Protokoll der Sitzung vom 23.09.2005

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Organisationserlass – das ist die Verwaltungsvorschrift, die das Schuljahr regelt, auch dieses Schuljahr – steht – ich lese es Ihnen vor: „Das Erheben des Unterrichtsausfalles an Grundschulen, Mittelschulen, Gymnasien und an allgemein bildenden Förderschulen erfolgt im Zeitraum vom 19. September bis 7. Oktober.“

Wir haben auch im vergangenen Schuljahr bereits angemahnt, dass dieser Zeitraum verändert werden muss. Es sind also wieder nur drei Wochen, zwei Wochen im September und eine Woche im Oktober. Übrigens sind es für die Berufsschulen auch nur drei Wochen. Der Zeitraum ist nur zeitlich leicht versetzt.

Ich war Montag, dem 19. September, an einem Gymnasium und habe dort eher zufällig auf einen Vertretungsplan geschaut und festgestellt, dort steht: Aufgabenerteilung, Aufgabenerteilung, Aufgabenerteilung. Der Freitagsplan

von der vorherigen Woche hing auch noch da. Dort war zu lesen: Ausfall, Ausfall, Ausfall, sodass ich dann doch den stellvertretenden Schulleiter gefragt habe: Wieso haben Sie denn hier so gravierende Veränderungen zwischen Aufgabenerteilung und Ausfall? Ich bekam die Antwort: Frau Falken, Sie wissen doch, laut Org.-Erlass – das ist die Abkürzung für Organisationserlass – zählen wir ab heute den Ausfall und die Aufgabenerteilung fließt nicht in den Ausfall ein. Es ist also nicht nur die Tatsache, wie sie Herr Herbst gerade erläutert hat, dass im September noch relativ wenige Lehrer krank sind, sondern es kommt aus meiner Sicht noch dazu, dass hier eine klare Verfälschung vorgenommen wird.

Was ist denn nun eigentlich Unterrichtsausfall? Unterrichtsausfall ist nicht gehaltener Unterricht. Ist jetzt Stillbeschäftigung Unterrichtsausfall? Ist Aufgabenerteilung Unterrichtsausfall? Ist fachfremd erteilter Unterricht Unterrichtsausfall? Ist – ich gehe wirklich den Schritt – Ergänzungsbereich, der nicht gehalten wird – denn nach Verwaltungsvorschrift ist Ergänzungsbereich an und mit dem Kind zu halten –, Ausfall oder nicht? Nach unserer Auffassung ist das klar und deutlich Ausfall und muss auch so erfasst werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Kommen wir zur Erfassung. Wenn man sich die Erhebungsbögen der Statistik an den Schulen anschaut – ich habe das in Vorbereitung auf die heutige Plenarsitzung gemacht –, steht wirklich drin: Klasse, sehr gut; Stillbeschäftigung wird erfasst und darunter fachfremd vertretener Unterricht. Herr Herbst hat das schon gesagt. In dieser Statistik ist auch klar ausgewiesen, dass diese beiden Bereiche nicht als Ausfall gezählt, also nicht erfasst werden und so nicht in die Ausfallstatistik eingehen. Das halte ich für äußerst bedenklich.

Das Ziel muss doch sein, dass wir den Unterrichtsausfall an unseren Schulen senken. Da sind wir uns sicher fraktionsübergreifend einig. Dazu muss ich aber wissen, wie hoch der Ausfall real ist.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Sie wissen es jetzt!)

Herr Herbst hat es mir erklärt. Wir wissen es nur aus den Antworten auf die Kleinen Anfragen. Ich erkläre Ihnen gleich, warum ich es nicht weiß.

Fest steht, dass der Unterrichtsausfall höher ist, als wir aus dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus öffentlich oder nichtöffentlich erfahren. Wir wissen auch – aus dem Bericht des Rechnungshofes und aus der Kleinen Anfrage der FDP, die am Ende des Schuljahres gestellt wurde und sehr umfangreich beantwortet worden ist –, dass wir hier ein ganz großes Defizit in der Offenheit des Kultusministeriums haben. Stunden, die für den Unterrichtsausfall zur Verfügung gestellt werden, existieren ja in den Regionalschulämtern als Zuweisungen auch, die so genannten „MAU“, Mehrarbeitsstunden. In diesem Jahr ist es sogar so, dass diese Mehrarbeitsstunden für den planmäßigen Unterricht verwendet werden müssen und somit für die Vertretungsstunden gar nicht mehr zur

Verfügung stehen. Den Vertretungspool, der eingerichtet werden soll, was wir schon andeutungsweise im Ausschuss gehört haben und was wir ausdrücklich begrüßen, wird es höchstwahrscheinlich, man weiß es noch nicht genau, nur in einigen wenigen Bereichen im Freistaat geben und nur an den Mittelschulen.

Wir als Linksfraktion halten das für viel zu wenig.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ausfall muss über das gesamte Jahr auch transparent gemacht werden, so wie es Herr Herbst schon dargestellt hat. Erfasst wird er ja. In den Statistiken ist ganz klar jeden Monat eine Meldung an die Regionalschulämter zu geben, und zwar in verkürzter Form, nicht so ausführlich wie für diese drei Wochen. Also ist es doch eigentlich wirklich keine große Mühe.

