Protokoll der Sitzung vom 16.09.2015

Natürlich gehört es zur Wahrheit dazu, auch Probleme zu benennen. Angesichts von 20 % Quereinsteigern und weiteren 20 % schulartfremd beschäftigten Lehrkräften müssen wir uns die Frage nach der Lehrerrekrutierung und letztlich nach der Attraktivität des Lehrerberufs bei uns in Sachsen stellen.

Auch im ländlichen Raum werden wir neue Lehrer brauchen. Das dürfen für unsere Grundschüler eben nicht Gymnasial- und Berufsschullehrer sein; das ist langfristig keine Lösung.

Sicher ist auch, dass ein reibungsloser Schulstart nicht erfolgt ist. Mir persönlich ist eine Schule in Chemnitz bekannt, wo am ersten Schultag nicht vor jeder Klasse der Lehrer oder die Lehrerin stand.

Bei einem derart komplexen System aus über 1 700 Schulen, knapp 30 000 Beschäftigten und mehr als 450 000 Schülern und Schülerinnen kann ein System nicht reibungsfrei an den Start gehen. Das müssen wir akzeptieren.

(Cornelia Falken, DIE LINKE: In all den Jahren konnte keine Verbesserung erreicht werden?)

Das Kultusministerium und natürlich auch die Bildungsagentur sind gefordert, diese Reibungen schnell abzubauen und Lösungen zu finden.

In diesem Zusammenhang müssen wir sicherlich auch auf die Lehrerbedarfe eingehen; auch Sie sind darauf eingegangen. Die Altersabgänge, die wir zu verzeichnen haben, lagen deutlich oberhalb der Prognosezahlen, die wir vom Kultusministerium bekommen hatten. Auch insofern ist die Vorlage des Lehrerpersonalbedarfskonzeptes dringlich.

Zuletzt möchte ich auf die Integration minderjähriger Asylsuchender eingehen. Ich möchte das nicht zu sehr strapazieren; wir haben über dieses Thema vorhin schon ausführlich diskutiert.

Zunächst einmal möchte ich der Frau Kultusministerin danken, dass sie die Vorbereitungskurse für genau die Schüler, die kein oder kaum Deutsch sprechen, deutlich aufgestockt hat, um sie möglichst schnell und reibungslos in die Regelschulklasse überführen zu können. Denn das Lernen der Sprache im gemeinsamen Miteinander ist der Schlüssel, die Basis für gelingende Integration. Wir müssen dafür sorgen, dass alle, aber auch alle Anspruch auf bestmögliche Bildung erhalten.

Zu guter Letzt – die Zeit habe ich noch – möchte ich auf einen Artikel in der Zeitschrift „Erziehung & Wissenschaft“ der GEW Sachsen, Ausgabe Juli/August, eingehen. Frau Falken, ich zitiere Sie: Sie sagen in Bezug auf die Lehrkräfte, dass die Staatsministerin Brunhild Kurth der Öffentlichkeit stets vorgaukle, „sie habe alles im Griff“. Und weiter: „Die offiziellen Zahlen suggerieren ein falsches Bild. Nach wie vor scheiden mehr Lehrkräfte aus, als eingestellt werden.“

Frau Falken, wer erzählt hier Märchen?

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für die AfDFraktion Frau Kersten, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute befassen wir uns also mit Märchen. Märchen enden meistens gut. Dass uns das am Ende dieser Debatte gelungen sein wird, ist schwerlich vorstellbar. Aber Märchen hin, Märchen her, Tatsache ist, als reibungslos kann der Schulstart tatsächlich nicht bezeichnet werden.

Ein Beispiel: Allein in den ersten beiden Schulwochen sind bei meinem älteren Sohn zehn Stunden ausgefallen, bei meinem jüngeren Sohn sechs Stunden. Den beiden Klassen wurde auch gleich mitgeteilt, dass dieser Stundenausfall mindestens bis zu den Weihnachtsferien anhalten werde, und das, obwohl bereits vor den Ferien bekannt war, dass die Lehrerin, die für den Unterrichtsausfall verantwortlich zeichnet, für längere Zeit ausfallen wird. Auf Nachfrage bei der Bildungsagentur wurde mitgeteilt, dass kein Ersatzlehrer gestellt werden könne.

