Protokoll der Sitzung vom 07.04.2006

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Natürlich, nach vier Jahren!)

Wir können aber nicht alle Schüler zu einem gleichen Leistungsniveau führen. Das ist Ihre irrige Vorstellung, die man Ihnen einmal unterbreiten muss. Sie stimmt so nicht, sie geht nie auf.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sie irren sich!)

Ich möchte noch einmal auf das Problem des längeren gemeinsamen Lernens hinweisen. Sie haben in der Vergangenheit die Pisa-Studie immer für notwendig und bedeutsam erachtet. Ich finde es langsam ein Stück unredlich, was wir diesbezüglich tun. Wenn die PisaStudie Ihnen ideologisch ins Konzept passt, wird sie propagiert. Dann gibt es ein längeres gemeinsames Lernen usw. Wenn aber die gleiche Studie, die für Deutschland klare Aussagen, auch für das Entwicklungsniveau in Sachsen, gemacht hat, zitiert wird, ist es nicht richtig. Das ist unredlich und von dieser Diskussion sollten wir uns langsam verabschieden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort; Frau Falken, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der jetzigen Diskussion sind wir schon ein bisschen von dem Schulnetz, was ja eigentlich auf der Tagesordnung steht, weggekommen, sondern eigentlich schon wieder in der inhaltlichen Debatte, die offensichtlich wirklich sehr unterschiedliche Ansätze hat. Und hier, Herr Colditz, erwarte ich eigentlich, dass wir aufeinander zugehen und den besten Weg finden, weil das gegliederte Schulsystem nicht die Möglichkeit der individuellen Förderung von

Schülerinnen und Schülern gibt, die diese wirklich brauchen,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nach vier Jahren!)

denn die Schüler lernen untereinander viel mehr als das, was sie von Lehrern überhaupt gelehrt bekommen. Das ist eindeutig so.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Jetzt möchte ich schon noch einmal zu den Bildungsempfehlungen kommen. Im Koalitionsvertrag steht klar und eindeutig: freier Zugang zum Gymnasium, Elternwille entscheidet. Wir als Linksfraktion unterstützen das voll. Wir sehen es auch so: freier Zugang zum Gymnasium.

(Zuruf des Staatsministers Steffen Flath)

Es steht darin: Elternwille entscheidet. Ich habe es ein wenig interpretiert, Herr Flath. Schauen Sie es sich noch einmal an.

Wir aber sind der Auffassung, dass die Bildungsempfehlung nach dem ersten Halbjahr der 4. Klasse viel zu früh und viel zu zeitig ist.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir möchten an dieser Stelle noch einmal an unser Schulgesetz erinnern, weil der Übergang ins Gymnasium frühestmöglich nach unserer Auffassung erst in der 8. Klasse erfolgen sollte. Wir wissen aus den Diskussionen hier in diesem Hause, dass alle demokratischen Oppositionsparteien und auch die SPD eigentlich diese Überlegungen teilen.

Nun haben wir aber in diesem Landtag das Schulgesetz, durch die CDU beschlossen; wir haben die veränderten Schulordnungen in der Grundschule und in den Gymnasien, und nach diesen gemachten Regeln entsteht die Situation, dass die Kommunen vor Ort exakt überlegen müssen, wie sie zu einer anderen Schulnetzplanung kommen.

In der Stadt Leipzig überlegt man sich, ob die zwei Gymnasien, die geschlossen werden sollten, nicht doch eher geöffnet bleiben müssen, weil die Schüler nun einmal da sind und die Gymnasien deshalb nicht geschlossen werden könnten. Wir sind der Auffassung: Auch mit dem Schülerrückgang in den Mittelschulen – egal, wie sie entstanden sind – ist es nicht notwendig, eine Schließungswelle an den Mittelschulen durchzuführen, sondern wir sagen: Einzügige Mittelschulen muss es in Sachsen perspektivisch auch geben, – –

(Staatsminister Steffen Flath: Sie meinen Hauptschulen?!)

Wenn wir jetzt in Sachsen auch Hauptschulen haben, Herr Flath, dann sollten Sie das nachher einmal erklären.

, um das Netz nicht noch weiter einzuschränken.

Ich möchte noch einen anderen wichtigen Punkt ansprechen, weil ich denke, dass das heute in die Debatte gehört.

Inzwischen sind wir in den Regionalschulämtern bereits so weit, dass die Schuldigen gesucht werden. Wer ist denn nun schuld, dass nach der Grundschule so viele Kinder aufs Gymnasium gehen? Klar und deutlich die Grundschullehrer – wer sonst?!

Im Regionalschulamt Bautzen sind die Schulleiter beauftragt, schriftlich eine Stellungnahme zu schreiben, wenn sie zu viele gute Schüler gemeldet haben und zu viele gute Bildungsempfehlungen an ihren Schulen geschrieben wurden – was heißt „gute Bildungsempfehlungen“? –, und es ist ihnen angekündigt – nein, ich will sagen: angedroht –, dass im kommenden Schuljahr die 4. Klassen durch das Regionalschulamt besonders hospitiert werden, um darauf zu achten, dass es nicht zu viele Schüler sind, die eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten.

Wir fordern Sie auf, Herr Kultusminister, diese Maßnahmen im Regionalschulamt Dresden umgehend zurückzunehmen.

Einen Satz möchte ich noch zur Verlässlichkeit sagen. Herr Colditz hat es angesprochen und ich hoffe, dass es wirklich so ist – Sie haben darin meine volle Unterstützung: die Verlässlichkeit des Kultusministeriums. Können wir denn perspektivisch wirklich damit rechnen, dass die Schulordnungen an der Grundschule und an Gymnasien für die Zugangskriterien so bleiben, oder wird es vielleicht – weil es die CDU auf dem Parteitag so beschlossen hat – auch wieder eine Veränderung für die Zugangskriterien geben?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Was die Partei beschließt, wird sein!)

