Protokoll der Sitzung vom 27.05.2016

(Lachen der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Während die AfD Seite an Seite mit Pegida gegen die Minderheiten in Deutschland steht, prangert sie jetzt in einer verwerflichen Scheinheiligkeit das staatliche Vorgehen gegen Kurdinnen und Kurden in der Türkei an. Sie instrumentalisieren damit das Leid der Kurdinnen und Kurden für Ihre Ausgrenzungsrhetorik. Als hätte Sie jemals der Schutz von Minderheitenrechten interessiert! Das ist verwerflich.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Dr. Frauke Petry, AfD: Das hat noch gefehlt, Frau Maicher!)

Die pluralistische Gesellschaft als Feindbild ist nämlich eine markante Gemeinsamkeit, die Sie von der AfD mit Erdoğan teilen. Dass nun aber ausgerechnet Sie im Sächsischen Landtag meinen, die Türkei und den dortigen Umgang mit den Menschenrechten und die parlamentarische Demokratie zu kritisieren, entbehrt nicht einer gewissen Komik, da Sie doch selbst ein sehr gespaltenes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zu den Menschenrechten hier haben. Ihre Verehrung für autoritäre Herrscher wie Putin und Orbán, Gegner von Menschenrechten, Minderheitenschutz und demokratischen Verfassungsorganen, und Ihre geplante Kooperation mit dem französischen Front National, entlarvt Sie doch.

(Lachen der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Wenn wir also über Visafreiheit für die Türkinnen und Türken sprechen und sie auch wollen, dann heißt das natürlich für uns GRÜNE nicht, die drei Affen zu spielen und nicht zuzuhören, nicht zuzusehen und nichts Kritisches zu sagen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, um die Abschaffung der Pressefreiheit oder um die Abschaffung der Meinungsfreiheit, um Missachtung von Minderheitenrechten – dabei geht es zum Beispiel auch um Christinnen und Christen in der Türkei –, um Angriffe auf die Kurden oder um die Abschaffung der Immunität kurdischer Abgeordneter aller Fraktionen in der letzten Woche. Das Schweigen von Merkel und der Bundesregierung dazu ist so laut, dass es wehtut. Dagegen ist klarer Widerspruch angesagt.

Bitte zum Ende kommen.

Wenn die türkische Regierung Teil der europäischen Wertefamilie werden will, dann muss sie eine Kehrtwende hinlegen und sich klar zur Geltung der Menschenrechte positionieren. Wir dürfen in der Flüchtlingsfrage aber nicht nur auf die Türkei setzen, das zeigen die Entwicklungen in der letzten Woche.

(Lachen der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD – Zuruf des Abg. Uwe Wurlitzer, AfD)

Frau Dr. Maicher, bitte zum Ende kommen!

Das sollten wir weiter diskutieren, aber nicht hier und jetzt, denn hier ist nicht der Ort und die Zeit dafür. Wir machen hier Landespolitik, auch wenn Sie, Frau Petry, das nicht so sehr interessiert.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die AfD-Fraktion, Frau Dr. Petry, bitte.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aber nicht vom Manuskript ablesen!)

Ich habe mich selten so auf eine zweite Runde gefreut wie jetzt. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist interessant festzustellen, wie Sie versuchen, dem Thema auszuweichen. Herr Hartmann, ich fand es wunderbar, was Sie gemacht haben. Sie tun mir auch echt ein wenig leid, denn wir wissen ja, wie die Diskussion in der eigenen Partei aussieht.

Aber nun zum Thema – Frau Kliese, Sie hatten es auch gesagt –: Es gehört nicht hierher. Auf die unqualifizierten Bemerkungen von Frau Maicher lohnt es sich überhaupt nicht einzugehen.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

„Kein Zurückweichen vor dem Terror“ – das war, glaube ich, Ihr Debattentitel im November nach den Pariser Attentaten – ist selbstverständlich ein Thema, das uns aufgrund der Aktualität alle angegangen ist. Deshalb appelliere ich an alle Kolleginnen und Kollegen: Wir sind in Sachsen nicht abgekoppelt, und es wird immer Themen geben, die uns auf Bundesebene betreffen und damit auch auf sächsischer Ebene, also lassen wir diese Art von Ausgrenzung doch einfach – jeder Politiker, jede Fraktion wird ihr Thema stellen –, und äußern Sie sich inhaltlich, und wenn nicht, dann lassen Sie es, äußern Sie sich überhaupt nicht! Das spart uns dann tatsächlich Zeit.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Da haben Sie nicht zugehört! – Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Herr Scheel, ich glaube, Sie brauchen definitiv eine bessere Leitung nach Berlin; denn es war Ihre Kollegin,

Frau Sevim Dağdelen, die gesagt hat, nur Wahnsinnige konnten diesen Türkei-Deal abschließen; das wissen Sie ganz genau.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Der Türkei-Deal ist ein Wahnsinn!)

