Protokoll der Sitzung vom 07.04.2006

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN sowie des Staatsministers Thomas Jurk)

Wird von der NPD-Fraktion noch das Wort gewünscht; Sie haben noch eine kurze Redezeit? – Dann die GRÜNEN? – Frau GüntherSchmidt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist das passiert, was regelmäßig bei Bildungsdebatten passiert: Wir werfen uns gegenseitig vor, pure Ideologen zu sein, sind mächtig aufgeregt und vergessen, dass es eigentlich um das Wohl der Kinder geht. Das ist insofern schade.

Ich möchte auf einige Stichworte der Debatte eingehen. Aufseiten der CDU und offenbar auch der FDP scheint es eine große Furcht zu geben, dass ein höherer Zugang zur Bildung, der für uns Ausdruck von Bildungsgerechtigkeit ist, zu einem Niveauverlust an den Gymnasien führt.

Ich teile diese Einschätzung nicht. Auch bislang war es an Gymnasien so, dass wir keine homogenen Lerngruppen hatten, ebenso wenig wie an den Mittelschulen. Es ist die pädagogische Herausforderung, mit diesen Unterschiedlichkeiten umgehen zu können. Wenn Sie sagen, das ist nicht möglich, dann formulieren Sie hiermit den Offenbarungseid der Pädagogik.

Ich bin mir sicher, dass das geht. Wir werden abwarten müssen, denn die Phase der 5. und 6. Klasse mit der ersten Bildungsempfehlung ist noch nicht abgeschlossen,

und dann sehen wir, wie hoch die Übertrittsquote zurück zur Mittelschule ist. Ich erwarte nicht, dass es dort große Ausreißer geben wird.

Die Frage, Mittelschulen erhalten aufgrund von Bildungsempfehlungen, halte ich für eine ziemlich problematische, denn es geht nicht darum, ob wir eine Schulart erhalten wollen, sondern es geht darum, dass wir wohnortnahes Lernen ermöglichen müssen, dass wir Bildungsgerechtigkeit garantieren und dass wir vor allen Dingen dafür Sorge tragen, dass diejenigen Kinder, die aus sehr benachteiligten Familien kommen, eine Chance erhalten, dass es ihnen einmal besser ergeht als ihren Eltern. Sonst wird es nämlich so sein, dass Zehnjährige in der Grundschule das „Arbeitslos“ für zehn Jahre später ziehen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von der FDP-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Ich frage die CDU-Fraktion? – Linksfraktion.PDS? – SPD-Fraktion auch nicht mehr. Die NPD-Fraktion hatte ich schon gefragt. Die Vertreterin der GRÜNEN hat gerade gesprochen. Dann, bitte, Herr Staatsminister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Frau Günther-Schmidt, Sie haben schon Recht, in der zweiten Runde der Aktuellen Debatte sind wir wieder in die alten Schlachten verfallen, deswegen werde ich eher zur ersten Runde Stellung nehmen, weil ich dort festgestellt habe, dass wir zwar unterschiedlicher Meinung im Hohen Hause sind, dass es im Grunde aber eine sehr sachliche Diskussion gegeben hat. Die NPD-Fraktion will ich einmal ausschließen. Herr Gansel, man muss damit leben, dass man Geisterfahrerei vorgeworfen bekommt, aber da Sie es nicht begründet haben, kann ich mich damit auch nicht auseinander setzen. Frau Falken, Sie haben einige Vorwürfe erhoben, auf die ich im Einzelnen eingehen werde.

Zunächst noch einmal zum Grundproblem, welches der heutigen Debatte zugrunde liegt: die Änderung der Bildungsempfehlung. Es ist richtig, vor einem Jahr, nämlich im Januar 2005, habe ich die Grundschulordnung in Sachsen geändert. Es ist auch richtig, dass ich damit die Aufgabe der Gymnasien und der Mittelschulen vergrößert habe. Die erschwerte Aufgabe besteht darin, dass Gymnasien mehr als bisher auch leistungsschwächere Schüler integrieren müssen, aber ich will ganz klar benennen: Ziel ist, auch diese Schüler durch eine besondere Zuwendung, besondere Förderung zum Abitur zu führen.

