Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, des Abg. Martin Dulig, SPD, und der Staatsregierung)

Für die Linksfraktion.PDS ist Frau Falken angekündigt, 10 Minuten.

(Staatsminister Stanislaw Tillich: In der Kürze liegt die Würze! – Weitere Zurufe)

– Wenn man gereizt wird, dauert es noch länger.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fremdsprachenlernen in der Grundschule hat in den letzten Jahren bundesweit eine dynamische Entwicklung genommen. Der Freistaat Sachsen vergleicht sich ja sehr gern mit anderen Bundesländern, und in diesem Fall sollte man das vielleicht auch tun.

Fremdsprachenlernen im Grundschulbereich ist in Deutschland zur Normalität geworden. In vielen Bundesländern – Herr Herbst hat es schon angedeutet – gibt es das Fremdsprachenlernen bereits ab der 1. Klasse – sei es nun als Begegnungssprache, als Unterrichtsfach oder in vielen anderen Varianten. Bei uns im Freistaat Sachsen haben wir im Schuljahr 2004/2005 die Fremdsprache eingeführt – verpflichtend, obligatorisch, flächendeckend, mit zwei Unterrichtsstunden für die 3. und 4. Klassen. Ausgewählte Schulstandorte – nach meinem Kenntnisstand sind es in diesem Jahr 14 Grundschulen, Herr Seidel; wenn es 16 sind, umso besser, das kann ich nur unterstützen – arbeiten in einem Modellprojekt, in dem bereits seit der 1. Klasse die Fremdsprache gelernt wird. Dieses Projekt läuft mit wissenschaftlicher Begleitung – was ich ausdrücklich hervorragend finde, weil wir irgendwann Ergebnisse haben werden.

Der Modellversuch sieht allerdings vor, dass vorrangig sprachinteressierte und leistungsstarke Schüler in diesem Projekt mitarbeiten können. Nach unserer Auffassung ist der Antrag der Fraktion der FDP zeitgemäß und zwingend notwendig, dass auch im Freistaat Sachsen für alle Schü

ler flächendeckend und obligatorisch der Fremdsprachenunterricht ab der 1. Klasse eingeführt wird.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst und Andrea Roth, Linksfraktion.PDS)

Wenn wir bereits seit vielen Jahren an mindestens 14 oder 16 Schulen im Freistaat Sachsen Erfahrungen gesammelt haben – nach meinem Kenntnisstand läuft dieses Projekt bereits seit 1998, dass die Fremdsprache an diesen Schulen in 1. und 2. Klassen mit einer Wochenstunde und in 3. und 4. Klassen sogar mit drei Wochenstunden unterrichtet wird –, halten wir es für notwendig, das jetzt auch flächendeckend umzusetzen.

Allerdings funktioniert das nicht so einfach, dass man sagen könnte: Wir geben eine Unterrichtsstunde dazu und dann geht es los. – In der 1. und der 2. Klasse kann man die Fremdsprache nicht in einer Unterrichtsstunde von 45 Minuten abhandeln, sondern man muss in Sequenzen unterrichten, weil der Fremdsprachenunterricht für die Erst- und Zweitklässler sonst zu schwierig wäre. Das bedeutet eine Umgestaltung des Stundenplanes der Schülerinnen und Schüler der 1. und 2. Klassen. Das passt aus meiner Sicht – insoweit will ich Ihnen widersprechen, Herr Seidel – eigentlich hervorragend in die Schuleingangsphase, weil dort sowieso in der Regel nicht nach 45-Minuten-Takt unterrichtet wird, sondern andere Takte zur Anwendung kommen.

Ich möchte die Problematik noch einmal darstellen: Nach der Stundentafel haben die Schülerinnen und Schüler der 1. Klasse immerhin 20 Wochenstunden abzuleisten. Hinzu kommen für einige Schüler zwei Förderstunden. Wir haben – auch in der 1. Klasse – noch zwei Stunden für den Anfangsunterricht, die Schuleingangsphase. Diese Stunden werden natürlich nicht zusätzlich, sondern parallel unterrichtet.

