Protokoll der Sitzung vom 10.02.2011

(Beifall bei der FDP)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Herbst?

Ja, gern.

Lieber Kollege Herbst! Da war er wieder, der reflexartige Satz, der Markt regelt es schon selber. Wir wollen keine öffentlich geförderte Beschäftigung. Das haben Sie gerade noch einmal gesagt.

Mich würde interessieren, wie Sie den Ideenaufruf Ihres Ministers sehen, genau in diesem Segment anscheinend doch initiativ zu werden.

Das kann ich Ihnen ganz einfach beantworten: weil es regional sehr unterschiedliche Beispiele gibt, die erfolgreich funktionieren. Die Frage ist, was man aus diesen Beispielen für ganz Sachsen lernen kann. Vielleicht gibt es ein erfolgreiches Modell, wo Unternehmen mit älteren Beschäftigten erfolgreich umgehen, was in anderen Regionen des Landes Schule machen könnte. Es macht Sinn, aus diesen lokalen Erfahrungen zu partizipieren und zu profitieren. Nur Sie haben den Wettbewerb nicht verstanden. Es geht nicht darum, öffentliche Beschäftigung zu begründen. Es geht darum, langzeitarbeitslosen Benachteiligten eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu dem, was Sie als SPD mit Ein-Euro-Jobs und anderen Dingen erfunden haben.

(Beifall bei der FDP und des Staatsministers Sven Morlok)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Gern doch, immer.

Ich bedanke mich recht herzlich. Würden Sie mir bitte erklären, worin denn der Wettbewerb bei öffentlich geförderter Beschäftigung besteht?

Bei öffentlich geförderter Beschäftigung gibt es de facto keinen Wettbewerb. Wir haben gestern in der Fachkräftedebatte deutlich gemacht, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, Benachteiligte wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das liegt zum einen daran, dass man Beschäftigte weiterqualifizieren kann, wo die alte Qualifikation nicht mehr ausreicht und eine fehlende Nachfrage vonseiten des Arbeitsmarktes besteht. Zum anderen wird es Beispiele geben, wo man mit Unternehmen reden muss, Leute in Jobs zu integrieren, die am Anfang noch nicht so produktiv sind und noch nicht die volle Lohnzahlung ermöglichen. Dort ist der Kombi-Lohn allemal sinnvoller, als wenn die Leute ohne Beschäftigung zu Hause sitzen. Und darum geht es, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Sie von der LINKEN können der Meinung sein, dass es besser ist, die Leute alle zu Hause sitzen zu lassen. Wir sind der Auffassung, dass es auch ein Stück weit Selbstverwirklichung ist, dass man mit eigener Hände Arbeit das Geld verdienen kann, von dem man lebt.

(Beifall bei der CDU)

Wir können hier trefflich über die Wirksamkeit von Arbeitsmarktinstrumenten streiten. Doch schauen wir uns einmal an, was beispielsweise Herr Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, sagt. Er stellt selbstkritisch fest, dass viele der Instrumente, die es zurzeit gibt, nicht

erfolgreich sind. Er sagt selbst, dass jedes zweite Instrument, das wir haben, nicht dazu führt, dass Leute in reguläre Beschäftigung kommen, und wir müssen darüber nachdenken, die Instrumente so zu verändern, dass sie größeren Erfolg haben. Genau da dockt der Ideenwettbewerb des Wirtschaftsministeriums zur individuellen Einstiegsbegleitung an.

Es gibt auch nicht den einen sächsischen Arbeitsmarkt mit dem einen Konzept, und alles das, was über KommunalKombi und in anderen Formen der öffentlichen Beschäftigung erzielt wurde, führt ja nicht dazu, dass wir in den Regionen damit erfolgreich Leute integrieren können. Es gibt regional differenzierten Bedarf im Arbeitsmarkt. Es gibt unterschiedliche Branchen, die in den Regionen Arbeitskräfte suchen. Da ist doch ganz klar, dass das, was beispielsweise in Plauen funktioniert, in Görlitz am Bedarf vorbeigehen kann. Aber umgekehrt kann es auch Beispiele geben, von denen man untereinander lernen kann.

