Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

Ich habe als Kind, um ein zweites Beispiel zu nennen, in der Katholischen Jungschar „Kameraden, wir marschieren, wollen fremdes Land durchspüren, wollen fremde Sterne sehen usw.“ gesungen. Das Lied geht im Grunde martialisch weiter, aber eingebettet in eine Jugendarbeit in der Jungschar, nicht zuletzt auch durch die in einer weltanschaulich und parteipolitisch durchaus neutralen Schule gestalteten kulturellen Lebenszusammenhänge wurde dieses Lied für mich Ausdruck der Sehnsucht nach Weltsicht, nach Begegnung und Umwelterfahrung, ein Stück Sehnsucht nach Bildung.

Um diese bildenden kulturellen Lebenszusammenhänge geht es in der Schule. Sonst schüren, von Nazis gegrölt, solche Lieder schnell Eroberungsgelüste oder die Sehn

sucht nach Sterben für das Vaterland. Ein solch doppeltes Schicksal ist vielen Liedern widerfahren. Deshalb darf Schule in der Bildung nicht neutral sein, sondern sie muss Einstellungen und Wertvorstellungen ausbilden.

Wenn ich mit Erschrecken mitbekomme, dass Kinder fürs Vaterland sterben wollen, meine ich: Wir brauchen eine Schule, die sagt: Wir wollen leben für diese Gesellschaft, auch für unsere Heimat!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Wir brauchen eine gegen Rechtsextremismus resistente Schule und deshalb eine menschliche Schule, auf die die einstige bittere Satire der Leipziger Akademixer nicht zutrifft. „Heute wird nicht geträumt, heute lernen wir Fantasie“, erschreckte der Lehrer einen Schüler, der sich träumend aus der Langeweile des Unterrichts verabschiedete. Wie weit wir mit der Bildung sind, darüber gibt uns übrigens „Pisa“ kaum Auskunft. Vielleicht aber könnte schwindender Einfluss von Rechtsextremisten und Neofaschisten an unseren Schulen die Maßzahl für Bildung sein, und darin will ich gern mit allen zusammen Weltmeister werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Prof. Weiss, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch einmal in Ihre Erinnerung rufen, dass sich der Abg. Leichsenring vor wenigen Minuten strikt geweigert hat, sich auch nur ansatzweise von den Verbrechen des Nationalsozialismus zu distanzieren. Ich halte dies für einen handfesten politischen Skandal,

(Zuruf von der NPD)

der aber auch sein Gutes hat: Die NPD-Fraktion hat sich ein weiteres Mal selbst entlarvt.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Wird von der FDP-Fraktion das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. GRÜNE? – Auch nicht. Linksfraktion.PDS? – Dann, bitte, Herr Staatsminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich finde gut, dass diese Debatte stattgefunden hat, und ich wünschte mir, dass es im Lande viel mehr Debatten dieser Art gäbe – bis hin zu Stammtischen. Ich glaube, es fehlt, dass vor Ort die Auseinandersetzung deutlich wird.

Auf der anderen Seite zeigt es auch auf, wenn man genau zugehört hat, dass Schule in diesem Spannungsfeld steht.

Machen wir uns nichts vor, Frau Günther-Schmidt und Frau Hermenau: Schule kann hier einiges besser machen. Das steht doch außer Frage. Dass wir in der Weiterbildung Bedarf haben, steht auch außer Frage. Dass es für Lehrerinnen und Lehrer, die in der letzten Diktatur mit allzu viel Parteilichkeit schlechte Erfahrungen gemacht haben, unheimlich schwer ist, jetzt in unserer freiheitlichen Gesellschaft das richtige Maß zu finden, ist einfach so. Ich bitte auch, dass wir dafür Verständnis haben.

Wenn immer wieder von einer Neutralität die Rede war, Schule soll nicht neutral sein – natürlich soll Schule, was unsere demokratische Ordnung betrifft, nicht neutral sein. Ich meine, parteipolitisch muss sie natürlich neutral sein und kann nicht für irgendeine Partei im Lande Werbung betreiben. Umgekehrt – das ist deutlich geworden – haben sich die einen etwas beschwert, dass zu viel gemacht wurde, und die anderen, dass vielleicht etwas zu wenig gemacht wurde. Irgendwo in dem Feld liegt es. Eines sollten wir nicht tun – da komme ich auf meine Rede in der letzten Debatte zurück: Wir machen Schule nicht leichter, wenn wir versuchen, sie immer wieder mit hineinzuziehen. Deshalb komme ich damit nicht ganz zurecht.