Welches Ziel kann und muss der Fremdsprachenunterricht ab der 1. Klasse haben? Aus unserer Sicht geht es nicht vorrangig darum, dass die Kinder mit verschiedenem Wissen der Fremdsprache vollgestopft werden, sondern darum, dass sie für die Sprache sensibilisiert werden. Sie sollten das fremde Lautsystem aufnehmen und aufgeschlossen auf andere Sprachen reagieren können. Aus ihrem Begegnungsumfeld – das ist in diesem Alter selbstverständlich – kann, soll und muss die Fremdsprache zu einer Begegnungssprache in den Klassen 1 und 2 werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das Modellprojekt „Frühe Fremdsprachen“ läuft im Freistaat Sachsen bereits seit vielen Jahren erfolgreich; ich übernehme jetzt fast den Part des Ministers, was ich nicht zwingend wollte. Ich habe es mir in Leipzig, dort mit Französischunterricht, angesehen. Das ist eine ganz tolle Geschichte. Ich hoffe und erwarte, dass der Staatsminister uns heute – wir haben natürlich ein Zeitproblem –, vielleicht auch im Schulausschuss, erläutert, welche Ergebnisse sich aus diesem, doch recht lange geführten Projekt ergeben. Nach meinem Kenntnisstand sollten bereits 2004 dazu Empfehlungen bzw. Ergebnisse vorge

legt werden, um das Projekt gegebenenfalls flächendeckend einzurichten.

Eine Presseerklärung des Staatsministers vom vergangenen Jahr sagt aus – Herr Seidel, Sie haben die Zahlen genannt; ich will sie in Prozente fassen, dann klingt das ganz anders –, dass circa 2 bis 4 % unserer Schülerinnen und Schüler in den 1. und 2. Klassen eine Fremdsprache lernen. Wir sind der Auffassung, dass das viel zu wenig ist, um den Anforderungen, die wir hier haben, gerecht werden zu können.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich will allerdings auch klar und deutlich sagen – Herr Herbst, ich hoffe, Sie sind sich dessen bewusst –: Wenn wir ab 2008 in den Klassen 1 und 2 Fremdsprachenunterricht einführen, dann bedeutet das auch, dass wir in den Haushalt 2008 zusätzliche Grundschullehrerstellen einstellen müssen; sonst ist die Aufgabe nicht zu realisieren. Auch wenn wir im Grundschulbereich keine Stellen abbauen, würden die bestehenden nicht ausreichen, um die Aufgabe umzusetzen. Der Haushalt ist hinsichtlich des Grundschulbereichs schon jetzt auf sehr enge Naht gesetzt.

Noch ein Wort zu Aus-, Fort- und Weiterbildung! Im Grundschulbereich wurden sehr viele Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, die für den Englischunterricht in den Klassen 3 und 4 mit dem zweiten Zertifikatskurs zur Verfügung stehen. Wir haben aber auch ausgebildete Grundschullehrer, die einen ersten Zertifikatskurs für den Begegnungsunterricht haben und noch nicht im Sprachenunterricht eingesetzt sind. Ausgebildetes Personal steht uns durchaus zur Verfügung, wir müssen es nicht extra ausbilden. Das heißt nicht, dass dort nicht weitere Ausbildungen stattfinden müssten. Insofern ist die Zeitschiene bis 2008 aus meiner Sicht realistisch und umsetzbar.

Wir werden diesem Antrag zustimmen.

Herr Staatsminister, wir wünschen uns, dass wir im Freistaat Sachsen bei den Fremdsprachen im Grundschulbereich im bundesweiten Vergleich nicht zurückbleiben.

Ich würde gern noch den Änderungsantrag anhängen, wenn ich darf.

Selbstverständlich.

Das Ansinnen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Änderungsantrag ist sicherlich gut gedacht. Wir sind allerdings der Auffassung, dass der Lehrplan nicht erneut geändert werden muss, auch nicht ab Klasse 5, wenn, dann wenigstens ab Klasse 3. Wir sind der Auffassung, dass das Fremdsprachenlernen in den Klassen 1 und 2 mit den Zielen und Inhalten, die ich in meiner Rede dargestellt habe, versehen werden soll. Es geht nicht darum, tiefgründiges Wissen zu vermitteln. Ab Klasse 3 und erneut ab Klasse 5 muss man natürlich die Methodik des Fremdsprachenlernens verändern. Das ist keine Frage. Aber ich

bin der Auffassung, dass das die Lehrerinnen und Lehrer, die dort unterrichten, sicherlich auch darstellen können.

