Ich rufe auf Punkt II.2. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltungen. Stimmen dafür, dennoch wurde Punkt II.2 mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt II.3. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist Punkt II.3 dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden.
Ich rufe auf Punkt II.4. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltungen. Stimmen dafür, dennoch wurde der Punkt mehrheitlich abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt II.5. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen, bitte? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltungen. Stimmen dafür, dennoch ist auch Punkt II.5. mit Mehrheit abgelehnt worden.
Auch hierzu wird es eine Diskussion geben. Es beginnt die antragstellende Fraktion, danach folgen CDU, SPD, DIE LINKE, AfD und die GRÜNEN. Wir werden hierzu durch eine Gebärdendolmetscherin unterstützt, die ich sehr herzlich begrüße.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Sächsischen Landtages! Sehr geehrte Dolmetscherin! Der Antrag der Fraktionen CDU und SPD widmet sich einer im Gesamtverhält
nis kleinen, dafür aber vom Leben in besonderer Weise benachteiligten Gruppe von Menschen: den Taubblinden.
Auch wenn „taubblind“ nicht gleichbedeutend mit „völlig taub“ und „völlig blind“ ist, so sind diese Sinneswahrnehmungen bei den Betroffenen zumindest sehr stark eingeschränkt. Von wie vielen Menschen wir sprechen, kann nicht genau gesagt werden. Man schätzt sehr verantwortungsbewusst etwa 4 000 bis 9 000 Personen in Deutschland, heruntergebrochen auf Sachsen heißt das 200 bis 500 Personen.
Mit unserem Antrag soll erreicht werden, die tatsächliche Zahl der Betroffenen in Sachsen genauer zu quantifizie
ren, aber vor allem deshalb, um deren konkrete Lebenssituation besser zu kennen und zu verstehen. Natürlich soll damit auch ein qualifizierter Beitrag zu dem in Erarbeitung befindlichen Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geleistet werden; denn das verdienen die so sehr benachteiligten Menschen in ganz besonderer Weise.
Auch die Ausbildungs- und Weiterbildungssituation der taubblinden Assistentinnen und Assistenten und der taubblinden Dolmetscherinnen und Dolmetscher soll mit diesem Antrag hinterfragt werden, um gegebenenfalls bestehende Nachholbedarfe festzustellen und notwendige Veränderungen herbeizuführen.
Der aus meiner Sicht wichtigste Bestandteil des Antrages ist die Einführung des Merkzeichens TBI (taubblind) in den Schwerbehindertenausweisen der Betroffenen, um damit die Taubblindheit als eigene ständige Behinderung zu erfassen – dieses Merkzeichen dient dem Nachweisen einer besonderen Schwere der Behinderung –, um daraus das Recht auf bestimmte Nachteilsausgleiche und Sozialleistungen abzuleiten.
Die relative Seltenheit dieser doppelten Behinderung und das dadurch hervorgerufene sehr zurückgezogene Leben der meisten Taubblinden hat sicher wesentlich dazu beigetragen, dass diese Form der Behinderung weder im Alltag noch bei öffentlichen Stellen in Unternehmen bis hin zu Ärzten kaum, aber zumindest viel zu wenig bekannt ist. Mit der Eintragung eines Merkzeichens wird sich diese Situation sicher nicht gleich dramatisch verbessern, aber immerhin kann man auf eine stärkere Wahrnehmung hoffen, und die Betroffenen können belegen, dass sie spezielle Hilfsmittel, Assistenz- sowie Dolmetscher- und Rehabilitationsangebote brauchen, um sich besser als bisher am normalen Leben beteiligen zu können.
Zu dem Thema des eigenen Merkzeichens wurde auf der 89. Arbeits- und Sozialministerkonferenz in Hannover bereits 2012 ein entsprechender Beschluss gefasst. Zunächst galt es, die gesundheitlichen Voraussetzungen für ein Merkzeichen TBI zu definieren und danach durch eine Änderung der Schwerbehindertenausweisverordnung das Merkzeichen auch tatsächlich einzuführen.
Darüber hinaus sollen daraus folgende Änderungsbedarfe bei der Blindenhilfe im SGB XII, im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und in der Kommunikationsverordnung und in der Verordnung über barrierefreie Dokumente von der Bundesverwaltung geprüft werden. Leider sind wir aber so weit nicht.