Das Ziel – das ist natürlich in weiter Ferne –, bezogen auf den Ausfall, muss doch sein, dass jeder Schule für sich der durchschnittliche Ausfall, den sie in einem und im Vorjahr hatte, als Stundenvolumen zur Verfügung gestellt wird, sodass dann die Schule selbstständig darüber entscheiden kann, wie sie die Stunden einsetzt.

Herr Flath, ich finde es toll, dass Sie lachen. Sie haben an den Schulen hoch qualifizierte und engagierte Lehrer, die in Teilzeit von 15 % und weniger sind. Sie haben ein unglaubliches Potenzial an Beschäftigten, die diese Ausfallstunden auch wirklich halten können. Sie müssen nicht einmal zusätzlich Personal einstellen. Sie müssen nur die Möglichkeiten und Mittel zur Verfügung stellen, die dafür notwendig sind.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Staatsminister Steffen Flath: Das ist eine tolle Rechnung!)

Noch ein Wort, Herr Staatsminister Flath. Dass Sie damit Probleme haben, dass Sie hier im Landtag derzeit niemanden haben, der sehr nahe an der Schule ist, kann ich verstehen. Aber ein Personal hat darüber zu wachen, dass Gesetze und Verordnungen zugunsten der Beschäftigten umgesetzt werden, und sich nur am Rande darum zu kümmern, wie es mit den Schülern ist. Ich bin hier als bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in diesem Sächsischen Landtag angetreten, um Bildungspolitik in Sachsen zu gestalten, um das Bildungssystem in Sachsen neu zu gestalten, und dies nicht für die Lehrerinnen und Lehrer, sondern für die Schülerinnen und Schüler. Das ist mein Auftrag hier.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Volker Bandmann, CDU: Alle diese Aussagen bringen die vergangenen 40 Jahre in Erinnerung! – Unruhe)

Die SPD-Fraktion, Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zwei Legislaturen berichtet das Kultusministerium dem Parlament regelmäßig über den Unterrichtsausfall, und zwar jeweils auf der Grundlage von Anträgen der SPD. Jeder und jedem im Haus ist

klar, dass dieser Antrag in den vergangenen Legislaturperioden immer nur deshalb angenommen werden konnte, weil unser jetziger Koalitionspartner dem auch zustimmte.

Das vor Augen, ist klar, dass wir als Koalition selbst an einer Berichterstattung über die Unterrichtsversorgung interessiert sind und diese auch unterstützen. Wir begrüßen den Antrag und stimmen ihm zu.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Damit könnte ich es bewenden lassen, wenn wir nichts weiter mit Schule vorhätten, wenn wir zufrieden wären mit dem, wie Schule heute abläuft. Sie wissen, dass wir das nicht sind. Wir sehen ziemlichen Handlungsbedarf vor Ort, um eine solche Schul- und Lernkultur wachsen zu lassen, die sich jeder einzelnen Schülerin und jedem einzelnen Schüler zuwenden sollte, sich an dem individuellem Lernfortschritt orientiert und die bestmögliche Ausbildung von Kompetenzen zum Ziel hat.

Wenn wir das ernst meinen, dann kommt es am Ende nicht darauf an, wie viele Stunden ein junger Mensch in der Schule abgesessen hat, sondern darauf, wie viele Stunden echter Lernzeit sie oder er in ihr verbringen konnte. Das werden wir durch eine Unterrichtsstatistik nicht erfahren. So können wir auch der Begründung des Antrages nicht folgen, im Gegenteil. Wenn Sie schreiben, die Unterrichtsversorgung ist ein Gradmesser für die Leistungsfähigkeit der Schulen, ihre Offenlegung schafft bessere Vergleichsmöglichkeiten zwischen Schulen und Regionen, dann offenbart das die typisch deutsche Sicht auf das Lernen als einen Prozess, in dem hauptsächlich Lehrerinnen und Lehrer einer Gruppe von Schülern etwas beibringen. In einem solch verkürzten Blick auf das Lernen ist dann auch jedes Lernen mit jeder fachfremd vertretenen Stunde und Stillarbeit von Übel.

Lernen ist aber eben weit mehr als Wissensvermittlung. Wir wissen heute sicher, dass das Lernen ein individueller Prozess ist. Das meint nicht etwa die Trivialität, dass natürlich Individuen lernen. Das erkennt auch die alte Schule. Das heißt, dass das Lernen als besonderer Entwicklungsprozess immer von den konkreten Lebenslagen der Lernenden, von dem, was sie schon gelernt haben und wie sie es gelernt haben, abhängt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass mit zunehmendem Schulalter die frontal organisierten Lernprozesse immer ineffizienter für den einzelnen Lernenden werden und den Druck erhöhen, die Lerngruppen zu homogenisieren.

