichtet, zur Demokratiefähigkeit zu erziehen. Das heißt, dass Probleme sachlich aufgegriffen werden müssen. Wir alle wissen, dass die Mittelschulen, die Förderschulen und insbesondere die beruflichen Schulzentren ein „beliebter Ort sind, wo Nazis sich gerne breit machen“. Hier ist es unsere Verpflichtung, natürlich im Unterricht zum Beispiel die Naziideologie aufzugreifen, beispielsweise die „Schulhof-CD“ der NPD, da hier die Vorurteile transportiert werden, da hier das ideologische Rüstzeug weitergegeben wird.

Lehrerinnen und Lehrer – das ist meine Erfahrung – sind sehr dankbar, wenn sie über die Methoden dieser braunen Rattenfänger informiert und aufgeklärt werden. Dies sollten Sie zum Anlass nehmen, Herr Kultusminister, Argumentationstraining beispielsweise für Lehrer zu ermöglichen und dies auch positiv zu bescheiden. Es ist ganz wichtig, dass Lehrer gewappnet sind, Rechtsextremisten gegenüber zu kontern. Junge Rechtsextremisten – diejenigen nämlich, die die Nazi-CDs hören – sind häufig in Kameradschaften verankert. Dort wird Gehirnwäsche betrieben. Dort haben sie Zugang zu der Ideologie. Dort senkt man auch die Hemmschwelle zur Gewalt.

Vorhin wurde die Praxis angesprochen, Hausordnungen dahin gehend zu modifizieren, dass eine demokratische Kultur Eingang in die Schulen finden kann.

(Zuruf des Abg. Uwe Leichsenring, NPD)

Ich möchte Sie bitten zu bedenken: Es geht ja nicht nur darum, Nazis aus den Schulen zurückzudrängen, sondern wir haben auch Schülerinnen und Schüler, die Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten sind. Wie fühlen die sich denn, wenn der Mainstream rechtsaußen ist? Das gilt es zu bedenken.

Wir haben nicht nur eitel Sonnenschein an Sachsens Schulen. Ich werde Ihnen jetzt eine Reihe von Zitaten von Schülern aus 7., 8. und 9. Klassen vortragen, die diese an Mittel- und Förderschulen geäußert haben, und zwar sehr eindeutig. Beispiel: „Ich bin nicht für Adolf Hitler, aber Rudolf Heß ist als Friedensbringer für Deutschland gestorben.“ – Das hat ein Schüler einer 8. Klasse, Mittelschule, geäußert. „Was Hitler gemacht hat, war ganz in Ordnung. Hitler ist der rechte Weg. Ich bin auch bereit, für dieses Ziel zu sterben.“ – Ein Schüler, Mittelschule, 7. Klasse.

Das sind Gedanken, die in die Köpfe der Kinder eingepflanzt und über die Musik transportiert werden. Wenn Sie sich einmal anschauen: Es geht immer um das Sterben für das große Ziel. „Odins Legion“ heißt eine Kamerad

schaft aus meinem Landkreis – Herr Lehmann wird sie bestimmt kennen –, da werden diese Ideen verbreitet.

(Gelächter bei der NPD)

Ausländer werden als „Viehzeug“ bezeichnet. Wir kennen das: Die „Zecken“ werden beispielsweise von Rechtsextremisten gern in den Mund genommen, wenn sie die linke alternative Szene meinen. Also: Schule ist nicht neutral. Schule ist ein Lern- und Lebensort und wir sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass dort Demokratiefähigkeit gelernt wird. Gelernt wird auch von einem guten Vorbild. Lehrerinnen und Lehrer müssen im Umgang mit rechten Parolen sicher sein. Sie müssen aber auch in dem demokratischen Gedanken verankert sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Wird von der CDU-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall; dann die Linksfraktion. PDS. Danach kommt die SPD. – Herr Prof. Porsch, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich brauchen rechtsextreme und rechtsextremistische Propaganda wirkungsvolle Gegenpropaganda. Natürlich brauchen entsprechende Offensiven wirkungsvolle Gegenoffensiven. Wir haben aber, und darauf möchte ich jetzt die Aufmerksamkeit lenken, nach meiner Beobachtung zu oft zu mechanistisch angelegte Vorstellungen von Prävention und Gegenmaßnahmen. Deshalb werden auch die so wichtigen Potenziale der Schule in der Begegnung rechtsextremistischer Propaganda nicht ausreichend ausgeschöpft.

