Altersarmut vorprogrammiert. Über die steigenden Zahlen bei der Kinderarmut haben wir in der letzten Debatte schon gesprochen.
Die Bertelsmann-Stiftung hat pünktlich zur Debatte eine Studie vorgelegt, die in Länderberichten auflistet, wo die Länder Erfolge hatten. Sachsen ist im Bereich der Beschäftigung im Hinblick auf arbeitspolitische Maßnahmen kein Gewinner dieser Studie. Die Strategie der CDU „Sozial ist, was Arbeit schafft“ stimmt ebenso nicht, sondern sozial ist, was gute Arbeit schafft.
Wir brauchen den Mindestlohn. Wir brauchen öffentlich geförderte Beschäftigungsbereiche. Den Kommunal-Kombi abzuschaffen ist falsch. Die Regelsätze müssen auf den Prüfstand. Insbesondere müssen wir Vertrauen in die Sicherungssysteme herstellen. Die Ängste, vor allem bei der Mittelschicht, sind gewaltig. Das müssen wir wieder ernst nehmen. Hier sehe ich gerade die SPD in einer ganz großen Verantwortung.
Das war Frau Kollegin Neukirch von der SPD-Fraktion. – Es folgt Frau Kollegin Schütz von der FDP-Fraktion. Bitte, Frau Kollegin, Sie haben allerdings ganz wenig Zeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um es voranzustellen: Befürworter dieser Arbeitsmarktreform waren SPD und GRÜNE und danach CDU und SPD – um Ihnen, Herr Hahn, zu widersprechen, dass die FDP hier der Vorreiter gewesen sei.
Nichtsdestotrotz sagen wir, dass wir eine Stigmatisierung von Hartz-IV-Empfängern grundsätzlich ablehnen, ohne das Problem zu verkennen, was die Arbeitsmarktsituation und die Systematik unserer sozialen Sicherungssysteme betrifft. Wir haben zum einen Menschen mit Beeinträchtigung, die sich gleichzeitig weit über den Ein-Euro-Job hinaus bemühen; zum anderen gibt es Leute, die den passenden Weg im System gefunden haben. Während die Qualifikation der ersten Gruppe am Arbeitsmarkt nicht nachgefragt wird, ist es bei der zweiten Gruppe so, dass deren Qualifikation in der Schwarzarbeit nachgefragt wird, aber eben nicht zu den Preisen, die 42 % der Sozialversicherungsbeiträge decken würden. Hartz IV ist stümperhaft eingeführt worden und das SGB II muss weiterentwickelt werden.
Sehr geehrte Frau Kollegin Schütz! In welche Richtung möchten Sie denn die Arbeitsverwaltung weiterentwickeln?
Da geht es gerade darum, dass wir die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen. Wir als FDP favorisieren ganz klar das Modell der kommunalen Alleinverwaltung, eine effiziente Arbeitsverwaltung vor Ort. Viele Landkreise im Freistaat Sachsen haben uns das bereits vorgemacht. Ich erinnere nur an den Landkreis Löbau/Zittau, der jetzt genau in dieser Konstellation im neuen Landkreis Görlitz die Betreuung der Arbeitslosen in Optionskommunen übernimmt. Aber unsere Kommunen brauchen dafür eine Rechtssicherheit. Dabei ist es wichtig, Kompetenz und Erfahrung der Länder, der Kommunen und auch der Bundesagentur weiter umzusetzen. Das ist Hartz IV unter CDU/FDP.
Wir als FDP und CDU haben es zudem geschafft, das Schonvermögen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr zur Altersvorsorge hochzusetzen.
Kontraproduktiv ist das, was Herr Koch gesagt hat. Wir lehnen Arbeitspflicht für Hartz-IVEmpfänger ab. Es gibt genug Sanktionsmöglichkeiten. Wir als FDP setzen immer noch auf Anreiz vor Sanktionen.
Frau Kollegin Schütz von der FDP-Fraktion hatte das Wort. Wir kommen jetzt zur Fraktion der GRÜNEN. Ich bitte Frau Kollegin Herrmann nach vorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist etwas ungewöhnlich, aber an manchen Stellen sind wir uns durchaus einig. Auch Teile der Linksfraktion werden mir zustimmen: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld war notwendig. Das wollen wir nicht zurückdrehen. Wir sind uns auch darüber einig, dass wir Veränderungen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende brauchen.
