Das ist somit gar nicht so sehr ein Problem der Oberstufe, sondern vielmehr der Sekundarstufe und auch der Primarstufe. Wenn es nicht gelingt, das natürliche Interesse der Schulanfänger an der Welt einschließlich Natur und Technik am Leben zu erhalten, zu füttern, zu bedienen, dann brauchen wir auch nicht die Belegungspflicht in der Oberstufe. Motivation wird dadurch kaum entstehen, vielleicht sogar das Gegenteil. Wenn wir also die Natur- und Technikwissenschaften stärken wollen, dann müssen wir uns den Sachunterricht der Grundschule genauer betrachten. Vor allem gilt dies in der Sekundarstufe I. Kreidephysik weckt kaum Neugier und schafft auf keinen Fall experimentelles Selbstvertrauen. Formelpauken schafft kein Verständnis für die Welt. Die Natur- und Technikwissenschaften müssen vor allem in der Sekundarstufe gestärkt werden. Dann ist es auch akzeptabel zu verlangen und zu sichern, dass die dort erworbenen Kompetenzen in der Oberstufe am Leben gehalten und vertieft werden. Das kann und muss man aber trennen von der Frage der Gesamtbewertung des Abiturs und damit von Einbringungspflichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie sich dies bitte auf der Zunge zergehen: Weil wir unsere Schülerinnen und Schüler so weit von ihrem Lernprozess entfremdet haben, dass sie nur noch für Noten und Punkte lernen, müssen wir nun auch alles in die Gesamtqualifikation aufnehmen. Das kann nicht der Weg sein, weil er die Entfremdung nur forciert. Klar ist, dass weder das Interesse für die ungeliebten Fächer steigen, noch die Qualifikation bundesweit ausreichen wird. Das wird besonders in den musischen Fächern und im Sport deutlich, die stärker begabungsabhängig sind. Wer in dieser Richtung ein Studium aufnehmen will, muss ohnehin neben dem Abitur auch dort seine Befähigung nachweisen. Aber es gibt genauso mathematische, sprachliche, systematischganzheitliche oder analytische Begabungen. Wollen wir einerseits beschränken oder deren Fehlen bestrafen?
Der Weg muss und kann doch nur in eine andere Richtung gehen. Zum einen müssen wir die Kompetenzen bestimmen, die jeder ausbilden muss. Diese müssen in die Gesamtqualifikation einfließen, die nicht nur KMKkonform ist, sondern auch bundesweit sächsische Abiturienten nicht benachteiligt. Daneben sollten und können auf dem Abiturzeugnis die sonst besuchten Kurse aufgeführt werden. Schließlich sollten wir uns überlegen, ob nicht ein guter Ausweis für das sächsische Abitur die verbindliche Einbringung der so genannten Besonderen Lernleistung (BELL) ist, die wir im Rahmen der Oberstufe flexibel aufwerten müssten.
Vielleicht ersehen Sie aus der Komplexität des Problems und der Vielfalt der Lösungsmöglichkeiten, dass eine solche Neugestaltung nicht übers Knie gebrochen werden kann und darf. Wenn wir einen solchen Struktureingriff vornehmen, dann muss er nachhaltig die gewünschten Ziele erfüllen.
Viele Wege führen nach Rom, aber nicht alle. Deshalb halten wir es auch für wichtig, die gerade begonnene Diskussion zu führen und nicht mit vorschnellen Modellen, sei es die partielle Rückkehr zum Klassenverband oder eine flexible Oberstufe, zu beenden. Wenn wir uns einmal auf den Weg machen, dann richtig. Der Anspruch, es besser zu machen als die anderen, kann sich nicht am Ehrgeiz, sondern muss sich an den Ergebnissen messen.
Ein Teil der öffentlichen Diskussion findet heute mit dem Antrag der GRÜNEN statt. Das ist gut so und dafür danke ich ausdrücklich.
Der Antrag selbst aber bedürfte, soweit er nicht nur Lyrik ist, einiger Korrekturen und Öffnungen, um die Diskussion im Sinne meines Beitrages strikt zielorientiert und weniger strukturorientiert zu führen. Deshalb können wir ihm auch nicht zustimmen.
Wir haben als Koalitionsfraktionen einen eigenen Antrag in den Geschäftsgang gebracht und deshalb wird die Debatte auch weitergehen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts einer verbliebenen Redezeit von 3:30 Minuten muss ich mich kürzer fassen, als es der Wichtigkeit des Themas entspricht. Ich weiß, das freut Sie ja.
Das Kultusministerium plant nun eine Reform der gymnasialen Oberstufe, die ab dem Schuljahr 2007/2008 wirksam werden soll und einen Pflichtfächerkanon anstelle der bisherigen freien Fächerwahl sowie die grundsätzliche Rückkehr zum Klassenverband anstelle des Kurssystems vorsieht. Das Kultusministerium verspricht sich davon eine Verbesserung der schulischen Allgemeinbildung sowie der Studierfähigkeit von Gymnasialabgängern. Entsprechende Überlegungen sind berechtigt und verdienen eine sachliche, ideologiefreie Auseinandersetzung.
