Protokoll der Sitzung vom 16.03.2017

Ich persönlich fühle mich aber nicht besonders wohl mit dieser Einschätzung, auch wenn die Entscheider noch so sorgfältig prüfen. UNHCR, Innenministerium und Auswärtiges Amt schätzten unisono ein, dass die Sicherheitslage in Afghanistan vor allem höchst volatil – also beweglich, sich schnell verändernd – ist. Gebiete, die heute sicher sind, könnten morgen schon unsicher sein. Das macht die Entscheidungen umso schwerer.

Die Wahrscheinlichkeit, dass trotz genauer Prüfung Menschen eben doch in eine Gefahr für Leib und Leben geschickt werden, ist alles andere als null. Die Bundesländer, auch der Freistaat Sachsen, stecken dabei aber in zwei Dilemmata.

Erstes Dilemma: Eine humanitäre Lösung wie in Schleswig-Holstein, für die ich die größte Sympathie habe, hilft nur drei Monate. Danach hat nur die Bundesebene die Möglichkeit, Abschiebungen nach Afghanistan länger auszusetzen. Da eine reale Verbesserung der Lage in Afghanistan nicht in drei Monaten zu erwarten ist, würden wir das Problem nur leicht verschieben.

Zweites Dilemma: Abschiebungen bzw. ihr Vollzug sind reines Regierungshandeln. Die Sächsische Staatsregierung ist an Recht und Gesetz gebunden, und die Rechts- und Erlasslage auf Bundesebene ist nun einmal so, dass grundsätzlich nach Afghanistan abgeschoben werden kann. An dieser Stelle haben Sie auch nicht recht, Frau Nagel, dass Sie das Gegenteil als rechtmäßig betrachten. Das Einhalten der Gesetzes- und Rechtslage ist der Maßstab. Der Landtag würde also mit Beschluss dieses Antrags die Staatsregierung unter Umständen zu rechtswidrigem Verhalten verpflichten. Deshalb lehnen auch wir den Antrag ab.

Problematisch finde ich auch, dass wir in dieser Frage momentan einen Flickenteppich in Deutschland haben. Jedes Bundesland handelt anders. Die einzige Lösung in dieser Problematik besteht meines Erachtens in einem Umdenken des Bundes. Insofern nehme ich Ihren Antrag als deklaratorisch wahr. Allerdings wird er nicht effektiv dazu beitragen, dass sich der Bund dort bewegt. Es braucht aber einen von Bundesebene getragenen Abschiebestopp nach Afghanistan aus humanitären Gründen, bis die Sicherheitslage stabilisiert ist. Das ist aus Sicht der SPD der einzige Weg.

Der Antrag der LINKEN hilft dabei aber leider nicht weiter. Auch deshalb lehnen wir ihn ab. Frau Kollegin Nagel, Sie dürfen aber sicher sein, dass wir uns – so wie Sie angeregt haben – bereits jetzt auf unseren Wegen und Kanälen dafür einsetzen, dass diese Entscheidung vielleicht noch fällt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlässlich dieser Debatte möchte ich aber auf eine weitere Entwicklung in

Sachsen hinweisen. Das Land ist ja generell zuständig für den Vollzug von Abschiebungen. Es gibt eine Entwicklung der letzten Monate, dass wir mehr Abschiebungen zu verzeichnen haben. Aber wer wird da eigentlich abgeschoben? Einig sind wir uns sicher, dass im Fall von Mehrfach- und Intensivstraftätern oder Menschen, die sich beharrlich nicht an die Regeln halten, eine Durchsetzung der Ausreisepflicht sinnvoll ist, gerade im Interesse der vielen Integrationswilligen.

