Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Bezogen auf die Ausführungen von Herrn Dr. Pellmann und Frau Herrmann möchte ich eingangs darauf verweisen, dass es natürlich, wenn wir eine solch detaillierte Debatte führen, wichtig ist, um zielgerichtet zu agieren, dass wir uns über die Definition des Begriffes verständigen.
Ich will noch einmal an eine der großen Frauen unseres Landes, Frau Elisabeth Noelle-Neumann, erinnern, die über den Begriff Statistik schrieb: „Statistik ist für mich das Informationsmittel der Mündigen. Wer mit ihr umgehen kann, kann weniger leicht manipuliert werden.“
Damit, meine Damen und Herren, bringt sie zwei Punkte zum Ausdruck. Erstens können Statistiken dabei helfen, sachlich zu argumentieren. Daraus folgt aber zweitens, dass man sich auch die Mühe machen muss, sie genau zu lesen und zu hinterfragen, ob die Ergebnisse einer Statistik tatsächlich ausreichen, das eigene Handeln zu legitimieren. Das kostet Zeit. Aber ich gehe davon aus, dass wir allgemein im Haus die Meinung vertreten, dass es sich lohnt, gerade bei einem solch ernsten Thema wie Kinderarmut diese Mühe an den Tag zu legen.
Wie definiert man Armut? Dazu einigten sich im Dezember 2001 bereits die europäischen Staats- und Regierungschefs auf Indikatoren, mit denen man Arbeit messen kann. Die Armutsgrenze bei weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens zu ziehen war dabei eine politische Entscheidung.
Wer Frau Noelle-Neumanns Ratschlag ernst nimmt, schaue genauer hin und frage sich, ob diese Definition ausreicht, konkrete Armut zu erfassen. Reicht sie tatsächlich aus, den Problemen in all ihren Ausprägungen gerecht zu werden? Die „TAZ“ verneint dies und schreibt: „In der Tat erwecken die glatten Armutsschwellen bei 40, 50 und 60 % den Eindruck mathematischer Willkür. Schließlich enthalten die relativen Marken keinen Hinweis darauf, ob die entsprechenden Geldbeträge ausreichen für ein Konsumniveau ohne Not auf Höhe des gesellschaftlich verallgemeinerten Mindeststandards.“
Ich gehe dabei noch einen Schritt weiter. Ich denke, dass die EU-Definition geeignet ist, die Einkommensverteilung über Ländergrenzen hinweg zu vergleichen. Für das zentrale Problem halte ich jedoch den Mangel an individuellen Verwirklichungschancen. Dieser Mangel wird bei
einer Erfassung allein des aktuellen Einkommens nicht hinreichend genau festgestellt. Der eine oder andere hat es heute schon angesprochen: Es gibt genug Beispiele, wie man Kinderarmut differenziert beschreiben kann, um auch gezielt darauf zu reagieren.
Ein Beispiel dafür möchte ich noch kurz erwähnen. Es ist der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Hier wird die Lebenslage von Kindern anhand von sechs Dimensionen untersucht: der materiellen Lage, der Gesundheit und Sicherheit, der Bildung, der Beziehungen zu den Eltern und Freunden, der Risiken im Alltag und des subjektiven Wohlbefindens von Kindern.
Die UNICEF kommt damit zu einem umfassenden Begriff von Kinderarmut und bietet somit aus meiner Sicht die Chance, in der Tat differenziert darauf zu reagieren.
Auch wir, meine Damen und Herren, haben uns mit Kinderarmut aus unterschiedlichen Blickwinkeln auseinandergesetzt. Ich verweise an dieser Stelle auch auf den Ihnen bereits vorliegenden Sozialbericht 2006 „Lebenslagen in Sachsen“. Wir wissen, dass Armut gerade bei Kindern von Alleinerziehenden ein großes Problem ist. Wir wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit gibt; aber nicht nur, auch das wissen wir. Und wir wissen, dass sozial schwache Familien weniger Wert auf Bildung legen oder auch legen können als andere Familien. Wir wissen, dass Kinderarmut die Chancen der Kinder für ein erfolgreiches und eigenverantwortliches Leben in Zukunft verringert.
Daher ist es unser Ziel, meine Damen und Herren, allen Kindern unabhängig von ihrer Herkunft eine Chance zu geben, ihr Leben eines Tages eigenverantwortlich und erfolgreich leben zu können. Dazu gibt es die Aktivitäten der Staatsregierung.
Wir haben in der Tat, Herr Dr. Pellmann, in der Konzeption der Sächsischen Staatsregierung zur Vermeidung von Armutsrisiken und zur Förderung von Teilhabechancen in Sachsen eine Gesamtdarstellung aus allen Ressorts der Sächsischen Staatsregierung abgegeben. Sie beklagen, dass in dieser Konzeption für Sie nicht nachvollziehbar tatsächliche Maßnahmen angeboten werden. Es mag sein, dass das Ihrem Eindruck und Ihrer Meinung nach ein 10oder 15-Punkte-Plan sein müsste. So einfach haben wir es uns nicht gemacht, sondern wir weisen darauf hin, dass diese Konzeption ein geeignetes Mittel ist und sein wird, um in der Tat den Anspruch zu realisieren, dass die Aufgabenstellung, um das Ziel, das heute schon mehrfach angesprochen worden ist, zu erreichen, eine gesamtgesellschaftliche ist. Deswegen muss es ein Anliegen der Staatsregierung sein, alle gesellschaftlichen Akteure in diesen Prozess einzubeziehen. Erst dann, Herr Dr. Pellmann, kann und darf es einen gemeinsamen Maßnahmenkatalog geben. Auf diesem Weg sind wir.
Erstens. Wir wollen den Kindern ein solides und breites Fundament an Wissen mitgeben. Wir haben die Bildungsqualität im frühkindlichen Bereich enorm verbessert. Dies
ist gerade für die Kinder wichtig, die im Elternhaus nicht gefördert werden können, für die es nicht selbstverständlich ist, vorgelesen zu bekommen oder zum Beispiel ein Musikinstrument zu erlernen.
Wir haben in Sachsen ein Schulsystem, das eben nicht dazu führt, dass die Herkunft den Bildungsweg der Kinder vorzeichnet.
Zweitens schaffen wir mit unseren Kitas und den Ganztagsangeboten die Voraussetzung, Familie und Beruf zu vereinbaren. Bundesweit hat die Kinderbetreuung in Sachsen in Qualität und Quantität einen guten Ruf. Da können Sie sie noch so schlechtreden, wie Sie wollen, meine Damen und Herren von der Linken.
Wir wissen natürlich, dass weiterer Handlungsbedarf angesagt ist, und entwickeln dazu – auch heute in der Aktuellen Debatte am Anfang zu hören – differenzierte, flexible Angebote für die Zukunft, denn gerade berufstätige Alleinerziehende brauchen unsere Unterstützung.
Drittens. Wir kümmern uns um die Gesundheit unserer Kinder. Mit unserem Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen“ und vielfältigen Projekten in den letzten Jahren erreichen wir gerade auch die Kinder aus sozial schwachen Familien. Wir unterstützen die Eltern dabei, ihre Kinder gesund zu erziehen und gleich für sich selbst noch einmal die heute schon angesprochene Vorbildwirkung zu überprüfen.
Den Kindern eine gute Bildung mitzugeben, die Eltern dabei zu unterstützen, Familie und Beruf zu vereinbaren und ihre Kinder gesund aufwachsen zu lassen, das sind wichtige Wegmarken, die Kinderarmut in Sachsen zu bekämpfen. Dazu müssen wir umfassend agieren, um allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die Chance auf die Verwirklichung eigener Vorstellungen zu geben.
