Protokoll der Sitzung vom 15.03.2017

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die SPD-Fraktion, Frau Abg. Kliese, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Waren Sie schon einmal in der Stadt Hagen?

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Ich komme von da!)

Sie kommen sogar von da? Wunderbar! Dann wissen Sie vielleicht, was die „taz“ über Hagen als hässlichste Stadt Deutschlands geschrieben hat.

(Leichte Heiterkeit – Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Das ist natürlich ein gefühltes Kriterium, so wie uns der Kollege Gebhardt schon viele gefühlte Fakten vorgetragen hat, aber man kann an bestimmten Kriterien nachweisen, wo es sich in der Bundesrepublik Deutschland besonders gut und wo es sich nicht ganz so gut leben lässt, das heißt: Wo ist die Lebensqualität hoch, und wo ist sie nicht so hoch? Dazu gab es unlängst ein Ranking mit verschiedenen Indikatoren, zum Beispiel: Wo gibt es ausreichend Arbeitsplätze? Wo gibt es ausreichend Wohnraum? Wo ist die Quote der Straftaten, die Kriminalität relativ gering?

Zwei Fakten aus dieser Datenerhebung sind für unsere heutige Diskussion relevant: einmal die sogenannten Flop Ten, also die am wenigsten lebenswerten Städte in der Bundesrepublik. Von diesen Flop Ten sind neun west

deutsch und nur eine ostdeutsch, und diese auch relativ weit hinten. Die Liste der am wenigsten lebenswerten Städte wird angeführt von Städten wie Gelsenkirchen, Krefeld, Herne und – ich muss es leider sagen, Frau Kollegin – auch von Hagen.

Eine zweite wichtige Information aus diesem Ranking ist, dass die Grenze zwischen „weniger lebenswert" und „mehr lebenswert“ oder „lebenswerter“ nicht etwa zwischen Ost und West verläuft, sondern zwischen Nord und Süd. Auch das ist bereits bekannt. Strukturschwache Regionen, sehr verehrte Damen und Herren, gibt es auch in den alten Bundesländern, im Westen, und unsere Solidarität und unsere Aufmerksamkeit als politische Verantwortungsträger sollte allen strukturschwachen Regionen gelten. Das haben auch jene in den alten Bundesländern verdient, die nach der Wiedervereinigung für uns mitbezahlt haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß, das ist eine sehr unpopuläre These. Was stimmt und worin ich Ihnen recht gebe: Ostdeutsche sind besonders häufig von Niedriglohnjobs betroffen; Herr Gebhardt, das haben Sie schon ausgeführt. Hier ist es tatsächlich so, dass es sich nicht um ein Nord-Süd-Gefälle handelt, sondern beispielsweise in Hamburg 15 % der Menschen von Niedriglöhnen betroffen sind, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen 35 %. Hier haben wir es mit einem Ost-West-Gefälle zu tun, und daran müssen wir arbeiten, das erkenne ich genau wie Sie.

Dies führt allerdings auch dazu, dass wir zum Beispiel im Bereich Taxifahrten, Pflegeheime – Sie haben ausgeführt, wie viel eine Pflegekraft erhält –, Handwerker usw. weniger Kosten haben, was wiederum dazu führt, dass die Lebenshaltungskosten im Osten niedriger sind. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Das heißt aber auch: Die realen Einkommensunterschiede sind deutlich geringer. In Leipzig beispielsweise beträgt der Unterschied zu dem Warenkorb in München 30 %, also, man bekommt in Leipzig 30 % mehr für sein Geld als in München.

Die Wirtschaftspolitik der ostdeutschen Länder – das wird immer wieder gefordert – muss das Lohngefälle aufbrechen, das ist richtig. Doch das kann die Wirtschaftspolitik nicht allein. Was sie dafür benötigt, um das Lohngefälle aufzubrechen, sind mündige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich fände es klug, nicht immer wieder, wie von Ihnen in dieser Debatte vorgetragen, den defizitorientierten Ansatz zu wählen, sondern selbstbewusst und stolz nach draußen zu gehen und zu zeigen, was wir im Osten Deutschlands können und erreicht haben. Auch dazu habe ich eine interessante Datenerhebung gefunden: Das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung stellte in einer Umfrage die These auf: Ein schulpflichtiges Kind leidet wahrscheinlich, wenn die Mutter berufstätig ist. Dieser steilen Behauptung stimmten im Jahr 1994 70 % der westdeutschen Frauen zu. Im Jahr 2012 waren es nur noch 30 %. Diese Veränderung der Umfragewerte, dieser Bewusstseinswandel ist ein Erfolg der Wiedervereini

