Protokoll der Sitzung vom 21.07.2006

(Beifall bei der CDU)

Beides sind Pädagogen und ich höre Pädagogen zu, deshalb hören Sie jetzt einfach einmal einem Ingenieur zu.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Denn all die Aussagen, ich würde hier irgendwie treiben oder irgendetwas hinter dem Rücken des Parlaments machen wollen, muss ich einfach zurückweisen. Das ist nicht akzeptabel. Denn ich habe doch selbst die Diskussion in Gang gebracht. Ich bin Ihrer Fraktion, Frau Hermenau, dankbar dafür, dass Sie mit einem Antrag diese Debatte hier im Landtag ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da es in der Zeitung stand, kann ich es auch sagen: Hätten sich CDU und SPD schon früher auf einen Antrag einigen können, wäre es vielleicht schon im letzten Plenum zu einer Debatte gekommen. Aber so kommt es eben heute erst dazu.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Immerhin ist es Ihnen, Frau Hermenau, jedoch nicht gelungen, in der Woche vor der Sommerpause die Koalition zu sprengen; denn wir haben alles wieder gerade- gebogen. Ich habe schon zeitig informiert. Den Fachleuten wird auch nicht entgangen sein, dass seit mindestens einem Jahr in allen Bundesländern die Diskussion zur Reform der gymnasialen Oberstufe läuft. Immerhin hat es auch die Kultusministerkonferenz geschafft, sich relativ schnell zu einigen und Anfang Juni die Rahmenbedingungen für diese Reform festzulegen. Nun frage ich Sie: Warum findet die Diskussion statt?

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Doch nicht mit dem Ansatz, dass das bisherige System gänzlich schlecht wäre. Deshalb findet eine Reform nicht statt, sondern sie findet zunächst einmal statt, weil alle Länder erkennen, dass sie mit dem Bevölkerungsrückgang, mit dem Geburtenrückgang zu kämpfen haben werden. Nun liegt es doch auf der Hand – da wir aus anderen Diskussionen wissen, dass in Sachsen diese Entwicklung besonders dramatisch ist –, dass es umso notwendiger ist, hier eine Entscheidung zu treffen.

Ich möchte Ihnen dazu zwei Zahlen nennen, die Sie bitte mit in die Sommerpause nehmen: Wir hatten im vergangenen Schuljahr in der Jahrgangsstufe 11 15 200 Schülerinnen und Schüler. In drei Jahren haben wir in der Jahrgangsstufe 11 7 000 Schülerinnen und Schüler. Das sind nackte Tatsachen, und daran haben wir uns auszurichten. Unser gymnasiales Oberstufensystem muss in drei Jahren mit 7 000 Schülern – das sind weniger als die Hälfte von heute – noch funktionieren.

Nun kann mir wahrlich niemand in diesem Hohen Hause vorwerfen, dass nicht auch ich – wie meine Vorgänger – mich bemüht habe, das sächsische Schulnetz gegen alle Widerstände der Opposition zu straffen. Ich sage Ihnen heute: Das gymnasiale Schulnetz können wir nicht weiter straffen; denn – ich führe als Beispiel meinen Wahlkreis

an, im Landkreis Annaberg gibt es nur noch ein Gymnasium – wenn es nur noch ein Gymnasium gibt, kann man nicht weiter straffen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, natürlich, Frau Bonk.

Sie sind gerade bei einem sehr spannenden Themenkomplex. Stimmen Sie mir zu, dass Sie in der Vergangenheit Schulschließungen – gerade auch im gymnasialen Bereich – mit dem Hinweis auf die Bildung der gymnasialen Oberstufe begründet haben, und würde dies bedeuten, dass im ländlichen Raum nicht vielleicht eher die Mindestzahlen zur Bildung von Kursen verändert werden sollten, statt überall Mittelmaß einzuführen und das Versprechen, die Kurse vor Ort nach den Schulschließungen anzubieten, nicht einzuhalten?