Wir werden uns zu diesem Antrag enthalten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Danke schön. – Herr Dulig legt dar, was die SPD dazu meint.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind uns in diesem Hause einig, welche Bedeutung Unterricht in und Kenntnis von Fremdsprachen haben. Auch die Zielrichtung, so früh wie möglich zu beginnen – je eher, desto besser –, eint uns sicherlich.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir hier in Sachsen seit der letzten Schulgesetznovelle in der 3. Klasse mit dem Fremdsprachenunterricht beginnen. Jetzt geht es darum, die vorhandene Qualität auszubauen. Haben wir beispielsweise genügend ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, die den Erfolg des Fremdsprachenunterrichts gewährleisten können? Ich glaube, mit dem Antrag will man zu viel. Er geht in die richtige Richtung. Aber es ist zu viel, wenn man jetzt auf einmal fordert, mit dem Fremdsprachenunterricht schon in der 1. Klasse zu beginnen.

Den Rest der Rede gebe ich zu Protokoll.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Danke schön. – Herr Gansel, Sie sprechen für die NPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion überrascht schon im ersten Satz ihrer Antragsbegründung mit einer schier bahnbrechenden Erkenntnis, die da lautet: „Die Bedeutung von Fremdsprachen wird immer wichtiger.“ – Eine ähnliche Binsenweisheit wäre der Hinweis, dass im Winter die Bedeutung von warmer Kleidung zunimmt. Niemand leugnet, dass in einer zunehmend vernetzten und globalisierten Welt die Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen wächst und im internationalen Wettbewerb Vorteile mit sich bringt. Eine solide schulische Förderung von Fremdsprachenkenntnissen ist deshalb richtig und wichtig.

Die NPD-Fraktion bezweifelt aber, dass es lernpädagogisch sinnvoll ist, schon Erstklässler mit einer Fremdsprache zu konfrontieren. Zwar besagen einige Untersuchungen, dass sich das Gehirn junger Menschen zwischen dem Vorschulalter und dem achten Lebensjahr am besten die Strukturen von Fremdsprache aneignen könne. Diese angestrebte „kommunikative Intelligenz“ im Gebrauch fremder Sprachen setzt aber die Beherrschung der eigenen Muttersprache voraus.

Und hier liegt nach NPD-Auffassung der Hase im Pfeffer. Die PISA-Studien belegen eine unzureichende Lesekompetenz deutscher Schüler. Das hängt einerseits mit dem

Versagen etablierter Sprach- und Schulpolitik zusammen – ich erinnere an die unsägliche Schlechtschreibreform –; andererseits liegt es an der nachlassenden Spracherziehung der Eltern und an einem sprachverwahrlosenden Fernsehkonsum. Heute ist es alles andere als selbstverständlich, dass Kinder vor dem Einschlafen ein GrimmMärchen vorgelesen bekommen. Wem schon in der Kinderstube der natürliche Umgang mit seiner Muttersprache vorenthalten wird, bei dem braucht man sich später nicht zu wundern, wenn er statt zu Karl May lieber zum sogenannten Gameboy greift.

Für die NPD-Fraktion ist klar: Erst dann, wenn Schüler Deutsch in Sprache und Schrift sattelfest beherrschen, was direkt nach der Einschulung nicht der Fall ist, macht es Sinn, dass sie Fremdsprachen erlernen. Wird mit dem Erlernen einer Fremdsprache zu früh begonnen, nämlich bevor die Muttersprache richtig sitzt, kommt es zu einer Art babylonischer Sprachverwirrung, in deren Folge die Schüler weder die Mutter- noch die Fremdsprache wirklich beherrschen und damit sprachlich primitivisieren. Das sogenannte Engleutsch oder Pidgin-Deutsch zerstört schon heute unsere Kultursprache und hinterlässt Schüler, die oftmals keine Sprache richtig beherrschen. Eine solche Sprachverwirrung, die die Bildungschancen junger Menschen ganz bestimmt nicht erhöht, will die NPD in Sachsen nicht.

Das FDP-Ansinnen eines möglichst frühen Fremdsprachenunterrichts erscheint uns aber auch noch aus einem anderen Blickwinkel heraus in einem unguten Licht. Zu Recht weist die Antragstellerin auf Baden-Württemberg hin, wo neben Bayern Englischunterricht bereits ab der 1. Klasse der Grundschule verpflichtend ist. In beiden Ländern sind es angeblich konservative CDU- bzw. CSUKultusministerien, die sich die Einführung des Fremdsprachenunterrichts für Erstklässler als besondere Leistung anrechnen.