(Beifall des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)

Es darf nicht als Ziel gelten, möglichst viele etwa zur Mittelschule zurückzuschicken, um am Ende Recht zu behalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist richtig, dass ich auch die Aufgabe der Mittelschulen erschwert habe. Ich weiß, dass der eine oder andere Leistungsstarke in der Mittelschule gebraucht wird,

(Beifall der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion.PDS)

nur veranstalten wir das alles nicht, um ein besonders gutes Schulsystem zu haben, sondern es geht um die Verbesserung der Chancen eines jeden Einzelnen. Dort gilt, was von verschiedenen Fraktionssprechern festgestellt wurde: Es ist kein Schüler dafür geboren, eine Mittelschule oder ein Gymnasium zu erhalten, sondern es geht darum, eine anständige Vorbereitung aufs Leben zu erfahren.

Deshalb ist es auch nicht so, Herr Herbst, dass wir untätig sind. Ich habe den Wunsch in Erinnerung, aber wir haben erst ein Jahr Veränderung. Wirkliche Auswirkungen werden wir erst in drei, vier, fünf, sechs Jahren feststellen können. Wir werden die Entwicklung sehr aufmerksam verfolgen, aber wir liegen mit der Änderung der Zugangszahlen zum Gymnasium durchaus im Trend. Wenn ich mir unser Nachbarland Sachsen-Anhalt anschaue, so gab es dort im letzten Schuljahr 45,4 % Übergang und im jetzt laufenden Schuljahr wahrscheinlich 44,5 %. In Sachsen ist die aktuelle Zahl mit Stand vom 17. März, nämlich dem Anmeldetag, 44,8 % Anmeldungen ans Gymnasium. Das ist eine Steigerung um etwa 7,5 % gegenüber dem Zeitraum vor Änderung der Bildungsempfehlung.

Frau Falken, nun komme ich zu Ihnen. Ich habe veranlasst zu analysieren, und Sie erheben daraus gleich einen Vorwurf. Das weise ich zurück. Ich habe nicht angewiesen, dass die Grundschulen dafür zu sorgen hätten, dass weniger ans Gymnasium kommen. Dieser Vorwurf ist völlig ungerechtfertigt. Nehmen wir an, wir hätten die Bildungsempfehlung nicht geändert, dann gäbe es auch eine Steigerung. Im jetzt laufenden Schuljahr haben in Klasse 4 41,9 % der Schüler einen Durchschnitt von 2,0. Nicht alle Eltern haben deshalb ihre Kinder tatsächlich für das Gymnasium angemeldet, denn ansonsten kämen wir bei 7,5 % auf eine ganz andere Zahl des Übergangs. Es gilt zu analysieren, ob diese erhöhte Zahl von Kindern mit Durchschnitt 2,0 tatsächlich der Erfolg der Grundschule ist. Das möchte ich bestätigt haben, denn dann wäre es sehr gut. Wir möchten nicht, dass nach und nach das Zensierungsverhalten in der Grundschule vom Niveau her nachlässt. Das ist bisher unklar und deshalb ist es zu analysieren. Es ist nicht so, wie Sie es mir jetzt vorwerfen, Frau Falken, ich würde Druck auf die Grundschule ausüben. Keineswegs.

Sie haben in der Wahl der Überschrift der Debatte eine Verbindung hergestellt, Herr Herbst – ich habe Ihnen genau zugehört –, aber das differenzierter vorgetragen. Das will ich sehr anerkennen. Ich bin der Meinung, es liegt kein Zusammenhang vor zu dem, was heute bevorsteht, dass ich am heutigen Tage die Anhörungsschreiben an die Schulträger und an die Schulnetzplanungsträger versende. Ich habe diese Woche gesagt, dass es etwa 55 Schreiben sein werden. Am Ende könnte das bedeuten, dass etwa 35 Mittelschulen in Sachsen geschlossen

werden. Ich will eines sagen: Auch ohne Änderung der Bildungsempfehlung wäre kein anderes Ergebnis herausgekommen.

