Protokoll der Sitzung vom 20.04.2011

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir wissen aber auch, dass die praktische Umsetzung des Subsidiaritäts-TÜV neben der Vereinbarung nicht einfach sein wird. Der Zeitdruck für die Stellungnahme ist relativ hoch, und dass wir die Geschäftsordnung ändern mussten, hat etwas mit diesen Abläufen zu tun. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass das Subsidiaritätsprinzip Voraussetzung für ein bürgernahes Europa ist und dass es Voraussetzung dafür ist, dass die europäische Idee Akzeptanz in den Regionen Europas findet.

Wir sind überzeugte Europäer, aber wir sind auch der Auffassung, dass Europa nur dann Akzeptanz gewinnt, wenn sich die europäische Rechtsetzung auf die Themen beschränkt, die für eine Regelung auf europäischer Ebene absolut notwendig sind und bei denen ein konkreter Nutzen für die gesamte Gemeinschaft entsteht. Sonst erreichen wir das Gegenteil. Sonst entsteht Frust über eine Zentralgewalt, die über alle Regionen hinweg Regelungen verabschiedet und die auf regionale Unterschiede keine Rücksicht mehr nimmt. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir alle erleben ja die interessanten Beispiele, bei denen wir uns immer wieder fragen: Ist das wirklich eine europäische Zuständigkeit? Muss sich Europa mit dem Verbot von Glühlampen beschäftigen? Muss Europa den Salzgehalt im Brot regeln? Muss Europa eine Schnullerkettenverordnung mit sagenhaften 52 Seiten erlassen? Ich glaube, das muss Europa nicht.

Deshalb ist es wichtig, dass das Subsidiaritätsprinzip verhindert, dass sich europäische Zuständigkeiten verselbstständigen und dass die europäische Rechtsetzung nationale und regionale Selbstständigkeit beschneidet. Wir wollen nicht, dass die europäische Ebene Menschen zu ihrem Glück zwingt. Europa ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Nationen und Völkern und das sollte niemals vergessen werden. Wir wollen ein freiheitliches Europa, wir wollen ein Europa, das nationale und regionale Unterschiede akzeptiert,

(Andreas Storr, NPD: Die werden doch eingeebnet! Das ist empörend!)

das diese Unterschiede nicht als Schwäche, sondern als Stärke sieht. Stärke in Vielfalt, dazu tragen die heutigen Beschlüsse des Landtages bei, und deshalb bitte ich um Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Fraktion der GRÜNEN, Frau Abg. Kallenbach.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Manche Mühlen mahlen langsam. Im Frühjahr 2005 hat die damalige Fraktion der GRÜNEN den Landtag zum Jagen tragen müssen und hat mehr Kopfschütteln als Bereitschaft erfahren, sich mit dem europäischen Lissabon-Prozess auseinanderzusetzen. Ab heute soll Europapolitik auch in Sachsen ernst genommen werden. Endlich! Aber gut so.

Nach einer äußert schweren Geburt ist der Vertrag von Lissabon Ende 2009 in Kraft getreten. Einheit in Vielfalt, so soll das Europa der Bürgerinnen und Bürger aussehen. Dafür sollten wir auch im Sächsischen Landtag unseren Beitrag leisten. Das steht bisher noch aus.

In einer Synopse zur Europafähigkeit der Parlamente, der Länder und des Bundes vom April 2009, vorgelegt zur Konferenz der Direktoren deutscher Parlamente, heißt es zur Rechtsgrundlage in Sachsen:

„Im Rahmen der Selbstverpflichtung der Staatsregierung hat sie dem zuständigen Ausschuss zugesagt, diesen über EU-Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung eigenständig und auf Nachfrage der Ausschussmitglieder zu informieren.“

In der Rubrik „Umsetzung“ heißt es dazu: „In dieser Legislaturperiode wurden dem Sächsischen Landtag keine schriftlichen Vorgänge zu EU-Angelegenheiten zugeleitet.“

Und das mit einem Ministerpräsidenten an der Spitze – wo ist er? –, der selbst Mitglied im Europäischen Parlament war. Aber das ist jetzt Schnee von gestern. Alles wird anders.

Vielleicht wäre es längst schon hilfreich gewesen, einen Blick ins Ländle zu werfen, nicht nur nach Bayern, Herr Jurk.

(Zuruf des Abg. Thomas Jurk, SPD)

In diesem sind die CDU-Kollegen seit Jahrzehnten an der Regierung – bisher. In Baden-Württemberg ist es jedenfalls seit Jahren üblich, die Ausschüsse und den Landtag in die inhaltliche Diskussion zu europäischen Themen – auch vor Abgabe der Stellungnahme der Staatsregierung an den Bundesrat – einzubeziehen. Heute hat auch BadenWürttemberg ein Informations- und Beteiligungsgesetz, ohne dass bisher die GRÜNEN in der Regierung waren. Das ist doch bemerkenswert.