gung, auf den ostdeutsche Frauen stolz sein können und sollten.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Sie rücken die Löhne in den Fokus. Das ist korrekt, auch vor dem Hintergrund der Kinder- und Altersarmut. Ich möchte keine Debatte über die Entlohnung in Ost und West führen, sondern über die Entlohnung sozialer Berufe; denn das ist, auch wenn die Entlohnung in den alten Bundesländern etwas besser ist, ein bundesweites Problem. Die Aktuelle Debatte ist für mich nicht: Was bekommen Ossis, und was bekommen Wessis? Die Aktuelle Debatte ist: In welcher Gesellschaft wollen wir einmal leben? In einer Gesellschaft, in der Menschen arm werden, weil sie in der Pflege arbeiten, oder in einer Gesellschaft, in der die Menschen, die dafür sorgen, dass die Würde des Menschen bis zu seinem Lebensende erhalten bleibt, endlich gerecht entlohnt werden?

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Sie haben im Rahmen Ihres Debattenbeitrages auch einige Umfragen angesprochen, die sich vor allem mit Gefühlen befasst haben. Das liegt ja im Moment im Trend.

Bitte zum Ende kommen.

Das mache ich sehr gern. – Ich denke, wir als Politikerinnen und Politiker, die mit mehr als nur Gefühlen arbeiten müssen, nämlich auch mit Tatsachen und Gesetzen, müssen eine Entscheidung treffen: Wollen wir diese Gefühle befeuern, oder wollen wir ihnen etwas entgegensetzen? Ich bitte Sie um Letzteres.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Die AfD-Fraktion, Herr Spangenberg, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Aktuelle Debatte: Löhne und Renten niedrig – Lebenshaltungskosten hoch. Zeit für einen Politikwechsel zur Beendigung der Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland“. Die Frage ist, warum diese Debatte heute geführt wird. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert haben wir die Vereinigung Deutschlands. Ich halte das für eine Spaltungsdebatte. Was wollen Sie erreichen? Dass das Vokabular „westdeutsch“ und „ostdeutsch“ als Wahlkampfinstrument weiterhin erhalten bleibt? Ist das eventuell Ihre Absicht? Es ist schon lange überfällig, gesamtdeutsch zu denken und auch zu handeln.

Entgegen Ihrer Ideologie endet die Denkweise der meisten Deutschen nicht an einer imaginären ehemaligen innerdeutschen Grenze. Strukturschwache Regionen

haben wir überall in Deutschland, zugegebenermaßen mit 62 % mehr im Osten, aber die Abwanderung verlangsamt sich. Lohnunterschiede sind auch vorhanden, etwa 75 % im Verhältnis zum Westen; aber gleichzeitig gibt es in

großen ostdeutschen Städten höhere Einkommen als in manchen Gegenden in Westdeutschland. Auch die Strukturen, die eben angesprochen wurden, kann man nennen: die Arbeitslosenquote in Eichstätt, Bayern: 1,3 % – positiv –, aber in Gelsenkirchen 13,8 %.

Die Nebenkosten liegen im Westen bedeutend niedriger mit 2,14 Euro pro Quadratmeter als im Osten mit 2,27 Euro. Aber der Alterssicherungsbericht der Bundesregierung von 2016 sagt aus: kaum niedrigere Alterseinkommen im Osten als im Westen. Das Armutsrisiko in Deutschland – gesamt – liegt bei 15,5 %. Bei der Bevölkerung ab 65 Jahren haben wir 14 % Altersarmutsrisiko im Westen und nur 7 % im Osten. Ich führe das deshalb aus, um deutlich zu machen, dass wir nicht mehr in der Denkstruktur Ost – West denken dürfen, sondern wir müssen, wie eben angesprochen, Gesamtdeutschland betrachten, und dieses geht quer durch alle Regionen.

