Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Dulig, wenn Ihnen das Thema Unterrichtsausfall so wichtig ist, warum haben Sie nicht heute eine Debatte dazu beantragt oder einen Antrag gestellt?
Für Sie ist wichtig, dass Sie glänzen. Sie haben die Bildungspolitik eingestellt, Sie sind schon im Wahlkampfmodus und verkaufen. Es geht Ihnen um Marketing. Wenn zum Beispiel die Kultusministerin sich lobt, dass sie beim Thema Unterrichtsausfall die beste Statistik hat, dann frage ich mich, was das schon heißt. Was heißt es denn, wenn die Leute trotzdem veralbert werden, weil die Statistik nichts aussagt? Nicht gegebene Unterrichtsstunden stehen als gegeben in der Statistik, bloß weil da Stillbeschäftigung ist. Sie stehen eben nicht als Ausfall in der Statistik, wenn zum Beispiel ein Lehrer zwei Klassen parallel unterrichtet. Was ist Ihre Statistik wert? Aber Sie sind zufrieden, dass es transparent ist.
Wie wäre es denn mal mit einer besseren Politik? Wie wäre es denn damit, den Unterrichtsausfall wirklich effektiv anzugehen? Wir brauchen, wenn wir Kinder und Jugendliche wirklich herausfordern wollen, wenn wir eine Schule wollen, die sie auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet, dass sie Konflikte lösen können, dass sie eine gute Ausbildung finden oder studieren können, schlichtweg eine andere Schule. Wir brauchen eine Schule, die Eigenverantwortung und Handlungskompetenzen fördert, bürgerschaftliches Engagement, Kreativität, Mut usw. usf. Da müssen wir ran. Eine andere Schule fördert Leistungsfähigkeit.
Vielleicht haben wir einen unterschiedlichen Leistungsbegriff. Ich wünsche mir eine Schule, die Lust macht, etwas zu leisten, die Motivation erzeugt für Leistung, und nicht eine Schule, die Leistung durch Druck erzeugt. Damit nehmen Sie in Kauf, dass nur wenige an der Spitze sind. Ich sage Ihnen, wir können auf kein einziges Talent verzichten. Wir können und wollen auf kein einziges Talent verzichten.
Deshalb kann ich mich nicht zufrieden geben, dass einige wenige an die Spitze kommen, aber 10 % ohne Schulabschluss die Schule verlassen.
Sie verkaufen. Sie betreiben hier wieder Etikettenschwindel. Sie wollen über Sitzenbleiben reden, um vom Unterrichtsausfall und dem Lehrermangel abzulenken und dann kommt ja noch die neue Umfrage. Die ist wirklich kurios. Ich bin mir sicher, dass Sie jetzt ein Jahr lang diese Umfrage wie eine Monstranz vor sich hertragen und sagen: Seht Ihr, 88 % sind für die Oberschule.
Moment! Ich finde es ganz spannend. Ich lese Ihnen jetzt die Frage vor, die den Leuten zur Abstimmung gestellt wurde: „Ab dem nächsten Schuljahr soll die Mittelschule in Sachsen zur Oberschule weiterentwickelt werden. Damit sollen Schüler individueller gefördert werden und es soll möglich sein, auch noch nach der 5. und 6. Klasse statt wie bisher nach der 4. Klasse auf das Gymnasium zu wechseln. Halten Sie dies für richtig oder nicht richtig?“
Sie hätten das Wort Oberschule auch durch ein anderes Wort ersetzen können und dasselbe Ergebnis bekommen. Auch ich bin für längeres gemeinsames Lernen. Auch ich bin für die individuelle Förderung.
Das war Kollege Dulig für die SPD-Fraktion. Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt Frau Giegengack. Bitte Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, der Tonfall hat sich in den Bildungsdebatten geändert. Das bedaure ich. Ich habe Herrn Colditz hier vorn immer als sehr selbstkritisch erlebt. Er hat durchaus zugegeben, dass es in Sachsens Schulsystem Verbesserungsbedarf gibt. Davon würde ich mir mehr wünschen. Den Bezug zu so einer Umfrage finde ich nur peinlich. Martin Dulig hat es anschaulich ausgeführt.
Ein leistungsfähiges Schulsystem würde für mich dort anfangen, dass wir den Unterricht nach Stundenplan und Stundentafel absichern. Es ist ein Skandal, dass wir bereits an einem Punkt angelangt sind, wo wir das von vornherein am Anfang des Schuljahres schon nicht mehr können. Es ist nicht mehr so, dass wir nur in den Förderschulen den Grundbereich nur noch bis 90 % absichern können. Aufgrund einer Anfrage der Kollegin Stange ist deutlich geworden, dass in Dresden in acht Grundschulen bereits nicht mehr ab Beginn des Schuljahres Unterricht im Grundbereich abgesichert werden kann. Dort wird die Stundentafel einfach verkürzt. Das ist ein Skandal und hat überhaupt nichts mehr mit leistungsfähigem Schulsystem zu tun.
