Protokoll der Sitzung vom 30.04.2015

Anders als die Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN sind wir jedoch der Auffassung, dass es noch eine zweite Säule braucht, dass es nämlich Restaufgaben gibt, die man in einem Inlandsgeheimdienst zusammenfassen muss. Das Stichwort Spionageaufklärung wurde vorhin schon genannt.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Mit der sächsischen Kriegsmarine!)

Gleichwohl habe ich bezüglich der Aufgabe der Spionageaufklärung bei einem Landesamt für Verfassungsschutz immer ein bisschen meine Zweifel. Im laufenden Verfassungsschutzbericht gibt es dazu gerade einmal zehn Seiten – mit Erkenntnissen, die man größtenteils auch bei der Lektüre des „Spiegels“ gewinnen könnte.

Allerdings braucht man den Inlandsgeheimdienst definitiv für eine funktionierende Terrorabwehr, und diese Terrorabwehr muss ausschließlich dazu dienen, terroristische Bedrohungen gegen die Verfassung und den Verfassungsstaat abzuwehren, aber sie darf sich eben nicht auf das, was der Verfassungsschutz momentan hauptsächlich macht, nämlich die Ausspähung der politischen Meinungskundgabe, reduzieren.

Das ist unsere Auffassung, wie eine zukünftige Sicherheitsarchitektur mit zwei getrennten Säulen aussehen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darüber hinaus gilt es, für diesen neuen Inlandsgeheimdienst ganz klare Kriterien aufzustellen, was die Anforderungen an das behördliche Handeln angeht. Dazu gehört die Abkehr von V-Leuten, zumindest in der neonazistischen Szene, ein knallhartes Halten an das Legalitätsprinzip bei den Maßnahmen und eine deutliche Stärkung der parlamentarischen Kontrolle im Umgang mit dieser Behörde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie es mich zusammenfassen: Sie wollen die Verfassung und die Demokratie schützen. Wir wollen Sie dabei gern unterstützen, und wir sagen: Dafür muss man zumindest die derzeitige Struktur des Landesamtes für Verfassungsschutz auflösen und vollkommen neu denken.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit Herrn Lippmann sind wir am Ende der ersten Rednerrunde angekommen und eröffnen eine zweite. Die einbringende CDUFraktion ergreift erneut das Wort durch Herrn Kollegen Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderaler Staat und der Freistaat Sachsen einer von 16 Teilen desselben. Die Stärke unseres föderalen Staates und die Erkenntnis aus der eigenen Geschichte heißt, dass wir auf ein Subsidiaritätsprinzip setzen und nicht auf eine zentralistische Struktur. Insoweit, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedarf unsere gesellschaftliche Ordnung, unser Grundgesetz, unsere verfassungsgemäße Ordnung der Subsidiarität der Strukturen und der Verantwortung von Bundesländern. Das wiederum bedingt eine Verantwortung des Freistaates Sachsen, auch für den Schutz seiner Verfassung und des Grundgesetzes.

Richtig ist auch, dass die Struktur effizient und verzahnt sein und alle Beteiligten der Sicherheitsarchitektur einbinden muss. Insoweit bedarf es immer wieder der Kontrolle und des Diskurses über diese Strukturen. Das stellt aber in keinster Weise die Notwendigkeit eines Verfassungsschutzes als eigene Behörde in Abrede. Ich glaube auch nicht, dass ein Institut für Demokratieforschung und Demokratieanalyse, von denen wir einige haben – im Übrigen Gott sei Dank auch unabhängig von staatlicher Einflussnahme – diese Aufgabe abschließend erfüllt.

Ja, die Terrorbekämpfung ist ein wesentlicher Ansatzpunkt. Ich möchte aber daran erinnern, meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere von Rot-Grün, dass auch der NSU eine terroristische Zelle war, die aus einer rechtsextremistischen Struktur entstanden ist. Das ist etwas, was wir aufarbeiten: Es müssen die Informationskanäle weiter optimiert werden. Aber Sie sehen daran, dass die Beobachtung extremistischer Strukturen offensichtlich erforderlich ist, um terroristischen Entwicklungen entgegenzuwirken. Dazu brauchen Sie diese Vernet

zung. Das ist im Übrigen auch eine Erkenntnis, die durch das Agieren einer Rote-Armee-Fraktion in der Bundesrepublik alt sehr maßgeblich die Sicherheitsarchitektur nachträglich geprägt hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Frau Köditz wurde vorhin in den Raum gestellt, ob das Vertrauen in Polizei und Verfassungsschutz in der Tat so groß ausgeprägt ist. Ich sage, meine sehr geehrten Damen und Herren: Das ist es, mehr als in dieses Hohe Haus. Deshalb gilt es, deren Arbeit wertzuschätzen und weiter zu unterstützen.