Verehrte Frau Abg. Bonk, hören Sie mir noch zu, bis ich meine Ausführungen beendet habe. Ich hoffe, dass Sie die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen können. Im Übrigen wüsste ich nicht, welches Gymnasium jetzt noch geschlossen worden ist. Das waren Entscheidungen, die länger zurückliegen.

Bei den Gymnasien haben wir das Ziel verfolgt, eine Mindestgröße, eben diese Dreizügigkeit, zu erhalten. Wenn Sie jedoch mit Fachleuten sprechen – und für mich sind hierfür die Schulleiter und stellvertretenden Schulleiter, die Gymnasien zu organisieren haben, die Fachleute –, Frau Bonk, werden Sie hören, dass sie im Grunde ein fünf-, sechs- oder siebenzügiges Gymnasium benötigen, wenn Sie die gesamte Vielfalt der Leistungskurse und alles, was damit zusammenhängt, anbieten wollen. Solche Gymnasien gibt es in den Großstädten noch. Deshalb schreibt auch das Schulgesetz die Mindestgröße von drei Zügen vor. Wenn jedoch im ländlichen Raum diese Mindestgröße von drei Zügen nicht mehr durchgängig haltbar ist, können Sie diese Vielfalt nicht mehr anbieten. Das ist eine nackte Tatsache, die wir anerkennen müssen. Wenn selbst ein Land wie Baden-Württemberg, von dem wir viel übernommen und gelernt haben, Leistungskurse abschafft, dann schafft man sie dort auch nicht ab, weil sie die Kurse nicht mögen, sondern weil man der demografischen Entwicklung Rechnung tragen muss. – Das ist ein Fakt, auf den ich hinweisen wollte.

Ein zweiter Fakt, auf den ich hinweisen möchte, ist: Wenn Sie sich einmal bei Studenten und Professoren an den Universitäten umhören und danach fragen, wie sie mit diesem Leistungskurssystem zurechtkommen, hören Sie nicht viel Gutes. Dies leuchtet mir ein, und Prof. Wiedemann hat es in der Pressekonferenz auch sehr nachvollziehbar erläutert. Eine Universität oder Hochschule muss doch wissen, worauf sie eigentlich aufbaut. Nun haben Sie es bei den Ingenieurwissenschaften mit

Studenten zu tun, die entweder den Leistungskurs oder den vierstündigen Grundkurs belegt oder aber das Fach gänzlich abgewählt haben. Worauf soll dann die Universität aufbauen? Sie muss für diejenigen, die ihn abgewählt haben, Brückenkurse anbieten,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Na ja?!)

was für mich im Grunde Unsinn ist – dafür hat man Abitur abgelegt und die Studierfähigkeit erworben –, oder man müsste auf den Grundkurs aufsetzen – und dies tun die Studenten auch – mit der Folge, dass sich diejenigen, die den Leistungskurs besucht haben, mindestens ein bis zwei Semester langweilen.

Das ist das Problem, und diesem sollten wir Rechnung tragen. Wenn wir es reformieren und ohnehin ran müssen, halte ich es für eine Fehlentwicklung, dass man in der Vergangenheit eingeführt hat, Naturwissenschaften abzuwählen; denn kein Mensch käme auf die Idee, Gesellschaftswissenschaften abwählbar zu gestalten, und ich will die Naturwissenschaften lediglich gleichstellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war eine Grundbedingung, und dabei bleibe ich auch. Nun habe ich daraus durch mein Haus nach vielen Gesprächen ein Modell entwickeln lassen, und dabei hat natürlich der Philologentag ebenfalls eine Rolle gespielt. Klar, man wusste dort, es hätte allen anderen Verbänden ebenfalls freigestanden, ein Modell zu entwickeln. Sie haben dies getan, ich habe es jetzt getan, und ich möchte alle auffordern, die nächsten Wochen zu nutzen, nicht nur zu kritisieren; denn es gibt kein Modell, das alles erfüllt, jedes hat Vor- und Nachteile. Nun entwickeln Sie doch einmal selbst ein Modell, und dazu würde ich auch Sie, Herr Dulig, auffordern. Danach legen wir die Modelle nebeneinander und schauen, wie viele gemeinsame Schnittmengen wir haben. Ich freue mich sogar darauf. Frau Falken, wenn Sie heute ankündigen, dass Sie für September im Ausschuss noch eine Anhörung beantragen, kann ich heute schon eines versprechen: dass eine Entscheidung erst danach fällt und wir uns alles anhören mit Vor- und Nachteilen dieser Systeme.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion.PDS)