Dennoch, mit der heute endlich unterschriftsreifen Vereinbarung gehen wir erste Schritte in die richtige Richtung, auch vor allem dank der GRÜNEN, die mit ihrer

Fraktionsvorsitzenden über das „Memo of Understanding“ aktiv dazu beigetragen haben, dass es Verabredungen über den heutigen Tag hinaus gibt. Das ist Ausdruck unserer Europaaffinität, die uns seit Jahrzehnten prägt. Wir hoffen, dass sie auch diesen Landtag erreicht.

Es reicht eben nicht, eher langatmige aktuelle Debatten einzuberufen, die nach finanzieller Unterstützung aus Brüssel rufen. Wir müssen als Abgeordnete endlich das Recht bekommen, in die inhaltliche Positionierung der Staatsregierung gegenüber Berlin und Brüssel einbezogen zu werden und diese tatsächlich mitzubestimmen. Dieses Recht gibt uns der Vertrag von Lissabon, in dem nicht nur das Subsidiaritätsprinzip festgeschrieben wurde. Er macht die EU demokratischer, handlungsfähiger, transparenter und er ermöglicht die Mitbestimmung selbst für Bürgerinnen und Bürger. Das muss auch endlich Recht für uns Abgeordnete sein. Ich bin sehr gespannt, wie die Staatsregierung uns zukünftig unverzüglich schriftlich über alle Vorhaben, die für den Freistaat von erheblicher Bedeutung sind und wesentliche Interessen berühren, unterrichten und unsere Stellungnahme erwarten wird.

Dass es in Sachsen hinsichtlich der Beteiligungs- und Informationsrechte des Parlaments noch mächtigen Nachholbedarf gibt, fällt mir im Übrigen nicht nur bei Europaangelegenheiten auf. Herr Präsident, wäre es nicht zum Beispiel ein gutes Signal gewesen, die von Ihnen unterzeichnete „Stuttgarter Erklärung“ der Präsidentinnen und Präsidenten im Sinne einer guten Bürgerinformation auf die Website des Sächsischen Landtages zu setzen? Das ist in verschiedenen Bundesländern geschehen und es gab sogar Landesparlamente, die sich mit dieser Erklärung im Plenum auseinandergesetzt haben.

Dennoch, Sie haben sich mit Ihrer Unterschrift als Europäer geoutet, konnten sich aber wohl nicht vollkommen der Unterstützung der Staatsregierung sicher sein. Deshalb hat es, vermute ich, verschiedene Verzögerungen auch hinsichtlich des Zustandekommens der nunmehr vorliegenden Vereinbarung gegeben. Dennoch, Sie haben den Anstoß gegeben. Dafür sei Ihnen gedankt. Sie haben die Landtagsverwaltung mit ins Boot genommen und das Ergebnis liegt uns heute vor. Aber noch einmal: Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages Dezember 2009. – Immerhin schon 16 Monate später werden uns jetzt die verbrieften Rechte zugestanden. Dass es dafür anschließend im Präsidium Sekt geben soll, wirft Fragen auf. Wollen Sie sich Mut antrinken für den anstehenden Kampf mit der Staatsregierung, die entscheidet, welche Vorlagen uns zugeleitet werden sollen – oder auch nicht?

Ich kann dem Europaminister zusichern, dass wir zukünftig sehr genau hinsehen werden, was uns vorgelegt wird und was in anderen Landesparlamenten. Wir sind dafür sehr gut vernetzt. Was Sie uns bisher im VREA an Informationen gegeben haben, gleicht nach meiner Meinung eher einer Informationsveranstaltung für Gymnasiasten und wird der Würde eines Abgeordnetengremiums keineswegs gerecht.

Dennoch sage auch ich heute: Es ist ein historischer Moment für Sachsen und ein für mich einmaliger Vorgang; alle demokratischen Fraktionen in diesem Hause handeln gemeinsam. – Es wird umso wichtiger sein, dass wir nach einem Jahr die getroffenen Regelungen sorgfältig evaluieren, dass wir nach dieser Frist hoffentlich mehr Mut für mehr Europa in Sachsen aufbringen und dass wir dann vielleicht auch zu neuen Regelungen kommen. Vielleicht, so hoffe ich sehr, wird es dann auch in Sachsen wieder den expliziten Europaausschuss geben. Möglicherweise beteiligt sich dann auch die Fraktion der FDP, die sich erstaunlicherweise wenig am Entstehungsprozess dieser Vereinbarung beteiligt hat. Ich weiß nicht, ob Sie über geheime Zirkel am Informationsfluss über Ihren Staatsminister beteiligt sind.

(Torsten Herbst, FDP: Er ist Fraktionsmitglied bei uns!)

Aber vielleicht haben Sie auch nicht zeitig genug begriffen, worum es hierbei überhaupt geht.

(Widerspruch des Abg. Tino Günther, FDP)

Erstaunlich fand ich schon die Anmerkung des Kollegen Biesok in dem Ausschuss, der bisher das Anhängsel „Europa“ trägt. Meine Forderung nach einer Vorlage schriftlicher Informationen, zum Beispiel über die Stellungnahme der Staatsregierung zum 5. Kohäsionsbericht, kommentierte er in etwa wie folgt: Lassen wir doch die Staatsregierung handeln und wenn sie uns dann auch informiert, dann ist das gut. – Eigentlich wäre das ein Indiz dafür, dass wir, werte Kolleginnen und Kollegen, uns Ausschuss- und Plenarsitzungen schenken könnten. Eine Info per SMS oder Mail würde doch ausreichen. Noch einfacher und kostengünstiger wäre es, den Landtag ganz abzuschaffen. Die Staatsregierung wird tun und lassen, sie wird es schon richten.

