Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Im Augenblick wird niemandem etwas gekürzt, denn der Hartz-IV-Empfänger bekommt zurzeit noch keine Rente; es geht in Ihrem Antrag rein um die Beitragszahlungen.

Die Kommission gegen Altersarmut ist eingesetzt. Die Problematik ist in Bundes- und Landesregierung bekannt.

Auch wir beschäftigen uns intensiv mit dieser Thematik vor Ort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein funktionierender Sozialstaat ist auf der einen Seite ein Staat, der Menschen in Notsituationen auffängt, selbstverständlich auch finanziell, und auf der anderen Seite aber auch einer, der Menschen aktiviert. In erster Linie sind die Menschen in Arbeit zu bringen, damit sich die Bürger ihre Rente in eigener Verantwortung verdienen dürfen und nicht von staatlich zugewiesenem Geld, in welcher Höhe auch immer, entsprechend leben müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das muss unser Ziel sein. Dazu gehört aber auch, dass die Menschen Eigenvorsorge betreiben können. Dafür haben wir zum Beispiel die Voraussetzung mit der Anhebung des Schonvermögens für die private Altersvorsorge bei Hartz-IVEmpfängern geschaffen. Das ist ein wichtiger Punkt, den man immer wieder nicht laut und deutlich genug sagen kann, und das im Unterschied zur vorherigen Bundesregierung.

50 % des Bundeshaushaltes werden schon heute ausschließlich im Sozialbereich ausgegeben. Noch vor zehn Jahren betrug dieser Anteil nicht einmal 40 %. Unter diesem Vorzeichen ist es nur zu verständlich und auch legitim, dass der Sozialhaushalt des Bundesarbeits- und -sozialministeriums bei einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung auch auf Bundesebene nicht ausgenommen werden kann. Das, was die Linksfraktion macht, nämlich eine ständige Umverteilung zulasten der arbeitenden Bevölkerung, nenne ich einen verantwortungslosen Umgang mit Steuergeldern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Um Geld verteilen zu können, muss Geld eingenommen werden, das heißt, es muss erwirtschaftet werden. Aber das, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linksfraktion, scheinen Sie immer wieder zu vergessen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Fraktion GRÜNE ist an der Reihe. Es spricht Frau Abg. Herrmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schütz, Sie haben die Frage gestellt: Was ist das für ein Signal an die jetzt arbeitende Bevölkerung? Ich kann Ihnen sagen, was für ein Signal es ist. Das Signal ist: Wenn ich jetzt arbeitslos werde, falle ich nicht ins Bodenlose und bin nicht auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Das wäre das Signal, wenn wir diesem Antrag hier zustimmten.

(Zuruf der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Derzeit erleben wir auf der Bundesebene einen Verschiebebahnhof zwischen den verschiedenen Sozialversicherungssystemen. Wenn die Bundesregierung die Beiträge zur Rentenversicherung für Bezieher von ALG II jetzt

einspart, dann bleiben im Haushalt des Arbeitsministeriums 1,8 Milliarden Euro übrig, also Geld, das Frau von der Leyen auch dringend braucht. Allerdings ist die Frage zu stellen, wofür es dann ausgegeben wird.

Wir haben es gerade erlebt, Ebbe in der Kasse, 5 Euro Erhöhung bei Hartz IV. Dazu haben wir sicherlich eine unterschiedliche Meinung, aber ich empfinde es als Hohn. Im Gegenzug, liebe Kolleginnen und Kollegen, fehlt genau dieses Geld von 1,8 Milliarden Euro in der Rentenversicherung, und zwar jetzt und nicht erst, wenn Sie Rente bekommen, weil jetzt von denen, die Beiträge einzahlen, die Renten von heute bestritten werden. Also fehlt das Geld aktuell. Das bedeutet, dass der Beitragssatz nicht, wie von der Bundesregierung geplant, bis 2014 leicht sinken wird. Es war geplant, dass der Beitragssatz von 19,9 auf 19,8 % abgesenkt wird. Genau das hat die Bundesregierung gesagt, aber das wird nicht stattfinden. Diese Auskunft erhielt die Bundestagsfraktion der GRÜNEN auf ihre Anfrage.

Auch die Deutsche Rentenversicherung geht mittlerweile davon aus, dass diese Beitragssatzsenkung nicht stattfinden wird. Fragen wir uns doch einmal, was das bedeuten wird. Das bedeutet schlicht und einfach, dass die jetzigen Beitragszahler genau das mehr einzahlen, was das Arbeitsministerium einspart. Die Lücke, die entsteht, wird nicht aus Steuermitteln finanziert, sondern von den Beitragszahlern, weil der Beitragssatz nicht sinkt. Damit ist das eine ganz klare Umverteilung auf Kosten derjenigen, die in die staatliche Rentenversicherung einzahlen und bisher alle eingezahlt haben, die Steuern abführen mussten.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist ganz klar – das ist nur kurz von Herrn Pellmann angesprochen worden –, dass natürlich mit dieser Zahlung Anwartschaften und Ansprüche auf Leistungen gekoppelt sind, nämlich mögliche Erwerbsminderungsrente oder Leistungen zur Rehabilitation. Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt, auf den die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme überhaupt nicht eingegangen ist.