Wir hatten bis 2013 eine Abwanderung von 2 Millionen. Besonders Hoyerswerda und Eisenhüttenstadt waren betroffen. Die Menschen sind nach Bayern, BadenWürttemberg und Schleswig-Holstein ausgewandert. Aber auch westdeutsche Regionen waren betroffen, wie zum Beispiel der Landkreis Fürth und Würzburg. Gleichzeitig gab es wiederum Zuwanderungen nach Dresden, Erfurt und Leipzig. Die Lebenserwartung ist in ganz Deutschland angeglichen, und auch die Lohnstückkosten sind in Ost und West etwa gleich. Der Deutsche Bundestag bestätigt in der Drucksache 18/10636 zwar die fortbestehenden strukturellen Unterschiede zwischen Ost und West, sagt aber gleichzeitig, dass die wirtschaftliche Entwicklung zunehmend differenziert verläuft. Wir haben auch eine Angleichung in der kirchlichen Bindung. Es gibt also in vielen Bereichen Angleichungen, und diese sollten wir hier nicht schlechtreden. Gleichzeitig wird auch die Berufstätigkeit der Frauen, wie eben schon gesagt, in den westlichen Bundesländern positiv gesehen.

Meine Damen und Herren von den LINKEN, Sie fordern den Staat und die Politik, aber die Tarifparteien sollen die Löhne und Gehälter bestimmen, denn nur sie können regionale Besonderheiten zum Wohle des Unternehmens und der Beschäftigten richtig beurteilen. Natürlich kann der Staat dazu beitragen, indem er nicht ständig die Sozialabgaben, die Steuern und die Abgaben insgesamt erhöht, die Grundsteuer, die Steuer auf Treibstoffe usw. Auch das Problem der Zeitarbeiter konnte gelöst werden. Da sind wir bei Ihnen, wenn Sie es gesamtdeutsch betrachten.

Fazit: Nicht Ost und West müssen 27 Jahre nach der deutschen Einheit betrachtet werden, sondern die unterschiedlichen Regionen in ganz Deutschland. Ihre Politik, meine Damen und Herren von den LINKEN, spaltet und behält die Trennung bei. Eine gleichmäßige wirtschaftliche Situation kann es in einem Land nicht geben, da jede Region für Unternehmer wie für Arbeitgeber und auch Kommunen eben nicht gleich ist. Wir sprechen hier von den sogenannten Standortfaktoren. Diese sind nun einmal unterschiedlich.

Zu bedenken ist auch, dass, wenn keine Steigerung der wirtschaftlichen Leistung erreicht wird, eine Neuansiedlung mit Fördermitteln zulasten eines ehemaligen Standortes gesamtwirtschaftlicher Unsinn ist. Sachsen war schon immer ein Land der Tüftler, der Ingenieure und Erfinder. Darin liegt die Stärke.

Zwei Beispiele aus der Zeitschrift „Unternehmen Region“, Ausgabe 3/16: Ein Chemnitzer Jungunternehmern hat ein Verfahren zur Herstellung von Fahrradspeichen aus Faserseilen statt aus Aluminium oder Stahl entwickelt. Das sind Zukunftsgedanken, Innovationen. Damit können wir punkten, und nicht mit einer Debatte, wie: Im Osten sind alle schlecht und im Westen sind alle gut behandelt worden.

Ein zweites Beispiel ist der berühmte Carbonbeton, die Gittertechnik, in Oschatz hergestellt, oder die vom Staatsminister eben erwähnte Autoindustrie. Das sind die Stärken in Sachsen – und nicht eine Neiddebatte, wie sie bei Ihnen durchkommt.

Wir sollten hierin unsere Stärken sehen und uns auf die starken sächsischen Tugenden und Traditionen besinnen. Denken wir besser gesamtdeutsch, regional und ohne parteipolitische Scheuklappen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Die Fraktion GRÜNE, Frau Abg. Zais, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Löhne und Renten niedrig“. Das Thema, das die Fraktion DIE LINKE heute auf die Tagesordnung gesetzt hat, beschäftigt mit Blick auf den beginnenden Wahlkampf nicht nur DIE LINKE, sondern ist auch ein Thema der CDU. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

Es stimmt: Nach wie vor sind die Löhne im Osten niedriger als im Westen, aber dafür gibt es bestimmte Ursachen. Eine der wesentlichsten Ursachen ist die durch die sächsische CDU jahrzehntelang propagierte Niedriglohnstrategie, die, verbunden mit der fehlenden Regulierung des unteren Lohnniveaus, Sachsen zu einem Billiglohnland gemacht hat.