Ganz Ähnliches passierte am Riesaer HeisenbergGymnasium. Dort fallen in den nächsten sechs bis sieben Wochen bei einer 10. Klasse 33 % des Biologieunterrichts aus. Derweil lesen wir in den Medien die Aussage von Frau Ministerin Kurth, das Schuljahr könne reibungslos starten. Vor jeder Klasse werde ein Lehrer stehen. Das mag erst einmal richtig sein, aber, ich denke, es fehlt der zweite Halbsatz, nämlich der, dass nur vor den Klassen ein Lehrer steht, die auch tatsächlich Unterricht haben.

(Heiterkeit bei der AfD)

Vor den Klassen, die nach Hause geschickt werden, wie es bei meinen Kindern der Fall ist, steht eben kein Lehrer, und dort wird auch bis zum Jahresende kein Lehrer stehen.

Im Ausschuss wurde uns mitgeteilt, dass es große Schwierigkeiten bei Neueinstellungen von Lehrern gebe. Viele der Bewerber wollten nur in den Großstädten unterrichten. Ja, meine Damen und Herren, hierauf müssen wir jetzt flexibel reagieren, und vor allem schnell. Es bedarf alternativer Angebote. Wir müssen Anreize schaffen, damit diese Situation geändert werden kann. Beispiele können sein: finanzielle Zuschläge für Lehrer, die aufs Land gehen, Einstellungsgarantien, möglicherweise auch Verbeamtungen, flexible Arbeitsorte, also teilweise Einsatz in städtischen Schulen und in Schulen im ländlichen Raum und mit dem Blick in die Zukunft Stipendien für Lehramtsstudenten, die bei einem verpflichtenden Einsatz im ländlichen Raum gezahlt werden können.

(Lothar Bienst, CDU: Machen wir doch schon!)

Unser Augenmerk muss aber auch den 40 % Seiteneinsteigern und schulartfremd eingesetzten Lehrern gelten.

Durch deren Einsatz wird der Lehrermangel derzeit kaschiert. Das kann sich aber schnell ändern, nämlich dann, wenn von den genannten 40 % ein Großteil den Schuldienst möglicherweise wieder quittiert, weil sie sich der Aufgabe nicht gewachsen sehen oder andere Vorstellungen von ihrem beruflichen Werdegang haben. Ein weiteres Beispiel: An einer Dresdner Förderschule hat nach genau einem Arbeitstag eine Seiteneinsteigerin aus obengenannten Gründen das Handtuch geworfen.

Sensibilisieren möchte ich in diesem Zusammenhang auch für Folgendes: Uns liegen – vereinzelt – nur Informationen vor, dass Quereinsteiger vom angestammten Lehrkörper nicht anerkannt werden, dass Unterstützung ausbleibt. Das können Einzelfälle sein. Hoffentlich bleibt es so. Es kann aber natürlich auch anders kommen. Liebes Kultusministerium, ich bitte um einen achtsamen Blick auf Seiteneinsteiger. Kommunizieren Sie mit Ihnen! Fragen Sie nach, wie sie zurechtkommen, nicht dass uns dieses dringend benötigte Personal abhandenkommt.

Kritik gibt es auch in anderen Bereichen zum Schulstart. Nach wie vor gibt es vor allem bei Eltern Verärgerung im Bereich der Schülerbeförderung. Extrem lange Wartezeiten werden kritisiert und auch die territoriale Begrenzung der Schülertickets, die eine tatsächlich freie Schulwahl massiv einschränken. Wir brauchen das sachsenweit gültige Bildungsticket.

Auch zum Bereich Lernmittelfreiheit will ich noch kurz ausführen. Es gibt kein einheitliches Vorgehen bei den Schulen gerade in Bezug auf Taschenrechner. Die einen vermieten sie an die Schüler, die anderen stellen sie den Schülern kostenlos zur Verfügung. Wieder andere Schulen plädieren für das höherwertige Gerät mit dem CAS, mit dem dann letztlich auch die Lehrer arbeiten. Die Eltern sind natürlich genötigt, das höherwertige Gerät zu kaufen, um ihren Kindern keinen Nachteil zukommen zu lassen. Dadurch fallen schnell 60 Euro an.

Weiteres in der nächsten Runde.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Nun spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Zais. Frau Zais, Sie haben das Wort. Frau Zais, 3 Minuten und 5 Sekunden. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bezüglich des Schulstarts muss man sagen, dass es sicherlich auf die Perspektive ankommt. Aus der Perspektive meiner siebenjährigen Enkelin, die dieses Jahr in die 2. Klasse gekommen ist, ist dieser Schulstart hervorragend gewesen. Die Lehrerinnen und Lehrer sind hoch motiviert. Meine Enkelin spricht mittlerweile die vietnamesischen und indischen Namen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler besser aus, als ich es je konnte, und sie hat auch schon ihre erste Zensur bekommen, eine 1 minus in Mathe. Ich bin erstaunt, mit welcher Freude sie darauf reagierte und

sogar noch gestern Abend relativ spät damit anfing, für das demnächst anstehende Diktat zu üben.

