Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

Sie kennen bestimmt den Satz von Immanuel Kant: „Nicht-Sehen trennt den Menschen von den Dingen. Nicht-Hören trennt den Menschen von den Menschen.“ Wie geht es nun aber Menschen – Hanka Kliese hat es schon beschrieben –, die weder sehen noch hören können, bei denen quasi 80 % der Sinneswahrnehmung ausfallen?

Um diese Menschen geht es in dem vorliegenden Antrag. Taubblinde sind in besonderer Weise in ihrer Kommunikation und Mobilität eingeschränkt. Wir können die Probleme taubblinder Menschen bei der Kommunikation,

beim Zugang zu Bildung, zu Arbeit und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Frage, wie es ihnen dabei geht, nicht wirklich nachvollziehen.

Es dürfte unstreitig sein: Auch Taubblinde sind Menschen – Menschen, die Rechte haben: ein Recht auf Bildung, ein Recht auf Arbeit, ein Recht auf Leben in der Gemeinschaft, die sie in ihrer kulturellen Vielfalt prägt.

Lassen Sie uns also dafür sorgen, dass auch taubblinde Menschen ihre Rechte wahrnehmen können, dass also entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, damit Barrieren, die die Teilhabe dieser Menschen behindern, beseitigt werden.

Das war sehr anschaulich, Hanka Kliese. Ich hatte mir das auch vorgenommen. Das ist weggenommen, und ich will es nicht wiederholen, da es sonst langweilig wird.

Aber gestatten Sie mir noch einen Hinweis, meine Damen und Herren – vor allen Dingen: meine Damen und Herren von der Koalition, insbesondere von der CDU –: Eines solchen Antrags würde es heute vielleicht gar nicht bedürfen, wenn Sie bereits in der 5. Legislatur den Gesetzentwurf von SPD und LINKEN für ein Sächsisches Inklusionsgesetz bestätigt hätten.

Nun ist die SPD uns abhandengekommen – nein, mit der CDU in der Koalition. Nun endlich erkennt auch die CDU: Selbstverständlich können auch taubblinde Menschen Kindertagesstätten und Schulen besuchen. Sie können wohnen und arbeiten. Nur, sie brauchen dafür eben eine besondere Unterstützung.

Wir begrüßen diesen Antrag ausdrücklich. Vielen herzlichen Dank.

Alle anderen Dinge sind schon gesagt worden. Mit Wiederholungen möchte ich Sie nicht langweilen. Wir freuen uns, dass es den Antrag gibt.

Wir verhalten uns in der Opposition nicht so, dass wir das, was von anderer Seite vorgeschlagen wird und unsere Zustimmung findet, ablehnen. Das unterstützen wir selbstverständlich. Wir wünschen uns, dass sich – im Umkehrschluss – auch die Koalition so verhält. Das wäre sachgerechte, sachlich orientierte Politik, die für den Freistaat Sachsen nottut.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD, der AfD und den GRÜNEN)

Auch ich würde mir für meine Fraktion wünschen – ich spreche im Namen der Fraktion –, dass wir es schafften, dass Gebärdensprachdolmetscher alle Tagesordnungspunkte begleiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der CDU, der SPD, der AfD und den GRÜNEN)

Für die AfD Frau Abg. Grimm, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Dieser Antrag von CDU und SPD ist längst überfällig; denn seit März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland rechtsverbindlich. Sie ist damit bindendes Menschenrecht und verleiht Menschen mit Behinderungen einklagbare Rechte, vor allem das Recht auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe in allen Bereichen.

Die derzeit bestehenden unüberwindbaren Hürden für taubblinde Menschen stehen nicht im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Das muss umgehend geändert werden. Bei Taubblindheit handelt es sich um eine doppeltschwere Sinnesbehinderung von Menschen. Deshalb sind die Betroffenen im Vergleich zu anderen behinderten Menschen in ihrer Mobilität, ihrer Kommunikation und ihrem Informationszugang im Alltag auf besondere Weise eingeschränkt und mit zunehmender Verschlechterung des Seh- und Hörvermögens auf fremde Hilfe angewiesen.

Nicht vernachlässigt werden darf in diesem Zusammenhang auch die stetig wachsende Zahl an älteren Menschen mit Taubblindheit, welche durch die Kombination der altersbedingten Hör- und Sehbeeinträchtigung entsteht.

In Moritzburg gibt es mit der Diakonischen Akademie eine von fünf bundesweit agierenden Bildungseinrichtungen, welche Assistenten für taubblinde Menschen ausbildet. Der erste Kurs der im Januar dieses Jahres begonnenen Ausbildung steht kurz vor dem Abschluss. Dank umfassender Förderung können sich zwölf zukünftige Assistenten auf ein unbedingt notwendiges Arbeitsfeld vorbereiten.

Nachholbedarf gibt es allerdings noch bei der Klärung der Kostenübernahme für diese Tätigkeit. Hier sollte die Staatsregierung auf die Krankenkassen zugehen und eine – möglichst bundesweit einheitliche – Regelung schaffen.

Der in fast allen Lebensbereichen erhöhte Förderbedarf taubblinder Menschen ist im System der Sozialleistungen kaum verankert. Das gilt für die Schaffung einer Anlaufstelle für Taubblinde und deren Assistenten gleichermaßen. Hier könnte Sachsen eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen, da dies augenblicklich ein offensichtliches Manko in der Betreuung von Taubblinden darstellt. Die Inklusion dieser Menschen kann daher nur gelingen, wenn sie im Alltag durch eine persönliche Assistenz unterstützt werden und frühzeitig geeignete Kommunikationsformen erlernen können.

Sachsen sollte mit den Behindertenverbänden Modelle entwickeln, die diesen Bedürfnissen Rechnung tragen und gleichzeitig dem Mangel an geeigneten Fachkräften entgegenwirken. Auch im eigenen Bundesland muss Sachsen die Ausbildung von Assistenten für Taubblinde durch konsequente Weiterführung der Förderung sowie der Aus- und Fortbildung voranbringen.

Es ist dringend notwendig, dass sich Sachsens Regierung auf Bundesebene für diese Menschen starkmacht, damit endlich die Anerkennung der Taubblindheit als Behinde

rung eigener Art akzeptiert und amtlich anerkannt wird. Die Anerkennung dieser Behinderung sollte im Rahmen der Gewährung des Merkzeichens „Taubblind“ im Schwerbehindertenausweis erfolgen. Diese Eintragung könnte es den Betroffenen erleichtern, die Besonderheit ihrer Behinderung nachzuweisen. Das würde zu einer genauen Erfassung der Anzahl dieser Menschen in den Statistiken führen.

Meine Damen und Herren! Wenn in Sachsen ein Wolf erschossen wird und einen Tag später zu wissenschaftlichen Zwecken in die Röhre kommt, ist es den Menschen im Land schwer zu vermitteln, dass für kranke und behinderte Menschen die von mir genannten Maßnahmen nicht möglich sein sollen.

Die AfD-Fraktion wird diesem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion GRÜNE Herr Abg. Zschocke, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist richtig und dringend notwendig, kommt aber viel zu spät. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum die CDU diesem Antrag nicht schon vor vier Jahren zugestimmt hat.

Dieser gute Antrag ist eben leider auch ein trauriger Beleg dafür, dass es, was die Zustimmung der CDU-Fraktion zu einem Anliegen betrifft, eben nicht auf Inhalt oder Notwendigkeit ankommt, sondern ausschließlich darauf, wer dieses Anliegen hier im Landtag einbringt. Schon im Jahr 2011, als die SPD die Lebenssituation und die enormen Probleme taubblinder Menschen hier im Landtag zum Thema gemacht hatte, haben Sie dieses Anliegen zwar inhaltlich geteilt, Sie konnten sich aber nicht dazu durchringen, das zu unterstützen.

Der dringende Handlungsbedarf für eine Gruppe von Menschen, die unter schwierigsten Problemen bei der Teilhabe leidet, wurde um Jahre verschleppt, nur weil das Anliegen damals von der Opposition – die SPD war damals in der Opposition – eingebracht wurde. Ich appelliere dringend an die Koalition: Meine Damen und Herren, überwinden Sie diese politische Unkultur in dieser Legislatur. Es gibt Themen, die sind für solche Machtspielchen einfach nicht geeignet, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Wir wollen gemeinsam die Lebenssituation taubblinder Menschen in Sachsen verbessern. Deshalb stimmen wir zu. Es ist gut, dass die SPD ihr Anliegen zur Verbesserung der Teilhabe für Taubblinde hier jetzt noch einmal einbringt, denn es ist seit 2011 auch nicht vorwärts gegangen. Das eigenständige Merkzeichen für Taubblinde wurde vom Bundessozialministerium zwar in Aussicht gestellt, es ist aber noch immer nicht Realität.