(Beifall bei der AfD)

Die Notwendigkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, ergibt sich möglicherweise auch aus unterschwelligen Erkenntnisprozessen. Ich will es an einem Beispiel festmachen. Da gibt es beispielsweise in Leipzig in der Silvesternacht einen Gewaltaufruf des Internet-Portals Indymedia Linksunten zur Sachbeschädigung gegen 50 Objekte. Ich zitiere von dieser Seite: „Jeder Akt der Zerstörung ist ein kleiner Funken der Hoffnung in einer dunklen Nacht.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist noch nicht einmal mehr ansatzweise niedlich, insbesondere wenn sich auf dieser Liste Angehörige dieses Hohen Hauses befinden wie der Abg. Pohle. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ist schon längst eine rote Linie überschritten.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der AfD und der Staatsregierung)

Das Thema beginnt gesellschaftspolitisch schon an einer ganz anderen Stelle. Wenn ein Abgeordneter dieses Hohen Hauses Handlungsempfehlungen zur Vermüllung von Wohngebieten gibt,

(Lachen)

um zu vermeiden, dass es in Stadtteilen bürgerliche Strukturen

(Beifall bei der CDU, der SPD und der AfD)

gibt, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann muss ich Ihnen sagen: Wir reden auch über eine Basis gesellschaftlich konsensuellen Zusammenlebens. Da bedarf es in der Tat einer ganzheitlichen Bewertung.

Aber zurück zum Thema Verfassungsschutz, zum Thema Pegida. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, politisches und gesellschaftliches Engagement, so fehlgeleitet es der Einzelne auch findet, politisch zu bewerten. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, festzustellen, welche Tendenzentwicklungen es gibt. Ich glaube, auf den 300 Seiten werden sehr eindrücklich auch Netzwerke, Strukturen, Zusammenarbeit und entsprechende Vernetzungen dargestellt. Der Verfassungsschutz ist ein Indikator – insoweit ist das nicht falsch – und ein Frühwarnsystem politischer Entwicklungen. Insoweit sehen wir ein Stagnieren, eine

Herausforderung in einer rechtsextremistischen Szene, mit der wir uns weiter auseinanderzusetzen haben.

(Petra Zais, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Da bin ich sehr bei Henning Homann, –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– wenn es um eine gesellschaftliche Zusammenarbeit geht und ein klares Bekenntnis aller gesellschaftlichen Strukturen gegen Rechtsextremismus.

Herr Präsident, bitte.

Am Mikrofon 3 Frau Kollegin Zais.

Herr Kollege Hartmann, ich habe eine Frage. Sie haben sicher auch in der Presse gelesen, dass Ihr Kollege Rohwer in Bezug auf Pegida formuliert hat, dass dort die Systemfrage gestellt wird. Ich würde dazu ergänzen: Ja, die Systemfrage von rechts. Meinen Sie, dass das relevant ist?

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Nö!)

Ich würde die Aussage von Herrn Rohwer so nicht treffen. Recht hat er aber in einer Frage. Die Menschen, die dorthin gehen, stellen für sich die Frage, ob unser System in der Ganzheitlichkeit noch so funktioniert. Ich weiß nicht, ob man damit bei Pegida tatsächlich die Aufgabe dieses Staates verbindet oder ob es subjektive Wahrnehmungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Entwicklungen sind, die in ihrer Spannbreite sehr vielseitig sind. Ich gehe nicht so weit, an dieser Stelle die Systemfrage gestellt zu sehen. Ich sehe aber schon die Hinterfragung derer, die zu Pegida gehen. Das ist nicht der größte Teil unserer Gesellschaft, aber ein ernst zu nehmender Teil, der sich mit dem Thema auseinandersetzt und für sich die Frage stellt, ob unser politisches System in seiner Ganzheitlichkeit und Struktur noch so funktioniert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zeit für die zweite Runde ist erst einmal abgelaufen. Ich freue mich auf die dritte.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Kollege Hartmann, der für die CDU-Fraktion sprach, kündigt schon die dritte Runde an. Aber wir sind mitten in der zweiten, und Kollege Pallas ergreift jetzt das Wort für die miteinbringende SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einen weiteren Aspekt dieser Debatte beleuchten. Ich habe mit dem Extremismusbegriff durchaus meine Schwierigkeiten, andere auch. Nicht nur im politischen, auch im wissenschaftlichen Kontext nimmt man zunehmend

Abstand von dieser Form der Benennung der Problematik, über die wir reden. Worum geht es?

