Was ist mit jenen in Bitterfeld, die unter gesundheitsschädlichsten Bedingungen in der Chlorchemie gearbeitet haben, wo doch das Chlor der Elektrolyse auch aus bergmännisch gewonnenen Salzsäulen kam? Und was ist mit jenen, die zehn Meter vor dem Werkszaun denselben Belastungen ausgesetzt waren, wie die zehn Meter dahinter?
Wer jemals in den Siebzigern oder Achtzigern in Greppin aus dem Zug gestiegen ist und bei Wind aus Richtung der Chlortanks um Atem gerungen hat und wer dabei gesehen hat, dass die Mitarbeiter hinter dem Werkzaun ihre Schutzmaske griffbereit am Gürtel trugen und die Mütter mit ihren Kinderwagen auf dem Fußweg vor dem Werkszaun selbstverständlich nicht, dem drängen sich solche Fragen auf.
Immer wieder Härtefälle! Jeder Fall ist anders, jeder Fall ist ein Schicksal – ob nun im Einzelfall drei, 30 oder 300 betroffene Menschen. Wollen Sie jedes Mal Einzelfallregelungen ins Bundesgesetz schreiben?
Wir halten einzelfallspezifische Härtefallentscheidungen und -regelungen auf der Basis eines Härtefallfonds für die bessere, weil für viele unterschiedliche Fälle gangbare Lösung.
Das hat unsere Fraktion im Bundestag gesagt, das sagen wir hier, und das hatte wohl auch die Bundes-SPD bereits in den Koalitionsverhandlungen angestrebt. Lassen Sie uns so einer Lösung gemeinsam Nachdruck verleihen. Wir werden uns der Mitwirkung nicht verwehren.
Zum Schluss noch einen ganz unpopulistischen Gedanken mit auf den Weg, liebe LINKE, der sich mir aus persönlicher Erinnerung aufdrängt, denn wir sind hier nicht nur die GRÜNEN, sondern auch BÜNDNIS 90. Wenigstens jene unter Ihnen, liebe LINKE, die damals bis zum Schluss diese Art des Umgangs mit Mensch und Umwelt verteidigt und „sozialistisch“ genannt haben, sollten jetzt mal innehalten und prüfen, ob es angemessen ist, die dadurch gesundheitlich ruinierten Menschen drei Jahrzehnte später erneut vor den Kopf zu stoßen, indem man ihnen vermeintlich die Hand zur Hilfe ausstreckt, während man doch eigentlich nach dem Stift greift, um eine Schlagzeile aufzuschreiben.
(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das ist eine Unterstellung! Das ist unglaublich! – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)
doch sollten Sie das nicht als Unterstützung für Ihre Schlagzeilen verstehen. Wir meinen das als ein Signal an die Betroffenen, dass wir es, wie viele andere in diesem Landtag, für nötig halten,
(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE – Widerspruch bei den LINKEN – Zurufe des Abg. Christian Piwarz, CDU, in Richtung DIE LINKE)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir mal wieder zur Sachlichkeit zurück.
Wir haben in diesem Hohen Hause schon gelegentlich über eine vermeintlich sächsische Rohstoffstrategie diskutiert; zuletzt erst wieder aus Anlass des RohstoffSachsen-Antrages im September vorigen Jahres. Meistens
kommt dabei erst einmal die regierungsseitige Einlaufkurve zum Antrag und vollkommen zu Recht der stolze Hinweis auf die lange sächsische Bergbautradition seit dem 12. Jahrhundert und der sie tragenden Bergleute sowie die Argumentation, was dies für unser Rohstoffland Sachsen bedeutet.
Der Rohstoffbergbau der letzten Jahrhunderte hat aber auch seine Spuren im und über dem sächsischen Boden hinterlassen. Gern können Sie dazu in den Jahresberichten des Sächsischen Oberbergamtes nachlesen, was wir mit einem jährlichen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag für Sanierungsarbeiten zur Nachsorge der Folgen des Altbergbaus aufwenden müssen. Das sind zum Beispiel Gefahrenabwehrmaßnahmen. Im Jahr 2015 waren diese immerhin mit 54 Baustellen dokumentiert. Dazu werden Spezialunternehmen betraut, die das gesamte untertägige Spektrum von Sicherungs- und Sanierungsleistungen noch beherrschen.
Übrigens ist das ein gewisses unternehmerisches Alleinstellungsmerkmal in Sachsen, weil die Beschäftigten dieser Firmen auch noch als Grubenwehren im Freistaat arbeiten. Warum diese lange Vorrede? Meine Kollegin Susanne Schaper hat in ihrer Rede bereits auf einen wesentlichen Teil von Ungerechtigkeiten in der knappschaftlichen Versicherung hingewiesen, nämlich die fehlende bzw. eingeschränkte Anerkennung aller in der Anordnung Nummer 1 über den Katalog der bergmännischen Tätigkeiten im Gesetzblatt der DDR von 1972 und dem Rentenüberleitungsgesetz von 1991 mit dem Bergbau gleichgestellten Tätigkeiten.
