Protokoll der Sitzung vom 12.10.2006

Im sorbischen Siedlungsgebiet gibt es die sogenannten Witaj-Kindergruppen – ich habe sie bereits erwähnt – und das Konzept „2 plus“ für die sorbisch-deutschen Schulen. Dort, wo bereits jetzt sorbische Witaj-Kitas sowie deutsche Kitas mit einer Witaj-Gruppe existieren, müssen in der Nähe sorbische bzw. zweisprachige Schulen erhalten bleiben bzw. neu gegründet werden.

Solange in Sachsen rückläufige Schülerzahlen zwangsläufig zu Schulschließungen im sorbischen Siedlungsgebiet führen, ist die sorbische Sprache im Status der Muttersprache akut bedroht. Brechen die Schulen weg, sind die Erfolge des Witaj-Projektes wie das vorzeitige Abbrechen einer langen Reise.

Der Koalitionsantrag löst das Problem nicht. Er dokumentiert allenfalls den guten Willen. Unseren Änderungsantrag werde ich später erläutern.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Es gibt im Moment keine weiteren Wortmeldungen der Fraktionen. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Minister Flath.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Sächsischen Staatsregierung wie auch den Landkreisen und Gemeinden ist die besondere Bedeutung von Schulen für die Entwicklung der sorbischen Sprache und Kultur bewusst. Zugleich haben die allgemeinbildenden Schulen im deutsch-sorbischen Siedlungsgebiet den Auftrag, die Schüler zu einem anerkannten und qualitätsmäßig hohen Bildungsabschluss zu führen.

Zur Sicherung der Qualität sächsischer Schulabschlüsse hat der Landtag des Freistaates Sachsen ein Schulgesetz beschlossen, das auch für die sorbischen Schulen gültig ist. Die Rechte der Sorben werden durch eine Vielzahl von Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und anderweitige rechtliche Regelungen gesichert. Staatliche Behörden wie das Regionalschulamt Bautzen und das Sächsische Staatsinstitut für Bildung und Schulentwicklung sind mit der inhaltlichen Weiterentwicklung der sorbischen Schulen beauftragt und entsprechend aktiv.

So wurde im Zuge der Einführung der neuen Lehrpläne im Freistaat Sachsen eine spezielle Stundentafel für sorbische Schulen aller Schularten entwickelt. In alle genannten Prozesse sind sorbische Fachgremien und Fachleute aktiv involviert. Diesbezüglich sind mir außer denen des Abg. Kosel keine kritischen Anmerkungen bekannt. Möglicherweise müsste ich Sie, Frau GüntherSchmidt, hier einbeziehen. Die Regelung der erforderlichen Abstimmung und Information obliegt den sorbischen Gremien selbst.

Uns allen ist die demografische Entwicklung der letzten Jahre bekannt. Der beispiellose Einbruch der Geburtenzahlen machte die Schließung von mehr als 440 Grundschulen und von mehr als 250 Mittelschulen in

Sachsen innerhalb der letzten zehn Jahre unumgänglich. Weil wir aber gerade der Alphabetisierung in Wohnortnähe innerhalb der Sprachgemeinschaft große Bedeutung beimessen, wurde trotz sehr geringer Schülerzahlen bisher keine einzige sorbische Grundschule geschlossen. Mitunter haben diese Schulen nur noch eine sehr geringe Schülerzahl. Das Sorbische Gymnasium Bautzen als einziges obersorbisches Gymnasium steht bei geringer Schülerzahl ebenfalls außerhalb jeglicher Diskussion. Es wird gegenwärtig mit Unterstützung des Freistaates Sachsen umfangreich saniert – und das bei 33 Schülern in der Eingangsklasse.

Daneben werden alle sorbischen Mittelschulen in mehreren Klassenstufen oder sogar durchgängig unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestschülerzahl geführt. Ausgehend von internationalen Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten gewähren wir hier weitreichende Ausnahmen. Der Begriff „weitreichende Ausnahmen“ ist so zu verstehen, dass alles Ausnahmen sind. Keine einzige Schule entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Aber wir haben das bewusst und, wie ich glaube, auch übereinstimmend so praktiziert.