Aber dann hört die Einigkeit auf, weil die Konzepte, die wir uns vorstellen, wie diese Veränderung passieren soll, durchaus ganz unterschiedlich sind. Das reicht von den
Vorstellungen, die Herr Rüttgers geäußert hat, also der Grundrevision von ALG II, über die Vorstellungen, wie sie Herr Koch geäußert hat, die eine Arbeitspflicht enthalten. Von der FDP gibt es den Vorschlag von Herrn Pinkwart und Herrn Solms, die meinen, dass die Transferleistungen transparenter gestaltet werden sollen. Sie denken in dem Zusammenhang an ein Bürgergeld. Darüber hinaus hat Herr Pinkwart gesagt, dass er die negativen Anreize für Familien abschaffen will. Ich weiß nicht genau, was er damit gemeint hat. Wir waren uns aber hier im Landtag eigentlich einig, dass wir die Grundsicherung für Kinder eher als zu niedrig als für zu hoch bewerten. Das heißt, wenn das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde, dass die Kindergrundsicherung angehoben werden müsste, wäre der Anreiz für Familien im Sinne von Herrn Pinkwart eher noch größer.
Wir alle wünschen uns Kinder in diesem Land. Der versteckte Vorwurf in dieser Äußerung von Dr. Pinkwart bedeutet eine Diskriminierung von Menschen, auch von alleinerziehenden Frauen, die aufgrund dessen, dass sie Kinder haben, Familienarbeit verrichten und zu Hause bleiben, auch deshalb, weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder finden.
Diese Konzepte, die ich hier kurz angerissen habe, müssen wir, wenn wir sie bewerten wollen, danach abfragen, wem sie denn wirklich nützen und ob sie wirklich die Situation der Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit verbessern. Das sehe ich nicht bei dem Konzept, das uns die Herren Solms und Pinkwart vorgestellt haben. Wenn wir ein Bürgergeld im Sinne einer negativen Einkommensteuer einführen, dann bedeutet das einfach, dass der Staat einen Teil der Arbeit bezahlt.
Das würde nur gehen – wenn es überhaupt funktioniert –, wenn wir gleichzeitig Mindestlöhne einführen, liebe Kolleginnen und Kollegen. FDP und CDU sind nicht gerade große Vorreiter von Mindestlöhnen. Alle Dinge, die darauf abzielen, wie Hinzuverdienstmöglichkeiten, sind zwingend daran gebunden, dass wir Mindestlöhne einführen. Ansonsten bekommen wir einen Niedriglohnsektor, der dermaßen ausgeweitet ist und vom Steuerzahler finanziert werden muss, nämlich Arbeit, die der Arbeitgeber nicht finanzieren will, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist kein Vorteil für ALG-II-Empfänger, sondern nur für Arbeitgeber. Daran muss man diese Konzepte messen.
Wenn wir mehr Teilhabe wollen, dann wollen wir nicht nur mehr Teilhabe in materieller Hinsicht, sondern insgesamt mehr Teilhabe an dem, was die Gesellschaft bereithält. Natürlich wollen wir auch, dass Menschen wieder Visionen entwickeln können. Dazu brauchen wir andere Konzepte.
Wir brauchen ganz einfach einen sozialen Beschäftigungssektor. Es ist falsch, diesen in Sachsen abzuschaffen. Das war eine der ersten Handlungen, die die FDP ausgeführt hat. Wir werden ihn aber auf längere Sicht brauchen. Es zeigt sich, dass bestimmte Langzeitarbeits
lose nicht in Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Dem müssen wir gerecht werden.
Wir müssen die Förderung durch die Agenturen verändern. Sie muss vielmehr individuell angepasst werden. Wenn wir zum Beispiel an jugendliche Arbeitslose denken, dann müssen wir verzeichnen, dass die Maßnahmen, also die Konzepte, mit denen versucht wird, Jugendliche wieder in Arbeit zu bringen, einfach nicht mehr funktionieren, weil wir Jugendliche haben, die in einem Elternhaus groß geworden sind, in dem die Eltern schon sehr lange arbeitslos sind.
Wir brauchen also viel mehr Motivation. Darauf sind die Maßnahmen der Arbeitsagentur im Moment aber nicht ausgerichtet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb brauchen wir in Beziehung der Förderung ein totales Umdenken.