Im Übrigen hierzu noch eine Ergänzung: In meinen Bürgersprechstunden sind noch viel mehr Fälle aufgetaucht, die ebenso wie die Beschäftigten der Braunkohleveredelung Espenhain Betroffene im Sinne dieser Gesetze sind. In Freiberg gab es viele Betriebe, für deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – beispielsweise in der Erzaufbereitung wie Zerkleinerung, Sortierung, Klassierung, Flotation – die Gleichstellung mit bergmännischen Tätigkeiten gesetzlich geregelt war und bis heute ist. Auch für diese Beschäftigtengruppe gilt es zu prüfen, ob sie zusätzliche Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben und ihnen seit über zwei Jahrzehnten die sogenannte Bergmannsrente zu Unrecht vorenthalten wird.
Aber zurück zum Altbergbau und der Sanierung seiner Folgen. Vor etwa zwei Jahren habe ich bereits Gespräche mit Bergleuten geführt, die mir Unglaubliches berichteten und mich deshalb um Hilfe baten. Als Naturwissenschaftlerin, die viele Jahrzehnte auch unter Tage gearbeitet hat, begegnet man jedem Bergmann mit Respekt; sei es dem Hauer im tiefen Kupferschieferbergbau oder dem Steiger im Ortsbruch im oberflächennahen Altbergbau. Beides ist harte Arbeit und gefährlich – falls jemand im Hohen Hause diese Arbeiten schon mal selbst mit eigenen Händen gemacht hat, Herr Krauß.
Was niemand wirklich erklären kann, ist, warum der eine Bergmann, der beispielsweise unter Tage Rohstoffe wie
Braunkohle, Flussspat oder Metalle gewann oder gewinnt, eine Bergmannsrente erhält, nicht jedoch der andere im Bergbau Tätige, der unter denselben widrigen und gesundheitsschädlichen Bedingungen den Bergbau nach Braunkohle, Flussspat oder Metallen möglicherweise erst Jahrhunderte später in bergmännischer Tätigkeit saniert. Da waren unsere Altvorderen schon viel weiter.
Weil diese Arbeit offenkundig gefährlich ist, sicherte der Hildesheimer Bischof Johann I. von Brakel der St. Johannes Bruderschaft am Rammelsberg bei Goslar schon im Jahre 1260 erstmals kranken und verletzten Bergleuten und deren Hinterbliebenen seinen Schutz und seine finanzielle Unterstützung zu. Der spätere Begriff der „Knappschaft“ hat in Sachsen Tradition und wird im Erzgebirge erstmals im Jahr 1426 für eine Freiberger Belegschaft beurkundet, bevor er im ausgehenden 15. Jahrhundert als Arbeits- und Solidargemeinschaft gebräuchlich wurde. Die Knappschaft ist damit die älteste Sozialversicherung der Welt und hat das deutsche und europäische Sozialsystem geprägt wie kaum eine andere Institution.
Summa summarum: In der DDR und bis vor wenigen Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland gab es eine Gleichbehandlung von Bergleuten in Bezug auf ihre knappschaftliche Stellung und damit auch bei der Rentenleistung; erst recht, wenn sie untertägig tätig waren.
Deshalb muss ich an dieser Stelle noch einmal auf die eingangs genannten Gespräche von vor zwei Jahren zurückkommen. Die Bergmänner berichteten mir, dass sie seit Jahren darum kämpfen, weiter wie bisher in der Knappschaft versichert zu bleiben. Das wird ihnen unverständlicherweise verwehrt, da sie nicht im Rohstoffabbau tätig waren. Dies geht aktuell so weit, dass diese Bergmänner inzwischen seitens der Knappschaft mit Gerichtsverfahren überzogen werden, um sie förmlich aus der Knappschaftsversicherung zu vertreiben. Es dauert schon eine gewisse Zeit, um zu begreifen, dass heutzutage der im Altbergbau untertägig tätige Bergmann schlechtergestellt werden soll als beispielsweise der im Abraumbagger des modernen Braunkohletagebaues sitzende Maschinenführer.
Kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt einige Unternehmen in der Altbergbausanierung, die im Sinne ihrer Beschäftigten in die Knappschaftliche Rentenversicherung eingezahlt haben, um ihnen damit die wenigen Vergünstigungen der Bergbaurente zu sichern. Selbst hier versucht die Knappschaft-Bahn-See bereits seit 2008, diese Bergleute aus der Knappschaftlichen Rentenversicherung in die allgemeine Rentenversicherung zu drängen. Der Grund für diese Entscheidung der Versicherung ist im Sozialgesetzbuch VI zu suchen. Dort werden in § 134, Absätze 1 bis 3, die Bedingungen formuliert, um als Knappschaftsbetrieb anerkannt zu werden. Das sind Betriebe, in denen Mineralien oder ähnliche Stoffe bergmännisch und überwiegend unterirdisch gewonnen werden.
