Protokoll der Sitzung vom 20.05.2010

In Chemnitz wird beispielsweise darüber diskutiert, dass der Marktplatz barrierefrei gemacht werden sollte. Es ist ein Marktplatz mit wunderschönem Kopfsteinpflaster, aber mit so breiten Fugen versehen, dass nicht nur Frauen mit Absatzschuhen und Eltern mit dem Kinderwagen in den Fugen hängen bleiben, sondern auch ich mit meinem Rollstuhl auf jeden Fall darin hängen bleibe

(Zuruf des Abg. Thomas Jurk, SPD)

und mir den Rollstuhl kaputt machen, weil sich die Räder verbiegen. Als es darum ging, Barrierefreiheit für diesen Marktplatz herzustellen, sagte die Stadt, dass sie das nicht machen könne, weil es zu teuer wäre bzw. wenn man es mache, man die erhaltenen Fördergelder für den vor ein paar Jahren gestalteten Marktplatz zurückzahlen müsse.

Das halte ich für eine bodenlose Schweinerei. So kann es nicht gehen.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD)

Ich glaube, wir müssen über all diese Dinge sprechen. Die Bestandsaufnahme und die Analyse müssen gemacht werden. Aber dazu brauchen wir konzertierte und sinnvolle Aktionen.

Nun zu Ihnen hier drüben von der NPD. Ich muss Ihnen sagen, es ist körperlich angreifend, was Sie da machen. Sie wünschten sich wahrscheinlich eine Gesellschaft, in der alle, die eine Behinderung haben, irgendwo versteckt sind.

(Andreas Storr, NPD: So ein Quatsch! Das habe ich doch gar nicht gesagt! – Arne Schimmer, NPD: Nein, das stimmt nicht!)

Das, was mit der UN-Behindertenrechtskonvention gemacht wurde: Da waren Tausende von Behinderten dabei, die an diesem Plan gearbeitet haben. Sie haben sich in New York nicht ohne Grund hingesetzt

(Andreas Storr, NPD: Wie viele Behinderte kennen denn die UN-Konvention?)

und an dem Plan gearbeitet, sondern sie haben mitgearbeitet, weil es tatsächliche Diskriminierung gibt. Diese gibt es in allen Lebensbereichen. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.

(Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Gibt es bei der SPD noch Redebedarf? Sie haben noch 3 Minuten und 45 Sekunden. – Bitte schön, Frau Kliese.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich hatte gehofft, dass der heutige Antrag und die Debatte dazu führen, dass die Koalitionsfraktionen auch einmal über ihren ideologischen Schatten springen und anerkennen können, dass es ein gutes Ziel gibt, dass das eine gute Sache und ein Thema ist, was man über Parteigrenzen hinweg für unsere Gesellschaft durchsetzen kann.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Leider hat es mit dem Umdenken und mit der Verinnerlichung des Geistes der Konvention bei Ihnen noch nicht ganz so geklappt. Deshalb möchte ich die mir verbleibende Zeit dafür nutzen, Ihnen ins Gedächtnis zu rufen, dass es die CDU und die FDP waren, die am 26. März 2009 im Deutschen Bundestag diese Konvention mit ratifiziert haben. Das ist nicht nur der Wille der hier anwesenden Oppositionsfraktionen gewesen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Mit der Verabschiedung, mit der Ratifizierung dieser Konvention für die Bundesrepublik Deutschland haben wir uns verpflichtet, diese umzusetzen. Wie sollten wir das tun, wenn nicht mit einem Maßnahmenplan? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass das von allein irgendwo in den Köpfen der Menschen ohne irgendwelche Impulse geschieht? Ich freue mich, dass Sie Vertrauen in das selbstständige Denken der Bürgerinnen und Bürger setzen. Das tun Sie ja zum Beispiel beim Thema Hartz IV und anderen viel zu selten. Aber das allein wird nicht reichen.

Deshalb müssen wir dieses Thema – ich denke, damit werden wir uns in dieser Sitzung nicht zum letzten Mal befassen – immer und immer wieder auf die Tagesordnung setzen, um Fortschritte für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zu erzielen.

Vorhin habe ich gesagt, dass uns das Umdenken nichts kosten wird. Das ist richtig. Ich möchte Ihnen aber auch sagen, dass Inklusion nicht kostenneutral stattfinden wird; Inklusion wird Geld kosten. Aber wenn wir dieses große

Ziel gemeinsam erreichen, werden wir ein Ergebnis schaffen, dessen Wert für unsere Gesellschaft materiell nicht zu beziffern ist. Das bitte ich Sie zu bedenken.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die FDP hätte noch Redezeit. Wird das Wort noch gewünscht? – Das sieht nicht so aus. Wird eine dritte Runde gewünscht? Es können nur diejenigen sprechen, die noch Redezeit haben. – Das ist auch nicht der Fall. Dann spricht jetzt die Staatsregierung; Frau Ministerin, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die UNBehindertenrechtskonvention nimmt uns in die Pflicht. Diese Pflicht lässt sich wohl nicht mit schönen Worten abgelten. Hier brauchen wir das praktische Engagement aller Beteiligten. Die UN-Behindertenkonvention unterstützt den vor Jahren eingeleiteten Paradigmenwechsel. Für die wirkliche Umsetzung müssen wir den Gedanken der Inklusion in unsere Gesellschaft tragen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion)

Das bedarf eines langen Atems, es bedarf mehr als der Änderung von Gesetzen und es bedarf vor allen Dingen eines Bewusstseinswandels; weil immer noch eine Menge Barrieren im Wege stehen. Hierbei denke ich weniger an bauliche Barrieren. Die wirklichen Barrieren befinden sich in den Köpfen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion)

Es reicht nicht, Gesetze zu ändern. Zuerst brauchen wir einen Bericht über den Status quo in Sachsen. Dafür hat das SMS alle Ressorts angeschrieben. Alle Ressorts sollen einen Ansprechpartner für die UN-Konvention benennen. Dann wissen wir, wo wir stehen und wo wir dieser Konvention nicht gerecht werden. Daraus müssen selbstverständlich konkrete Handlungsempfehlungen folgen, und das ressortübergreifend. Aber dazu brauchen wir keinen Aktionsplan um eines Aktionsplanes willen.

(Horst Wehner, Linksfraktion: Ist doch klar!)

Ein Plan reicht mir nicht. Rheinland-Pfalz betreffend sage ich sehr wohl: Es gibt dort den Aktionsplan, aber er ist im Haushalt nicht untersetzt. Mir reicht es nicht zu fordern, sondern es muss auch finanziert werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Selbstverständlich ist die UN-Behindertenrechtskonvention ein Prozess in allen Bundesländern. Wir brauchen eine Situationsanalyse als Grundlage. Wir sollten nicht schnelle Maßnahmen entwickeln, sondern die richtigen. Dafür lautet die Grundregel: In Behindertenfragen Behinderte fragen!

Gesellschaftlicher Wandel kommt nicht durch Änderung von Gesetzen. Hierbei geht es um die Fähigkeiten, Talente und Stärken jedes Einzelnen, der behindert ist, zum Beispiel in der Arbeitswelt, in der Bildung oder im Verkehr. Wir alle müssen etwas dafür tun, damit dieser inklusive Gedanke gelebt wird. Wir wissen, wohin wir wollen. Das ist in der UN-Behindertenrechtskonvention sehr deutlich ausgedrückt.

Ich sage es noch einmal deutlich: Für eine Gesellschaft, die fragt, was einer kann, und die nicht fragt, was einer nicht kann, für eine Gesellschaft, in der es nicht mehr wichtig ist, ob ein Mensch behindert ist oder nicht, tragen wir alle gemeinsam Verantwortung!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Es folgt eine Kurzintervention von Herrn Pellmann, bitte.

Frau Staatsministerin, Sie haben vieles gesagt, was ich sofort unterschreiben würde. Sie haben aber dann – für mich völlig unverständlich – gesagt: Wir brauchen keinen Aktionsplan. Das halte ich nun doch für unlogisch.

Denn all das, was Sie selbst konkret gefordert haben, kann und muss doch in einen Plan – wenn Ihnen das Wort nicht gefällt, dann vielleicht: eine Konzeption – münden. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir doch konkret abrechnen können – das ist auch Ihr Anliegen gewesen –, was wir tun können, was nötig ist, wer dafür verantwortlich ist und in welchen Zeiträumen wir das bewältigen wollen.

Wenn die antragstellende Fraktion das als Aktionsplan bezeichnet – inzwischen gibt es andere, die das auch so sehen –, dann kann man dagegen polemisieren. Mir ist es völlig egal, wie Sie es nennen. Aber wir brauchen ein Konzept genau in dieser Richtung.

Im Übrigen haben Sie natürlich recht: Gesetzesänderungen allein genügen nicht. Aber sie können hilfreich sein. Wenn wir einen Plan, eine Konzeption brauchen, dann ist eines der dringenden Gebote, dass wir endlich aus dem gegenwärtigen Integrationsgesetz ein Gesetz machen, das sich wirklich auf dem Niveau der Behindertenkonvention bewegt. Im Augenblick sind wir weit davon entfernt – auch mit diesem Gesetz.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Frau Herrmann, bitte.

Danke, Frau Präsidentin. Auch ich möchte die Gelegenheit der Kurzintervention nutzen. Frau Staatsministerin, Sie haben gesagt, dass der Landesaktionsplan von Rheinland-Pfalz nicht untersetzt ist.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass er seit dem 30. März dieses Jahres in Kraft ist. Das heißt, er kann gar nicht im Haushalt untersetzt sein. Im Gegenteil, der Aktionsplan ist die Grundlage dafür, dass man in Abwägung der verschiedenen Maßnahmen, die dort vorgeschlagen sind, Haushaltsmittel einstellt für die Maßnahmen, denen man eine Priorität zuweist.

Das heißt, auch dafür, um im Haushalt Geld zur Verfügung zu haben und die UN-Konvention umzusetzen, gibt es einen Aktionsplan. Sie können ihn gern anders nennen, zum Beispiel Maßnahmenplan oder wie auch immer. Er ist, wie bereits ausgeführt, ein Konzept und die Grundla

ge, um dann – wir haben ja nicht so viel Geld, um alles gleichzeitig zu tun – Prioritäten zu setzen und zu sagen: Genau damit wollen wir anfangen, das ist unser Ziel und dafür stellen wir Geld in den Haushalt ein.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Damit ist die Aktuelle Debatte beendet und ich schließe den Tagesordnungspunkt.