Aber – und damit will ich den Kreis schließen – warum müssen wir es alsbald entscheiden? Ich habe gesagt, in drei Jahren haben wir mehr als eine Halbierung in der Jahrgangsstufe 11. Nun kommt eines dazu: Es war völlig richtig, dass wir die Lehrplanreform angegangen sind, und auch ich freue mich über die Ergebnisse dieser Lehrplanreform. Herr Kollege Seidel hat es im Einzelnen ausgeführt. Im nächsten Jahr haben wir 27 Profilerprobungsgymnasien, die bereits im August nächsten Jahres die neuen Lehrpläne einführen.

Nun können wir doch nicht sagen: Weil wir uns ein Jahr ausgiebig Zeit lassen und es hin und her diskutieren wollen – wie wir es vielleicht nach dem Vorbild Astrono

mie immerhin geschafft haben, das Problem vier Jahre und drei Monate zu diskutieren –, können wir uns doch nicht erlauben, ein Jahr lang zu diskutieren und im nächsten Jahr an diesen Erprobungsschulen die neuen Lehrpläne einzuführen, um sie ein Jahr später wieder zu verändern. Das ist einfach nicht zumutbar. Deshalb sollten wir wissen, wenn wir im Herbst eine Entscheidung treffen: Ich muss so früh eine Entscheidung treffen, damit ich noch ausreichend Zeit gebe, die notwendigen geringfügigen Lehrplananpassungen vornehmen zu lassen, und um auch den Gymnasien die Zeit zu geben, sich entsprechend darauf vorzubereiten.

Dass es Schülerinnen und Schüler in Sachsen ärgert, kann ich verstehen. Dafür habe ich Verständnis. Dies kann für mich jedoch nicht der Maßstab sein. Auch hierbei kann ich mich nahtlos dem anschließen, was Sie sagten, Herr Herbst: Das kann nicht unser Anspruch sein, sondern wir haben eine Verantwortung, und auch ich habe als Minister eine Verantwortung zu tragen, und natürlich erkenne ich an: Wir leben in einem freien Land. Dass ausgerechnet die PDS dies immer wieder anführt – ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen es keine Freiheit gab, eine Studienrichtung zu wählen, oder in denen man bestimmte Bedingungen erfüllen musste,

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Beifall der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

ob Parteimitgliedschaft oder Offizier, drei Jahre Armee oder was weiß ich nicht alles, was es an Bedingungen gab, um zu studieren. Heute hat jeder Mensch die Freiheit, das zu tun, was er für richtig hält.

Ich bin mir schon im Klaren darüber, dass ich deshalb mit dieser Reform nicht Tausende mehr für ein Ingenieurstudium begeistere. Ich habe sicherzustellen, dass es jedem nach dem Abitur möglich ist, ein Ingenieurstudium zu beginnen,

(Beifall bei der CDU und der FDP)

nämlich dann, wenn er mitbekommen hat, dass er außerordentlich gute Beschäftigungschancen und außerordentlich gute Verdienstmöglichkeiten in seinem Leben hat. Wenn er dann auf die Idee kommt, ein Ingenieurstudium aufzunehmen, ist es wichtig, dass ihm diese Fächer nicht fehlen und er nicht auf einmal feststellen muss, dass er keine Möglichkeit mehr hat. Das ist zumindest meine Logik, so gehe ich an diese Sache heran.