Wenn man immer wieder beschwört, dass der KommunalKombi oder die Bürgerarbeit so erfolgreich ist, muss man sich nur einmal die Modellprojekte beispielsweise in Weiden–Hof–Coburg ansehen, wo die Bürgerarbeit neu eingeführt wurde. Das ist ziemlich ernüchternd. Dort gab es am Anfang ein Strohfeuer, und heute stellen wir fest, dass die Arbeitslosigkeit höher als zuvor ist. Das Strohfeuer ist schnell erloschen.

Wenn wir über Instrumente reden, wie man es schafft, Langzeitarbeitslose wieder in Jobs zu bringen, dann wollen Sie ja immer wieder neue öffentliche Instrumente erfinden. Es gibt aber zum Beispiel bewährte Instrumente, die in der Tat Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen. Ein Instrument ist die Zeitarbeit. Sie verteufeln diese ja permanent, Sie wollen sie einschränken. Aber schauen wir uns einmal die Statistik für die Zeitarbeit hier in Sachsen an.

Rund 60 % der Zeitarbeiter waren vorher arbeitslos, die heute über Zeitarbeit wieder eine reguläre Beschäftigung in Sachsen gefunden haben; 10 % waren im Übrigen langzeitarbeitslos. Was passiert mit denjenigen, die in Zeitarbeit sind? – Ungefähr 25 % werden von dem Unternehmen, an das sie entliehen wurden, in die reguläre Beschäftigung übernommen, andere 20 % finden aufgrund ihrer praktischen Erfahrung in einem anderen Unternehmen eine Anschlussbeschäftigung. Wenn wir auf dieses Instrument bauen, erreichen wir auf jeden Fall, mehr Leute in Beschäftigung zu bringen, als wenn wir Kommunal-Kombi-Programme oder noch andere öffentliche Instrumente weiter ausweiten.

(Beifall bei der FDP)

Es geht am Ende darum, Ideen zu finden, wie wir passgenau auf den regionalen Bedarf ausgerichtete Konzepte zur Integration von Langzeitarbeitslosen unterstützen. Da ist der Ideenwettbewerb des Wirtschaftsministeriums ein guter Beitrag. Wir wollen keine weiteren AB-Maßnahmen auf kommunaler Ebene, wir wollen lieber in reguläre

Beschäftigung vermitteln, und deshalb werden wir auch gegen den Antrag stimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Fraktion GRÜNE; Herr Abg. Jennerjahn, bitte. Zuvor noch eine Kurzintervention.

Ich möchte gerne von der Möglichkeit einer Kurzintervention Gebrauch machen, um auf den Debattenbeitrag von Herrn Herbst zu reagieren. Herr Herbst hat ja angeführt, dass die Zeitarbeit in den letzten Jahren sehr stark dazu beigetragen hat, dass die Beschäftigung gestiegen ist. Aber genau das wird jetzt auch unter Mithilfe der FDP durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit wieder kaputt gemacht werden. Darauf hat Frank-Jürgen Weise Anfang des Jahres, im Januar, auch in einem Interview mit dem „Spiegel Online“ hingewiesen, dass er die Gefahr sieht, dass es auch in der Zeitarbeitsbranche ab dem 1. Mai 2011 zu einem gigantischen Beschäftigungsabbau kommt, weil man einfach der Niedriglohnkonkurrenz der osteuropäischen Zeitarbeitsfirmen nicht gewachsen ist. Herr Weise hat dann sogar angeregt, dass man doch bitte die Zeitarbeitsbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen möge. Aber wer stellt sich in der schwarz-gelben Bundesregierung dagegen? – Die FDP! So viel nur dazu.

(Beifall bei der NPD)

Herr Herbst, möchten Sie darauf reagieren? – Dann, bitte, Herr Jennerjahn.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ja geneigt, Ihnen, meine Damen und Herren von den LINKEN, zu gratulieren. Sie haben nämlich etwas geschafft, was mir höchst selten passiert: Ich bin angesichts Ihres Antrages einigermaßen sprachlos.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Frau Hermenau wäre etwas eingefallen!)

Mir schließt sich die Sinnhaftigkeit dessen, was Sie da fordern, nicht so richtig auf. Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass das Wirken der Staatsregierung in der Arbeitsmarktpolitik katastrophal ist und dass das die politische Bankrotterklärung des so genannten Arbeitsministers war, erst aktiv sämtliche interessanten und sinnreichen Projekte zur Förderung von Langzeitarbeitslosen entweder über die Klinge springen zu lassen, wie den Kommunal-Kombi, oder sie gar nicht erst zu unterstützen, um dann im Anschluss einen Ideenwettbewerb auszurufen, wie man denn Langzeitarbeitslose fördern kann. Meine Vermutung ist hier, dass Herrn Morlok die Idee zu diesem Vorgehen bei einem Arbeitsbesuch im nordsächsischen Schilda beim Rundgang durch das Schildbürgermuseum kam.