Auf einem anderen Blatt steht freilich die unverständliche Hast, mit der eine so folgenreiche Reform der Abiturstufe vom Kultusministerium durchgepeitscht werden soll. Es riecht förmlich danach, dass sie ohne Diskussion mit den Gymnasiallehrerverbänden und Schülervertretern als ein Reformexempel statuiert werden soll. Die Pläne des Kultusministeriums, also die Etablierung von Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache als Pflichtfach sowie die verbindliche Unterrichtung von Physik, Chemie, Biologie und einer weiteren Fremdsprache, können gleichermaßen mit guten Argumenten auf Zustimmung wie Ablehnung stoßen.
Positiv wären etwa die Rücknahme von Überspezialisierungen und die Vertiefung der Allgemeinbildung. Positiv wäre, wenn Gymnasiasten ihre Schule zukünftig mit einem gleichen Bildungsprofil und Bildungsniveau verließen. Positiv wäre auch eine Profilschärfung im Sinne von Anforderungen an eine Wissenschafts- und Technikgesellschaft.
Negativ wäre hingegen der Verlust der Wahlfreiheit für die Abiturfächer entsprechend eigener Neigungen und Stärken bzw. Schwächen der Schüler. Negativ wäre auch die Folgeerscheinung demotivierter Schüler, weil Schüler ab 2007/2008 dann Pflichtfächer absitzen müssten, die sie ansonsten bei Neigungsschwerpunkten abgewählt hätten. Negativ wäre auch, dass außerhalb der naturwissenschaftlichen Profilgymnasien Physik, Biologie und Chemie nicht mehr als Leistungskurs gewählt werden könnten, dass die angestrebte Vertiefung des Naturwissenschaftlichen an gewöhnlichen Gymnasien erschwert wird.
Der Antrag der GRÜNEN enthält zweifellos zustimmungsfähige Elemente, stellt aber letztlich einen unausgegorenen schulpolitischen Gemischtwarenladen dar. So ist es nicht zweckmäßig, eine übertriebene zeitliche Flexibilisierung und Individualisierung für die Bewältigung der Oberstufe ins Spiel zu bringen, wie es die GRÜNEN mit einem Zeitkorridor irgendwo zwischen zwei und vier Jahren vorsehen. Eine solche Verlängerung
der Oberstufenzeit unter dem Etikett der Individualisierung und Flexibilisierung wäre gegen jeden Trend der Vernunft. Bayern hat erst vor wenigen Wochen auf das achtjährige Abitur umgestellt, nicht zuletzt mit Verweis auf den ökonomischen Nutzen durch jüngere Schulabgänger, die dann auch früher in ein Studium einsteigen können.
Insgesamt ist der Antrag der GRÜNEN für die NPDFraktion so nicht zustimmungsfähig. Die NPD-Fraktion wartet nun erst einmal sehr gespannt auf die Koalitionsberatungen zur Oberstufenreform, die bis zum 31. August abgeschlossen sein sollen, um sich dann mit dem folgenden Antrag der Koalitionsfraktionen auseinander zu setzen.
Den bisherigen Plänen des Kultusministeriums begegnen wir mit einer Ja-aber-Position. Wir sagen Ja zu einer Förderung der Allgemeinbildung durch Stärkung von Kernfächern und die Vermeidung von Überspezialisierungen. Gleichzeitig treten wir weiterhin für Möglichkeiten einer Fächerwahl ein, –
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss zugeben, auch unsere Fraktion war über den Zeitpunkt des Reformvorhabens etwas überrascht. Nichtsdestoweniger, glaube ich, sollte man sich differenziert mit dem Vorschlag auseinander setzen – der Minister erwartet es vielleicht nicht –, aber bei aller Kritik an den Einzelpunkten und auch am Verfahren unterstützen wir doch die Zielrichtung dieses Vorschlages.
Ich denke schon, dass wir uns über eine bessere Allgemeinbildung Gedanken machen müssen. Nun können wir uns darüber streiten, was Aufgabe des Abiturs ist. Aus unserer Sicht ist es eine breite humanistische Allgemeinbildung, die die Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums schafft. Wie das immer bei Ausbildungen ist, muss man abwägen zwischen Spezialisierung auf der einen Seite und Breitenbildung auf der anderen Seite.
Was muss ein Gymnasium leisten? Aus unserer Sicht in erster Linie eine exzellente Allgemeinbildung und eben nicht die Ausbildung junger Nachwuchswissenschaftler. Das ist Aufgabe der Universitäten.