Ich sage Ihnen das Beispiel, weil ich immer wieder erstaunt bin, wenn ich sehe, mit welchem großen Engagement Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen ihren Job machen, mit welchen Idealen und mit welchem hohen pädagogischen Bildungsniveau sie sozusagen an die Befähigung unserer Kinder und Jugendlichen gehen, um sie auf das Leben vorzubereiten und ihnen nicht nur das Nötigste, sondern das Notwendige für das Leben heute zu lehren. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite, eine andere Perspektive ist die ihrer Freundinnen, die an eine andere Chemnitzer Grundschule gehen. Dort gab es bereits in der ersten Wochenstunde Ausfall, planmäßigen Ausfall. Es gibt eine ganze Reihe von Chemnitzer Schülerinnen und Schülern im Grundschulbereich, insbesondere in der 2. Klasse, wo das Schwimmen bis auf Weiteres ausfällt, weil die Hallenkapazitäten nicht zur Verfügung stehen. Auch das sind Beispiele, wo ich sage: Ganz so rosig ist es mit dem reibungslosen Schulstart tatsächlich nicht.

Aus grüner Perspektive möchte ich aber trotzdem noch hinzufügen, wenn wir auf das sächsische Bildungssystem schauen, dann ist natürlich nicht nur die Frage zu stellen, wie der Schulstart ist, sondern man muss auch fragen, was am Ende herauskommt. Der Schulstart kann tatsächlich holprig sein, aber die Frage ist: Wie bekommt man es tatsächlich gebacken und was kommt dabei heraus.

Die Frage, was kommt dabei heraus, wird immer wieder unter anderem mit dem Verweis auf bestimmte Monitoringverfahren beantwortet. Dabei haben wir den sogenannten Bildungsmonitor 2015 herangezogen. Der ist ganz frisch und aktuell. Der wurde von unserer Staatsministerin mit den Worten zitiert: „Sachsen hat das beste Bildungssystem Deutschlands.“ Das ist übrigens – Herr Kollege Bienst, und täglich grüßt das Murmeltier – dieselbe Überschrift wie die der Pressemitteilung aus dem vorangegangenen Jahr.

(Lothar Bienst, CDU: Das ist doch aber so!)

Das ist nicht ganz so. Wenn man sich das System tatsächlich einmal anschaut, dann muss man sagen, dass das sächsische Schulsystem deutliche Schwächen hat. Auf die Altersstruktur, Seiteneinsteiger und schulartfremdes Lehrpersonal sind die Vorrednerinnen schon eingegangen. Ich finde, man muss genau hinschauen, inwieweit die Qualität der pädagogischen Bildung dadurch tatsächlich auf Dauer gesichert werden kann. Ich finde, die Kritik der GEW zu diesem Thema besteht zu Recht.

Bitte zum Schluss kommen.

Es rächt sich, dass die Attraktivität des Lehrerberufs über Jahre vernachlässigt wurde.

Sachsen hat hohe Abbrecherquoten; insbesondere sollte es uns tatsächlich vorsichtig stimmen, dass die Abbrecher

quote gerade bei ausländischen Schulabsolventinnen steigt.

Frau Zais, die Redezeit ist abgelaufen.

Wir haben heute früh über das Thema Herausforderungen beim Thema Asyl diskutiert. Wir GRÜNE sehen entsprechende – –

(Der Präsident stellt das Mikrofon der Rednerin ab.)

Herausforderungen, auf die wir noch eingehen.

Frau Zais, ich hatte Sie darauf hingewiesen.

(Petra Zais, GRÜNE: Es gab heute schon einmal eine Minute länger!)

Das kann schon sein. Ich bin ich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Es gibt noch Redebedarf für eine zweite Runde aus den Reihen der Fraktion DIE LINKE. Frau Abg. Falken, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bienst, solange Sie in Ihrer Fraktion nicht begreifen, wie brisant die Lage zurzeit ist oder in den nächsten Jahren sein wird, solange werden Sie von uns immer wieder über Aktuelle Debatten oder über Anträge in diesem Parlament mit diesem Thema konfrontiert werden, weil: