Protokoll der Sitzung vom 18.09.2013

Wir haben uns im Rechtsausschuss – der Kollege Kirmes hat es schon gesagt – eigentlich einstimmig – ich sage es jetzt etwas grob – über die Empfehlungen des Sächsischen Rechnungshofes hinweggesetzt. Die Empfehlung war, keine neue Haftanstalt für Sachsen zu bauen. Das Argument war, die bisherigen Haftplätze reichten aus.

Wir haben darüber im Rechtsausschuss sehr eingehend diskutiert und uns entschlossen, dieser Empfehlung nicht zu folgen, aus wesentlichen Gründen.

Vielleicht wäre es auch ohne den Neubau einer Haftanstalt in Sachsen möglich, in den weiteren Jahren irgendwie auszukommen, aber zu welchem Preis? – Zu dem Preis der fortgesetzten Überbelegung: Wir haben schon jetzt seit vielen Monaten Überbelegungen in unseren Haftanstalten von teilweise bis zu 110 %. Zu dem Preis, dass Angehörige zu Besuchen bei ihren inhaftierten Familienangehörigen 150 bis 200 Kilometer weit fahren müssen, in Gebieten, in denen der ÖPNV nicht so gut ist. Sie kommen auch meistens aus Familien, in denen das Einkommen nicht so hoch ist, und zu dem Preis, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Anstalten immer längere Wege früh und abends oder, wenn sie Nachtschicht haben, abends und früh zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause zurücklegen müssen.

All das sind keine förderlichen Bedingungen für die Resozialisierung, sondern im Gegenteil. Damit werden wir nicht erreichen, dass die Rückfallquoten im Freistaat Sachsen sinken und dass wir einen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten.

Das hat uns bewogen zu sagen, wir nehmen nicht nur die ökonomischen, effizienzorientierten Gesichtspunkte zur Kenntnis, sondern auch die fachlichen, effektivitätsorientierten, und bleiben dabei, dass es für Sachsen wichtig ist, eine neue Haftanstalt zu bauen.

Ich würde mir wünschen, dass es uns gelänge, auch in anderen Politikbereichen dieser ökonomischen Einseitigkeit zu widerstehen und die Fachlichkeit wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Friedel. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abg. Biesok. Sie haben das Wort, Herr Biesok.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bereits im Plenum über den Neubau einer Justizvollzugsanstalt in Zwickau gesprochen und auch im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss den Bericht des Rechnungshofes sehr ausführlich diskutiert. Die Argumente sind ausgetauscht. Besonders die Entwicklung, die Kollege Bartl aufgezeigt hat, zeigt, wie gefährlich es ist, beim Haftplatzbedarf hart am Wind zu segeln. Es kann immer einmal etwas passieren. Es kann immer einmal eine Haftanstalt ganz oder teilweise ausfallen, wie auch immer. Deshalb dürfen wir hier nicht auf der letzten Rille fahren. Wir dürfen auch nicht einfach so tun, als ob die Belegung in Haftanstalten ein Mengenproblem ist, sondern es sind immer Menschen, die dort untergebracht sind.

Entsprechend einmütig war die Bewertung im Ausschuss. Ich möchte diese Argumente nicht wiederholen. Ich gebe meine Rede zu Protokoll und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank,

Herr Biesok. Damit ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der Reihe. Es spricht Frau Abg. Herrmann. Bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis letzte Woche war ich geneigt zu sagen: An dieser Stelle haben wir eigentlich keinen Redebedarf zum Bericht des Rechnungshofes, weil wir uns im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss sehr ausführlich dazu ausgetauscht haben.

Am Wochenende gab es diese neue Situation. Dabei geht es mir wie Herrn Bartl. Ich denke, es wäre im Ausschuss die Gelegenheit gewesen, vom Minister informiert zu werden. Wir haben uns im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss letztmalig am 4. September 2013 zum Haftplatzbedarf verständigt. An dieser Stelle Danke an den Rechnungshof für den Anstoß zur Diskussion über die Anzahl der Haftplätze, die wir in Sachsen wirklich brauchen.

Alle demokratischen Fraktionen haben dem Minister den Rücken gestärkt und sind seiner Antwort zum Bericht des Rechnungshofes gefolgt. Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass der Neubau notwendig ist, wenn wir den Vollzug am neuen Strafvollzugsgesetz ausrichten wollen. Das ist wirklich tiefgründig, möchte man meinen. Alle Argumente sind ausgetauscht, alle Informationen auf dem Tisch, damit man sich ein umfassendes Bild machen kann.

Umso mehr halte ich es für einen Affront, dass ich aus der Presse erfahre, was der Minister seit April dieses Jahres befürchten musste, nämlich dass das Freigängerhaus in Chemnitz mit 60 Haftplätzen im offenen Vollzug – Männer und Frauen – geschlossen werden muss. Die gerichtlichen Entscheidungen dazu hat mein Vorredner schon erwähnt.

Herr Martens, ich frage mich allen Ernstes, warum wir uns wieder und wieder groß und breit mit dem Thema Haftplatzbedarf beschäftigen und Sie es seit April nicht für nötig halten, das Parlament über diesen Vorgang zu informieren.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Das ist in meinen Augen eine Informationspolitik, die das Parlament verhöhnt. Unsere gemeinsamen Anstrengungen, einen modernen Strafvollzug in Sachsen zu etablieren, interessieren dann offensichtlich nicht mehr. Wirklich ernst nehmen Sie weder das Parlament noch uns als Abgeordnete. Das verstehen weder ich noch die Partner in der Koalition. Das ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis.

Darüber hinaus wird durch Ihr Verhalten noch ein weiterer Punkt deutlich, nämlich wie Sie zum offenen Vollzug stehen. Von Liberalität kann an dieser Stelle keine Rede sein. Welche Chancen für Gefangene mit dem offenen Vollzug verbunden sind, ist Ihnen an dieser Stelle egal. Hier wird klar, dass Sie diese Form des Strafvollzugs nicht als Chance für die Gefangenen und für die Gesellschaft verstehen, sondern diese Plätze nur pro forma als Alibi für nötig halten.

Ich frage mich außerdem, welche Information Sie uns noch vorenthalten haben. Der Presse war zu entnehmen, dass eine Interimslösung für 30 Frauen in Chemnitz gebaut werde. Auch war die Rede von einem Neubau für den offenen Vollzug in der Reichenhainer Straße in Chemnitz. Darüber steht uns als Parlament und als Abgeordneten wohl Aufklärung zu.

Bei der Beurteilung der Frage, ob wir einen Gefängnisneubau Zwickau in der geplanten Größenordnung tatsächlich brauchen, spielt ohne Zweifel die Haftplatzprognose eine entscheidende Rolle. Aber unabhängig von der Bewertung von Zahlen, die immer eine gewisse Ungenauigkeit mit sich bringen, sind die Qualität des Vollzugs und die Erreichung des Vollzugszieles, nämlich Resozialisierung, in den Blick zu nehmen. Dazu gehören auch die ausreichende Zahl von Plätzen im offenen Vollzug und eine Vollzugspraxis, die dem offenen Vollzug den Vorrang einräumt. Es gibt ausreichend Studien, die belegen, dass im offenen Vollzug die Wiedereingliederung in die Gesellschaft besser gelingt.

Es kann also nicht darum gehen, wenn wir über Haftplätze und Haftplatzbedarf sprechen, die vorhandenen Kapazitäten zusammenzuzählen und hier und da noch einen Anbau vorzuschlagen. Vielmehr müssen wir als Parlament definieren, was nötig ist, um den Vollzug, wie er im

Gesetz steht – ich erinnere zum Beispiel an Besuchszeiten – durchzuführen. Daran orientiert sich, ob wir einen Neubau brauchen und mit wie vielen Plätzen dieser ausgestattet sein sollte.

Da die heimatnahe Unterbringung zur Erreichung des Ziels der Resozialisierung entscheidend ist, habe ich mich auch schon in der Vergangenheit für einen Neubau in Westsachsen ausgesprochen, vorausgesetzt, die Informationen über den Zustand der JVA Zwickau und die Belegungszahlen in anderen sächsischen Vollzugsanstalten stimmen und Herr Martens hat nicht am Parlament vorbei noch den Bau einer weiteren Anstalt geplant.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Die NPD-Fraktion? – Kein Redebedarf.

Meine Damen und Herren! Damit ist die erste Runde vorbei. Gibt es noch weiteren Redebedarf aus den Reihen der Fraktionen? – Den sehe ich nicht. Ich frage die Staatsregierung? – Herr Dr. Martens, Sie wünschen das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem, was meine Vorrednerin gerade gesagt hat, Folgendes zur Klarstellung sagen: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes ist am 3. September 2013 bei uns eingegangen. Das Verfahren wird nicht vom Justizministerium geführt, um auch das deutlich zu machen. Wenn Sie sich uninformiert über mögliche Ausweich- oder Ersatzlösungen zeigen, dann sei Ihnen die Lektüre des Haushaltes für die Jahre 2013/2014 empfohlen. Dort haben wir bereits in den Haushalt 2012 den Titel für den Ersatzbau des offenen Vollzuges in der Reichenhainer Straße eingestellt,

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

das heißt, die ganze Aufregung wäre nicht notwendig gewesen, wenn Sie sich gemerkt hätten, was damals bei den Beratungen zum Haushalt 2012 beschlossen worden ist.

Bei der konkreten Verlegung geht es um 24 weibliche und sieben männliche Häftlinge. Wir haben über 90 Haftplätze in anderen Haftanstalten im freien Vollzug zur Verfügung. Selbstverständlich werden das Parlament und der Ausschuss über diesbezügliche Planungen des Justizministeriums im Einzelnen unterrichtet. Das habe ich in anderen Dingen auch schon so gehalten. Ich glaube, die Informationspolitik meines Hauses lässt – jedenfalls seit meinem Amtsantritt – nicht zu wünschen übrig. – So viel dazu.

Was den Gegenstand der Tagesordnung anbelangt: Meine Rede zur Beschlussempfehlung zum Sonderbericht des Sächsischen Rechnungshofes – für den ich mich namens der Staatsregierung noch einmal ausdrücklich bedanken möchte – gebe ich jetzt zu Protokoll.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Herr Schowtka, auch hierzu frage ich Sie, ob Sie als Berichterstatter das Wort wünschen. – Das ist nicht der Fall.

(Klaus Bartl, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Oh, Herr Bartl, ich bitte um Entschuldigung. Ich war etwas zu schnell. Bitte schön.

Herr Präsident! Ich würde gern von der Möglichkeit einer Kurzintervention Gebrauch machen, wenn das geht.

Bitte, natürlich.

Herr Staatsminister, ich nehme das jetzt zur Kenntnis, was Sie eben gesagt haben. Ich sage aber an dieser Stelle auch: Ich bin als Mitglied des Anstaltsbeirates für Chemnitz vom Präsidium dieses Hohen Hauses gewählt und bestätigt. Ich weiß aus dem Anstaltsbeirat, dass wir über längere Zeit mit dem Freigängerhaus in der Altendorfer Straße geplant haben. Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, wir hätten mit der Haushaltsdebatte 2012 bereits entschieden, dass wir Ersatzplätze für die Altendorfer Straße haben, überrascht mich das blank, und das kann ich nicht verstehen.

Selbst wenn Sie jetzt erklären, dass Sie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in schriftlicher Form erst am 3. September 2013 bekommen haben – es kann sein, das will ich dann gern zur Kenntnis nehmen –, kennen Sie aber das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes vom April 2013.

Die Tatsache, dass mit dem Urteil der Wohnungsgenossenschaft recht gegeben worden ist und das Problem droht, dass diese 30 Freigängerplätze wegfallen, muss doch Beachtung finden. Wir haben fast keinen Freigängerplatz mehr für Männer in Chemnitz und Umgebung. Wir haben inzwischen die Situation, dass Männer, die eigentlich von Zeithain oder von Dresden nach Chemnitz verlegt werden sollen, weil sie vor der Entlassung stehen und in die Nähe ihrer Kinder kommen sollen, derzeit nicht verlegt werden können, weil die Chemnitzer Häftlinge erst einmal in Zwickau oder in Zeithain untergebracht werden müssen.

Dazu sage ich: Wie Sie es dargestellt haben, kann es realiter nicht gewesen sein. Deshalb werden wir uns das sehr genau ansehen, was im Verhältnis zu dem, was Sie heute im Parlament gesagt haben, und zu dem, was tatsächlicher Kenntnisstand bis zur Leitung der JVA gewesen ist, die Wahrheit war.

(Beifall bei den LINKEN – Carsten Biesok, FDP, steht am Mikrofon.)

Vielen Dank, Herr Bartl. – Herr Staatsminister, wünschen Sie eine Erwiderung? – Das ist nicht der Fall. Es gibt eine weitere Kurzin

tervention auf die Rede von Herrn Staatsminister von Herrn Biesok.

Ich möchte auch zur Rede des Staatsministers kurz intervenieren. Das, was der Staatsminister gesagt hat, ist in der Tat etwas unvollständig. Es war nicht nur die Staatsregierung, die Vorsorge getroffen hat durch Planungsleistung, sondern die beiden Regierungskoalitionen haben extra noch einen Änderungsantrag ins parlamentarische Verfahren eingebracht, womit sie zusätzliche 3 Millionen Euro eingestellt haben, um die Neubauvorhaben, die genau diese Situation abfedern sollen, zu ergänzen. Ich erinnere mich auch sehr gut an eine Diskussion mit anderen Mitarbeitern, die in einer Position sind, in der wir das nachgefragt haben.