Künftig sollen anstelle dieser Beitragszahlungen, die nicht mehr vorgenommen werden, Anrechnungszeiten treten. Damit sollen Lücken in der Erwerbsbiografie vermieden werden und bereits bestehende Anwartschaften aufrechterhalten bleiben. Bereits bestehende Anwartschaften, liebe Kolleginnen und Kollegen, das heißt, alle die, die im nächsten Jahr, nämlich ab 01.01.2011 zum Beispiel aus der Selbstständigkeit oder weil sie als junge Menschen noch gar keine Anwartschaften erworben haben, in diese Situation kommen, haben keine mehr. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Rehabilitation – zumindest nicht aus der Rentenversicherung

(Kristin Schütz, FDP: Aber aus der Krankenkasse!)

Sie haben außerdem keine Anwartschaft auf Erwerbsminderungsrente. Das haben sie nicht. Sie können das gern in der Antwort auf die Anfrage der grünen Bundestagsfrakti

on nachlesen. Diejenigen, die ab nächstes Jahr hineinkommen, haben keine Anwartschaft mehr.

Das bedeutet: Wir haben einen Verschiebebahnhof. Sie bekommen zwar eine Reha. Das bezahlt nicht mehr die Rentenversicherung sondern die Arbeitslosen- oder Krankenversicherung. Es ist ein Verschiebebahnhof von der rechten in die linke Tasche. Nur die Leistung durch die Arbeitslosen- oder die Krankenversicherung in Bezug auf die Reha führt zu qualitativen Abstrichen für die Anspruchsberechtigten. Die Rentenversicherung stimmt zum Beispiel eher als die ARGE oder die Krankenversicherungen einer Kurverlängerung von sechs auf zehn Wochen zu. Deshalb ist das Vorhaben der Bundesregierung unsozial.

Ich rede gar nicht darüber, dass die Kommunen irgendwann einmal im Rahmen der Grundsicherung ihren Kopf dafür hinhalten müssen. Was wir beim Verschieben von der einen in die andere Tasche vergessen: Es geht um Menschen. Es sieht keiner durch, welche Ansprüche ihm zustehen und welche Ansprüche sie erworben haben. Menschen wissen nicht, worauf sie sich verlassen können.

Bei der damaligen Einführung von Hartz IV ging es in erster Linie nicht darum, einen armutsfesten Rentenanspruch zu erreichen. Das muss man ganz deutlich sagen. Rot-Grün wollte Menschen, die von der Sozialhilfe lebten, einen Zugang zu einer Erwerbsminderungsrente und zu Rehabilitationsleistungen ermöglichen. Diese Menschen sollten Zeiten für ihre Rente ansammeln können. Es sollte natürlich außerdem ein angemessener Rentenanspruch für die Zeit des Leistungsbezuges erreicht werden. Deshalb wurden ALG-II-Bezieher Erwerbstätigen mit einem Monatseinkommen von 400 Euro gleichgestellt.

Das ist auch die heutige Position der GRÜNEN. Deshalb werden wir diesem Antrag zustimmen.

Ich gebe meinen Vorrednern recht: Diese Maßnahmen reichen nicht aus, um der Altersarmut vorzubeugen. Deshalb müssen wir viel mehr unternehmen. Wir brauchen ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung von Altersarmut. Die Bürgerinnen und Bürger – egal,ob erwerbstätig oder nicht – müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Alter nicht in die Altersarmut fallen.

Deswegen hält die GRÜNE die Einführung einer Garantierente für dringend erforderlich. Wir sind gespannt auf das Konzept der Bundesregierung, das die Kommission erarbeiten will.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Vielen Dank, Frau Herrmann.

Für die Fraktion der NPD spricht der Abg. Delle.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vergegenwärtigen wir uns noch einmal kurz die Fakten: Bisher hat die Bundesregierung den ALG-II-Beziehern einen monatlichen Renten

beitrag von 2,09 Euro pro Jahr zugestanden. Das geschah durch die Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40,80 Euro pro Monat. Allerdings ist schon diese Zahl skandalös niedrig, wenn man einmal bedenkt, wie viele unserer Landsleute mittlerweile dauerhaft auf Hartz IV angewiesen und daher von Altersarmut bedroht sind.

Diese Zahlung für Langzeitarbeitslose in die Rentenkassen soll nun komplett wegfallen. Damit wären Hartz-IVBezieher in der Rentenversicherung nicht mehr pflichtversichert.

Für viele, die in von der Politik wirtschaftspolitisch im Stich gelassenen Regionen leben, bedeutet dies, dass sie de facto im Alltag ohne Rentenanspruch dastehen. Mittlerweile sind wesentliche Teile der jungen Generation im Osten dieser Republik leider im Hartz-IV-Bezug herangewachsen. Meine Damen und Herren! Sie, die in der politischen Verantwortung stehen, haben es weder geschafft, in die Regionen, in denen diese Menschen leben, ein beschäftigungswirksames Wirtschaftswachstum hineinzubringen, noch ist es Ihnen gelungen, viele unserer jungen Landsleute so auszubilden, dass sie wenigstens dort, wo Fachkräfte gesucht werden, eingesetzt werden können.