Zu dem, was Herr Bläsner gesagt hat, fehlen mir die Worte, dass man das Sitzenbleiben als einen Garant für ein leistungsfähiges Schulsystem begreift, quasi als Herausforderung für die Schwachen.
Vergegenwärtigen Sie sich einmal Folgendes: Bei Ihnen sind die Schulsozialarbeiter aus Leipzig auch gewesen, die gemeinsam mit den Mittelschullehrern die Situation in den Leipziger Mittelschulen beschrieben haben. Wenn Sie vor dem beschriebenen Hintergrund, was zum Beispiel an den Mittelschulen in sozialen Brennpunkten in Leipzig passiert, das Sitzenbleiben als heilsamen Schock bezeichnen, dann ist das mehr als zynisch.
Ich kann Ihnen einmal verdeutlichen, wie es den Schülern in der Mittelschule geht. Es handelt sich um eine Durchschnittsschule – so steht es in dem Bericht, den wir damals erhalten haben. Evelin, Name geändert, wurde im Jahr 2005 eingeschult. Sie zeigte Leistungen mit dem Durchschnitt der Note 4. Evelin fiel und fällt es schwer, logisch zu denken. Zudem hat sie feinmotorische Schwierigkeiten. Evelins Mutter ist Alkoholikerin. Die Eltern leben nach acht Jahren in Scheidung. Evelin hat mit der Mutter ein Umgangsrecht. Sie ist oft in sich versunken. Sie mag die Besuche nicht mehr wahrnehmen. Evelin ist
versetzungsgefährdet. Ihre Noten verteilen sich zwischen 2 und 5. Ein heilsamer Schock des Sitzenbleibens hilft hier „richtig gut“.
Ich habe noch ein weiteres Beispiel. Ingo, im Jahr 2005 eingeschult, zeigte gute durchschnittliche Leistungen. Er war freundlich und hilfsbereit. Zusammen mit drei Geschwistern lebt er mit seiner Mutter in einer großen Wohnung. Während der Grundschulzeit gab es aufgrund einer Unterversorgung durch die Mutter einen Kontrollvertrag mit dem ASD, wegen fehlender Sauberkeit und fehlender ordentlicher Kleidung, und es erfolgte eine Kooperation mit der Schule. Ingo kommt oft „ungefrühstückt“, übermüdet und nicht witterungsgemäß gekleidet zu spät in die Schule. Der Schulranzen ist ein Chaos. Er hat nicht gelernt, sich zu strukturieren. Er passt abends auf seine Geschwister auf, weil seine Mutter nachts oft unterwegs ist. Seine Leistungen liegen zwischen 2 und 5. Er ist mittlerweile versetzungsgefährdet. Ihm hilft das Sitzenbleiben „richtig gut“ weiter!
Sitzenbleiben ist nicht per se schlecht. D’accord! Wenn Jugendliche im Gymnasium noch eine Runde drehen möchten, damit sie das Abitur schaffen, dann können wir gerne darüber reden. Als heilsamer Schock oder Erziehungsmaßnahme für Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen ist es jedoch das letzte Mittel.
Sie fördern auch die Starken nicht angemessen, wie Sie es immer vor sich hertragen. Ich erinnere als kleinen Nebenschwank an das André-Gymnasium in Chemnitz. An dieser Schule sind sehr leistungsstarke Schüler unterwegs. Allein elf Teilnehmer vom Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ lernen an dieser Schule. Dieser Wettbewerb fand vor 14 Tagen statt. Dieses Gymnasium kämpft seit fünf Jahren darum, ein vertieft musisches Profil zu bekommen. Frau Kurth gewährt dem Gymnasium dies nicht. Das möchte ich zur Förderung von unseren Leistungsträgern sagen. Diese Debatte ist wirklich für die Katz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Thema ist sehr allgemein gehalten und schreit regelrecht nach Zustimmung. Da ich mich als Politiker der nationalen Opposition nicht auf das bloße Abnicken von Regierungspositionen beschränken kann, sondern kritisch hinterfragen möchte, was hinter dieser Phrase stecken könnte, habe ich einmal bei Google News das Stichwort „sächsisches Schulsystem“ eingegeben.