Das war Frau Kollegin Herrmann für die Fraktion GRÜNE. – Jetzt spricht Herr Schimmer für die NPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch fünf Jahre nach ihrer Einführung stehen die Hartz-IV-Reformen für eine kalte und herzlose Politik. Die Armut nimmt in unserem Lande zu und nicht ab. Fünf Jahre nach Hartz IV hat sich in Deutschland ein großer Niedriglohnsektor gebildet, der großen Druck auf die Lohnverhältnisse in Deutschland sowie auf die tarifliche Beschäftigung ausübt. Fünf Jahre nach Hartz IV stehen die Hartz-Reformen immer noch für ein institutionalisiertes Chaos und für eine Dauerbaustelle, die von den verschiedensten Akteuren mitgeprägt wird: vom Bund, von den Ländern, von den Gemeinden, von den Verbänden und nicht zuletzt auch von den Sozialgerichten.
Gerade die Sozialgerichte befinden sich seit fünf Jahren in einem permanenten Ausnahmezustand, weil viele HartzIV-Bezieher, die einen falschen Bescheid von den sogenannten Jobcentern bekommen haben, durch die Sozialgerichte das einzige Korrektiv haben, falsche Bescheide noch korrigieren zu können.
Es spricht auch Bände über die Hartz-IV-Reformen, dass mehr als die Hälfte der Klagen erfolgreich sind. Somit hat sich Hartz IV im Grunde genommen schon als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erwiesen, aber eben nicht für die Langzeitarbeitslosen, sondern für die Richter und Rechtsanwälte.
Auch die PDS hat im Jahr 2004 eine Sonderkonjunktur wegen Hartz IV erlebt, und zwar ist sie damals in den Wahlkampf mit dem Motto gezogen: „Hartz IV ist Armut per Gesetz“. Aber was hat man dann im Bundesrat ge
macht? Die Länder Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, in denen die PDS an den Landesregierungen beteiligt war, haben sich im Bundesrat der Stimme enthalten.
Das ist eine doppelte Moral. Selbst die CDU unter der tiefschwarzen Regierung Milbradt hat sich damals im Bundesrat auch der Stimme enthalten. Das werden wir Ihnen auch immer wieder vorhalten und Sie somit nicht aus der Verantwortung entlassen, nämlich dass die PDS aus reinem Machterhaltungskalkül sich der Stimme enthalten hat. Da nützen auch ihre Namenswechsel nichts.
Heute wissen wir natürlich, dass Hartz IV tatsächlich eine auf Dauer verordnete Armut bedeutet, vor allem für vormalige Empfänger von Arbeitslosenhilfe, die irgendwann in Hartz IV fallen. Eine derartige soziale Deklassierung wäre vor 20 Jahren in Deutschland noch unmöglich gewesen. Mittlerweile durchgeführte Reformen oder Reförmchen – wie beispielsweise eine erweiterte Regelbezugsdauer für ältere Erwerbslose, die der Entschärfung dienen sollen – können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Forderung der NPD nach einer Abschaffung von Hartz IV völlig berechtigt war und ist.
Wenn man sich einmal anschaut, was der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Rüttgers – wahrscheinlich dem Landtagswahlkampf geschuldet – als Grundrevision von Hartz IV fordert – das ist lächerlich. Das ist eine Absetzbewegung, die viele Politiker nachvollziehen. Er will eigentlich nur die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nachvollziehen, die sagt, dass zumindest die Regelsätze für Kinder angehoben werden müssen.
Ich möchte einige Stichworte aufgreifen, die in der Debatte aufgeworfen wurden. Stichwort Schonvermögen: Schon seit Beginn der letzten Legislaturperiode fordert die NPD-Fraktion eine Bestandsversicherung für das Eigentum von Hartz-IV-Leistungsbeziehern.
Stichwort Hinzuverdienstregeln: Schon im März 2007 hat die NPD-Fraktion darauf hingewiesen, dass mit der Ausweitung der Ein-Euro-Jobs der Niedriglohnsektor zielgerichtet ausgeweitet wird, während gleichzeitig die niedrige Hinzuverdienstgrenze, die damals beschlossen wurde, die Eigeninitiative im Keim erstickt.
Doch wer A sagt und eine Anhebung der Hinzuverdienstgrenze fordert, der muss auch B sagen und sich zu gesetzlichen Mindestlöhnen bekennen, um Lohndumping und Ausbeutung nicht weiter zu fördern.