Wenn Sie mit Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen möchten, dass auch Kommunen bessere Möglichkeiten

der Beschäftigungsförderung zugänglich gemacht werden sollten und dass Kommunen oftmals die Mittel fehlen, um selbstständig Beschäftigungsförderung zu forcieren, bin ich ja sofort bei Ihnen. Wenn Sie feststellen, dass sich die Perspektiven von Langzeitarbeitslosen unter der Egide der FDP drastisch verschlechtert haben, erhalten Sie da auch die volle Zustimmung meiner Fraktion.

Aber mit Verlaub, meine Damen und Herren von den LINKEN: In der Mathematik ist es zwar so, dass Minus mal Minus Plus ergibt, in der Politik ist es aber nicht unbedingt so, dass Unsinn mal Unsinn etwas Sinnreiches ergibt. Auch wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass Ihr Antrag hier eine Mehrheit findet – was wäre denn da gewonnen? Der Ideenwettbewerb ist das Eingeständnis von Staatsminister Morlok, dass er kein Konzept hat. Der Ideenwettbewerb wird auch nicht dadurch besser, dass man ihn durch einen weiteren Fördergegenstand erweitert. Aus diesem Grunde werde ich meiner Fraktion auch die Enthaltung bei Ihrem Antrag empfehlen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die NPDFraktion; Herr Abg. Delle, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der LINKEN soll – so ist das wohl zu verstehen – nach der Abschaffung des Kommunal-Kombi und nachdem die Staatsregierung der kommunalen Bürgerarbeit die kalte Schulter gezeigt hat, die Bürgerarbeit nun durch die Hintertür doch noch einführen.

Nun hat die NPD-Fraktion in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass sie für einen Übergangszeitraum die Etablierung eines öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Beschäftigungssektors für durchaus legitim hält, solange die wirtschaftspolitische Wende mit den von uns ja immer wieder benannten Instrumentarien noch nicht gelungen ist. Wir könnten diesem Antrag möglicherweise zustimmen, wenn Sie, meine Damen und Herren der LINKEN, einige notwendige Klarstellungen bzw. Konkretisierungen vorgenommen hätten.

Meine Damen und Herren! Der immer wieder von uns vorgetragene Hauptkritikpunkt an der Bürgerarbeit lautet: Durch dieses Instrument entsteht kein einziger, die Existenz sichernder Arbeitsplatz. Gerade in der von der Bundesregierung vorgesehenen Form besteht demgegenüber sogar die Gefahr einer Verdrängung regulärer Arbeit. Daher wäre es angebracht gewesen, wenigstens die Konditionen, die für das von der Landesregierung ad acta gelegte Kommunal-Kombi-Programm galten, als Mindeststandard für die Bürgerarbeit in den Antrag hineinzuschreiben, wie es kürzlich die SPD-Fraktion getan hat, was ja auch unsere Zustimmung fand.

Es müsste sichergestellt sein, dass die Bürgerarbeiter – ich wiederhole das, was ich an anderer Stelle hier zu dem

Thema auch schon ausgeführt habe – einen angemessenen Bruttolohn erhalten, der ihren Einsatz für das öffentliche Wohl tatsächlich würdigt und Verdrängungseffekte im Niedriglohnbereich des regulären Arbeitsmarktes ausschließt.

Mit den derzeit praktizierten pauschalen Bruttoentgelten zwischen 675 Euro und 975 Euro ist das aber leider nicht zu gewährleisten. Hinzu kommt – Sie schreiben es ja richtig in Ihre Begründung –, dass die individuelle Einstiegsbegleitung nur für einen kleinen Teil der Langzeitarbeitslosen eine Perspektive eröffnet. Das ist richtig. Doch dann frage ich mich, warum Sie nicht auch auf Ziffer 3 der Bekanntmachung des Sächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 16. November 2010 eingehen, in der die Fördervoraussetzungen genannt sind. Hierzu gehört ja, dass sogenannte zusätzliche Vermittlungshemmnisse laut Ziffer 3.2 vorliegen müssen, damit eine Förderung nach der ESFRichtlinie – Beschäftigungschancen – überhaupt in Betracht kommt.

