Protokoll der Sitzung vom 20.11.2015

Das wäre konsequent, denn das folgt aus Ihrem Antrag.

(Zuruf der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Ihr Angriffsziel sind also die Ebenen der Europäischen Union. Um sich dem Thema inhaltlich zu widmen, sei angemerkt: Seit 1999 hat die Europäische Union die Kompetenz, das Flüchtlingsrecht zu regeln. Die Qualifikationsrichtlinie definiert seit 2004 den Flüchtlingsschutz für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich.

(Zuruf der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Auch die EU-Grundrechtecharta garantiert in den Artikeln 18 und 19 ein Recht auf Asyl. Das heißt, das individuelle Recht auf Asyl besteht auf EU-Ebene fort, auch wenn wir zum Beispiel im Grundgesetz weiter einschränken. Zudem sind alle EU-Staaten Unterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention und des Zusatzprotokolls über die Rechtsstellung von Geflüchteten.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Sie können Asyl und GFK nicht auseinanderhalten!)

Ein wesentlicher Kern der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Refoulement-Verbot. Ich weiß nicht, ob Sie davon schon gehört haben. Das ist der Grundsatz der Nichtzurückweisung. Asylsuchende, die an der Grenze eines EU-Staates – das gilt auch für Deutschland – Asyl beantragen, werden vor Zurückweisung geschützt. Ob ihnen ein Flüchtlingsstatus zusteht oder nicht, wird in einem rechtsstaatlichen Verfahren entschieden, und bis dahin haben die Menschen Schutz in den EU-Staaten.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Aber nicht ohne Pass!)

Auch der Zugang zum Asylverfahren ist nach den Richtlinien gewahrt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie als antragstellende Fraktion sich dieser Grundlage bewusst sind.

(Beifall bei den LINKEN)

Nach Ihrem Antrag sollen Asylbegehrende in den außereuropäischen Transitländern abgewickelt werden. Die humanitäre Katastrophe soll also vom reichen Westen schön ferngehalten werden. Ein derartiger Chauvinismus ist mir zutiefst zuwider und er ist glücklicherweise rechtswidrig, wie ich es gerade dargelegt habe.

(André Barth, AfD: Wo ist das rechtswidrig?)

Zudem muss ich Ihnen sicherlich nicht erzählen, was in den Anrainerstaaten, unter anderem Syrien, los ist, in welchem Maße die Stabilität der kleinen Staaten Libanon oder Jordanien in Gefahr ist und welche Zustände in den Flüchtlingslagern in der Türkei oder in den afrikanischen Staaten herrschen. Oder soll ich Ihnen erzählen, dass die Hilfsprogramme für Flüchtlinge – das konnte man der Presse in den letzten Wochen entnehmen – im Umfeld von Syrien chronisch unterfinanziert sind und dass die Menschen nicht mal einen Dollar am Tag zum Überleben haben?

(André Barth, AfD: Frau Nagel, das haben wir selber schon im Plenum erzählt, das ist nichts Neues!)

Nein, wir werden die Menschen nicht aufhalten – weder durch Selektionssysteme in den afrikanischen oder asiatischen Staaten noch durch die weitere Abschottung der Festung Europa, was Sie ja wollen. Damit würden wir eine Verschärfung der humanitären Katastrophe produzieren und noch mehr Menschen würden auf der Flucht zu Tode kommen.

(Dr. Frauke Petry, AfD, steht am Mikrofon.)

Wir brauchen sichere Fluchtwege in das Herz des Wohlstands, in die Europäische Union. Das ist die Überzeugung meiner Fraktion.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Petry, bitte.

Frau Nagel, ist Ihnen bewusst, dass Sie soeben den Grundsatz der Zurückweisung falsch wiedergegeben haben?

Nein, das ist mir nicht bewusst.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Das habe ich mir gedacht! – Lachen bei der AfD)

Während die Bundesregierung im Sommer mit der Aussetzung der Dublin-III-Regelung – wir haben darüber schon gehört – für Geflüchtete aus Syrien einen lichten Moment hatte – das ist meine Auffassung –, ist es kaum verwunderlich, dass Sie sich in den Chor derer einreihen, die diese Regelung wieder konsequent durchsetzen wollen. Beim Festhalten an diesem vollends gescheiterten System sind Sie nicht allein; das haben wir von Herrn Hartmann gehört. Solange wir allerdings keine Harmonisierung der europäischen Asylsysteme haben, und das auf einem hohen Niveau – Pro-Asyl spricht davon, dass nur acht bis zehn Mitgliedsstaaten überhaupt ein etabliertes Schützsystem haben –, müssen wir weder über Dublin noch über die europäische Verteilquoten sprechen.

Wir als LINKE wollen Dublin endlich begraben. Neben dem Fakt des klaren Scheiterns ist es ein unsolidarisches und unmenschliches System. Von diesem System hat bisher vor allem Deutschland profitiert; das kommt jetzt quasi zurück. Es ist ein Instrument, das vor allem im Interesse Deutschlands ist, und das machen selbstverständlich andere europäische Staaten nicht mit.