In diesem Zusammenhang sei an eine wirklich entlarvende Zeitungsäußerung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger erinnert, auf die er auch zahlreiche böse Leserbriefe erhielt und vom Verein Deutsche Sprache völlig zu Recht zum „Sprachpanscher des Jahres 2006“ gekürt wurde. CDU-Mann Oettinger sprach zustimmend die Erwartung aus, dass das Deutsche in Deutschland immer mehr zur Sprache der Freizeit und des privaten Lebenskreises absinke, während das Englische allmählich zur Arbeitssprache in Deutschland aufrücken werde.

Dann sagte Oettinger allen Ernstes: „Deswegen haben wir in Baden-Württemberg ab der Grundschule 1. Klasse Englisch eingeführt.“ Mit anderen Worten: Um der erwarteten Anglisierung des deutschen Arbeitslebens Rechnung zu tragen, sollen deutsche Schüler trotz unzureichender muttersprachlicher Kompetenz schon möglichst früh Englisch pauken.

Es entspringt keinem Verschwörungsdenken, wenn einen angesichts solcher Auslassungen etablierter Politiker die böse Ahnung beschleicht, es gehe den Herrschaften

vielleicht gar nicht um den Erwerb von Sprachkompetenz, um die „Erlangung von kommunikativer Intelligenz“, wie es hier im FDP-Antrag heißt, sondern um die Beschädigung unseres sprachlichen und kulturellen Erbes. Diese Gefahr sieht übrigens nicht nur die NPD. Der „Spiegel“ widmete erst letzte Woche seine Titelgeschichte dem Thema: „Rettet dem Deutsch die Verlotterung der Sprache“. Der „Spiegel“ wies nicht nur auf die fortschreitende Verwüstung der deutschen Sprachlandschaft durch allerlei Dummdeutsch hin, sondern machte dafür auch das verkrampfte Verhältnis vieler etablierter Politiker zur deutschen Identität verantwortlich. „Wenn sie an sich selbst denken“, schreibt der „Spiegel“, „werden Deutsche rasch unsicher und die Flucht ins Englische bietet scheinbar mehr Sicherheit.“

Die NPD-Fraktion lehnt eine drohende KauderwelschSprache durch Vermischung von Mutter- und Fremdsprache schon für Erstklässler ab. Im Zeitalter der globalen Durchökonomisierung aller Lebensbereiche muss man daran erinnern, dass Sprache mehr ist als ein bloßes Kommunikationsmedium, dass Sprache mehr ist als ein bloßes Verständigungsmittel für das Wirtschaftsleben. Sprache ist ein Kultur- und Identitätsgut, das die NPD – anscheinend im Gegensatz zu anderen Fraktionen – unbedingt erhalten wissen will. Die Globalisten aber wollen die Menschen schon möglichst früh mit der Welteinheitssprache Englisch auf das Wirtschaftsleben in der kapitalistischen Weltgesellschaft abrichten.

Aus der Forderung nach Fremdsprachenunterricht schon ab Klasse 1 spricht überdies der typisch bundesdeutsche Minderwertigkeitskomplex, der auch die eigene Sprache gering schätzt. Man muss deshalb einiges in Erinnerung rufen.

Deutsch ist neben dem Englischen und Französischen die wichtigste lebendige Bildungssprache der Welt. Für fast 100 Millionen Menschen ist Deutsch die Muttersprache und damit die meist gesprochene Muttersprache im klassischen Europa. Wer die Sprache der großen Geister der Philosophiegeschichte im Urtext lesen will, muss neben dem Altgriechisch die deutsche Schriftsprache beherrschen.

Die bundesdeutsche Fremdsprachenbesessenheit ist zudem Ausdruck des Irrglaubens, man müsste sein kulturelles Erbe entsorgen, um in der globalen Wirtschaftsgesellschaft bestehen zu können. Dabei ist es schlicht absurd zu glauben, Englischunterricht ab der 3. Klasse verringere die Lern- und Lebenschancen junger Menschen. Der Umstand, dass Deutsch im internationalen Leben nicht die Rolle einnimmt, die ihm eigentlich zusteht, ist den Altparteien anzukreiden, denn diese haben es nicht einmal geschafft, Deutsch als eine der Verkehrssprachen der EUAdministration durchzusetzen. Erst eine identitätsvergessene Politik hat zum Rückzug der deutschen Sprache aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beigetragen. Das etablierte Parteienkartell soll erst einmal dafür sorgen, dass Kinder an deutschen Schulen wieder ordentlich