Problematisch ist diese Entwicklung dann, wenn die Schüleranzahl pädagogisch sinnvolle Arbeit be- oder verhindert. Dadurch kam es in der Vergangenheit in Crostwitz zur Schließung der sorbischen Mittelschule, und in Panschwitz-Kuckau wird sie Ende des Schuljahres 2007/2008 erfolgen. Hier hatten sich zum Schuljahr 2005/2006 nur noch sieben Schüler für die 5. Klasse angemeldet, nachdem bereits im Vorjahr eine Klasse 5 mit lediglich 14 Schülern, das heißt im Grunde halbzügig, gebildet worden war. Alle Versuche, für den Besuch der Schule zu werben, blieben insgesamt erfolglos. Mit der sorbischen Mittelschule Räckelwitz in etwa 4 Kilometer – ich wiederhole: in 4 Kilometer – Entfernung und mit der rund 7 Kilometer entfernten Mittelschule Ralbitz stehen für die sorbischen Schüler zwei Schulen zur Verfügung. Auch der Kreistag des Landkreises Kamenz, der der Schulträger ist, hatte sich im März 2006 für die Schließung der Mittelschule Panschwitz-Kuckau ausgesprochen.

Eine weitere Anpassung des Schulnetzes ist seitens der Träger der Schulnetzplanung in den Landkreisen nicht beabsichtigt. Zur Stabilisierung der Schülerzahlen wird mit dem neu entwickelten Konzept „2 plus“ – auch dieses Konzept ist in der Debatte gewürdigt worden – die Ausweitung des Sorbischlernens in der Oberlausitz unterstützt.

Das geforderte langfristige Konzept für ein sorbisches Schulnetz liegt im Grunde bereits vor. Es ist Teil der von den Kreistagen der Landkreise des sorbischen Siedlungsgebietes beschlossenen Schulnetzpläne. Sie werden gegenwärtig im Kultusministerium vor der gesetzlich vorgeschriebenen Zustimmung geprüft. „Prüfung“ heißt immer – ich sage das, weil ich da Kritik höre –, dass alle Gremien im jeweiligen Gebiet nochmals umfangreich

angehört werden. Deshalb dauert das einige Zeit, aber ich gehe davon aus, dass eine Genehmigung erteilt wird.

Eine Planungshoheit des Freistaates über die kommunalen Schulen, wie der Antrag der Linksfraktion.PDS sie fordert, ist aus meiner Sicht nicht vorgesehen und auch nicht möglich. Aber ich wiederhole nochmals: Weder die Landkreise als Träger der Schulnetzplanung noch der Freistaat als zuständige Aufsichtsbehörde beabsichtigen die Aufhebung weiterer sorbischer Schulen.

Zu der Debatte, die hier stattgefunden hat, will ich noch sagen, dass ich mich den sehr detaillierten Ausführungen des Herrn Abg. Schiemann und denen von Herrn Dulig anschließe. Ich habe den Debattenbeiträgen – von dem der NPD-Fraktion abgesehen – auch entnommen, dass unsere Bemühungen durchaus gewürdigt werden. Dass eine Opposition anfügt, dass es noch besser und noch mehr sein könnte, ist wohl normal.

Jeder, der sich im Lande bewegt, wird sagen: Die Lage für die Sorben ist ernst. Sie ist in der Tat ernst. Aber auch hierzu will ich sagen, dass es einer Staatsregierung eben nicht möglich ist, Menschen zum Kinderkriegen zu zwingen.

(Zuruf des Abg. Dr. Johannes Müller, NPD)

Ich will auch deutlich sagen, dass es der Staatsregierung nicht möglich ist, die jungen sorbischen Frauen, die in ganz Deutschland als Ehepartnerinnen außerordentlich gefragt sind, etwa festzubinden. Das ist uns nicht möglich. Deshalb können wir nur alles tun, um entsprechende Projekte – und Schulen gehören unzweifelhaft dazu – zu fördern. Aber ich will auch sagen, was dem Freistaat ebenfalls nicht möglich ist: Wir können Bürger nicht zur Zweisprachigkeit zwingen. Eine solche Forderung habe ich bei Herrn Kosel herausgehört. Ich möchte Sie auch darauf hinweisen, dass Sie den Druck nicht allzu sehr erhöhen sollten, denn auf diese Weise könnten Sie genau das Gegenteil erreichen und den Wegzug aus diesen Gebieten eher beschleunigen als abbremsen. Das ist aus meiner Sicht das Problem.