Nun gibt es aber bereits Urteile von Sozialgerichten, die mittlerweile den ehemaligen Mitarbeitern von Sanie
rungsunternehmen die zur Bergmannsrente berechtigende Bergbautätigkeit bescheinigen. Daher ist das jetzige Ziel der Bergbausanierungsunternehmen, für ihre Beschäftigten endlich ein Grundsatzurteil zu diesem Thema herbeizuführen. Höchste Zeit also auch hier, den Bundesgesetzgeber zu veranlassen, grundlegende Gesetzesklarheit im SGB VI zu schaffen, sonst müssen mal wieder, wie allzu oft, die Gerichte entscheiden, um den Gesetzgeber zur Vernunft zu bringen. Ehrlich gesagt, es ist für mich schon fast schizophren, denn die Arbeit der Hauer in Gewinnungsbergwerken ist eine ebenso anstrengende, gesundheitsbelastende und zum Teil gefährliche bergmännische Arbeit wie die Arbeit der Hauer im Sanierungsbergbau.
Unser Anliegen ist daher: Wir wollen erreichen, dass der akut bestehende gesetzgeberische Handlungsbedarf auf Bundesebene nicht nur erkannt, sondern durch die Staatsregierung im Interesse der Betroffenen mit Nachdruck eingefordert wird, damit allen Anspruchsberechtigten, die nach dem bereits eingangs bezeichneten Katalog der bergmännischen Tätigkeiten nach DDR-Recht aus dem Jahre 1972 und nach dem Rentenüberleitungsgesetz von 1991 dem Bergbau gleichgestellt sind, die ihnen rechtlich zustehende knappschaftliche Rente ungekürzt und rückwirkend gezahlt wird.
Darüber hinaus – das habe ich mit meinem Redebeitrag deutlich machen wollen – ist es dringend erforderlich zu prüfen, inwieweit durch Änderung des Sozialgesetzbuches untertägig arbeitende Unternehmen, insbesondere auch des Sanierungsbergbaues, ebenfalls knappschaftlich versichert bleiben und werden können. Stimmen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, unserem Antrag im Sinne der Tradition des Bergbaus in Sachsen zu!
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen. Damit bitte ich Frau Staatsministerin Klepsch zum Mikrofon.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Antrag behandelt bundesdeutsches Rentenrecht. Dies wurde bereits in den Beiträgen der Vorredner sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Ebenfalls wurde angesprochen, dass man sich erst vor wenigen Tagen im Bundestag ähnlich zu dieser Thematik ausgetauscht hat und die Drucksachen aus den Jahren 2007 und 2016 im Bundestag mehrheitlich abgelehnt worden sind.
Ich möchte daher aufgrund der ausführlichen inhaltlichen Ausführungen meiner Vorredner nicht noch einmal tiefer in die Materie einsteigen. Zusatzversicherung, Rentenüberleitungsgesetz, unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten in der Braunkohleveredelung zum einen
und Bergleute, die tatsächlich unter Tage gearbeitet haben, zum anderen wurden, denke ich, ausführlich beleuchtet. Man hat das Für und Wider aus den Redebeiträgen sehr deutlich herausgehört. Auch die Ungerechtigkeit, die inhaltlich zu verzeichnen ist, wurde angesprochen.
Ich möchte daher zum Schluss lediglich noch bemerken, dass ich es bei allem Verständnis, das für die Betroffenen zweifelsohne auch fraktionsübergreifend vorhanden ist, für schwierig halte, immer wieder unerfüllbare Hoffnungen zu wecken, da wir damit dem Anliegen der Betroffenen wenig gerecht werden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicher gab es noch weitere Fälle nicht gleichgestellter Menschen aus der Intelligenz oder aus dem Gesundheitswesen, und gern können Sie, wenn Sie dies wünschen, weitere Anträge von uns bekommen. Heute allerdings ging es uns um die Personen, die bergmännische Tätigkeiten ausübten und ausüben und gleichgestellt wurden. Sie sind zu DDRZeiten – ich habe den Katalog aus dem Gesetz der DDR von 1972 einmal mitgebracht – den untertägig Beschäftigten gleichgestellt worden. Es sind, Herr Lippold, auch Menschen aus Steinkohlebergwerken, Brikettfabriken, Braunkohlekokereien, Wachsfabriken, aus dem Schiefer- oder Kaolinbergbau usw. Es geht nicht nur um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Schwelereien von Espenhain, sondern es geht um einen ganzen Katalog von Beschäftigten, die jenen im untertägigen Bergbau gleichgestellt waren.
Im Rentenüberleitungsgesetz von 1991 – das möchte ich Ihnen gern zitieren – steht im § 23, dass bergmännische Tätigkeiten einer versicherungspflichtigen Tätigkeit