Protokoll der Sitzung vom 11.05.2006

Deswegen erlaube ich mir, diese anerkannte Persönlichkeit – von CDU, SPD und GRÜNEN anerkannte Persönlichkeit – hier zum Zeugen meiner Argumentation zu machen.

(Beifall des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Vielen Dank, wenn Sie das gestatten.

Aber noch einmal zu der Frage des Wohlstandsniveaus in unserer Gesellschaft. Wir haben diese Debatte unter anderem Vorzeichen in diesem Hause schon öfter geführt und deswegen muss man darauf hier noch einmal eingehen. Wir haben über das Thema Kombilöhne gesprochen, sehr richtig. Wir haben deswegen darüber gesprochen, weil wir als FDP-Fraktion der Überzeugung sind, dass wir dauerhaft für alle Menschen in unserem Land nur dann ein überall akzeptiertes Wohlstandsniveau schaffen können, wenn wir ein Nebeneinander von Transfereinkommen und Erwerbseinkommen haben. Das ist unsere Herangehensweise an das Problem.

Deswegen ist es unredlich, Herr Tischendorf, uns zu unterstellen, dass wir diese Menschen mit dem geringen Stundenlohn in ihrer Armut allein lassen würden. Genau das wollen wir nämlich nicht;

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS steht am Mikrofon.)

denn uns ist sehr wohl klar, dass es eine Ergänzung durch staatliche Transfers geben muss.

(Beifall bei der FDP)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Tischendorf.

Herr Morlok, ich würde Sie gern fragen – Sie haben das Beispiel England angeführt, ich habe Ihnen drei Beispiele genannt –: Haben Sie irgendein Argument, um etwas zu widerlegen oder mir das auszureden, was ich Ihnen vorgetragen habe, oder stützen Sie sich nur auf die Version von Politikern, die Sie immer wieder zitieren?

Herr Tischendorf, ich bin Ihnen äußerst dankbar für diese Frage, denn ich wollte gerade zum Thema Großbritannien kommen. Nachdem Sie die Frage gestellt haben, muss ich das nicht auf Kosten meiner Redezeit tun, sondern kann das in Beantwortung Ihrer Frage tun. Dafür schon mal herzlichen Dank.

Zum Thema Großbritannien: Sie haben Großbritannien angeführt und haben die Effekte, die in Großbritannien eingetreten sind, beschrieben. Diese werden von mir auch nicht bestritten. Aber was Sie nicht gesagt haben, ist, dass in Großbritannien der Mindestlohn 35 % des Durchschnittsverdienstes beträgt.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Ja!)

Ihr Mindestlohn von acht Euro, den Sie einführen wollen, beträgt 52 % des Durchschnittsverdienstes. Wenn Sie jetzt hergehen und argumentieren, dass bei einem Mindestlohn von 52 % die gleichen volkswirtschaftlichen Effekte eintreten würden wie bei einem Mindestlohn von 35 %, dann haben Sie das Problem nicht verstanden,

(Beifall bei der FDP und des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

weil ein solch gewaltiger Unterschied auch volkswirtschaftlich zu anderen Ergebnissen führt. In Großbritannien beziehen 1,3 % der Werktätigen den Mindestlohn. Wenn wir in Deutschland einen Mindestlohn von acht Euro einführen würden, dann hätte hier ein viel höherer Prozentsatz einen Mindestlohn. Das heißt, die volkswirtschaftlichen Effekte dieser Maßnahme sind überhaupt nicht vergleichbar.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Sie streuen den Menschen Sand in die Augen, weil Sie sich Einzelfälle herauspicken und nicht konsequent argumentieren. Ihre Argumentation wäre dann schlüssig, Herr Tischendorf, wenn Sie sagen würden: Wir wollen einen Mindestlohn von 5,34 Euro. Das wäre umgerechnet das, was in Großbritannien der Fall ist. Dann können Sie mit diesem Mindestlohn die Effekte in Großbritannien als solche anführen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Die haben höhere Löhne!)

Solange Sie aber 52 % haben wollen, funktioniert das nicht.