Deshalb unser Antrag und damit Auftrag an die Ministerin, sich nachdrücklich dafür einzusetzen, dass der vorhandenen Beschlusslage nun endlich auch die praktische Umsetzung folgen möge.
Ich hoffe auf eine sehr breite Unterstützung unseres Antrages, denn die Betroffenen brauchen unsere Aufmerksamkeit und vor allem unsere Unterstützung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Punkt auf die Spitze des Daumens, ein Strich auf dem Zeigefinger und ein Punkt auf dem Handgelenk – so beginnt das ABC, das Lorm-ABC. So können, wenn sie es beherrschen, taubblinde Menschen miteinander kommunizieren. Wenn Sie das jetzt einmal ausprobieren mögen mit Ihrem Sitznachbarn – es ist ja jetzt erst mal nur A, B und C –, dann werden Sie schnell feststellen, es dauert ganz schön lange, bis man auf diese Art und Weise überhaupt erst einmal einen Satz zustande bekommt. Nun ist es aber so, dass taubblinde Menschen, die Lorm beherrschen, dies in teilweise atemberaubender Geschwindigkeit können. Doch egal, wie rasant sie das tun, sie brauchen immer eine Mittelsperson dazu, denn – das gilt nicht nur für taubblinde Menschen – kommunizieren kann man nicht allein. Ohne eine Kontaktperson, ohne Unterstützung sind taubblinde Menschen der völligen Isolation preisgegeben.
Ich freue mich sehr, dass wir mit unserem heutigen Antrag einen wichtigen Schritt aus dieser Isolation heraus gehen können. Dazu müssen wir zunächst nachvollziehen: Wie leben taubblinde Menschen in Sachsen? Wie viele sind es? Wo und wie leben sie? Wie ist ihre Lebenssituation?
Es ist bisher noch nicht vorgekommen, dass mir der Berichtsteil eines Antrages von so immenser, so grundlegender Bedeutung erschien. Tatsächlich ist der deskriptive Teil des Antrages hier ein ganz grundlegender, weil wir so wenig über diese Menschen wissen.
Über den deskriptiven Anteil hinaus fordern wir mit unserem Antrag, dass die Belange von taubblinden Menschen bei der derzeitigen Erstellung eines Aktions- und Maßnahmenplanes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention besondere Berücksichtigung erfahren.
Warum fordern wir das? Weil diese zweifache Sinnesbehinderung einen großen Unterschied zu einer einfachen Sinnesbehinderung ausmacht. Sie müssen sich vorstellen, bei einer einfachen Sinneseinschränkung haben Sie immer die Möglichkeit, diesen Verlust mit einem anderen komplementären Sinn zu kompensieren. Das ist bei dieser doppelten Einschränkung nicht möglich und das macht diese Behinderung so besonders. Das macht auch den Zugang für uns zur Kommunikation mit diesen Menschen sehr, sehr schwierig.
Ein dritter Punkt, den wir mit diesem Antrag heute gern bewältigen wollen, ist das eigene Merkzeichen; Kollege Krasselt hat es schon angesprochen. Bisher ist die Sachlage so, dass die taubblinden Menschen das Merkzeichen für taub und das Merkzeichen für blind in ihrem Ausweis haben. Nun werden die Logiker unter Ihnen sagen: Das ist
doch eine prima Sache, sie sind taub und blind, und wenn dies im Ausweis steht, dann passt es doch. Das ist leider nur in der Theorie so. Rein praktisch stellt es diese Menschen vor ganz große Probleme, denn was ein Mensch, der taub oder gehörlos ist, kann, und was ein Mensch, der blind ist, kann, das kann ein Mensch, der taubblind ist, nicht zwangsläufig.
Ich will es Ihnen an einem praktischen Beispiel erläutern: Für das Thema Einkaufen gibt es für blinde Menschen kein Recht auf eine Assistenz; da wird kein Geld lockergemacht, damit sie eine Assistenz bekommen. Man geht davon aus – das haben Sie vielleicht auch schon beobachtet –, dass jemand, der blind ist, wenn er vielleicht einen Helfer mit hat oder wenn ihm im Supermarkt jemand aushilft, diesen Einkauf durchaus selbst bewältigen kann. Jemand, der gehörlos ist, kann auch selbst einkaufen – er sieht die Waren, er kann mit dem Geld umgehen, es ist für ihn möglich. Daraus folgt aber: Wer das Merkzeichen taub und blind hat, muss auch allein einkaufen gehen. Nun stellen Sie sich das einmal vor, wenn Sie taub und blind sind. Das ist schlichtweg unmöglich.