Aber wir bekommen aus mehreren Landkreisen und kreisfreien Städten leider immer häufiger Berichte, dass nicht diese Personen im Fokus der Behörden stehen. Nein, es sind vor allem diejenigen, die einfach zu bekommen und einfach abzuschieben sind. Mir drängt sich manchmal der Verdacht auf, dass damit um jeden Preis die Abschiebezahl nach oben gedrückt werden soll. Doch, meine Damen und Herren, ich finde, das hat fatale Folgen. Menschen, deren Angehörige hier Arbeit oder Beschäftigung haben oder suchen, deren Kinder hier zur Schule gehen, die sich hier einbringen, hier leben, sich hier integrieren wollen, müssen unser Land verlassen. Gleichzeitig können beharrliche Integrationsverweigerer oder gar Straftäter hierbleiben und weitermachen wie bisher. Welches Signal ist das an die Gutwilligen? Diese Entwicklung konterkariert massiv die intensiven Bemühungen der Staatsregierung, des Landtages, der Kommunen und vor allem der vielen, vielen Menschen, die sich tagtäglich um Unterstützung und Integration von Zuwanderinnen und Zuwandern bemühen.

An dieser Stelle möchte ich an die zuständigen Behörden, aber auch an den Innenminister, der heute leider vertreten werden muss, und an den Sächsischen Ausländerbeauftragten appellieren, diese schwierige Praxis abzustellen. Bitte wirken Sie daran mit, dass unsere Integrationsbemühungen und die ersten Erfolge dabei nicht länger für besonders hohe Abschiebezahlen geopfert werden. Wirken Sie aktiv daran mit, dass zuerst bei Menschen, die sich nicht integrieren wollen oder sogar kriminell sind, die Ausreisepflicht durchgesetzt wird. Ich weiß, das ist schwieriger als bei den anderen Menschen, aber es wäre sehr wichtig. Sorgen Sie bitte mit dafür, dass alle integrationswilligen Menschen in unserem Land eine faire Chance bekommen.

Daneben gäbe es durchaus eine Möglichkeit, die Rechte integrationswilliger Menschen zu stärken. Wir könnten beispielsweise gemeinsam mit dem Sächsischen Ausländerbeauftragten die Härtefallkommission stärken. Wäre die Kommission in der Lage, mehr Fälle in kürzerer Zeit zu entscheiden, könnte vielen mehr geholfen werden, im Übrigen auch von Abschiebung bedrohten Menschen aus Afghanistan. Sollten dafür Gesetzesänderungen oder zusätzliche Ressourcen notwendig sein, wird es an der SPD nicht scheitern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Nun für die AfDFraktion Herr Abg. Wendt, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Afghanistan, das Land am Hindukusch, seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden ein Land, das ständig militärischen Konflikten ausgesetzt war. Werte Kollegen Abgeordnete, natürlich ist es allzu menschlich, wenn sich Einwohner Afghanistans auf den Weg machen, weil sie sich dadurch ein sichereres und wirtschaftlich besseres Leben erhoffen. Aber es dürfte doch auch jedem klar sein, dass es weltweit sehr viele Konfliktherde gibt und Deutschland eben nicht in der Lage und die Bevölkerung nicht willens ist, alle Menschen aufzunehmen.

(Beifall bei der AfD)

In Ihrem Antrag, werte Linksfraktion, fordern Sie einen Abschiebestopp für afghanische Asylbewerber.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Ist seit 2015 alles zusammengebrochen?)

Sie beziehen sich in Ihrem Antrag auf den UNHCRBericht vom Dezember letzten Jahres. Dieser Bericht zeigt auf, dass die Lage in Afghanistan durchaus schlechter einzuschätzen ist. Wenn Sie den Bericht jedoch genau lesen, werden Sie feststellen, dass es trotz alledem keine Empfehlung gibt, Abschiebungen auszusetzen. Auch wenn der UNHCR-Bericht keine Unterteilung in sichere und unsichere Gebiete vornimmt, wird in diesem Bericht jedoch deutlich, dass es Gebiete gibt, in denen keine bewaffneten Konflikte stattfinden. Exemplarisch seien hierbei die Provinzen Bamiyan und Panjshir genannt.

Zudem sind in Afghanistan nicht nur ausländische Truppen – dazu gehören auch die Bundeswehrsoldaten – aktiv, nein, mittlerweile sind dort über 350 000 afghanische Soldaten und Polizisten im Einsatz, um für Sicherheit im Land zu sorgen. Dass dies nicht flächendeckend gelingt, lässt sich nicht bestreiten. Aber es gibt eben, wie bereits erwähnt, Gebiete, in denen man ruhig leben kann. Ich spreche hier übrigens aus Erfahrung, da ich ein halbes Jahr als Soldat in Afghanistan eingesetzt war.

Das sind doch letztendlich Fakten, die zum jetzigen Zeitpunkt Abschiebungen, nachdem die Asylanträge rechtskräftig abgelehnt worden sind, durchaus rechtfertigen.

Noch etwas möchte ich thematisieren, weil wir das in unsere Überlegungen einbeziehen sollten. Ich zitiere hier aus der „TAZ“ vom 26.01.2016: „Mit über 56 000 Notopfern starben 2014 allein in Brasilien mehr Zivilisten durch Gewalt als in den Krisengebieten Afghanistan, Irak, Syrien und der Ukraine zusammen, wie Robert Muggah vom brasilianischen Institute Igarapé sagt.“

Auch in den USA sterben täglich etwa 90 Menschen durch Gewalttaten, wie dem „Handelsblatt“ vom 03.12.2015 zu entnehmen war. Jedes Opfer ist eines zu viel, darin sind wir uns alle einig. Diese Länder werden dennoch größtenteils als sicher eingestuft. Mehr noch:

Brasilien und die USA gelten als Einwanderungs- und Urlaubsland.

Selbst Brasilien nimmt zurzeit syrische Flüchtlinge auf. Würden Sie deshalb jemals auf den Gedanken kommen, einen Abschiebestopp für brasilianische oder amerikanische Flüchtlinge zu fordern? Ich denke, nein.

(René Jalaß, DIE LINKE: Warum waren Sie denn in Afghanistan und nicht in Brasilien? Was sind die Grundlagen dieser Entscheidung?)

Zudem verstehen die Bürger nicht – und dazu gehören auch unsere Soldaten –, warum deutsche Soldaten Afghanistan mit ihrem Leben verteidigen sollen und im Gegenzug Afghanen in Deutschland verbleiben dürfen. Warum ist es denn verwerflich, wenn afghanische Männer zurück in ihr Heimatland geschickt werden? Diese Männer sollten sich doch für ihr Land und damit für Demokratie und Sicherheit in Afghanistan stark machen.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. René Jalaß, DIE LINKE)

Es ist doch niemandem damit geholfen, wenn Millionen Afghanen ihr Land verlassen oder es in die Hände der Taliban fällt. Die afghanische Bevölkerung wäre sicherlich dankbar, wenn sich diese Männer den afghanischen Streitkräften anschließen würden.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Oh Gott! – Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Dennoch sollten wir dem Beispiel Schleswig-Holsteins folgen und Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen. – Wir als AfD müssen Ihrem Vorschlag unter Einbeziehung aller bereits genannten Fakten ein klares Nein entgegensetzen, auch weil Schleswig-Holstein hier einen eigenen Weg einschlägt, obwohl diese Entscheidung nur vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffen werden kann.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Nein, wir können das entscheiden!)

Wo kommen wir denn hin, wenn jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht, sich gegen diese Entscheidung stellt und damit die gängige Gesetzeslage konterkariert?

(Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Deshalb muss man sich zu Recht die Frage stellen, ob wir mittlerweile in einem rechtsfreien Raum leben. Es reicht dazu schon, dass die Bundesregierung gegen geltendes Recht verstößt. Dem dürfen wir doch nicht folgen.

In Ihrem Antrag fordern Sie zudem, dass Abschiebungen nach Afghanistan so lange ausgesetzt werden sollen, bis – ich zitiere – „das Land wieder in allen Regionen als ein sicherer Staat eingestuft werden kann“.