Ein Taubblinder erhält als gehörloser Mensch anstandslos eine Lichtklingel. Die hilft ihm aber nicht, denn er braucht eine Vibrationsklingel. Das leuchtet jedem sofort ein. Trotzdem gibt es im Jahr 2015 immer noch diese Probleme mit den Hilfsmitteln. Der Handlungsbedarf, meine Damen und Herren, ist enorm. Es wird Zeit, endlich auch in Sachsen die Bedürfnisse Taubblinder stärker und entschlossener ins Blickfeld zu rücken.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Wird von den Fraktionen noch einmal das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung. Frau Ministerin, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Taubblinde Menschen sind aufgrund der Beeinträchtigung zweier Sinne in besonderem Maße in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt. Dass sie in der letzten Zeit stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt werden, begrüße ich sehr, denn dadurch wird die Öffentlichkeit für ihre Belange doch ein ganzes Stück mehr sensibilisiert.

Gemessen an der Herausforderung, die taubblinde Menschen täglich meistern, ist unsere Herausforderung, vor der wir stehen, geradezu marginal. Diese Herausforderung liegt nämlich darin, dass es den Fachleuten bisher nicht gelungen ist, sich auf eine einheitliche Definition zu einigen. Denn gravierende Einschränkungen in der täglichen Lebensführung ergeben sich bereits dann, wenn die Beeinträchtigung des einen Sinnes nicht mehr durch den jeweils anderen Sinn ausgeglichen werden kann, das heißt, die betroffenen Menschen müssen nicht vollständig taub und/oder blind sein, um erhebliche Beeinträchtigungen zu erleiden.

Die Voraussetzungen für ein Merkzeichen „TBl“ müssten im Gesetz klar und unmissverständlich geregelt werden. Ohne einheitliche Definition ist das schwierig. Das ist der Grund, weshalb sich der Bund und die Länder noch nicht auf die Einführung eines Merkzeichen „TBl“ einigen konnten.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, legen wir unsere besondere Aufmerksamkeit auf die Unterstützung von Vereinen. Mein Haus pflegt zum Beispiel engen Kontakt zum Taubblindendienst e. V. und seiner Gründerin, Frau Pastorin Ruth Zacharias. Wir haben Projekte und Bauvorhaben dieses Vereins schon umfangreich gefördert. Ich kann Ihnen daher versichern, dass in meinem Haus den Belangen der taubblinden Menschen die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird.

So unterstützt mein Haus mit Fördermitteln in erheblicher Höhe zum Beispiel auch den ersten Ausbildungsgang zum Taubblindenassistenten. Wir haben es schon gehört:

Dieser Ausbildungsgang wird seit dem Frühjahr an der Diakonischen Akademie Moritzburg in Zusammenarbeit mit dem Taubblindendienst durchgeführt. Über weitere Folgeprojekte finden gegenwärtig Gespräche statt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entsprechend der Koalitionsvereinbarung haben wir im Frühjahr begonnen, einen Landesaktionsplan der Staatsregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu erarbeiten. Das ist ein langer und aufwendiger Prozess, an dem vor allem auch Vertreter der Verbände der Menschen mit Behinderung beteiligt werden. Ich hatte schon berichtet: Eine interministerielle Arbeitsgruppe hat dazu fünf Arbeitsgruppen eingesetzt und mit verschiedenen Handlungsfeldern bestückt. Ein Querschnittsthema, das in allen Handlungsfeldern berücksichtigt wird, sind mehrfachbehinderte Menschen. Ich werde darauf achten, Herr Wehner,

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

dass auch die Belange taubblinder Menschen letztlich Eingang in den Landesaktionsplan finden werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das Schlusswort haben die Fraktionen CDU und SPD. Frau Kliese, bitte.