Protokoll der Sitzung vom 07.12.2005

(Heiko Hilker, Linksfraktion.PDS: Umverteilung!)

Meine Damen und Herren! Der Beweis, dass Studiengebühren durchaus sozial verträglich und nachgelagert eingeführt werden können, wird uns tagtäglich nicht nur im europäischen, sondern auch im außereuropäischen Ausland erbracht. Studiengebühren dienen der Verbesserung der Studienqualität. Es geht nicht darum, dass der Staat die Studiengebühren einführen will. Wer Eigenverantwortung, Flexibilität und moderne Verwaltungsstrukturen haben möchte, der kann sie nicht nur fordern, sondern muss sie auch den Hochschulen zubilligen. Er muss zulassen, dass die Hochschulen selbst darüber entscheiden. Ähnlich sieht es meine Fraktion hinsichtlich der Studiengebühren an sächsischen Hochschulen. Aber wir sind im Diskussionsprozess, in dem unterschiedliche Meinungen zum Tragen kommen können. Wir werden intensiv weiterdiskutieren. Ich habe keine Zweifel daran, dass wir gemeinsam – die beiden Koalitionsfraktionen mit der Staatsregierung – Anfang nächsten Jahres einen Entwurf diskutieren, der diesen Zielen gerecht wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Frau Dr. Raatz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Ich werde gleich an dem letzten Punkt, den Studiengebühren, wo Herr Dr. Wöller geendet hat, fortsetzen und es wird Sie nicht verwundern, dass das genau der Hauptpunkt ist, zu dem wir uns in der Koalition noch keine einheitliche Meinung gebildet haben.

Wir haben eine klare Meinung, denn die SPD ist gegen Studiengebühren – um es ganz klar zu sagen –, und mit der SPD wird es in Sachsen auch keine Studiengebühren geben.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion.PDS)

Aber das kann nicht heißen, dass wir deshalb aufhören, über unsere Position zu reden. Letztlich wird dieses Haus mit einer Mehrheit über einen neuen gesetzlichen Rahmen für die Hochschulen entscheiden.

Die SPD-Landtagsfraktion hält ganz klar an der Gebührenfreiheit für das Erststudium fest. Wir wenden uns auch gegen die Privatisierung staatlicher Bildungsaufgaben. Für uns sind Hochschulen keine Unternehmen, sondern Bildungseinrichtungen, und es gilt für uns die Freiheit von Forschung und Lehre. Ich denke, dass wir das schon an genügend Stellen deutlich gemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Der von Herrn Prof. Milbradt in Freiberg dargestellte Zusammenhang – deswegen ist es ganz interessant, dass Sie in Ihrer Rede die einzelnen Positionen angeführt haben, damit kann man sie auch diskutieren –, nämlich die Position, dass Studiengebühren mit einer hohen Qualität der Ausbildung und Lehre gleichzusetzen sind, ist für mich nicht schlüssig.

Unser Ministerpräsident befürchtet Qualitätsverluste. Ich befürchte in diesem Zusammenhang Studentenverluste.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Außerdem würde alle Kundenmentalität der Studierenden doch auch dann nur wirklich zum Tragen kommen, wenn sie intern auch die Möglichkeit hätten, Leistungen einzufordern und über Inhalte zu diskutieren. Diese Möglichkeiten können aber auch ohne Gebühren geschaffen werden. Als Beispiel sei hier einmal das Modell der Studienkonten angeführt, das die kostenfreie Leistung der Hochschule gegenüber den Studierenden begrenzt und ebendiese Vorstellungen genauso bedient.

Studiengebühren sind unsozial. Man sollte genauer hinschauen, wer die Hochschulen füllen würde und für wen ein Studium mit der Einführung von Studiengebühren keine Option mehr wäre. Schon heute haben wir in Sachsen über 40 % der Studierenden, die BAföG erhalten. Das ist doch schon ein klares Zeichen, in welche Richtung die Entwicklung gehen würde. Alle Länder mit echten Studiengebühren zeigen doch deutlich, wie sich die soziale Zusammensetzung der Studierenden zuungunsten der unteren und mittleren Schichten verändert. Das kann doch nicht unser Ziel sein. Für mich, Herr Dr. Wöller, ist das auch kein ideologisches Thema, sondern ein Thema, über das man wirklich reden muss und das man auch von verschiedenen Seiten beleuchten sollte. Dieser Tendenz, nämlich der Veränderung der sozialen Zusammensetzung an den Hochschulen, die sich hier schon abzeichnet, dürfen wir doch nicht noch das Wort reden!