Lediglich ein Artikel war dort zu finden. Es ist ein Artikel des Dresden Fernsehen vom 18. März dieses Jahres und hatte folgende Überschrift: „Inklusion im sächsischen Schulsystem macht Fortschritte“. Das war wirklich nicht gerade viel zur sogenannten aktuellen Leistungsorientierung des sächsischen Schulsystems.
Wir dürfen Folgendes nicht vergessen: Das beste Schulsystem nützt nichts, wenn die Schüler fehlen. Die demografische Katastrophe schlägt voll zu und hat zu einer Halbierung unseres Nachwuchses geführt. Ein ernsthaftes Gegensteuern bleibt aus. Lediglich hilflose Rufe nach ausländischen Fachkräften sind zu vernehmen.
Auf den Seiten von CDU und FDP habe ich Hinweise auf die Vorhaben gefunden, die heute schon mehrfach angeklungen sind. So freute sich Norbert Bläsner am 12. März darüber, dass – Zitat – „die Zahl der Bildungsempfehlungen Beispiel für die gestiegene Durchlässigkeit im Schulsystem“ sei. Die Zahlen hierzu sind bekannt. Strahlend hell sieht er am sächsischen Bildungshorizont die Oberschule heraufziehen. So zitiere ich weiter: „Der nächste Schritt wird ab dem kommenden Schuljahr erfolgen. Ab August werden an den sächsischen Oberschulen Leistungsgruppen mit zwei Stunden in Klassenstufe 5 und 6 ebenso angeboten sowie flächendeckend eine zweite Fremdsprache mit drei Stunden Umfang in Klassenstufe 6. Damit unterstützen wir die Oberschüler vom Übergang auf die allgemeinbildenden Gymnasien.“ Das ist wunderbar. Ich freue mich auch riesig.
Wenn ich mich jedoch nicht völlig verhört haben sollte, ob im Ausschuss bzw. auch heute im Plenum, wird es im Wesentlichen bei der Namensänderung bleiben. Mehr ist mit den im aktuellen Doppelhaushalt eingestellten zusätzlichen 9 Millionen Euro nicht zu machen. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu den geschätzten 114 Millionen Euro jährlich, die für die gleichzeitig angestrebte Inklusion notwendig sind. Auf diese Kosten und die undurchdachten Folgen der Inklusion für behinderte und nicht behinderte Kinder haben wir als NPD-Fraktion immer wieder hingewiesen.
Für all die schönen Vorhaben im Bildungsbereich braucht man allerdings nicht nur Geld, sondern auch eine motivierte Lehrerschaft. Unter der Schlagzeile „Sachsen hat bei den jungen Lehrern zunehmend ein Imageproblem, viele Absolventen kehren dem Land den Rücken, Bedingungen nicht attraktiv genug“ schrieb die „Freie Presse“ am 25. März dieses Jahres Folgendes: „Sachsens Bildungssystem hat zunehmend Nachwuchssorgen. So haben erst kürzlich 105 Referendare ihren Vorbereitungsdienst im Freistaat Sachsen abgeschlossen und hätten sofort im Land beginnen können. Von ihnen bewarben sich 86. Entsprechende Angebote vom Kultusministerium lehnten 33 ab. Letztlich unterschrieben 48 einen Arbeitsvertrag. Oft sei Folgendes zu hören gewesen: Lehrer sein in Sachsen sei im Vergleich zu den Aufstiegs- und Verdienstchancen in anderen Bundesländern nicht attraktiv genug.“
Eine Statistik belegt die verheerende Situation. Sächsische Lehrer waren im Jahr 2012 im Durchschnitt 13,1 Tage krank. Das ist der höchste Wert seit Langem. Im Jahr 2008 waren es nur 11,2 Krankentage. Sachsen beschäftigt derzeit 33 400 Lehrer. Bis zum Jahr 2020 werden 9 000 von ihnen in Pension gehen und bis zum Jahr 2030 vier von fünf Lehrern pensioniert sein. Sie kurzfristig zu ersetzen, dürfte schwierig sein. Es gibt bereits eine Gesprächsrunde zum Generationenwechsel im Schulbereich, an der die Staatsregierung und Gewerkschaften teilnehmen. Wünschen wir viel Glück, sie werden es brauchen.
Etwas Geld ist gerade zusätzlich in die Kassen gespült worden: 11,5 Millionen Euro aus den Managerhaftpflichtversicherungen im Zusammenhang mit der Pleite der Sachsen LB. Ich kann Folgendes nur raten: Bitte geben Sie das Geld schnell und sinnvoll aus. Die nächste und zehnfach höhere Abschlagszahlung dürfte sehr bald fällig werden.