Sie haben es selbst getan. Wenn man die Prozentrechnung beherrscht, dann stellt sich das folgendermaßen dar: Ich nehme einmal das Beispiel Dresden. Die geringste Schüleranzahl war zwölf an der Mittelschule. Nehmen Sie 7,5 % dazu, dann kommen Sie auf 13 Schüler. Wenn Sie das bei einer stärkeren Anmeldung von 46 oder 47 Schülern tun, dann sind es vier oder fünf Schüler, die ansonsten mehr auf die Mittelschule gegangen wären. Es hätte also keine Änderung gebracht. Deshalb ist die Verbindung populär im Land. Es ist immer gut, wenn man nicht nur eine schuldige Person hat, an der man alles festmachen kann, sondern auch noch die Änderung der Bildungsempfehlung. Es ist populär, aber längst noch nicht richtig.

Außerdem verstehe ich die FDP-Fraktion nicht ganz, auch das haben einige Redner vorgetragen. Was kann eine FDP gegen das Entscheidungsrecht der Eltern haben? Doch in Wirklichkeit nichts. Deshalb stehe ich dazu, wie wir es im Koalitionsvertrag ausgehandelt haben: dass das Entscheidungsrecht der Eltern zu stärken ist.

(Beifall des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)

Mit der Änderung der Bildungsempfehlung bin ich in diese Richtung gegangen. Mir ist natürlich auch bekannt, dass meine eigene Fraktion, die CDU-Fraktion, damit Probleme hatte. Das ist nichts Neues oder Ungewöhnliches, das ist eine Reibungsfläche, aber mein Eindruck ist – das hat die Debatte auch gezeigt –, dass wir damit zurechtkommen.

Ich will noch einmal belegen, warum das Entscheidungsrecht der Eltern gestärkt worden ist. Eine Grundschule gibt eine Empfehlung und Eltern können bei 1,0, bei 1,5, bei 2,0 und was eben neu ist, auch bei 2,5 entscheiden, ob ihr Kind aufs Gymnasium geht oder die Mittelschule besucht. Erst bei 3,0 schränken wir das Entscheidungsrecht ein und sagen, das ist wohl möglich, aber es wird das Bestehen einer Aufnahmeprüfung gefordert und wer schlechter als 3,0 ist, dem wird ein Zugang nicht ermöglicht. Das Entscheidungsrecht der Eltern haben wir damit gestärkt, aber die Auswirkungen müssen wir genau beobachten.

Abschließend zu den Vorwürfen von Frau Falken, die gestern natürlich völlig richtig beobachtet hat. Aber ich glaube, auch ein Minister hat das Recht, vielleicht sogar die Pflicht, mit den regierungstragenden Fraktionen und dort mit einzelnen Mitgliedern Gespräche zu führen. Es ist richtig, dass ich das gestern auch häufig getan habe. Ich erkläre hier aber: Natürlich habe ich immer abzuwägen. Es ist zur Stunde tatsächlich so, dass ich in etwa die Liste für diejenigen im Kopf habe, die am heutigen Tage Schreiben zur Anhörung von Mitwirkungsentzügen oder Schulschließungen erhalten werden. Ich will eines vom letzten Jahr beachten, als mir mancher Schulträger vorgeworfen hat, dass er das Schreiben noch nicht auf dem

Fax hatte, aber bereits von Journalisten angerufen wurde, wie seine Meinung dazu ist. Ich verstehe die Bürgermeister und Landräte, dass diese dort in einer sehr miesen Position waren. Deshalb habe ich gesagt: Bis heute in die Abendstunden werden die Schreiben versandt. Ich sage hier jedem Abgeordneten und auch der Presse zu, dass sie am Montag eine zusammengefasste Liste aller heute versandten Schreiben, alle Adressaten und zusammengefasst, was angehört wird, im Postfach liegen haben. Im Übrigen wird das auch am Montag ins Internet gestellt.

Ich erkläre auch: Kein Abgeordneter der CDU- oder auch der SPD-Fraktion hat eine solche Liste, weil es die Liste am heutigen Tag nicht gibt. Ich habe lediglich den Abgeordneten meine Vorgehensweise erläutert. Das habe ich diese Woche auch gegenüber der Presse getan.