Als LINKE stehen wir für die Harmonisierung der europäischen Asylsysteme auf einem hohen Niveau. Wir weisen unter anderem darauf hin, dass die EUAufnahmerichtlinie, die menschenwürdige Standards bei der Aufnahme Geflüchteter in Deutschland und ein faires Asylverfahren festschreibt, in Deutschland immer noch nicht umgesetzt ist. Wir stehen für ein offenes Europa, das Menschen sicher und würdig aufnimmt und nicht an den Außengrenzen aussperrt oder sterben lässt.

Sie, Damen und Herren von der AfD, wollen mit dem Antrag anheizen, humanitäre und rechtsstaatliche Standards absenken und Geflüchtete noch mehr entrechten.

(Carsten Hütter, AfD: Furchtbar, Frau Nagel, was Sie hier erzählen!)

Das, was CDU und CSU diskutieren, was die Große Koalition auf Bundesebene bereits an Grausamkeiten durchgesetzt hat und noch durchbringen will – uns steht ja

ein neuer Gesetzentwurf ins Haus –, reicht Ihnen nicht aus. So findet sich im Antrag – darauf will ich nicht weiter eingehen – ein Potpourri aus fremdenfeindlich gefärbten, den Menschenrechten widerstrebenden und gegen EU-Recht verstoßenden Vorschlägen.

(Zurufe von der AfD)

Ein noch krasserer Angriff auf den Familiennachzug soll es sein, als ihn der Bundesinnenminister selbst vorschlägt: die oft zitierte Obergrenze für Asyl, restriktive aufenthaltsrechtliche Maßnahmen gegen sogenannte kriminelle Ausländer, Passentzug, Ausweitung der Abschiebehaft, Abschiebelager. Mit diesen Maßnahmen wollen Sie auf der Straße glänzen und anscheinend dem außer Rand und Band geratenen Mob – so muss man es in Sachsen teilweise nennen – Futter geben. Ihre geheuchelte Sorge um von Diskriminierung betroffene Asylsuchende in Unterkünften, um von sexueller Gewalt und von Gewalt Betroffene – um die wir uns auch wirklich kümmern müssen –

(André Barth, AfD: Woher wissen Sie das?)

ist für Sie nur ein weiteres Element Ihrer Hetze gegen Flüchtlinge. Teilweise erwecken Ihre Pressemitteilungen und Facebookeinträge den Eindruck, dass es sich bei Asylsuchenden systematisch um Vergewaltiger oder um gewaltvolle Menschen, um Schwerstkriminelle handeln würde. Das wollen Sie mit Ihrem Antrag noch befeuern.

(Zuruf des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Genauso macht die Forderung nach Erfassung der Religionszugehörigkeit, die sich in Ihrem Antrag befindet, Sinn. Sie wollen es sozusagen schön verpacken und Lügen über die Geneigtheit muslimischer Männer in den Umlauf bringen.

(André Barth, AfD: Da sollte man christliche Minderheiten in Erstaufnahmeeinrichtungen eher schützen!)

Das ist ein Skandal.

Das ist unerträglich, und wir werden Ihren Antrag aus tiefstem Herzen ablehnen. Er ist dazu geeignet, die Stimmung in diesem Land weiterhin negativ anzuheizen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Pallas, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben hier einen Antrag vorliegen mit der Überschrift „Mutige Schritte wagen – wirkliche Verbesserungen des Asylverfahrens in Gang setzen“. Die antragstellende AfDFraktion suggeriert das zwar mit ihrer Überschrift und den vielen kleinteiligen Punkten, welche sie mit etwas größerem Fleiß als sonst zusammengetragen hat,

(Lachen der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

aber ich möchte dennoch kurz aufzeigen, dass weder ihr Antrag noch die Maßnahmen mutig oder gar eine Verbesserung sind.

Mutig wäre im ersten Schritt, einmal die konkrete Situation zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen. Wichtig sind aus meiner Sicht folgende Punkte: Es sind nach wie vor weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das kann weder jetzt noch in Zukunft sowohl von der Weltgemeinschaft als auch von der EU oder Deutschland ignoriert werden. Als Deutsche leben wir nicht auf einer Insel, und als eines der reichsten Länder der Welt, welches in anderen Zusammenhängen gern nach mehr Einfluss in der Weltgemeinschaft strebt, haben auch wir eine Verantwortung, weiterhin tatkräftig mitzuhelfen.

Von den Flüchtlingen weltweit will und geht bei Weitem keine Mehrheit in die Europäische Union oder nach Deutschland, aber es sind tatsächlich viele, die aus unterschiedlichen Regionen und aus unterschiedlichen Fluchtgründen nach Deutschland kommen.

Klar ist, dass wir als Deutsche insgesamt, aber auch wir in Sachsen durchaus organisatorische Probleme bei der Aufnahme und Unterbringung und mit der Gesamtsituation haben, die wir dringend lösen müssen. Klar ist auch, dass eine Reduzierung, eine Verlangsamung der Flüchtlingsbewegung hilfreich wäre.

Aber bitte nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass sich Deutschland faktisch nicht abschotten kann. Selbst bei geschlossenen Grenzen finden Flüchtlinge und die Schleuser, die sie über die Grenzen bringen, ihren Weg, und ist er auch noch so gefährlich. Das kann weder für uns noch für sie eine gute und realistische Option sein.

(Dr. Frauke Petry, AfD, steht am Mikrofon.)

Wirklich mutig wäre, dies anzuerkennen und die eigentliche Aufgabe anzunehmen. Die Flüchtlinge sind da und weitere werden kommen.