Leuchtturmpolitik, offene Märkte und globaler Handel sind Ihnen immer wichtiger gewesen als eine raumorientierte Volkswirtschaft zugunsten der Einheimischen, wie es die NPD schon seit Jahren fordert.

Meine Damen und Herren! Dass Sie nur noch notdürftig Politik gestalten, wird an vielen Details erkennbar – nicht zuletzt an der zunehmenden Aufgaben- und Ausgabenverlagerung von Bund und Land auf die Kommunen. In diese Kategorie fällt auch das Sparpaket der Bundesregierung und damit die zur Diskussion stehende Maßnahme, die Rentenanwartschaft für Harz-IV-Bezieher zu streichen. Dieses Vorgehen erhöht nicht nur eklatant das Risiko der Altersarmut; vor allem die Kommunen werden verstärkt auf den Kosten der Grundsicherung im Alter sitzen bleiben. Dabei ist die von der Bundesregierung für 2014 in Aussicht gestellte Senkung des Rentenbeitrages um 0,1 Prozentpunkte auf 19,8 % offenbar bereits jetzt Makulatur.

Wie verzweifelt müssen die Damen und Herren in Berlin sein, wenn sie schon jetzt zu solchen Sparmaßnahmen greifen, die neben ihrer unsozialen Stoßrichtung langfristig nicht einmal den gewünschten Spareffekt generieren werden. Die von der Bundesregierung angepeilte Einsparung von etwa 7,2 Milliarden Euro durch die Abschaffung des Zuschusses an die Rentenversicherung für ALG-IIBezieher wird bekanntermaßen im Gegenzug die Rentenversicherung in gleicher Höhe belasten. Dieses kurzsichtige Rangiermanöver auf dem haushalterischen Verschiebebahnhof reiht sich aber nahtlos in viele andere Maßnahmen der derzeitigen Bundesregierung ein.

Die jetzt beschlossene Gesundheitsreform wird beispielsweise der Rentenversicherung weitere Einnahmenausfälle von etwa 580 Millionen Euro durch die Verringerung der Bemessungsgrundlage für die GRV bringen.

Der sozialpolitische Kahlschlag der Bundesregierung trifft Mitteldeutschland dabei wieder einmal besonders hart. Rund 20 % der Sachsen gelten schon jetzt als armutsgefährdet, wenn man die Angaben des Statistischen Landesamtes einmal zugrunde legt. Durch die angesprochenen Maßnahmen wird sich dieser Anteil – insbesondere die Altersarmut – virulent in der Zukunft noch einmal deutlich erhöhen.

Nicht anders als zynisch muss man allerdings die Begründungen der Bundesregierung werten, die ihre Sozialkürzungen als pädagogische Leistungen verkaufen will, indem sie behauptet, damit würden bei den Betroffenen höhere Anreize geschaffen, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen.

Meine Damen und Herren! Die NPD-Fraktion wird dem vorliegenden Antrag zustimmen, auch wenn DIE LINKE wieder einmal auf dem halben Weg stehen geblieben ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Die erste Runde ist beendet. Besteht der Wunsch nach einer zweiten Runde? – Das vermag ich nicht festzustellen. – Ich frage die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Clauß, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zuletzt hatten wir im Februar dieses Jahres im Rahmen der Großen Anfrage „Fünf Jahre Hartz IV und die Situation in Sachsen“ der Fraktion DIE LINKE eine Erhöhung der Beiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld II in die gesetzliche Rentenversicherung thematisiert. Die Staatsregierung hat erläutert, dass eine Erhöhung bzw. eine Verdopplung des Beitrages langjährige Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht aus der Grundsicherung im Alter herausholen wird.

Ein wirksames Instrument zur Vermeidung einer drohenden Altersarmut wäre eine Erhöhung demnach nicht. Das muss man ehrlicherweise sagen. Das ist für mich nicht zynisch.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Doch!)

Daran hat sich zu Beginn des Jahres nichts geändert. Es ist außerdem nicht hilfreich, wenn immer wieder eine spezielle Personengruppe herausgegriffen wird. Wie ich bereits in meiner schriftlichen Stellungnahme zu diesem Antrag ausgeführt habe, können nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch langjährig im Niedriglohnsektor Beschäftigte und die sogenannten Solo-Selbstständigen künftig von Altersarmut bedroht sein.

Das Thema ist einfach zu komplex, als dass man es mit Stückwerk anpacken könnte. Es gibt keine fertigen Lösungen. Vor allem gibt es keine einfachen Lösungen. Aus diesem Grund ist dieser Antrag abzulehnen. Außerdem ist eine singuläre Bundesratsinitiative nicht sinnvoll.