Ich erkläre dazu: Es wird keine Liste mit Ausnahmen geben, sondern – das erlaubt das Gesetz – dass ich, wenn vor Ort keine Entscheidungen getroffen worden sind und die Anmeldungen so sind, dass sie unter 40 Anmeldungen in der Mittelschule liegen, die Möglichkeit nutze, einzugreifen. Ich kann Ihnen bei den Schulen, bei denen ich eingreife, begründen, warum ich das getan habe, und zwar deshalb, weil wir in sehr umfangreichen Gesprächen – die ich in aller Regel persönlich in den Landkreisen und Kreisfreien Städten geführt habe – geklärt haben, ob eine Schule in den nächsten Jahren durch vielleicht leicht ansteigende Anmeldezahlen noch eine Chance hat. Wenn abzusehen ist, dass eine Mittelschule in den nächsten Jahren eine Chance hat, tatsächlich wieder zweizügig zu werden, werden wir in diesen Fällen vorübergehend zulassen, dass eben auch einmal nur eine Klasse besteht. Eine Klasse in einem Jahrgang verkraftet eine Mittelschule. Das will ich noch einmal unterstreichen. Deshalb habe ich auch mit dem Zwischenruf unterstellt, Frau Falken, im Grunde fordern Sie eine durchgängig einzügige Mittelschule in Sachsen. Dadurch entstehen Hauptschulen. Das fordern Sie damit.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Quatsch!)

Sie meinen, das ist unpopulär, insbesondere nach der Diskussion zu der Berliner Hauptschule. Sie fordern das damit.

Es hat damals eine lange Debatte im Landtag gegeben, als das Schulgesetz novelliert worden ist. Man war sich bewusst, dass es zu Schwierigkeiten kommt. Aber man hat sie bewusst in Kauf genommen, in Abwägung zu den Vorteilen, die Sachsen unbestritten hat, dass wir in Sachsen zur Stunde keine einzige Hauptschule und damit keine so genannte Restschule haben. Das ist der Vorzug unseres Bildungssystems.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte sehr.

Bitte, Frau Falken.

Herr Staatsminister, wollen Sie damit sagen, dass im ländlichen Gebiet – da geht es um die einzügigen Mittelschulen – nur Schülerinnen und Schüler wohnen, die an Mittelschulen gehen, die Hauptschulniveau haben?

Frau Falken, ich muss eine ganze Weile nachdenken, was Sie wieder hineinpacken wollen. Ich habe gesagt, die größten Probleme der Schulnetzanpassung stelle ich nicht im ländlichen Raum fest, sondern in den Großstädten. Deshalb ja auch meine Ankündigung, der Landeshauptstadt Dresden genau so lange Fördermittel vorzuenthalten, solange es nicht gelungen ist, das Schulnetz auch in der Landeshauptstadt den erforderlichen Gegebenheiten anzupassen.

Das Problem ist auch wissenschaftlich belegt, wenn ich daran denke, was Herr Prof. Prenzel genau hier in dem Raum uns mit auf den Weg gegeben hat. Er hat gesagt: Achten Sie bei allen demografischen Problemen darauf, dass die Schulen nicht zu klein werden. Wenn nämlich die Schulen zu klein werden, wird alsbald auch das Qualitätsangebot darunter leiden. Wenn das Qualitätsangebot darunter leidet, dann ist zu befürchten, dass allein durch das Auswahlverhalten der Eltern Restschulen entstehen können.

Ich kann nicht voraussagen, an welchen Schulen das geschehen würde. Das würde sich durch das Anmeldeverfahren der Eltern zeigen. Dafür gibt es zahlreiche Belege. Meinen Sie, in Berlin wäre diese Problemschule verordnet worden? Sie hat sich durch das Wahlverhalten der Eltern herausgebildet. Mit einer zweizügigen Schule können wir das genau verhindern. Aber wir sollten die Debatte, die wir hier vor zwei Jahren in vielen Sitzungen geführt haben, nicht am heutigen Tage wiederholen.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Herr Präsident, ich habe eine Frage an Sie. Habe ich eigentlich einen Anspruch, dass meine Frage vom Staatsminister beantwortet wird? Meine Frage ist nicht beantwortet.

Das liegt im Ermessen des Ministers.

Ja, aber, sie ist nicht beantwortet.

Das ist dann aber im gegenseitigen Gedankenaustausch zu klären.

Frau Abgeordnete, darf ich dann noch einmal bitten, dass Sie Ihre Frage wiederholen? Vielleicht verstehe ich sie dann.