Ob dieses nun jedem gefällt, mag einmal dahingestellt sein. Ich denke, dass unser Modellvorschlag nicht nur viele Überlegungen enthält. Ich wünsche allen viel Spaß dabei, ein Modell zu entwickeln, das besser ist als dieses, was vorgeschlagen worden ist. Wenn es dazu kommt, dann bin ich gern bereit, dass wir im Herbst daran Änderungen vornehmen. Dazu bin ich gern bereit.

Ich habe doch nichts gegen die Leistungskurse. Wenn es irgendwo eine Möglichkeit gibt, dass wir uns Spielräume eröffnen, dass Gymnasien solche Leistungskurse anbieten können – ob im ländlichen Raum vielleicht über Ganz

tagsangebote oder aber in Städten, in denen wir uns genau anschauen, wie das mit dem § 4, diesen spezialisierten Gymnasien ist, ob diese ausreichen und richtig verteilt sind –, dann will ich gern an dieser Möglichkeit festhalten. Es nur im Hinblick auf die Stundentafeln zu berücksichtigen, wenn Sie die Naturwissenschaften verpflichten, dass diese es zweistündig machen – einstündig hätte keinen Sinn, weil diese auch nicht über 35 Stunden kommen dürfen, denn das wäre nicht zumutbar –, dann wird es außerordentlich schwer, ein Modell in dieser Weise anders zu entwerfen, als wir es vorgelegt haben.

Nehmen wir uns die Zeit, diese Denkpause im August, und im September dann eine heiße Diskussion! Ich finde, bei diesem Reformbedarf in unserem Land muss es doch wohl möglich sein, eine vernünftige Entscheidung auch einmal innerhalb von vier Wochen zu treffen. Dass wir dazu in der Lage sind, halte ich jedenfalls für möglich.

Danke schön und einen schönen Sommer.

(Beifall bei der CDU)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Wenn das nicht der Fall ist, dann bitte ich um das Schlusswort. Frau Abg. GüntherSchmidt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag hatte zwei Anliegen: Zum einen ging es uns darum, den Inhalt der Oberstufenreform kritisch zu hinterfragen, und zum anderen ging es darum – das scheint mir hier der wesentliche Aufmerksamkeitspunkt gewesen zu sein – zu kritisieren, welche Form Sie gewählt haben, nämlich durchpeitschen und hinterrücks verkünden, wie etwas passieren soll.

(Widerspruch bei der CDU)

Das haben wir offenbar erfolgreich verhindert.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sie haben nun zugestanden, dass Sie im August, also in diesem Sommer, diskutieren werden. Herr Flath, ich zitiere Sie: „Nehmen wir uns die Zeit.“ Ich freue mich, dass Sie jetzt bereit sind, sich diese Zeit zu nehmen und möglicherweise dann auch zu guten Ideen zu gelangen.

Herr Seidel, Ihr heutiger Beitrag hatte einen hohen Unterhaltungswert. Sie haben davon gesprochen, dass Sie eine breite Zustimmung aus den Hochschulen für den Vorschlag von Minister Flath wahrgenommen haben. Ich

habe nur breite Kritik wahrgenommen, wie beispielsweise von Prof. Melzer von der TU Dresden, der im Landesbildungsrat sitzt und das aufs Schärfste kritisiert hat. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Erkenntnisse nehmen.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Es gibt solche und solche!)

Die Frage, ob wir das Ingenieurland Sachsen aufleben lassen müssen, wenn wir eine allgemeine Hochschulreife verleihen, wage ich zu bezweifeln. Wenn wir heute Ingenieure und übermorgen Ärzte brauchen und danach Lehrer Mangelware sind, wollen Sie dann nach Marktbedingungen regelmäßig die Oberstufe reformieren? Ich halte das für außerordentlich schwierig. Ihr Problem, Herr Flath – Sie haben es eben ehrlicherweise zugegeben –, ist doch nicht, dass Sie zu wenige Ingenieure haben, sondern dass Sie zu wenige Schüler haben und dass Sie möglicherweise auch zu wenig Geld für das Bildungssystem haben.