Eines will ich auch in aller Offenheit sagen: Es ist eine schwierige Aufgabe. Wir haben heute auch nicht das erste Mal im Landtag darüber debattiert. Wir sind uns der Verantwortung bewusst. Was mich ärgert: Herr Abg. Kosel, Ihr umfangreicher Bericht war bereits so abgefasst, dass er wieder in alle Welt gesandt wird, das hat man gut heraushören können. Für mich ist es unerträglich, dass ich immer wieder Briefe der Russischen Duma beantworten muss, die uns darauf hinweist, dass wir in Sachsen nicht so brutal mit Minderheiten umgehen sollten. Das ist für mich unerträglich und das entsteht aus solchen Berichten, die Sie in alle Welt versenden.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Ich glaube nicht, dass wir uns dadurch die Problemlösung erleichtern.

Ich erwarte mit Spannung den Besuch des Menschenrechtskommissars in der nächsten Woche in Sachsen.

Ich gehe davon aus, dass er nicht nur von Ihnen Zuarbeiten bekommt, sondern auch vom Ministerium, vom Landkreis, vom Regionalschulamt. Ich glaube, dass sich das, was wir in den letzten fünf Jahren von dem, was staatlicherseits möglich ist, auf die Beine gestellt haben, durchaus sehen lassen kann.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Wir hatten übersehen, dass es noch eine Wortmeldung von der Linksfraktion.PDS gab. Jetzt die Frage: Wie organisieren wir das? Wollen Sie gleich sprechen oder im Anschluss an die Einbringung des Antrages der GRÜNEN?

(Zuruf der Abg. Julia Bonk, Linksfraktion.PDS)

Gut. – Also, der Änderungsantrag der GRÜNEN. – Ach nein, Moment. Er ist noch nicht aufgerufen worden, er wird erst zur Abstimmung eingebracht. Jetzt wären erst noch die Schlussworte dran. Also, Schlussworte von – –

Ich frage jetzt noch einmal die Linksfraktion.PDS. Ein Redebeitrag nach dem Minister vor dem Schlusswort wäre möglich. Es wäre auch möglich, im Rahmen der Abstimmung und der Einbringung des Änderungsantrags der GRÜNEN zu sprechen. – Nun ein Redebeitrag. Frau Abg. Bonk.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Es ist eine besondere Situation, in der ich auch die Möglichkeit habe, auf das bereits Gesprochene und den Minister direkt einzugehen. Ich möchte die Problematik sorbischer Schulen einschließlich des Umgangs mit der Schulnetzplanung sorbischer Schulen anschließend an meinen Kollegen Heiko Kosel auch einmal aus schulpolitischer Sicht betrachten und dabei auf das eingehen, was in der Debatte schon gesagt wurde.

Innerhalb des politischen Rahmens dieser Nation als einem Land ist es zulässig und möglich, dass sich verschiedene Identitäten ausprägen. Verfassung und Schulgesetz ermöglichen der Minderheit, ermöglichen der besonderen Identität der sorbischen Schulen einen besonderen Schutz, eine Auslegung, eine Ausprägung, eine Weitervermittlung. Natürlich ist das Leben dieser besonderen Kultur und die Entwicklung der Identität an diesen Schulen von besonderer Bedeutung, werden doch dort Sprache und Gebräuche sowie gemeinsamer Hintergrund vermittelt und dadurch auch ein Leben mit dieser Identität ermöglicht.

Verfassung und Schulgesetz gewähren allgemein Schutz. Jedoch muss sich dieser Grundsatz bei der konkreten Ausgestaltung der Schulnetzplanung niederschlagen. Wir haben jetzt gehört, dass es Überlegungen auch innerhalb der Schulnetzplanung bei den Kreisen und beim Kultusministerium gibt, Ausnahmen zu gewähren. Jedoch haben wir immer wieder Diskussionen erlebt, in denen es um die

Schließung sorbischer Schulen gegangen ist – in Crostwitz, jetzt in Panschwitz-Kuckau –, und womit in den Regionen auch Verunsicherung bei denen hergestellt wird, die diese Schulen besuchen.