(Beifall bei der FDP)

Mein letzter Punkt. Außerdem übersehen Sie vollkommen – unter dem Aspekt der Armutsgesichtspunkte –, dass es hier nicht um das persönliche Einkommen des einzelnen Arbeitnehmers geht; sondern wenn wir uns anschauen, was ein angemessenes Wohlstandsniveau einer Familie oder Lebensgemeinschaft ist, müssen wir uns am Haushaltseinkommen orientieren. Deswegen ist das Modell der FDP – ein Bürgergeld einzuführen und die staatlichen Transferleistungen zusammenzuführen, damit nicht der Findige, sondern der Bedürftige in den Genuss dieser

Transferleistungen kommt, und dies zu vereinfachen in Form einer negativen Einkommensteuer, um die Bürokratiekosten zu senken – der richtige Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der GRÜNE-Fraktion das Wort; Herr Weichert, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich beim Thema Mindestlohn noch einmal auf den europäischen Kontext eingehen. Durch die EU-Osterweiterung haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Die Mobilität der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedsstaaten hat zugenommen. Möglichkeiten und Chancen für EU-Bürger der alten wie der neuen Mitgliedsländer haben sich vergrößert. Wir freuen uns darüber und wir begrüßen diese Entwicklung; denn sie befördert das Zusammenwachsen von Europa und unterstützt das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell.

Meine Damen und Herren! Die Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes ist hierfür jedoch keine Lösung. Eine Abschottung befördert illegale Praktiken mehr, als sie sie verhindert. Die von der Bundesregierung geplante Verlängerung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Bürger der neuen Mitgliedsstaaten um weitere drei Jahre ist nach unserer Auffassung der falsche Weg.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Nur durch umfassende Regelungen für die vorhin schon zitierten Mindestarbeitsbedingungen, die für in- und ausländische Arbeitnehmer gleichermaßen gelten, können gerechte Arbeitsbedingungen und ein fairer Wettbewerb gesichert werden. Dies gilt umso mehr für den Fall, dass die Dienstleistungsrichtlinie in absehbarer Zeit in Kraft tritt und zu einer weiteren Öffnung der nationalen Märkte führt.

Meine Damen und Herren! Die Marktwirtschaft ist aus sich heraus keine soziale Veranstaltung. Nur durch einen entsprechenden Ordnungsrahmen lassen sich die Marktkräfte mit den sozialen Erfordernissen in Einklang bringen.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wir gehen davon aus, dass die Austarierung eines gerechten Lohns zuallererst die Aufgabe der Sozialpartner ist. Das Lohngeschehen ist auch Marktgeschehen, aber es hat seine Grenzen. Sie liegen dort, wo die sozialen Standards verletzt werden.

Abschließend möchte ich auf unseren Vorschlag verweisen, die Sozialabgaben wie die Steuern progressiv zu staffeln. Bei dem von mir vorhin angeführten Beispiel eines Fünf-Euro-Stundenlohnes kommen wir so zu einer Einkommensverbesserung von 22 %. Auch das wäre ein

wichtiger Schritt, einer Amerikanisierung der Arbeitswelt in Deutschland entgegenzutreten.

Letztlich, wenn wir Europa mit der Ordnungspolitik eines Ludwig Erhard gestalten wollen, müssen wir das soziale Element der Marktwirtschaft stärken.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Gerade den Kollegen der Koalition, lieber Andreas Hähnel und Kollege Heidan, empfehle ich daher die Befassung mit den Gedanken von Ludwig Erhard. Es wird Ihnen gut tun.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion.PDS; Frau Lay, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die politökonomische Grundbildung in der Bundesrepublik ist den Bach heruntergegangen. Der Beitrag von Herrn Hähnel war der lebende Beweis dafür.

(Zuruf von der CDU)

Die Aktuelle Debatte ist sicherlich nicht der richtige Moment, in dem man sich tatsächlich darüber unterhalten könnte, dass beispielsweise die Lohnstückkosten der angemessene volkswirtschaftliche Maßstab sind. Deswegen ist das ganze Gerede über die zu hohen Lohnnebenkosten auch nur die halbe Wahrheit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Eines möchte ich klarstellen: Wenn Sie hier Ludwig Erhard zitieren, dann zitieren Sie ihn bitte richtig.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich möchte erst das Zitat zu Ende führen. – Er sagte: „Die Löhne darf man nicht als Kosten rechnen. Sie sind die wichtigste Investition in den Verbrauch.“ – Bitte schön.

Frau Lay, sind Sie mit mir einer Meinung, wenn ich aufgrund Ihrer Diskussion feststelle, dass Sie in der Bundesrepublik Deutschland einen Sozialismus auf D-Mark-Basis haben möchten, der aber nicht funktioniert?

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)