Europa braucht uns, und das gerade jetzt in Krisenzeiten und Flüchtlingsdramen vor unserer Haustür. Wir werden jedenfalls mit Nachdruck dafür arbeiten, dass es in Sachsen nicht bei einer Europaflagge auf dem Dach, beim Ruf nach möglichst vielen Fördermitteln und bei plakativem Händeschütteln mit Sektglas bleibt.

Wir stimmen dieser Vereinbarung und auch der nötigen Änderung der Geschäftsordnung heute zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die NPDFraktion, Herr Dr. Müller.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die EU-Kritik der NPD-Fraktion bleibt selbstverständlich bestehen und wird auch zukünftig Kernstück, zumindest eines der Kernstücke unserer politischen Arbeit sein. Wir sehen uns auf einem richtigen Weg. Sehen Sie sich die EU-Skepsis an. Sie wächst EUweit. Ich möchte nur an die Wahlergebnisse in Ungarn oder zuletzt in Finnland erinnern, aber auch an die Wahl

prognose für die Präsidentschaftswahl in Frankreich, wo Marine Le Pen im Moment an erster Stelle steht.

Die EU in der jetzigen Form ist ein riesiger Bevormundungsapparat. Wenn wir alle, wie wir hier sitzen, einmal ein bisschen in uns gehen und zum Beispiel das Thema Glühlampe nehmen, werden wir das wohl fast einstimmig in diesem Haus so sehen.

Die EU ist außerdem auch ein ungerechter Umverteilungsapparat von den leistungsstärkeren zu den leistungsschwächeren und oft auch verschwenderischen Ländern. Erklären Sie doch einmal unseren Bürgern, warum Griechenland, das sich durch Betrug in die Eurozone geschmuggelt hat, seinen Bürgern Rente maximal ab 60 Jahren gewährt, während bei uns das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben wurde.

(Beifall bei der NPD)

Wir als NPD-Fraktion lehnen die Bevormundung aus Brüssel durch die dortigen Gesetzgebungsverfahren ab. Wir sagen als NPD Ja zu einem Europa der freien und miteinander kooperierenden Vaterländer, aber Nein zu der EU in der jetzigen Form, die zunehmend bestrebt ist, eine Eigenstaatlichkeit anzunehmen und die Bürger in den Ländern zu bevormunden.

Allerdings ist diese EU derzeit auch ein Faktum, an dem man im realen Leben, in der realen Politik nicht vorbeikommt. Deshalb begrüßen auch wir als NPD-Fraktion, dass es zu dieser Subsidiaritätserklärung kommt, durch die wir als Landtag in Zukunft vor Beschlüssen von EURegelungen in Kenntnis dieser gesetzt werden und auch ein gewisses Mitspracherecht eingeräumt bekommen. Deshalb wird auch die NPD-Fraktion dieser Vorlage zustimmen und ebenfalls der Änderung der Geschäftsordnung.

Ich möchte, weil die Vorrednerin auch Dinge ausgeplaudert hat, schon sagen: In den ersten Runden zur Regelung dieser Subsidiaritätserklärung waren wir als NPDFraktion noch eingeladen. Aber nachdem unsere Zustimmung einigermaßen ersichtlich wurde, wurden diese Verhandlungen plötzlich in aller Stille durch die anderen fünf Fraktionen weitergetragen. So viel zu Ihrem Demokratieverständnis.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Wird weiter von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Wenn das nicht der Fall ist, schaue ich zur Staatsregierung. Wird das Wort gewünscht? – Herr Minister Dr. Martens, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der nun vorliegenden Subsidiaritätserklärung werden diejenigen Voraussetzungen geschaffen, die auch formal erforderlich sind, damit der Sächsische Landtag seine Expertise in die Prüfung der

Subsidiarität europäischer Rechtsetzungsvorhaben einbringen kann.

Die Staatsregierung hatte nach entsprechenden Gesprächen im Januar 2010 schon im Sommer 2010 den von ihr ratifizierungsreif erarbeiteten Entwurf einer Vereinbarung vorgelegt. Dann begrüßen wir es natürlich, dass jetzt schon der Landtag dieser Vereinbarung zustimmt.

Das sächsische Kabinett hat gestern noch über die Veränderungen, die der Landtag vorgeschlagen hat, beschlossen, damit heute hier die Unterzeichnung erfolgen kann.

Durch den Vertrag von Lissabon wurden die nationalen Parlamente auch in die Vorprüfung von Rechtsakten der EU eingebunden. Sie können also jetzt in einem frühen Stadium, noch vor Beginn des formalen weiteren Gesetzgebungsverfahrens, Bedenken im Hinblick auf die Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes geltend machen.