Ich meine, der beste Damm gegen Erfolge rechter, neofaschistischer Propaganda ist eine gute Bildung, weniger eine gute Erziehung oder viel Wissen. Natürlich sind die Dinge nicht zu trennen. Bildung, Erziehung und Wissen gehören zusammen, verschieden sind sie aber dennoch. Darum will ich jetzt über Bildung sprechen.

Sie scheint mir in vielen Konzepten, die uns angeboten werden, vernachlässigt oder wenigstens nicht ausreichend konstitutiv zu sein, und nicht zufällig hat jene Fraktion im Hohen Hause, die für ihren Parteinamen nur, um nicht gleich ertappt zu werden, das S und das A, also SA, aus dem Parteinamen ihrer geistigen Vorgänger gestrichen hat, vorhin eine Debatte über den Erziehungsauftrag der sächsischen Schule anzetteln wollen. Diese Leute kennen nur Erziehung – und das noch in konzeptionell höchst trivialer Art und Weise: des Verbots, des autoritären Zwanges und des Drills. Mit dem Verbot geht man dann differenziert um. Herr Schön fordert es bis in die Familien hinein; Herr Leichsenring polemisiert gegen Verbote, wenn es ihn selbst betrifft.

Bildung jedenfalls ist diesen Leuten fremd, und genau deshalb ist Bildung so wichtig im zurückweisenden Umgang mit Rechtsextremismus.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Nun erwirbt man Bildung nicht allein durch Lernen, sondern sie entfaltet sich in einem wechselseitigen Prozess der kritischen Auseinandersetzung des Individuums mit den Bildungsgütern, unter anderem nicht zuletzt der Schule mit den Bildungspotenzialen aller Fächer und mit den Bildungsträgern, den Lehrerinnen und Lehrern.

Dies ist ein vielfältiger, wechselseitiger, schöpferischer Prozess der Verwandlung von Wissen in Wertvorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen, an denen natürlich nicht nur die Schule beteiligt ist und der nicht allein an Aktionen und einzelne Fächer delegiert werden kann.

In Antworten reproduzierbares Wissen von den Schrecken des Krieges mag man zum Beispiel mit der Lektüre von Remarques „Im Westen nichts Neues“ erzeugen können, und ich habe mich gefreut, als mein Sohn das Buch als Schulaufgabe lesen musste. Begnügt man sich aber damit, so sollte man tunlichst auf die Lektüre von zum Beispiel Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ verzichten. Dann kann nichts schief gehen, jedenfalls so lange nicht, wie das Leben nur aus Examina besteht, was unsere Schule leider zu sehr suggeriert und für sich auch praktiziert.

Will man jedoch belastbare Einstellungen gegen den Krieg entwickeln, so ist die durchaus auch risikobelastete kritische Gegenüberstellung dieser beiden Werke unbedingt geraten – freilich nicht als nur unterschiedliche Punkte in einer Darstellung der Literatur der Zwischenkriegszeit, sondern als zwei in Literatur verwandelte Erlebnisse von Krieg, die sich so deutlich voneinander unterscheiden, dass sich im Verbund mit dem auch an der Schule erworbenen Wissen um die Tragödien der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert in den meisten Fällen eben jene belastbaren Einstellungen gegen den Krieg herausbilden werden, und die Karikatur im Schülerkalender zum Beispiel wird dann von den Schülerinnen und Schülern durchaus richtig verstanden – sowohl in ihrem Inhalt als auch in ihrer Legitimität.

Ich habe als Kind, um ein zweites Beispiel zu nennen, in der Katholischen Jungschar „Kameraden, wir marschieren, wollen fremdes Land durchspüren, wollen fremde Sterne sehen usw.“ gesungen. Das Lied geht im Grunde martialisch weiter, aber eingebettet in eine Jugendarbeit in der Jungschar, nicht zuletzt auch durch die in einer weltanschaulich und parteipolitisch durchaus neutralen Schule gestalteten kulturellen Lebenszusammenhänge wurde dieses Lied für mich Ausdruck der Sehnsucht nach Weltsicht, nach Begegnung und Umwelterfahrung, ein Stück Sehnsucht nach Bildung.