Das heißt, wir müssen den erfolgreichen Weg unserer Wirtschaftspolitik weiter gehen. Denn sozial ist das, was Arbeit schafft. Wir müssen die Menschen, die noch nicht an diesem Erfolg teilhaben, unterstützen, ihre Lage eigenverantwortlich zu verbessern; fördern, wo möglich, und fordern, wo nötig.
Wir müssen unsere Kinder auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten, von der Kita bis zum Studium. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat die Staatsregierung bereits mit vielfältigen Maßnahmen in den letzten Jahren eingeleitet. Diese werden langfristig dazu beitragen, Kinderarmut in einem umfassenden Sinne erfolgreich zu bekämpfen.
Allerdings ist zur Integration von Kindern, die an den Rand der Gesellschaft zu rutschen drohen, nicht nur die Staatsregierung gefordert – ich wiederhole mich hier –, sondern alle gesellschaftlichen Kräfte müssen mit ihren
Genau darum geht es. Um diese Möglichkeiten auszutauschen und gegebenenfalls zu bündeln sowie natürlich auch um ein effizientes gemeinsames Handeln zu organisieren, werde ich die gesellschaftlichen Akteure in Sachsen schon bald zu einer gemeinsamen Beratung in mein Haus einladen.
Moment, ich schaue erst einmal nach der Zeit. Ja, Herr Dr. Pellmann, Sie haben noch Redezeit. Bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht wird es sogar eine Tradition, die wir einführen sollten, dass diejenigen, die eine Aktuelle Debatte beantragen, am Schluss noch einmal die Möglichkeit nutzen – nicht dass es zur Regel wird, dass immer die Staatsregierung das letzte Wort hat.
Ich will einige wenige Bemerkungen machen, die den Beitrag von Frau Staatsministerin betreffen, mich zunächst aber bei aller Unterschiedlichkeit der Standpunkte, die heute hier zum Tragen gekommen sind, für die Beiträge bedanken und der Auffassung anschließen, dass wir natürlich alle gefordert sind, gegen Kinderarmut aufzutreten.
Ich freue mich zunächst, dass heute im Unterschied zu manchen bisherigen Verlautbarungen seitens der Staatsregierung und seitens der CDU-Fraktion niemand bestritten hat, dass in Sachsen Kinderarmut existiert. Das ist ein großer Fortschritt.
Was die Statistik betrifft, so kennt natürlich jeder den alten Bismarck-Spruch, den ich hier nicht noch einmal wiederholen muss.
Der übrigens eine etwas größere Bedeutung als Frau Noelle-Neumann in der Weltgeschichte hat, aber das nur am Rande.
Verehrte Frau Staatsministerin, ich bin Ihnen dankbar für die Bemerkung, dass das, was Sie als Konzept bezeichnet haben, ein vorläufiges Papier ist und dass wir alsbald mit einem Maßnahmenkatalog zu rechnen haben.
Ich denke, es wäre auch hilfreich, wenn wir im Ausschuss vielleicht nicht nur Anträge zur Debatte stellen, sondern
Was die Betreuung in Kindertagesstätten betrifft – weil Sie das immer wieder zu Recht erwähnen –, will ich nur sagen: Wir wissen doch, warum Sachsen im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern Vorteile hat und wo die Ursachen sind. Ich muss doch hier nicht sagen, dass das an der DDR liegt. Das glauben Sie mir doch gar nicht, wenn ich das sage.
Aber wir wollen doch auch bitte schön – und da bin ich wieder bei der Statistik – zur Kenntnis nehmen, dass Sachsen, zumindest was die Betreuungskoeffizienten in den Krippen betrifft, unter den ostdeutschen Bundesländern den letzten Platz einnimmt.
Wer wollte bezweifeln, dass Bildung auch ein wesentlicher Faktor zur Bekämpfung von Armut sein muss und sein kann?