(Beifall bei der SPD)

Auch die Annahme, dass Studiengebühren die Studienzeiten verkürzen und die Abbrecherquote verringern, ist ein Trugschluss. Schon heute übt ein Großteil der Studenten – 68 % sind es – Nebenjobs aus. Durch die Erhebung von Studiengebühren würde sich die finanzielle Belastung der Studenten deutlich erhöhen und die Notwendigkeit zu

jobben steigen. Eine weitere Konsequenz wäre die längere Studiendauer.

Auch das Schaffen von Darlehens- oder Kreditsystemen ist doch nicht die Lösung des Ganzen und erleichtert die Situation für Studenten mit schwachem finanziellem Hintergrund keinesfalls. Sie schreckt eher von einem Studium ab, denn welche 18-Jährige oder welcher 18Jährige kann heute schon überblicken, was sie/er nach dem Studium für einen Job haben werden?

Eine Absenkung der Abbrecherquote wäre ebenfalls kaum zu erwarten, denn schon heute brechen 26 % der Studierenden ihr Studium aus finanziellen Gründen ab. Wichtig ist doch für uns, eine Motivation für ein effizientes und zielorientiertes Studium zu schaffen und ebenso die Hochschulen dafür zu interessieren, dass möglichst viele Studierende im Rahmen der Kapazitäten anzuwerben sind und eben auch ein erfolgreiches Studium führen. Erfolg wird dann die beste Werbung für unsere Hochschulen sein. Also geben wir den Hochschulen diese Verantwortung für die Gestaltung der Studienangebote! Dazu gehört auch deren eigenverantwortlicher Umgang mit ihren Ressourcen. Das wird auch der Inhalt der neuen und großen Hochschulnovelle sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Gansel, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die NPD-Fraktion hat immer wieder klargestellt, dass sie das Recht auf gleiche Bildungschancen einschließlich eines gebührenfreien Erststudiums als eine der größten Errungenschaften der deutschen Bildungsgeschichte betrachtet. Hier jetzt die Uhren zurückdrehen zu wollen und die Aufnahme eines Studiums doch wieder von der sozialen Herkunft abhängig machen zu wollen, wie es das Ansinnen des Ministerpräsidenten mit seiner Forderung nach Studiengebühren zu sein scheint, lehnen wir rundweg ab.

Es kommt noch etwas hinzu. Der Rohstoff „Bildung“ ist ja nicht in erster Linie dafür da, wie uns ständig erzählt wird, bloß funktionsgerechte und zurechtstandardisierte Teilnehmer an einem globalen Wirtschaftsprozess hervorzubringen, etwa neoliberale Yuppies, die zwar das Firmenrecht in Lettland oder die Steuergesetzgebung Südkoreas aus dem Effeff kennen, aber noch nie etwas von Platon – vielleicht darf man noch an den Namen erinnern – oder Humboldt gehört haben. Hier liegt einer der Grundirrtümer der so genannten Hochschulreform: Sie orientiert sich einseitig an den Grundbedürfnissen einer globalisierten Wirtschaft; sie schneidert Bildungsangebote häppchengenau auf ökonomische Erfordernisse zurecht und übersieht, dass Bildung auch Allgemeinbildung, auch Menschenbildung ist.

Völlig zu Recht argumentiert etwa das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“: „Es geht nur noch um die

individuelle Optimierung eigener Verdienstchancen und die Zurichtung von Studierenden auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Das Studium wird zur Investition in das eigene Humankapital mit dem ausschließlichen Ziel, einen ‚Return of Investment’ in Form eines höheren Gehaltes zu erzielen. Bildung wird auf eine binnenwirtschaftliche Sicht reduziert, die den gesellschaftlichen Nutzen von Bildung bewusst ignoriert.“ So weit das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“.

Die NPD-Fraktion geht mit dieser Einschätzung völlig konform. Um es auf den Punkt zu bringen: Reformbedarf gibt es im Hochschulbereich, das ist nicht in Abrede zu stellen. Aber eine Reform auf dem Rücken der Studierenden, die auf eine reine Ökonomisierung des Hochschulstudiums abhebt und obendrein jeden Anspruch auf gleiche Bildungschancen konterkariert, lehnen wir ab. Dazu fehlt uns die sozialpolitische Skrupellosigkeit, die bei den Hochschul-Globalisierern überreich vorhanden ist.