Vor solche ganz praktischen Barrieren sind taubblinde Menschen heute gestellt, weil sie das eigene Merkzeichen noch nicht haben. Deswegen hat es weitaus mehr als eine symbolische Bedeutung, dass sie dieses eigene Merkzeichen bekommen.
Darüber hinaus muss ich sagen: Ich fände es schon mehr als anständig, wenn es in unserer sehr facettenreichen Welt der Bezeichnungen in der Verwaltung diese Menschen tatsächlich auch gäbe. Es muss ein komisches Gefühl sein, wenn man in der Behördenwelt oder in der Welt der Sozialgesetzbücher überhaupt nicht existiert.
In Vorbereitung auf die Debatte habe ich festgestellt, dass wir sehr wenig über taubblinde Menschen wissen; es taten sich auch einige Fragen auf. Eine war zum Beispiel: Warum brauchen wir für eine Debatte zum Thema taubblinde Menschen Gebärdensprachdolmetscher; sie haben doch gar nichts davon? – Könnte man meinen. Zunächst möchte ich dazu etwas ganz Grundlegendes sagen: Meines Erachtens brauchen wir hier im Landtag für jede Debatte Gebärdensprachdolmetscher;
denn alle Themen, die wir hier besprechen, sind für einen gehörlosen Menschen genauso interessant wie für einen Hörenden, und es gibt keinen objektiven Grund, gehörlosen Menschen den Zugang zu unserer Politik zu verwehren.
Es gibt aber noch einen naheliegenderen Grund, der etwas mit der Krankheitsgeschichte von Taubblinden zu tun hat: Nicht jeder Taubblinde ist von Geburt an taubblind; viele sind es durch einen Gendefekt und werden es erst durch einen Gendefekt, durch das sogenannte Usher-Syndrom. Bei ihnen ist es so, dass sie erst im Laufe ihres Lebens erblinden, aber manchmal sogar jahrzehntelang noch
sehen können. In dieser Zeit lernen sie die deutsche Gebärdensprache. Das heißt, etliche taubblinde Menschen sind über einen gewissen Zeitraum, wenn sie noch sehen können, der deutschen Gebärdensprache durchaus mächtig. Auch deshalb ist unsere Übersetzung mithilfe von Gebärdendolmetschern sinnvoll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ganz viele Arten, wie taubblinde Menschen miteinander kommunizieren, zum Beispiel durch das Lorm-Alphabet, das ich Ihnen schon zu zeigen versucht habe. Es ist aber auch noch eine vielfältigere taktile Sprache. Zum Beispiel diejenigen, die Gebärdensprache gelernt haben, versuchen später, wenn sie nicht mehr sehen können, taktil zu gebärden – das ist gar nicht so einfach zu verstehen – oder sie haben ihre eigenen taktilen Gebärden, die sie sich nicht nur auf die Hände aufzeichnen. Wenn zum Beispiel jemand einem Menschen, der taubblind ist, anzeigen möchte, dass hier im Saal gerade eine besonders fröhliche oder heitere Stimmung vorherrscht, dann würde er zu ihm hingehen und ihm einen Smiley auf die Schulter malen – Sie können es ja auch einmal probieren.
Wir hoffen einfach, dass wir mit unserem heutigen Antrag eine positive, eine fröhliche Stimmung bei Menschen, die taubblind sind, erzeugen können.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Krasselt, na bitte! Es geht doch! Das hätten wir alles schon in den vergangenen Legislaturen haben können. Willkommen in der neuen Zeit!
Meine Damen und Herren! Wenn es von der Koalition heute einen solchen Antrag gibt, wird es natürlich schwer, jetzt noch irgendetwas Neues zu sagen. Miteinander reden, sich austauschen, Erlebnisse teilen – Kommunikation ist elementar für das Miteinander. Für Menschen ohne Beeinträchtigung ist dies eine Selbstverständlichkeit, für Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkungen manchmal nicht ganz unproblematisch, aber machbar.