Frau Günther-Schmidt, zu den Schülerzitaten, die Sie gebracht haben: Ich weiß nicht, ob es so gut ist, wenn man Schüler zitiert und dann der nächste Redner den Eindruck vermittelt, als sei es etwas, was von der Schule vermittelt worden wäre. Man muss dies sauber trennen. Zunächst finde ich es sehr gut – auch was die Erfahrung in meiner Kindheit und Schulzeit betrifft –, dass wir darauf achten, dass Kindern und Jugendlichen nicht vorgeschrieben wird, ihre Gedanken auszusprechen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja, bitte.

Ich bin mir sicher, Sie haben meine Zitate nicht so verstanden, dass ich Ihnen vorwerfen wollte, dass die Schüler dies in der Schule gelernt haben; sondern ich wollte Ihnen deutlich machen, dass dieses Problem dort existiert und dass Lehrerinnen und Lehrer gefestigt sein müssen, in ihrer Argumentation damit umzugehen. Dies wollte ich gern deutlich herüberbringen.

Das war eine Richtigstellung, keine Frage.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Ich bedanke mich, dass auf diese Weise ein Missverständnis ausgeräumt wurde. Da liegen wir auf einer Ebene.

Ebenso möchte ich Sie bitten – Herr Dr. Hahn ist jetzt nicht im Raum, wird es aber sicher hören –, wenn es tatsächlich so sein sollte: Herr Dr. Hahn hat geäußert, dass in seinem Wahlkreis – er meint sicher in seinem Landkreis – CDs an Schulen verteilt wurden. Dies kann ich

hier nicht so stehen lassen. Wenn es so war, muss mir die Schule benannt werden. Dann wäre dort ein Fehler gemacht worden. Schule kann eines nicht: Schule kann nicht im öffentlichen Verkehrsraum verhindern, dass dort irgendetwas verteilt wird. Dies kann sie nicht. Dann sind wir uns wieder einig und es dient auch der Richtigstellung, dass darüber gesprochen wird. Dies begrüße ich außerordentlich. Wir werden auch überlegen, welche Weiterbildungen wir anbieten, um mit solchen Situationen besser fertig zu werden.

Eines will ich zurückweisen: Herr Dr. Hahn hat gesagt, das SMK würde Lehrer in Sachsen abstrafen. Dies kann ich so nicht stehen lassen.

Schließlich will ich noch auf eines kommen: Es ärgert mich sehr, weil sich das mittlerweile in ganz Deutschland auch durch eine bestimmte Fernsehsendung verbreitet hat, und heute wird wieder angeführt, dass in Sachsen Geschichte ein Abwahlfach sei. Das ist keineswegs so. Ich will es hier noch einmal richtig stellen. Es hängt auch damit zusammen, dass wir den Lehrplan reformiert haben. Als dies vor einigen Jahren in Angriff genommen wurde, stand die Entscheidung: Will man Geschichte bis zur Klasse 10 bis zur Gegenwart lehren oder ist es nicht besser, Geschichte bis zur Klasse 9 bis zur Gegenwart zu lehren? Man hat sich dafür entschieden: bis zur Klasse 9, weil ansonsten Hauptschüler die Schule verlassen würden, ohne im Geschichtsunterricht in der Gegenwart angekommen zu sein. Ich finde diese Entscheidung richtig. Wenn wir uns anschauen, wie viel Geschichtsstunden an sächsischen Schulen bis zur Klasse 9 gegeben werden, ist dies in der Bundesrepublik Spitze. In keinem anderen Land wird so viel Geschichte gelehrt wie in Sachsen.

Sie müssen eines verstehen: Wenn ich in der Klasse 9 im Geschichtsunterricht in der Gegenwart angekommen bin, kann ich nicht die Realschüler in der Klasse 10 bestrafen, indem sie dann irgendwelche Dinge wiederholen müssen. Deshalb war die Folge davon, in der Klasse 10 lediglich die Wahlmöglichkeit zwischen Geografie und Geschichte zur Vertiefung verschiedener Kapitel anzubieten. Ich halte diese Entscheidung für richtig und bitte darum, dass nicht weiter in Deutschland verbreitet wird, in Sachsen könne ein Schüler Geschichte abwählen.

So viel zu meinen Bemerkungen.

(Beifall bei der CDU)

Ich wünsche uns, dass wir mit den schwierigen Situationen und täglichen Informationen, denen Jugendliche ausgesetzt sind, an den Schulen zurechtkommen in unserer offenen Gesellschaft. Auf der anderen Seite müssen wir auch eines deutlich machen – wir haben es gestern in der Debatte gehört, was zum Beispiel Lehrstellen betrifft –: dass es eine wichtige Aufgabe ist. Wenn wir junge Leute immun machen wollen gegen solche rechtsextremen Verführungen, ist es das Beste, wenn wir sie zu jungen Persönlichkeiten, zu selbstbewussten Persönlichkeiten mit Zuversicht heranbilden und dass wir ihnen

Wege aufzeichnen in Form von Lehrstellen und Arbeitsplätzen. Ich glaube, auf diese Weise haben wir die beste Gewähr, dass unsere Demokratie so in Freiheit erhalten bleiben kann.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren! Damit ist auch die 2. Aktuelle Debatte, beantragt von der Fraktion GRÜNE, zum Thema „Umgang mit rechtsextremer Propaganda an sächsischen Schulen“ beendet und der Tagesordnungspunkt 1 abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

Fragestunde

Drucksache 4/2878

Ihnen liegen die eingereichten Fragen der Mitglieder des Landtages als Drucksache 4/2878 vor. Diese Fragen wurden auch der Staatsregierung übermittelt. Gleichzeitig ist Ihnen die Reihenfolge der eingereichten Fragen bekannt gemacht worden.

Meine Damen und Herren! Wir werden jetzt die Fragen in der Reihenfolge aufrufen, wie sie hier festgelegt worden sind. Ich rufe die erste Frage auf, die Frage Nr. 5. Frau Roth von der Linksfraktion.PDS hat sie gestellt. Ich bitte, dass Sie Ihre Frage hier im Plenum nochmals stellen. Bitte schön.

Herr Präsident! Ich frage nach dem Privatisierungsbericht der Staatsregierung. Die Staatsregierung hat in ihrem Privatisierungskonzept 1993 beschlossen, beginnend mit dem Jahr 1995 alle zwei Jahre dem Landtag über den aktuellen Stand der Privatisierung zu berichten. Letztmalig wurde dem Landtag der Bericht von 1999 im Jahr 2000 vorgelegt.

Frage an die Staatsregierung: Wann legt die Staatsregierung den nächsten Privatisierungsbericht vor?

Für die Staatsregierung antwortet Herr Staatsminister de Maizière.

Herr Präsident! Frau Abg. Roth, die Privatisierung kann ein geeignetes Mittel sein, den Staat von Aufgaben zu entlasten, und kann neben der Kosteneinsparung zu einer Neuabgrenzung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft führen. Sie ist eine ständige Aufgabe der Verwaltungsmodernisierung. Deshalb ist derzeit nicht an die Erstellung eines einzelnen Privatisierungsberichtes gedacht. Zunächst muss im Übrigen der Abschlussbericht der Expertenkommission zur Verwaltungsreform abgewartet werden. Gegebenenfalls werden dort Vorschläge zur Privatisierung gemacht. Das weiß ich noch nicht. Die Staatsregierung wird sich ab Oktober dieses Jahres mit dem Abschlussbericht intensiv beschäftigen und dann die notwendigen

Folgerungen, gegebenenfalls auch den Umgang mit Privatisierungsvorschlägen, diskutieren und den Landtag daran beteiligen.

Gestatten Sie eine Nachfrage?

Ja, bitte schön.

Welche Gründe, Herr Minister, liegen vor, dass die Staatsregierung von ihrem Ziel, alle zwei Jahre so einen Bericht vorzulegen, abweicht?