Wenn Sie sich also den Katalog der anzuerkennenden Vermittlungshemmnisse anschauen wie Alter über 50, Wohnungslosigkeit, Vorstrafen, kein anerkannter Berufsabschluss usw., dann werden Sie leider feststellen, dass schon aus diesem Grunde nur der kleinste Teil der betroffenen Langzeitarbeitslosen überhaupt von der Einstiegsbegleitung profitieren wird. Ob es in diesem Zusammenhang dann sinnvoll ist, die Kommunen in den Kreis der Zuwendungsempfänger aufzunehmen, wage ich zu bezweifeln. Viel wichtiger wäre es, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Kommunen arbeitsfähige und arbeitswillige Hartz-IV-Bezieher wieder in Ausnahmesituationen, wie das in diesem Winter zum Beispiel schon der Fall war, in einem arbeitsmarktunschädlichen Dienst am Gemeinwohl vorübergehend einsetzen können.

Umgekehrt wäre es angebracht, einen weitaus größeren Teil der Langzeitarbeitslosen als hier vorgesehen mit sinnvollen Qualifizierungsmaßnahmen und einer echten Einstiegshilfe zu begleiten und zielgerichtet dort zu unterstützen, wo ein so genannter Fachkräftebedarf – wir sprachen gestern darüber – tatsächlich besteht oder zu erwarten ist, also prinzipiell alle Langzeitarbeitslosen, nicht nur jene, für die schwere oder schwerste Vermittlungshemmnisse bestehen.

Aus den genannten Gründen möchten wir zwar den guten Willen, der diesem Antrag zugrunde liegt, anerkennen, dennoch halten wir die Vorschläge, die in diesem zudem etwas wirr formulierten Antrag enthalten sind, für wenig hilfreich, die Beschäftigungschancen Langzeitarbeitsloser im Freistaat Sachsen wirklich nachhaltig zu erhöhen. Die NPD-Fraktion wird sich deshalb enthalten.

(Beifall bei der NPD)

Gibt es vonseiten der Fraktionen weiteren Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben auch in dieser Debatte zum Antrag der Fraktion DIE LINKE wieder Zahlen aus dem Arbeitsmarkt gehört, über die wir heute Morgen schon gesprochen haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal eine Zahl in Erinnerung rufen, die ich heute Morgen oder heute Mittag schon angesprochen habe, nämlich die Entwicklung der Unterbeschäftigung, weil die Unterbeschäftigung sehr wohl erfasst, welche Mitbürgerinnen und Mitbürger einen Arbeitsplatz haben und welche arbeitslos sind und zusätzlich in entsprechenden Maßnahmen eingesetzt werden, was also deutlich mehr ist als die reine Arbeitslosigkeit.

Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass die Unterbeschäftigungsquote im Freistaat Sachsen im vergangenen Jahr von 17 % auf 15,2 % gesunken ist. Weil auch unsere Nachbarbundesländer angesprochen wurden, möchte ich noch einmal deutlich machen, dass der Rückgang im Freistaat Sachsen eben bedeutend stärker ist als in den Nachbarbundesländern. Also nicht nur die Zahl der Arbeitslosen geht im Freistaat Sachsen zurück, sondern wir haben eine niedrige Arbeitslosigkeit, wir haben weniger Personen, die in Maßnahmen gebunden sind, und wir haben mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das ist eine gute Nachricht für alle Arbeitssuchenden im Freistaat Sachsen.

Ich möchte noch einmal zu den Fördervoraussetzungen sprechen, weil durch das Zitieren der NPD-Fraktion der Eindruck entstehen könnte, dass dieses Programm nur für einen ganz geringen Personenkreis angelegt ist, was mitnichten der Fall ist. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass dieses Programm zum Beispiel für Personen über 50 Jahre bestimmt ist; diejenigen, die einen entsprechenden Berufsabschluss nicht haben, deren Mobilität aus den verschiedensten Gründen eingeschränkt ist, aber auch für Personen, die nicht über einen Berufsabschluss verfügen, die keine bzw. nur geringe Berufserfahrungen haben, die ihre Erwerbstätigkeit wegen Kinderbetreuung längere Zeit unterbrechen mussten.