Mit dem gesetzlichen Mindestlohn einschließlich der verankerten Anpassungsmodalitäten hat es – das, sehr verehrter Kollege Gebhardt, muss man sagen – einen Politikwechsel gegeben, der aber nicht das Verdienst der CDU gewesen ist.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Um bei der Wahrheit zu bleiben, muss man konstatieren: Es ist eine Zäsur gewesen, und es wäre unredlich, diese Zäsur hier kleinzureden. Die zweite Ursache für die deutlich niedrigeren Löhne ist der Grad der Tarifbindung der Beschäftigten – Sie haben dieses Thema angesprochen –, der mit 49 % im Osten deutlich geringer ist als mit 59 % im Westen. In beiden Teilen des Landes – auch

das gehört zur Wahrheit – sinkt die Tarifbindung der Beschäftigten seit dem Jahr 1998 deutlich, und zwar im Westen von 76 % im Jahr 1998 auf mittlerweile 59 %. Selbst im Osten hatten wir im Jahr 1998 noch 63 % Tarifbindung aller Beschäftigten, heute sind es nur noch 49 %.

Gleiches trifft auf die Zahl der Betriebe zu, die keinerlei tarifliche Regelung – auch keine Anlehnung an den Tarifvertrag – haben. Die Zahl ist hoch: Es sind im Osten knapp 50 % und im Westen 40 %.

Aber auch der Rückgang der Anzahl der Tarifbindungen ist längst kein ostdeutsches Problem mehr. Er ist auch kein Problem – diesbezüglich muss ich Ihnen widersprechen –, das sich allein durch politisches Handeln ändern lässt.

Das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 des Tarifgesetzes ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden und braucht vor allem das Einvernehmen der Tarifvertragsparteien. Von den rund 73 000 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen sind mit Stand 1. Januar 2017 lediglich 443 Tarifverträge allgemeinverbindlich, darunter nur 125 Tarifverträge, die auch in den neuen Bundesländern gelten. Das heißt, die Gründe sind vielfältig und nicht allein durch politisches Handeln zu erklären. Die Unternehmen wollen heute zunehmend flexible Regelungen. Tarifverträge werden als starr und einengend empfunden. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Schwäche der Gewerkschaften, die geringe Mobilisierungskraft, die wir hier haben, ist ein Thema, das nicht allein durch politisches Handeln zu beheben ist.

Dass vom Mindestlohn allein keine altersfeste Rente erarbeitet werden kann, ist auch klar. Das liegt aber nicht allein an der Höhe des Lohns. Es liegt insbesondere an der Politik der Destabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere auch durch die CDU, die wir hier über viele Jahre verfolgen konnten. Es liegt darüber hinaus auch an den fehlenden rentenpolitischen Instrumenten, um zum Beispiel – das haben wir gehört vom Kollegen Krauß – auf sich ändernde Erwerbsbiografien reagieren zu können.

Mit Blick auf die Rente muss man sagen: Eine Wahl steht an, und die große Wählergruppe der Rentnerinnen und Rentner haben sowohl DIE LINKE als auch die CDU im Blick. Einerseits wird gefordert, den Fortbestand der Höherbewertung der Ostarbeitsentgelte beizubehalten, andererseits die Anhebung der Rentenwerte auf Westniveau. Das ist erstaunlich und für uns Rosinenpickerei. Es ist eine Forderung, die zulasten der heutigen jungen Generation geht, die wir GRÜNE so auf keinen Fall mittragen werden.

Die tatsächlich Benachteiligungslinien – darauf hat Frau Kliese zu Recht verwiesen – verlaufen heute nicht zwischen Ost und West, sondern sie verlaufen zwischen arm und reich, sie verlaufen zwischen Mann und Frau, sie verlaufen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund –