Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Meine Damen und Herren, es war in Aussicht gestellt worden – die Bundeskanzlerin und der amerikanische Präsident haben es auf der Hannover Messe unterstrichen –, dass die TTIP-Verhandlungen eigentlich vor der USPräsidentschaftswahl beendet sein sollten. Wir alle wissen, dass dies nicht der Fall war, und wir wissen, dass seit gestern Nacht neue Ereignisse und Tatsachen aufgetreten sind, die wir dabei berücksichtigen müssen. Der gewählte Präsident Trump hat erklärt, dass er eine neue Runde einleiten möchte: höhere Zölle gegenüber chinesischen Importen, eine höhere Besteuerung gegenüber den ausländischen Gewinnen von US-Unternehmen und dergleichen mehr, um Arbeitsplätze – in Anführungsstrichen, wie er sagte – „zurückzuholen“. Nun könnte man es sich einfach machen und sagen: TTIP ist tot.

Aber das ist gefährlich, meine Damen und Herren. Es besteht die reale Gefahr, dass nicht nur von der amerikanischen Seite eine neue Runde des Protektionismus eingeläutet wird. Das wäre schlecht für die Weltwirtschaft, schlecht für Europa und auch schlecht für Sachsen

und den sächsischen Mittelstand, und dem müssen wir entgegentreten.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Martin Dulig)

Deswegen brauchen wir ein klares Signal, dass wir ein solches Freihandelsabkommen wollen. Wir alle wissen doch, meine Damen und Herren, dass Erklärungen im Wahlkampf das eine sind, und wenn die Realität den einen oder anderen eingeholt haben wird, werden wir sehen, was daraus wird.

Ich denke, wir haben guten Grund, auch Hoffnung zu schöpfen, dass alle Beteiligten wissen, was auf dem Spiel steht. Mit 800 Millionen Menschen wäre dies der größte Wirtschaftsraum, den wir damit transatlantisch etablieren könnten.

Letzter Punkt. Neben den berechtigten Interessen im Bereich Freihandel und Wirtschaft gibt es auch eine geostrategische Bedeutung bei Handelsabkommen.

Wichtig ist nicht nur freier Handel, sondern wichtig ist auch fairer Handel, meine Damen und Herren. Zum fairen Handel gehört ein Spielfeld auf Augenhöhe, und es gehören Regeln dazu,

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Auch für Arbeitnehmer!)

mit denen wir Erfahrung im EU-Binnenmarkt haben: soziale Standards, Regeln der ökologischen Nachhaltigkeit, bei Gesundheit und bei Medizin.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Wir als Sachsen und als Europäer wollen, dass diese Regeln mindestens auch bei TTIP fest verankert werden. Ich bin dankbar, dass der EU-Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, bei der Unterzeichnung gesagt hat, dass es nach CETA nicht möglich sein wird, unter die dort verhandelten Regeln zu gehen. Deshalb, denke ich, ist das der Standard und der Maßstab, der auch für TTIP gültig ist.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Welt wartet nicht auf Europa, die Welt wartet nicht auf Deutschland und die Welt wartet auch nicht auf den Freistaat Sachsen. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Nach Kaufkraftparitäten, in Dollar ist es die größte Wirtschaft. Im Jahre 2050 wird wahrscheinlich nur noch die deutsche Volkswirtschaft als einziger Staat der Europäischen Union unter die ersten zehn wichtigsten Wirtschaften fallen. Die Chinesen, die Inder, die Asiaten werden nicht auf uns warten. Sie werden schon gar nicht auf dem Wertefundament, das nicht nur europäisch ist, sondern auch transatlantisch sein sollte, weiter verhandeln.

Meine Damen und Herren! Deswegen müssen wir dieses strategische Zeitfenster nutzen, um gemeinsam mit den USA auf der Ebene einer transatlantischen Partnerschaft ein Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen, das

den Namen verdient. Wir wollen TTIP, ja, aber nicht um jeden Preis, und deshalb lehnen wir den Antrag ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Eine Kurzintervention; bitte sehr.

Danke, Frau Präsidentin! Geschätzter Kollege Wöller, Sie haben in unserem Antrag das Bekenntnis zum Freihandel vermisst.

Ich zitiere einmal: „Wir fordern die Staatsregierung dazu auf, zunächst einmal die derzeitigen TTIP-Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den USA umgehend zu stoppen, dann aber Grundlagen für den Neubeginn eines Verhandlungsprozesses für ein Freihandelsabkommen zu schaffen und gegebenenfalls unter strikter Beachtung dieser Verhandlungsgrundlagen einen Neustart dieser Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zustandezubringen.“

Ich lese daraus ein klares Bekenntnis zum Wunsch nach einem vernünftigen Freihandelsabkommen.

(Staatsminister Martin Dulig: Ich glaube das nicht!)

Nächster Punkt: Sie haben ausgeführt, dass bei CETA durchaus noch eine Reihe von Verbesserungen erreicht worden ist. Das ist gut. Schlecht ist aber, dass sie fünf nach zwölf erreicht worden sind, auf Betreiben einer einzelnen europäischen Region, nachdem jahrelang zuvor verhandelt worden ist.

(Staatsminister Martin Dulig: Das stimmt!)

Das ist genau einer der Punkte, die das Vertrauen in diesen gesamten Prozess massiv zerstören und deshalb auch für TTIP die Grundlagen entzogen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Herr Prof. Wöller, wollen Sie darauf antworten?

Zum Bekenntnis des Freihandels räume ich ein, dass Ihre Rede, verehrter Herr Kollege, deutlich positiver war als der Antrag selber. Herzlichen Dank für die Klarstellung.

Zum Zweiten zum Verfahren. Sie haben völlig recht mit der Kritik. Aber ich sage es mit den Worten eines ehemaligen deutschen Bundeskanzlers, der im Zuge der Einheit nicht Weniges geleistet hat: „Entscheidend ist, was hinten dabei rauskommt.“

Deshalb ist das Ergebnis das Entscheidende. Wir sollten uns anstrengen, ein vernünftiges Ergebnis zu haben. Alle, die dabei mithelfen, sind willkommen, und deshalb sollten wir auf diesem Weg fortschreiten. – Danke.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Die Linksfraktion, bitte; Frau Abg. Klotzbücher.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kritik teilt sich in zwei wesentliche Aspekte, wie wir auch bei Herrn Prof. Dr. Wöller gemerkt haben: die inhaltliche Kritik am Freihandelsabkommen und die Kritik am Verhandlungsprozess selbst.

Auf den Inhalt von TTIP möchte ich heute gar nicht so tief eingehen. Darüber haben wir in den letzten Monaten bereits einige Male diskutiert. Dennoch glaube ich, dass einige grundlegende Vorbemerkungen wichtig sind, um klarzustellen, wie meine Fraktion zum Thema „Freihandel“ grundlegend steht.

Die Fraktion DIE LINKE lehnt natürlich die ureigentlichen Inhalte eines Freihandelsabkommens, wie Norm und Standardangleichungen, nicht von vornherein ab. Andererseits setzen wir unsere Prioritäten natürlich auf regionale Wirtschaftskreisläufe und auf nachhaltiges Wirtschaften. Aber meine Fraktion und ich möchten unter keinen Umständen Globalisierungsprozesse, Ausbeutungsprozesse und weltweite Beschleunigungsprozesse vorantreiben, solange sie beispielsweise zur Weiterverbreitung gentechnisch veränderter Lebensmittel führen könnten oder man in Kauf nehmen müsste, die Kluft zwischen Arm und Reich weiter zu verschärfen.

Jetzt mal im Ernst: Die Bundesregierung schafft es nicht, einen nationalen Klimaschutzplan 2050 mit lächerlichen Minimalzielen auf die Beine zu stellen, und ist felsenfest davon überzeugt, dass der Ausbau und die Effektivierung des globalen Warenverkehrs, der ja unmittelbare Auswirkungen auf die CO2-Emmission weltweit hat, eine supertolle Idee ist. Na, klar!

Mir soll es heute jedoch vor allem um das Zustandekommen des Freihandelsabkommens TTIP gehen. TTIP, CETA und auch TiSA sind keine bilateralen und rein wirtschaftlichen Abkommen, wie wir sie bisher kennen und wie Deutschland sie mehrfach abgeschlossen hat. Sie berühren inhaltlich die Grundsätze unserer Gesellschaft und wollen eigene und nicht öffentlich kontrollierbare Gerichtsbarkeiten schaffen, die selbstverständlich Einfluss nehmen könnten auf Fragen der Umwelt- und Sozialstandards sowie der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Diese Themen kann man natürlich nicht nur rein wirtschaftlich betrachten oder mit dieser allbekannten Eswird-schon-gut-gehen-Attitude übergehen. Nein, diese Fragen müssen bis ins letzte Detail demokratisch und transparent ausgefochten werden, und erst dann sollte von Ratifizierungsplänen überhaupt die Rede sein.

Herr Prof. Wöller, dieser Herangehensweise im Sinne von „Es ist entscheidend, was hinten dabei herauskommt“ würde ich gern vehement widersprechen. Ich finde es sehr wichtig, dass der ganze Prozess von vornherein einbindend funktioniert.

(Beifall bei den LINKEN)

Erst dann, wenn alle diese Details geklärt und in ihrer Konsequenz ausgefochten sind, sollte jede Person informiert werden, die davon betroffen ist, und einbezogen werden. Jede Gemeinde und ebenso jeder einzelne Mitgliedsstaat sollte danach sowohl die Möglichkeit der Zustimmung als auch der Ablehnung haben.

Genauso verstehe ich im Endeffekt den Antrag der GRÜNEN. Ich glaube, dass der Antrag auf keine grundlegende Neuorientierung der Inhalte, auf kein bestimmtes Ergebnis und schon gar nicht auf einen schnellstmöglichen positiven Verhandlungsausgang abzielt. Vielmehr versucht er, die Verhandlung in demokratische, transparente und verantwortungsbewusstere Gefilde zu lenken

(Lachen des Abg. Prof. Dr. Roland Wöller, CDU)

und einen Neustart, aber ergebnisoffen, zu ermöglichen.

Bisher sucht man Transparenz und demokratische Grundsätze im Verhandlungsprozess tatsächlich vergebens. Die Verhandlungen wurden im Geheimen geführt. Unsere Volksvertreterinnen und Volksvertreter wissen wenig über den Fortgang.

Der Öffentlichkeit ist es nicht gestattet, die Texte der offiziellen Abkommen einzusehen.

(Ines Springer, CDU: Natürlich!)

Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist es lediglich erlaubt, diese juristischen Texte in speziellen Leseräumen und ohne juristischen oder Expertenbeistand zu lesen.

(Ines Springer, CDU: Das war früher so!)