Für ein Land wie Sachsen ist es, denke ich, auch wichtig, dass wir die Naturwissenschaften stärken. Das Land,
seine Geschichte und auch die allgemeine Wirtschaft basieren auf dem Potenzial, das wir im naturwissenschaftlich-technischen Bereich haben. Wenn wir eine Zukunft haben wollen, sollten wir auch unsere Stärken stärken.
Ich halte es deshalb auch für richtig, dass bei einem sächsischen Abitur alle naturwissenschaftlichen Fächer belegt werden müssen. Naturwissenschaften – das weiß vielleicht jeder aus seiner eigenen Erfahrung – sind nicht immer einfach. Doch ob man sich durch ein Abwählen am Ende die Situation als Schüler einfacher macht, wage ich zu bezweifeln.
Im Übrigen entspricht der Vorschlag, alle Naturwissenschaften zu belegen, auch den Wünschen unserer Technischen Universitäten und den Wünschen, die wir aus den Arbeitgeberverbänden hören.
Wir müssen darüber hinaus die Oberstufe zukunftsfähiger machen, denn der demografische Wandel macht auch vor den Gymnasien nicht Halt. Wir müssen zusehen, dass wir gleiche Bildungschancen für Stadt und Land schaffen. Wenn man sich die Schülerzahlen anschaut, auch die aktuellen an den Gymnasien, dann wird man feststellen, dass unser derzeit hoch differenziertes Kurssystem vielleicht noch in den großen Städten funktioniert, aber mit Sicherheit in Zukunft nicht mehr im flachen Land.
Was ist die Alternative? Die Alternative sind Schulschließungen. Meine Damen und Herren, das können wir nicht wollen.
Auch der Vorschlag der GRÜNEN, Verbünde zwischen den Gymnasien zu schaffen, funktioniert sicher in den Städten. Nur schaut man sich einmal die Entfernungen in den ländlichen Regionen zwischen den einzelnen Gymnasien an: Wie soll dann die Zusammenarbeit aussehen, wenn man Kurs A im Gymnasium A belegt und Kurs B im Gymnasium B, das vielleicht 25 Kilometer entfernt ist? Nein, meine Damen und Herren, das ist Theorie. In der Praxis kann das nicht funktionieren.
Nun möchte ich auch einige Kritikpunkte an dem Vorhaben des Ministeriums äußern. Ich denke, dass man mit der Abschaffung aller naturwissenschaftlichen Leistungskurse deutlich über das Ziel hinausschießt. Das ist ein Stück weit des Verfallens von einem Extrem mit hoher Spezialisierung in ein anderes Extrem, nämlich keine Spezialisierung. Wenn wir auf der einen Seite drei naturwissenschaftliche Fächer zur Pflicht machen und auf der anderen Seite in keinem einzigen naturwissenschaftlichen Fach eine Vertiefung ermöglichen, dann frage ich mich, worin die Stärkung der Naturwissenschaften tatsächlich besteht.
Wir sind der Meinung, dass zukünftig zumindest in einem naturwissenschaftlichen Fach ein Leistungskurs möglich sein sollte.
Der Zeitpunkt der Diskussion – einige Vorredner haben es schon angesprochen – ist mit Sicherheit unpassend, gerade weil eine so umfassende Umstellung am Gymnasium eine breite Diskussion unter allen Beteiligten erfordert. Das sollte man nicht in die Prüfungszeit oder die Sommerpause pressen. Vielleicht gibt die jetzige Sommerpause und das etwas langsamere Verfahren in der politischen Arbeit auch die Denkpause, die eine oder andere Klippe in diesem Vorschlag zu umschiffen.
Was für uns auch klar ist: Eine individuelle Förderung im Klassenverband ist nicht einfach. Sie stellt im Gegenteil sehr hohe Ansprüche. Die Voraussetzungen dafür müssen geschaffen werden. Das heißt, im Zweifelsfall auch über den Klassenteiler nachzudenken und ihn abzusenken.
Was der GRÜNEN-Antrag enthält, meine Damen und Herren, frage ich mich schon, ob das ein zeitgemäßes Konzept für Sachsen ist oder ob er nicht unter Umständen aus einem anderen Bundesland abgeschrieben wurde. Denn was ich vermisse, das ist die Berücksichtigung sächsischer Besonderheiten wie Bevölkerungsstruktur, Schulsystem. Ich glaube, das haben Sie in Ihrem Vorschlag nicht ausreichend berücksichtigt.
Was mir in Ihrem Antrag aufgefallen ist: Ein Wort fehlt völlig, nämlich das Wort Leistung. Leistung scheint es bei Ihnen nicht zu geben. Es taucht kein einziges Mal in Ihrem Antrag auf.
Ich bin im Übrigen stolz auf ein sächsisches Abitur, das auf Leistungsorientierung setzt und damit auch deutschlandweit einen vergleichsweise guten Ruf genießt.