Protokoll der Sitzung vom 26.05.2016

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit diesem Antrag will, findet in Grundsätzen unsere große Sympathie. In den letzten 15 Jahren seit den dschihadistischen Anschlägen auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 sind tatsächlich beinahe 40 Sicherheitsgesetze in der Bundesrepublik Deutschland neu verabschiedet oder geändert worden. Ich zähle sie jetzt nicht auf, obwohl es interessant wäre. Der Antrag wäre Anlass, das wieder einmal durchzusehen. Da staunt schon der Laie und der Fachmann wundert sich, was da alles zusammengekommen ist.

Wenn Sie es richtig ausgezählt haben, Herr Kollege Lippmann, gibt es elf Änderungen, die wir nachvollziehend in Sachsen vorgenommen haben, und es ist ganz selbstverständlich unter dem Aspekt, dass es hier durch die Bank um Grundrechtseingriffe geht und Grundrechtseingriffe nur zulässig sind, wenn sie erforderlich und verhältnismäßig sind. Unter diesem Aspekt ist eine regelmäßige Evaluation in Kraft befindlicher Gesetze nachgerade Pflicht, ausgesprochene Pflicht des Gesetzgebers.

Dass das die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt für den Landtag aufruft, ist demzufolge wichtig und auch berechtigt, und wir stehen voll hinter diesem Anliegen, schon wegen der fortdauernden Überprüfung, ob Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit noch gegeben sind. Aufgrund dessen meine ich, dass es schwierig ist zu sagen, Herr Kollege Hartmann, das vertagen wir auf dann und dann, gerade weil wir jetzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes haben, das auf Implikationen, die wir in sächsischen Gesetzen haben, ausdrücklich zurückwirkt.

(Christian Hartmann, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ich dachte sogar, es findet ohne Weiteres Ihre Zustimmung. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie in einer Erklärung vom 27.09.2013 zum Gesetz zur Änderung – ich sage es mal so hemdsärmelig – des Sächsischen Polizei-, des Verfassungsschutz- und des Versammlungsgesetzes wörtlich formuliert: „Ich halte eine Evaluierung der Gesetzesnovelle in drei Jahren für vernünftig, um praktische Erfahrungen zu prüfen. Nur so können gegebenenfalls sinnvolle Anpassungen vorgenommen werden.“

Herr Abg. Bartl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sehr gern, Herr Präsident.

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Bartl, ich habe eine Frage: Geben Sie mir insoweit recht, als es Sinn macht, vor einer Evaluierung

und Anpassung die Änderungen der bundesrechtlichen Vorschriften zur Kenntnis genommen zu haben?

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Nein!)

Ob ich die Änderungen brauche, um meine eigenen Gesetze zu beurteilen? Ob uns die Änderungen in jedem Falle helfen, um die Spezifik der eigenen Gesetze und ihrer Wirkungen, vielleicht auch der verfassungswidrigen Wirkungen, zu beurteilen, dazu habe ich meine Bedenken. Ich habe aber für eines Verständnis, denn da gibt es ein Problem: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will, dass wir evaluieren, wie die sächsischen Sicherheitsgesetze sich im Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden, der Justizbehörden und der Anwendung auf den Verfassungsbürger usw. bezogen auf die Grundrechtseingriffe darstellen.

Das Problem ist, dass man die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden und ihre Wirkungen im Vollzug von Sicherheitsgesetzen nicht dahin gehend trennen kann, ob sie auf der Grundlage von Bundesgesetzen oder von Landesgesetzen handeln. Es kann sein, dass ich dabei einen Denkfehler habe, das gebe ich gern zu. Aber kann man untersuchen, welche Auswirkungen die Sicherheitsgesetze des Landes haben, ohne zugleich zu sagen, dass eine Evaluation der Auswirkungen der Sicherheitsgesetze des Bundes und des Landes auf die Bürgerinnen und Bürger im Freistaat Sachsen nötig wäre? Das wäre für uns etwas logischer. Aber man kann so herangehen.

Ein zweites Problem – –

Sind Sie noch bei der Zwischenfrage, Herr Kollege Bartl?

Bitte?

Sie geben mir ein Zeichen, wenn Sie die Frage beantwortet haben.

Ich bin fertig.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich komme zu einem zweiten Problem. Ja, man kann die Kommission bilden, wie es die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vorschlägt. Es war angedacht, eine Kommission aus Sicherheits- und Justizexperten zu bilden, die im Einvernehmen mit dem Landtag durch die Staatsregierung vorgeschlagen werden. Ich will nicht den abgedroschenen Begriff benutzen, wenn man den Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche befragen, aber wenn die Regierung selbst die Kommission bildet, ist das nicht ganz ohne. Man hätte den Weg gehen können, einen eigenen Unterausschuss zu bilden, der entsprechenden Sachverstand einholt. Das wäre auch vom Gegenstand her keineswegs überhöht. Das würde der Gegenstand allemal verdienen.

Zu dem, was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgesehen haben, sind noch zwei bis drei Punkte erklärungsbedürftig. Vielleicht hilft ein weiterer Beitrag von Kollegen

Lippmann. Ansonsten stehen wir hinter diesem Antrag, halten ihn für gut und stimmen zu.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, nun die SPD-Fraktion, Herr Abg. Pallas. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die GRÜNEFraktion beantragt, die sächsischen Sicherheits- und Polizeigesetze seit 2001 zu evaluieren, und möchte explizit eine Kommission dazu einrichten. Die Idee zur Einrichtung von Kommissionen zur Untersuchung einzelner politischer Themenfelder ist ja nicht neu und kann ein hilfreiches Instrument sein. Schließlich hat auch die Koalition aus CDU und SPD unter anderem die Fachkommission Polizei und die Personalkommission öffentlicher Dienst eingerichtet. Ich stelle fest, dass Kommissionen vor allem dann sinnvoll sind, wenn es um sehr komplexe Themenbereiche mit vielen Querverbindungen geht oder um die Frage von grundlegenden politischen Weichenstellungen für die Zukunft.

Für unser Abstimmungsverhalten ist entscheidend gewesen, ob dieses Instrument in dem speziellen Fall geboten ist. Deshalb schauen wir zuerst in Ihrem Antrag in die Begründung. Sie wollen die sächsischen Sicherheits- und Polizeigesetze evaluieren. Da fiel mir auf, dass in Ihrer knapp einseitigen Begründung gerade mal vier Zeilen den sächsischen Verhältnissen gewidmet waren, und zwar nur mit der Feststellung, dass eine Evaluierung dringend erforderlich ist, ohne genauer darauf einzugehen. Kollege Lippmann, Ihre Rede war deutlicher, aber wir beschließen heute den Antrag und nicht Ihre Rede.

Sie begründen überwiegend mit Bundes- und EU-Themen und verweisen auf andere Bundesländer, in denen meist nur kleine Teilbereiche evaluiert wurden. Zum Komplex der Bundesebene hat Kollege Hartmann hinreichend ausgeführt. Ich finde, aus dem Antrag ergibt sich also nicht, dass eine Kommission zwangsläufig notwendig wäre, um die Gesetze zu evaluieren. Sie sagen im Antrag kein einziges Wort dazu, was konkret in Sachsen seit 2001 in der Sicherheitsgesetzgebung passierte, was gegebenenfalls kritisch sein könnte und woraus sich Evaluierungsbedarf ergeben könnte.

Wir haben uns auch die Mühe gemacht, die Entwicklung der Gesetze seit 2010 zu rekapitulieren. Insbesondere geht es um das Polizeigesetz, das Verfassungsschutzgesetz und das Versammlungsgesetz. Das Versammlungsgesetz ist von 2012, nachdem der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen das 2001 von CDU und FDP beschlossene Gesetz aus formalen Gründen für verfassungswidrig und nichtig erklärt hatte. Es gab bisher eine Änderung 2013, mit der die Rechtslage bezüglich der Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen und Übersichtsbildübertragungen geklärt wurde. Da ist aus unserer Sicht kein Evaluationsbedarf.

Beim Polizeigesetz sieht es ein wenig anders aus. Es ist von 1991 und wurde seit 2001 immerhin besorgniserregenden zwölf Änderungen unterzogen. Sie suggerieren ein wenig, liebe GRÜNE, dass all diese Änderungen ganz furchtbare unverhältnismäßige Ausweitungen der Eingriffsbefugnisse beinhalteten. Wenn wir genauer hineinschauen, sehen wir, dass eine Reihe von organisatorischen bzw. strukturellen Änderungen nachvollzogen wurden, zum Beispiel bei den Novellen zum Verwaltungsmodernisierungsgesetz, zum Verwaltungsneuordnungsgesetz oder zum Standortegesetz. Es gab auch Anpassungen des Polizeigesetzes bei neuen Gesetzen, insbesondere beim Beschluss des Sächsischen Datenschutzgesetzes und des Sächsischen Versammlungsgesetzes.

Dann gab es eine Reihe von kleineren materiellrechtlichen Änderungen, die zum Beispiel das Kostenrecht, die Zahlung von Entschädigungen an geladene Zeugen oder die Verjährung betrafen. Ich denke nicht, dass diese Punkte unbedingt evaluierungsbedürftig sind.

Übrig bleiben von diesen zwölf Änderungen drei Novellen mit relevanten materiellrechtlichen Veränderungen. Das waren die Novellen im Jahr 2004, im Jahr 2011 und im Jahr 2013. Ich gehe einmal ganz kurz durch, was alles gemacht wurde.

Im Jahr 2004 hatten wir unter anderem die Einführung des Wohnungsverweisungsrechts im Zuge der Schaffung des Gewaltschutzgesetzes. Ich denke, wir sind uns einig: Es ist eine gute und wichtige Sache, dass die Polizei diese Befugnis hat.

Dann gab es Veränderungen im Bereich der Identitätsfeststellungen, einen Wegfall von Erfassungs- und Berichtspflichten.

Im Jahr 2011 ging es um die Einführung einer Befugnis für Gemeinden zum Erlass von örtlich und zeitlich eng begrenzten Alkoholkonsumverbotsverordnungen. Es

wurde – Sie haben es erwähnt – die anlassbezogene mobile Kennzeichenerkennung eingeführt und es gab Veränderungen bei mehreren Befugnisnormen, bei der Wohnungsverweisung, bei Durchsuchungen, bei Observationen, bei der Wohnraumüberwachung und bei der Rasterfahndung.

Im Jahr 2013 schließlich – Sie haben von 2012 gesprochen, aber, ich glaube, der Beschluss war im Jahr 2013 –

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ja!)

wurde im Zuge der Änderungen im Versammlungsgesetz die Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Übersichtsbildübertragungen parallel zum Versammlungsgesetz geregelt und es gab Veränderungen im Zuge der Ausführungsgesetze zum Telekommunikationsgesetz mit der eigenständigen Auskunftsverpflichtung der Diensteanbieter in Bezug auf die Bestandsdaten, aber eben auch mit Vorschriften zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen und zum Entschädigungsanspruch für Diensteanbieter, die entsprechende Auskünfte geben.

Wie Sie wissen, haben die damaligen SPD-Fraktionen eine Reihe dieser Änderungen nicht oder nur eingeschränkt gutgeheißen. Das ist Geschichte. Die Frage ist aber, ob alle diese Dinge einen Evaluierungsbedarf nach sich ziehen und eine so große Kommission rechtfertigen. Ich bin ehrlich, ich meine nicht; denn solche Änderungen sind entweder Ergebnis politischer oder administrativer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung.

Zum Beispiel bei Anpassungen infolge anderer Novellen oder auch bei eigenständigen Gesetzesänderungen sind eine Überprüfung von Rahmenbedingungen und eine Folgenabschätzung normales gesetzgeberisches Verfahren und Handwerk sowohl im Bereich der Regierung, was die Entwürfe angeht, als auch im parlamentarischen Verfahren. Dazu gehört immer auch eine Überprüfung der Auswirkungen auf Grundrechte, auf den Rechtsstaat insgesamt sowie auf hierzu ergangene Gerichtsurteile.

Im parlamentarischen Verfahren haben wir außerdem noch die Möglichkeit, über Expertenanhörungen weiteres Wissen einfließen zu lassen. Schließlich gibt es immer auch die Möglichkeit von Normenkontrollklagen im Nachgang von Gesetzesbeschlüssen.

Ich möchte der Vollständigkeit halber noch kurz auf das Verfassungsschutzgesetz eingehen. Ein großer Streitpunkt war insbesondere die Zuständigkeit des Landesamtes für die organisierte Kriminalität, für den großen Lauschangriff und für die Übermittlung personenbezogener Daten an Polizei- und Strafverfolgungsbehörden. Ich möchte den Hinweis geben, dass mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juni 2005 im Prinzip die Kontrolle erfolgt ist. Das Urteil erklärte das Gesetz für teilweise verfassungswidrig und machte einschränkende Vorgaben für dessen Anwendung. Das Korrektiv war also gegeben. Im Jahr 2006 wurde es überarbeitet. Auch hierbei besteht aus meiner Sicht kein unmittelbarer Evaluierungsbedarf.

Meine Damen und Herren! Im Ergebnis komme ich zu dem Schluss, dass weder die Begründung des Antrags noch die Überprüfung selbst den großen Aufwand der Einsetzung einer solchen Kommission rechtfertigen würden.

Nun haben Sie es in Ihrer Rede, Herr Lippmann, relativ hoch gehängt, nicht zu Unrecht mit Verweis auf die Grundrechte, die sich aus dem Grundgesetz und aus der Sächsischen Verfassung ergeben. Ich möchte jedoch noch einmal darauf hinweisen, dass viele dieser Entscheidungen bei Gesetzesänderungen tatsächlich Gegenstand politischer Diskussion, Meinungsbildung und Entscheidungsfindung sind. Ich hielte es für sinnvoller, wenn man Teile dieser Gesetzgebung, die Sie kritisieren, wieder zum Gegenstand der hiesigen Debatten machen würde. Deshalb lehnt meine Fraktion den Antrag ab.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine Damen und Herren! Nun spricht Herr Abg. Wippel für die AfDFraktion. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen Abgeordneten! Auf den ersten Blick ist es keine schlechte Idee, sämtliche sächsischen Sicherheitsgesetze, welche Eingriffsbefugnisse enthalten und Kontrollbefugnisse regeln, einer Evaluierung durch externe Experten zu unterziehen. Nichts ist so gut, als dass es nicht noch besser sein könnte. Doch ich habe viele Fragen, wenn ich den Antrag lese.

Warum fordern Sie nicht eine gemeinsame Analyse des Bedarfs durch alle Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben? Warum schließen Sie zum Beispiel das Landesamt für Verfassungsschutz in Ihrer Aufzählung aus?

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Was? Wieso denn? Nehmen Sie einmal den Antrag!)

Ihr Antrag hat zudem eine Schlagseite, die wir als AfDFraktion nicht mittragen können.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Das wundert mich nicht!)