Wir können unsere Probleme nur lösen, wenn wir Schul- und Lernkultur konsequent auf die Entwicklung des einzelnen jungen Menschen ausrichten. Das wird uns nur gelingen, wenn wir jeden jungen Menschen in der Verantwortung für sein Lernen belassen und ihn vor allem anderen zum selbst gesteuerten Lernen befähigen. Das ist eine Grundvoraussetzung, um lebensbegleitendes Lernen ernsthaft in der Gesellschaft zu verankern.

Warum brauchen wir noch die Statistik? Das hat zwei Gründe. Zum einen haben wir dem Haushalt im Einzelplan 05 mit der Maßgabe zugestimmt, dass die dort ausgebrachten Stellen, im internationalen Vergleich betrachtet, eine sehr gute Ausstattung darstellen, wir aber hinsichtlich der Schul- und Lernkultur diesem internationalen Vergleich nicht standhalten. Im Klartext: Wenn wir an der Unterrichtsorganisation und dem Personalmanagement nichts ändern, dann werden die ausgebrachten Stellen wohl nicht reichen.

Der zweite Grund ist aber noch wichtiger, auch wenn ihn der Antragsteller nicht im Blick hat. Es geht nicht um Qualitätskontrolle oder -vergleich und dann auch noch um Wettbewerbsmöglichkeiten zwischen den Schulen und Regionen, wie wir in der Begründung lesen. Es geht vielmehr schlicht um Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Wenn wir in der heutigen Unterrichtsschule mit ihrer einseitigen Lernkultur dem einen Schüler Unterricht vorenthalten, der andere ihn aber bekommt, dann ist das eine Benachteiligung. Das wird so lange der Fall sein, wie wir keine Kultur des selbst gesteuerten und selbst verantworteten Lernens an unseren Schulen haben. Das ist unsere Herausforderung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der FDP, vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

Das Wort hat die NPD-Fraktion. Frau Schüßler, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich mache es ganz kurz: Wir stimmen dem Antrag und auch dem Änderungsantrag zu. Meine Rede gebe ich zu Protokoll.

Die Fraktion der GRÜNEN ist an der Reihe. Frau Günther-Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bekam eben einen strengen Blick zugeworfen und die Bitte zugeraunt: Machen Sie es heute einmal kurz. – Ich denke, ich werde es heute einmal ganz kurz machen. Der Antrag der FDP-Fraktion ist so gut, dass wir diesem zustimmen können.

(Beifall bei der FDP)

Dennoch erlaube ich mir, zwei, drei Anmerkungen zu machen. Schließlich ist es so, dass das Kultusministerium in den vergangenen Jahren dadurch unangenehm aufgefallen ist, dass es Unterrichtsausfall in einem erheblich geringeren Maße ausgewiesen hat als der Rechnungshof. Wenn wir dem Antrag der FDP-Fraktion zustimmen, haben wir eine Berechnungsgrundlage, die uns auch eine Grundlage für ordentliche Prognosen gibt. Wir können beispielsweise feststellen, wo es Mangelfächer gibt, wo wir Notwendigkeiten haben, bestimmte Abweichungen vom bisherigen Plan vorzunehmen. Ich denke, das ist das Ziel. Es geht uns doch nicht darum, eine gute Statistik zu erstellen, sondern darum, eine hundertprozentige Unter

richtsversorgung zu realisieren. Ich denke, das erreichen wir mit diesem Antrag.

Ich habe es kurz gemacht. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Nun gebe ich noch kurz dem Minister das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Natürlich muss ich es jetzt auch kurz machen.

Nachdem wir vom Rechnungshof gerügt wurden, darüber beraten haben und ich die Freude hatte, abends von 21:00 Uhr bis 24:00 Uhr die Kettenanfragen zu unterschreiben, die die Abgeordneten der FDP-Fraktion gestellt hatten, um auch das zu vereinfachen, haben wir, genau wie im FDP-Antrag gefordert, tatsächlich vor, die Statistik so weiterzuentwickeln, dass wir Bericht erstatten wie gewünscht, dass wir das auch ins Schulporträt stellen. Ich glaube, dass dadurch auch die Schule selbst ein Interesse hat, dass diese Zahlen nicht zu hoch sind. Ich will noch einmal unterstreichen, dass nicht die Verbesserung der Statistik das Ziel ist, sondern insgesamt den Unterrichtsausfall zu reduzieren.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Wenn ich von Ihnen Beifall bekomme, Herr Dr. Hahn, dann macht mich das stutzig.

Natürlich müssen wir darauf achten – dazu würde ich gern die FDP-Fraktion mit in die Verantwortung nehmen –, ob wir nicht den Aufwand reduzieren können, weil unsere Schulleiter schon jetzt klagen, dass sie viel zu viel Zeit am Schreibtisch mit dem Ausfüllen von Statistiken verbringen. Ich glaube, dass das auch bei Erfüllung des FDP-Antrages möglich ist. Ich schlage vor, dass wir diese Diskussion im Ausschuss vertiefend führen.

Herzlichen Dank. Ich kann mit dem Antrag der FDPFraktion leben. Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Wird das Schlusswort noch gewünscht, Herr Herbst? – Sie verzichten.