Da wir nun mitverfolgen konnten, dass Sie nicht einmal die Urlaubsländer Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer einstufen, ist doch zu erwarten, dass Sie im Falle Afghanistans ebenso entscheiden wür

den, selbst wenn die Sicherheitslage ähnlich wäre wie in den Maghrebstaaten. – Werter Antragsteller, geben Sie es doch zu, Sie wollen in Wirklichkeit niemanden abschieben und allen Menschen weltweit einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ermöglichen.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Ja! – Frank Kupfer, CDU: Habt ihr jetzt Ja gesagt?)

Dabei lassen Sie völlig außer Acht, dass dies in der Realität verheerende Auswirkungen auf unser Land hätte. Auch wenn wir hinter der Entscheidung der Bundesregierung stehen, muss dennoch auf deren Unvermögen, aber auch auf das der Sächsischen Staatsregierung hingewiesen werden. Darauf muss hingewiesen werden, weil von Hunderttausenden abgelehnten Asylbewerbern, egal

welcher Herkunft, bis dato nur ein Bruchteil abgeschoben wurde und damit weiter gegen geltendes Recht verstoßen wird. Es kann doch nur als Scherz bezeichnet werden, wenn man eine Sammelabschiebung von 18 Asylbewerbern feiert, obwohl es Hunderttausende sein müssten. Deshalb verstärkt sich der Verdacht, dass es sich hierbei um ein durchdachtes wahltaktisches Manöver handelt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Wahltaktisches Manöver? – Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Es geht hier um Menschenleben, Herr Wendt!)

Meine Damen und Herren! Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abg. Zais. – Sie haben das Wort, Frau Zais.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Wendt, Sie mögen sicher irgendwann einmal eine bestimmte Zeit als Soldat der Bundeswehr in Afghanistan zugebracht haben, aber ich glaube nicht, dass Sie, seitdem Sie im Sächsischen Landtag sitzen, nachvollzogen haben, was in den letzten zweieinhalb Jahren dort passiert ist. Es ist eine hochkomplexe Lage, es ist eine explosive Lage – ethnisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell. Ihre Bemerkung, dass sich die Menschen in Afghanistan sicher freuen würden, wenn alle zurückkommen und sich sozusagen bei den Regierungstruppen einreihen, zeigt, wie wenig Ahnung Sie tatsächlich haben.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Aber Sie!)

Gerade diejenigen, die aus den westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkommen, haben es unheimlich schwer. Ihnen bleibt oft keine andere Wahl, als zum Beispiel in den Großstädten Zuflucht zu suchen. Über die Situation in Kabul und anderen Städten hat Juliane Nagel berichtet. Die ersten Berichte, die wir haben, seitdem nach Afghanistan wieder abgeschoben worden ist, besagen, dass diesen Menschen oft keine andere Wahl bleibt, als sich sozusagen anwerben zu lassen von den Taliban-Truppen, was wir eigentlich nicht wollen.

Weiterhin gibt es in Afghanistan – das darf man auch nicht vergessen – über eine Million Binnenflüchtlinge. Seit Jahrzehnten wird versprochen, dass deren Situation verbessert wird – und sie wird nicht verbessert. Pakistan will über eine Million geflüchtete Afghanen abschieben. Ich frage mich also angesichts dieser wirklich dramatischen Situationsbeschreibung – die man ja auch nachlesen kann, es gibt den UNHCR-Bericht, es gibt Berichte von Hilfsorganisationen –, wie Sie zu der Einschätzung kommen können, das sei alles wunderbar und diese Männer sollen jetzt gefälligst mit der Knarre in der Hand ihr Land verteidigen. Irre, wenn ich Ihnen zuhöre, sorry!

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine wertvolle Redezeit ist jetzt schon zur Hälfte vorbei, ich kann also meinen Zettel vergessen. Deshalb sage ich einfach für unsere Fraktion noch einmal Folgendes: Wir stimmen selbstverständlich diesem Antrag zu. Es ist ein guter Antrag, und es ist auch kein Antrag, der die Sächsische Staatsregierung zum Rechtsbruch auffordert. So ein Blödsinn!