Es geht um Menschen und Gruppen von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in Distanz gehen, in Distanz zu unserem demokratischen System, zu unserem demokratischen Rechtsstaat, und dort, wo die Distanz am größten ist, führt sie nicht selten zu Gewalt – Gewalt gegen politische Gegner, Gewalt gegen den Staat, aber eben auch Gewalt gegen Schwächere. Oder im Extremfall führt sie zu Bestrebungen, diesen demokratischen Staat, unser System, abzuschaffen.

Ich möchte eines deutlich machen – das kam auch schon in der Diskussion heraus: Es ist nicht nur sinnvoll, sondern überaus wichtig, zwischen den unterschiedlichen Gruppen, die solche Bestrebungen haben, zu unterscheiden, zwischen den Verfassungsfeinden zu unterscheiden, denen von rechts, denen von links, aber auch beispielsweise aus der Gruppe des Ausländerextremismus, um diesen Begriff noch einmal zu nehmen, weil mir gerade kein anderes Wort einfiel.

Ich finde – und ich glaube, das wird auch aus dem Verfassungsschutzbericht deutlich –, dass die Gefahr für unsere Demokratie derzeit von rechts am größten ist, und zwar sehr deutlich. Aber man muss auch unterscheiden, dass es in den unterschiedlichen Gruppen jene gibt, die konkrete verfassungsfeindliche Bestrebungen haben, und jene, die zu dem Kontext der Gruppe gehören und auch viele Straftaten begehen, die verfolgt werden müssen, bei denen es aber noch nicht so weit ist, dass man sie als Verfassungsfeinde bezeichnen kann. Ich halte es für wichtig, diese Gruppen zu beobachten, um genau festzustellen, wo sich Menschen oder Gruppen zwischen diesen beiden Dimensionen von der Begehung von Straftaten hin zu konkreten verfassungsfeindlichen Bestrebungen

verschieben.

Mit dem Blick auf Leipzig müssen wir feststellen, dass es dort eine autonome Szene gibt, die sich von denen der anderen sächsischen Großstädte unterscheidet. Es gibt eine verfestigte militante Gruppe mit einem hohen Organisationsgrad. Um es noch einmal deutlich zu sagen, gerade auch für unsere Fraktion: Wir verurteilen insbesondere die Gewalttaten dieser Gruppe aufs Schärfste – Gewalttaten gegen Polizeibeamte, gegen andere Personen, Zerstörung öffentlichen und privaten Eigentums mit der Absicht, ganz gezielt den Staat oder auch politische Gegner anzugreifen. Das ist untragbar, und es ist schon gar keine Solidarität, so wie es vereinzelt auch geklungen hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der AfD, den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall bei der Staatsregierung)

Wir alle müssen uns aber auch fragen, wo die eigenen Handlungen, die Handlungen von uns Abgeordneten solche Entwicklungen vielleicht begünstigen. Das gilt einerseits für jene, die nicht selten Stammtischparolen bedienen und menschenverachtende staatsferne Thesen

tragen, die die ablehnende Haltung ganz vieler gegenüber unserem Staat noch verstärken. Es gilt aber auch zu prüfen, ob man sich an die Spitze vereinzelter autonomer Aktionen stellt und dadurch diesen und ähnlichen Taten, wie ich sie eben beschrieben habe, den nötigen politischen Rückhalt bietet. Da reicht es auch nicht, sich im Nachhinein davon zu distanzieren.

Ich glaube, wir alle tun gut daran, neben der notwendigen Auseinandersetzung mit den Gefahren für unsere Demokratie auch das eigene Handeln permanent zu hinterfragen und da anzupassen, wo es dem Schutz unserer Demokratie zugutekommt.

Vielen Dank.