Hierzu hätte ich heute gern eine klare und deutliche Aussage von Ihnen, Herr Staatsminister, denn sowohl die Kommunen für die Schulnetzplanung als auch die Eltern müssen eine klare Perspektive haben, wie es weitergeht. Übrigens, das Druckmittel „Fördermittel streichen“ ist wohl nicht der richtige Weg –

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

weder für die Stadt Leipzig, wenn es um Ganztagsangebote geht, weil sie sich angeblich zu spät gemeldet haben, noch für die Stadt Dresden, wenn sie denn nun nicht den Schulnetzplan so machen, wie Sie, Herr Staatsminister, ihn sich wünschen. Denn die Leidtragenden der ganzen Geschichte sind natürlich die Schüler.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort, Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben auch in dieser Diskussion wieder gemerkt, dass, wenn es um Bildungspolitik geht, auch in der Koalition ziemlich viel Musik drin ist. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was ist die Zukunft? Sind wir nicht in einer wissensbasierten Gesellschaft, die andere Herausforderungen auch an

Bildung stellt? Deshalb lässt sich die Frage, was und wie viel wir an akademischem Nachwuchs benötigen, schon jetzt daran orientieren, welche Abiturquoten wir haben.

Von daher halte ich diesen Weg, dass mehr Kinder die Chance haben, mit einer individuellen Förderung so weit wie möglich zu kommen – am besten bis hin zum Abitur –, für den richtigen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion.PDS)

Es geht um die Bildungsempfehlungen, und da lohnt sich auch der Vergleich, der schon in der Kleinen Anfrage von Kollegen Rohwer gemacht wurde.

Lediglich fünf Bundesländer haben eine ähnliche Bildungsempfehlung wie in Sachsen; alle anderen kommen ohne eine solche aus. Wenn man dann aber schaut, inwieweit es dadurch Verwerfungen gibt, kommt man zu dem Schluss: Die gibt es nicht. Es gibt keine Zusammenhänge, ob es eine Bildungsempfehlung gibt oder nicht, um zu sagen, wie viele Rückkehrer wir zum Beispiel haben.

Dann muss man danach fragen: Was wollen wir innerhalb der Koalition wirklich? Wenn man den Koalitionsvertrag liest, geht es nicht um die Abschaffung der Bildungsempfehlung, sondern darum, die Bildungsempfehlung zu einer wirklichen Empfehlung zu entwickeln. Das heißt, wir müssen die Beratung für die Eltern verstärken. Wir müssen die Eltern auf dem Weg ihrer Entscheidung unterstützen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Warum wollen wir denn, dass der Elternwille zählt? Ganz einfach: weil es in der Landesverfassung steht, in der sächsischen Landesverfassung. Dort steht drin: Alle Bürger haben das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen und jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen andere verfassungsmäßige Ordnungen oder das Sittengesetz verstößt.

In der Landesverfassung steht nun einmal drin, dass der Elternwille zu respektieren und zu unterstützen, zu achten ist. Das sind die Gründe für uns, warum wir sagen: Der Elternwille muss am Schluss zählen. Wenn wir über Bildung und über die Bildungsempfehlung sprechen, dann müssen wir doch auch über die Folgen der Bildungsempfehlung sprechen, und die Folgen tragen die Eltern und die Kinder, nicht die Schule. Deshalb ist es für uns wichtig, dass das in den Mittelpunkt gerückt wird.

Zum Zweiten, um noch einmal zu argumentieren – vielleicht in dem Sinne, wie es unser Koalitionspartner besser versteht, wie zum Beispiel unsere Wirtschaft darüber denkt. Da zitiere ich den „Economist“, der übrigens eher eine liberal-konservative Zeitschrift ist, und die haben zum Schluss festgestellt: Deutschlands Schulsystem ist nicht in der Lage, das Beste aus dem Humankapital des Landes zu machen.

(Frank Kupfer, CDU: Sie sprechen nicht von Sachsen, Kollege!)

Sachsen liegt immer noch in Deutschland.

„Langfristig hat Deutschland keine andere Wahl, als sein dreigliedriges Schulsystem zu beseitigen. Solche Versuche sind zwar in der Vergangenheit gescheitert, aber zwei neue Kräfte sind jetzt wirksam: eine ist die Demografie – da die Zahl der Schüler schnell zurückgeht, kann eine gemeinsame Schule für alle leistungsfähiger sein –; die andere Kraft ist die Wirtschaft, die ohne gut ausgebildete Arbeitskräfte nicht gut gedeihen kann.“

Wenn Sie noch einmal Herrn Sinn vom Ifo-Institut zuhören – er hat nun ganz klare Worte gefunden: „Das dreigliedrige Schulsystem, mit dem wir weltweit nahezu allein stehen, passt nicht mehr in die heutige Zeit. Es reflektiert die Drei-Klassen-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Früher sprach man ehrlicherweise von der Volksschule, der Mittelschule und der Oberschule. Damit gab man implizit zu, dass man für das Volk, die Mittelschicht und die Oberschicht drei verschiedene Schulen vorgesehen hat.“

Sinn beklagt, dass die Begabungsreserven bei den Arbeiterkindern in Deutschland nicht ausgeschöpft werden. Das System vergrößere die Ungleichheit, ohne den Durchschnitt zu verbessern, und gehöre deshalb – so wörtlich – „in den Abfalleimer der Geschichte“.

Vielen Dank.