(Beifall bei der NPD)

Wird von der FDP noch das Wort gewünscht? – Ich frage die Fraktion der GRÜNEN. – Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ministerpräsident Milbradt sprach in Freiberg von „Anregungen, die ich in die Diskussion werfen möchte“. In Fragen der Studiengebühren waren seine Anregungen Knüppel, die er der Wissenschaftsministerin zwischen die Beine geworfen hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Wir hatten hier vor einigen Wochen eine Debatte zur Forschungslandschaft und waren uns einig, dass Zugang zur Bildung die entscheidende Zukunftsfrage für die Gesellschaft insgesamt ist, aber auch für jede und jeden Einzelnen. Das heißt, dass deshalb Bildung, Wissenschaft und Forschung höchste Aufmerksamkeit gebührt. Wer das einsieht – das haben hier alle in diesem Plenum eingesehen –, wer gar oft den internationalen Wettbewerb ständig zitiert, der muss doch darauf reagieren, dass in anderen Ländern ein deutlich höherer Anteil an Hochschulbildung existiert. Die Studienanfängerquote eines Jahrganges liegt jetzt bei uns bei 36 %. Sie ist seit 1998 regelmäßig gestiegen, aber sie liegt weit unter dem OECD-Wert von 51 %. Das heißt, wir brauchen mehr Studierende und nicht weniger. Deshalb kommt es darauf an, am Zugang zur Hochschule nicht zusätzliche Schranken zu errichten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Nun wurde ja zur Realität gerufen und weg von Märchenstunden. Die Realität ist vielleicht eine andere. Sie meinen, Studienverzicht würde nicht aus diesem Grunde

geübt. Glauben Sie einmal Studien, schauen Sie sich Zahlen an. Seit Jahren ist es belegt. Jüngst hat eine KMKStudie ausgesagt, dass 25 % der Studienberechtigten, die nicht studieren, als Grund angeben, dass Studiengebühren ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen. In diesen Tagen hat das Statistische Bundesamt seinen Bericht „Hochschulstandort Deutschland 2005“ veröffentlicht. Er stellt fest, dass wir jetzt die höchste Zahl der Studienberechtigten haben, dass aber erstmals seit Jahren eine sinkende Zahl von Studierenden und Studienanfängern zu verzeichnen ist. Als Grund werden explizit Studiengebühren angegeben.

Liebe Kollegen von der CDU und von der FDP! Wissen Sie eigentlich, wer an unseren Universitäten studiert? Es sind Kinder aus gut gebildeten und gut situierten Familien. Schauen Sie bitte in die 17. Sozialstudie des HIS! Vier Fünftel aus hohen sozialen Herkunftsgruppen studieren, aber nur ein Zehntel aus niedrigen Gruppen. Wenn der Vater Abitur hat, haben 84 % der Kinder die Möglichkeit, zum Studium zu gehen, aber nur 27 % der Kinder schaffen das mit einem elterlichen Realschulabschluss als Hintergrund. Ich frage Sie jetzt: Finden Sie das gut? Finden Sie das veränderungsbedürftig? Wollen Sie daran etwas ändern? Was halten Sie von dem europaweiten Vergleich, dass Arbeiterkinder in Deutschland am schwersten den Weg zur Hochschule finden?

Platz eins in diesem Bereich hat übrigens Irland belegt, das Land, das 1990 Studiengebühren abgeschafft hat. Glauben Sie etwa wirklich an das Wunder, dass mit Studiengebühren mehr junge Leute aus einkommensschwachen Familien zum Studium kommen? Nein, dieser Weg wird die soziale Ungerechtigkeit weiter vertiefen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Gerstenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Gerstenberg, Sie hatten gerade verschiedene, auch internationale Vergleiche angesprochen, was den Anteil von studierenden Kindern aus Arbeiterhaushalten angeht. Wie erklären Sie sich, dass es Länder mit Studiengebühren gibt, in denen trotzdem der Anteil an Arbeiterkindern unter den Studierenden deutlich höher ist als in Deutschland?

Es ist immer zu hinterfragen, was Statistiken aussagen.

(Widerspruch bei der CDU)

Die Frage, die hier steht, betrifft deutsche Verhältnisse. In anderen Ländern muss man schauen, welche Situation dort vorherrscht und welche Bildungschancen existieren. Unser Thema Studiengebühren ist ja nur das Ende einer Pipeline. Wir haben in Deutschland die Situation, dass bereits von Anfang an eine starke soziale Trennung erfolgt. Die Pisa-Studien haben das nachgewiesen. Das heißt, vom Kindergarten an über die Schule ist der Trich

ter, der sich bildet, für Kinder aus einkommensschwachen und sozial schwachen Verhältnissen extrem eng. Die Studiengebühren sind das Ende davon. Wir führen hier eine Debatte zu Studiengebühren, ändern muss sich aber das gesamte Bildungssystem in Deutschland von Grund auf.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Der Ministerpräsident warnte in Freiberg vor negativer Selektion und er meinte damit die Eliten, die eventuell weggehen würden oder nicht kommen, falls Studiengebühren erhoben würden. Er nimmt damit eine Verschärfung der sozialen Selektion bewusst in Kauf.