(Zuruf des Staatsministers Steffen Flath)

Diese Unsicherheit darf es nicht geben. Gerade auch, wenn man Bestandssicherheit haben will, muss es eine Planungssicherheit für Eltern geben, um sich entscheiden zu können, ihre Kinder dorthin zu geben. Gerade auch für Eltern, für Familien mit nicht sorbischem Hintergrund. Dafür dürfen diese Standorte in der öffentlichen Diskussion nicht immer wieder auf der Kippe stehen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Darum, sagen wir, muss es ein verlässliches Konzept, eine langfristige Planung geben und dies muss auch jenseits der Aktivitäten in der Region von Landesseite positiv begleitet werden. Daher nehmen wir immer freudig zur Kenntnis, wenn die Koalition Anträge stellt, in denen positive Zielformulierungen enthalten sind. Jedoch kommt es dann ganz konkret darauf an, wie diese untersetzt werden. Darum haben wir, meine Damen und Herren, diesen Änderungsantrag eingebracht, der auch noch einmal bestimmt, dass dies nur in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort geschehen kann. Wenn dieser Schritt in Ihrem Interesse ist, werden Sie unserem Antrag ja auch zustimmen können.

In § 4a des Schulgesetzes ist festgeschrieben, dass Schulen mit besonderem Profil bei einem besonderen öffentlichen Bedürfnis Bestandsschutz haben können. Dies muss gerade vor dem Hintergrund der verfassungsmäßigen Besonderheit des Status sorbischen Kulturgutes auch auf die sorbischen Schulen Anwendung finden. Wir bitten Sie, es nicht einfach bei einem Schaufensterantrag zu belassen, sondern sich auch deutlich zu bekennen, und bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.

Es kann nicht sein, dass die Schulschließungspolitik, die in den letzten Jahren über 800 Schulen in Sachsen das Leben gekostet hat, in gleichem Maße auch auf die sorbischen Schulen Anwendung findet, obwohl dort ein besonderer Status definiert ist. Vielmehr fordern wir Sie auf, diesen Sonderstatus sowohl in dem konkreten Handeln als auch in der Öffentlichkeit anzuerkennen und Bestandssicherheit für diese Schulen zu schaffen und sie in der konkreten Ausgestaltung mit Schulbüchern, mit pädagogischem Personal, in der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern zu unterstützen und es nicht bei der Formulierung eines solchen Schaufensterantrages zu belassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das Schlusswort haben die Fraktionen der CDU und der SPD. Herr Abg. Schiemann wird für beide sprechen? – Ja. Danach die Linksfraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob die Debatte, die hier geführt worden ist, am Schluss mit Schaufensteranträgen zu vergleichen ist. Ich möchte mich nicht auf das Niveau begeben, jetzt von Schaufensteranträgen zu sprechen, egal von welcher Fraktion hier ein Antrag eingebracht worden ist.

Ich glaube, manchmal ist Handeln besser als viel reden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich hoffe, Sie haben nicht zu zeitig geklatscht. – Wenn Sie sich die Zahlen anschauen – und ich glaube, das gehört auch zur Redlichkeit: Sie beschreiben auch die Sorgen der Sorben selbst um ihre eigene Entwicklung, aber sie beschreiben auch die schwierige Situation, in der sich die Sorben im Freistaat Sachsen befinden, geschweige denn von denen zu sprechen, die in anderen deutschen Ländern, ob in Baden-Württemberg oder in Bayern oder vielleicht in Nordrhein-Westfalen, zu Hause sind, weil sie der Arbeit hinterherfahren müssen.

Wir haben in den Grundschulen – so hat es Staatsminister Flath vorgetragen – eine Situation, dass nur die Grundschule in Bautzen die Zweizügigkeit erreicht. Ansonsten erreichen wir lediglich die Mindestschülerzahl. Das zu sagen gehört zur Wahrheit, es gehört auch zur Redlichkeit. Denn es ist dem Umstand geschuldet, dass eben nicht genügend Kinder da sind. Ich glaube nicht, dass es redlich wäre, das einer Staatsregierung oder irgendwelchen Beamten der Staatsregierung in die Schuhe zu schieben. Wir müssen aber mit dem Problem umgehen.

Ich finde es sehr vernünftig und ich finde es, ausgehend von der Sächsischen Verfassung, auch richtig, dass die Grundschulen erhalten bleiben, wohl wissend, dass damit das Schulsystem überhaupt nicht mehr vergleichbar mit einer deutschen Schule gestaltet werden kann. Sie müssen mal nachschauen: Eine Grundschule braucht doch einen Chor, braucht vielleicht auch eine Tanzgruppe oder braucht schulische Angebote in der Freizeit. Eine Grundschule mit 150 Kindern kann viel mehr Angebote machen als eine Grundschule, die vielleicht 60 oder 65 Kinder hat. Das bitte ich aus praktischen Überlegungen mit zu überdenken.