Ihre Partei hat dazu keine einheitliche Meinung, und Frau Dağdelen muss es nun ganz genau wissen; denn sie kommt mit ihrer Familie aus der Türkei und sie sagt, diese Visafreiheit würde zu einer Zuspitzung der Situation in der Türkei führen. Das würde die ethnischen Konflikte verschärfen, deshalb lehnt sie die Visafreiheit ab. Sprechen Sie einmal mit ihr. Ortskundige haben vielleicht einen besseren Einblick als Sie hier in Dresden.

(Beifall bei der AfD)

Frau Kliese, die Visafreiheit kann selbstverständlich nicht von der restlichen Diskussion abgekoppelt werden. Zu glauben, dass man Visafreiheit einführen kann, und die Tatsache, dass die Türkei zu keinem Zeitpunkt bisher auch nur annähernd die Kopenhagener Kriterien für einen zukünftigen EU-Beitritt erfüllt hat und gerade in der Frage des Türkei-Deals nach wie vor wichtige Punkte, wie die Korruptions- und die Kriminalitätsbekämpfung, die Zusammenarbeit mit Europol, den Datenschutz nach EU-Richtlinien oder die Anti-Terror-Gesetze nicht einhält, zeigt doch sehr eindrücklich, dass es überhaupt nicht möglich ist, auch nur zu glauben, mit einem autoritären Staat dieser Prägung zusammenarbeiten zu können.

Was einige von Ihnen offenbar immer noch nicht verstanden haben, ist, dass man die Menschenrechtssituation in Ländern wie der Türkei und anderen nicht dadurch ändern wird, dass man die Menschen alle nach Europa holt. Das ist in der Tat eine gescheiterte Flüchtlings- und Asylpolitik, für die im Übrigen die SPD mitverantwortlich ist. Ich finde es schön, dass Sie im Sächsischen Landtag Ihrer Regierung in Berlin in den Rücken fallen. Vielleicht machen Sie das mal ein wenig wirkungsvoller, denn die GroKo hat ohnehin abgewirtschaftet.

(Beifall bei der AfD)

Nun noch einmal zu den bloßen Fakten, warum es wichtig ist, darüber zu sprechen: weil die Bürger es erfahren müssen; und ja, Herr Hartmann, dafür ist in der Tat auch der Sächsische Landtag zuständig. Das ist unsere sächsische politische Bühne, und wenn Sie selbst sagen, dass wir dafür offenbar nicht genug Kanäle in die öffentlichrechtlichen Medien bekommen, dann können Sie uns ja helfen, das zu tun. Dann können wir das Thema dort etwas ausführlicher behandeln.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Bei 148 von 550 Parlamentariern im türkischen Parlament wurde die Immunität aufgehoben. In der Türkei selbst und auch von Experten in Deutschland, wie dem Institut für Sicherheitspolitik und Entwicklung, wurde konstatiert, der Kurdenkonflikt würde militärisch verschärft werden. Wir wissen von Internetzensur in der Türkei, und wir wissen auch, dass der Weg von Atatürk – das ist ein

säkularer Staat in der Türkei – lange verlassen wurde. Erdoğan ist derjenige, für den Assimilation, die ein Teil von Integration sein muss – Zitat – „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist, und er mischt sich vermehrt und immer wieder auch in die Arbeit deutscher Muslime, der Islamverbände und anderer Vereinigungen ein. Er bekämpft sogar eine ihm unangenehme Bewegung, die Gülen-Bewegung – was immer man von ihr halten will – in Deutschland und versucht, die deutsche Bundesregierung ganz aktuell damit unter Druck zu setzen. Zu sagen, dass es kein Thema für die parlamentarische Ebene ist, ist schlichtweg eine Verweigerung der Diskussion. Aber das kennen wir von Ihnen ja bereits.

Nun noch einen Punkt zu Brüssel. Ja, es ist in der Tat auch eine internationale Frage, und ich frage mich, warum sich Brüssel an dieser Stelle von Frau Merkel vorführen lässt, warum auch das deutsche Parlament diese Frage viel zu zögerlich diskutiert; denn es kann nicht sein, dass ein derartiges Abkommen am Ende am Bundestag vorbei getroffen wird.

Ein letztes Wort zum Terrorismus. Wir wissen bereits durch die deutschen Sicherheitsbehörden, dass wahrscheinlich eine fünfstellige Anzahl von Terroristen bereits im Rahmen der Migrationskrise nach Deutschland gekommen ist. Offene Grenzen und die Erleichterung von Einreisemöglichkeiten werden dieser Entwicklung Vorschub leisten. Das kann niemand, auch kein sächsisches Innenministerium, wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Die CDUFraktion, Herr Abg. Hartmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Petry, freuen Sie sich schon einmal auf die dritte Runde! Sie müssen schon mit Ihrer eigenen Argumentation etwas aufpassen. Sie haben gerade Herrn Erdoğan etwas vorgeworfen, das Sie ja im Kern in Deutschland fordern – wenn wir es einmal umdrehen. Sie beklagen, dass die Ausübung von Religion und Freiheit in der Türkei sehr beschränkt sei.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Ja!)

Auf der anderen Seite fordern Sie die Beschränkung hier in Deutschland.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Wie bitte?)

Sie meinen es vielleicht nicht so, aber Ihre Worte geben das so wieder. Sie müssen sich da schon etwas klarer positionieren.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Es ist mit der deutschen Sprache schon etwas schwierig. Man meint manchmal etwas anderes, als es der Zuhörer dann wahrnimmt.

Aber zurück zum Thema. Noch einmal, Frau Dr. Petry: Auch wir sehen die Frage der Visafreiheit vor dem jetzigen politischen Hintergrund in der Türkei kritisch und binden sie deshalb an einen wesentlichen Katalog von Maßnahmen. Ich bitte auch in der Diskussion zu beachten: Genauso wie wir für uns in Anspruch nehmen, dass wir ein souveräner Staat sind, sollten wir aufpassen, wo die Grenzen liegen, was die Souveränität der Türkei betrifft.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Dünnes Eis, Herr Hartmann, passen Sie auf! – Gegenruf von der SPD)

Insoweit ist das schon eine Abgrenzung, und das ganze Spiel ist nicht schwarz-weiß, sondern es ist – wie alles – grau mit unterschiedlichen Perspektiven.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Selektive Wahrnehmung, Herr Hartmann!)

Zum Thema der Visafreiheit sei gesagt – ich hatte es in der ersten Runde schon angeführt –: Wir haben als Maßstab für eine Visafreiheit der Türkei 72 Punkte formuliert, 72 Kriterien, die die Grundlage dafür bilden, überhaupt zu einer Visafreiheit zu kommen. Die Diskussion läuft seit dem Jahr 2013, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn wir uns das anschauen, dann sind im Wesentlichen 67 der 72 Kriterien geeint. Fünf wesentliche – auch das muss man sagen – Kriterien sind allerdings noch in der Diskussion. Da sei zum Beispiel die Anpassung der Datenschutzregelungen an die Standards der Europäischen Union erwähnt, da sei die Kooperation mit Frontex erwähnt, da sei die verstärkte Zusammenarbeit mit Europol erwähnt, da sei im Wesentlichen auch die Anpassung an die Terrorbekämpfung respektive Terrorismusgesetze erwähnt. Es geht letztlich auch um die Frage der Bekämpfung von Korruption und um die enge Zusammenarbeit mit europäischen Behörden.

Natürlich ist es wichtig – das ist unsere Erwartungshaltung an eine Bundesregierung und auch an einen Deutschen Bundestag –, dass diese Kriterien auch erfüllt werden. Wenn die Kriterien erfüllt werden, dann sind die Rahmenbedingungen gegeben, dass wir, Deutschland als Teil der Europäischen Union, über einen europäischen Einigungsfaktor die Visafreiheit mit der souveränen Türkei einführen. Warum denn nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn die Voraussetzungen, die wir in der Vergangenheit formuliert haben und die von Ihnen auch gar nicht beklagt wurden, erfüllt werden?! Warum dann bitte nicht?

Aber diese Punkte sind als Erstes abzuarbeiten. Insoweit bleibt die Beantwortung der Frage natürlich offen: Wird es der 30.06. sein, wird es in diesem Jahr sein? Das wird maßgeblich von den Entscheidungen der Türkei abhängen, und zwar unabhängig von der Kampfrhetorik, die von einem türkischen Präsidenten an der einen oder anderen Stelle – für uns eher verwunderlich – zur Kenntnis genommen wird. Aber noch mal: Auch hier sollten wir