Protokoll der Sitzung vom 11.04.2017

Es ist ein Menschenbild, das die Würde des Menschen in Abhängigkeit von seiner Leistungsfähigkeit stellt. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie uns das heute noch einmal gezeigt haben. Es hätte keines weiteren Beweises bedurft; aber Frau Kersten war am Ende sehr deutlich.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU – Beifall der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Wir haben zu dem Thema Inklusion einen höchst differenzierten und sehr ausführlichen Diskussionsprozess mit allen Beteiligten geführt. Das Ergebnis bezeichnen Sie von der AfD als „fatale Fehlentscheidung“. Dabei steht dieses Ergebnis am Ende einer bedachtsamen, schrittweise Vorgehensweise. Mit einer Fehlentscheidung hat es aus meiner Sicht überhaupt nichts zu tun, vielmehr mit einem differenzierten, teilweise sehr langsamen Prozess. Aber es

zeigt den Fatalismus Ihrer Politik, dass Sie das so pauschal und rundweg ablehnen.

Sie haben uns aufgefordert, das Thema Inklusion zu Ende zu denken. Auch das zeigt, wie wenig Sie mit dem Thema vertraut sind; denn Inklusion kann man nicht zu Ende denken. Inklusion ist ein niemals endender Prozess.

Sie haben gesagt, das Bestmögliche werde an einer Regelschule niemals möglich sein. Eine Regelschule werde niemals das Bestmögliche für ein Kind leisten können. Das ist eine sehr starke These. Es gibt schon viele lebende Beispiele, die diese These widerlegen. Ein Beispiel ist ein Junge mit Downsyndrom, dem es gelungen ist, an einer Oberschule einen Realschulabschluss zu machen. Diesen hätte er so an einer Förderschule nicht erzielen können.

Sie sehen mit Einführung der Inklusion die PISAErgebnisse in Gefahr. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Eine funktionierende Gesellschaft besteht aus deutlich mehr als aus guten PISA-Ergebnissen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Eine funktionierende Gesellschaft besteht aus gegenseitiger Rücksichtnahme, aus dem Mitnehmen von Starken und Schwachen und aus Werten, die Ihnen fremd sind, zum Beispiel Solidarität. Mir ist es wichtig, dass wir auch an dieser Stelle zeigen, dass uns allen – auch den anderen Fraktionen – diese Werte eines gemeinsamen Miteinanders in unserem Schulwesen, ob an einer Regel- oder an einer Förderschule, wichtig sind.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt Frau Staatsministerin Kurth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Heute verabschieden wir ein novelliertes Schulgesetz – ein gutes novelliertes Schulgesetz –, nachdem unser noch gültiges Schulgesetz 13 Jahre lang Bestand hatte. Auf der heutigen Tagesordnung steht damit eines der bedeutendsten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislatur.

Die Bildungswissenschaftler sind sich einig darüber, dass das Wichtigste für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler guter Unterricht ist. Guter Unterricht steht im Zentrum von Schulqualität. Guter Unterricht im Freistaat Sachsen – das heißt, dass er auf der Umsetzung unserer Lehrpläne basiert.

Vorhin ist viel von Wissen und von Kompetenzen gesprochen worden. Unsere sächsischen Lehrpläne, die übrigens wegen ihrer Qualität von den anderen Bundesländern hoch geachtet werden, basieren auf einem Dreiklang aus Wissensvermittlung, Kompetenzerwerb und Wertevermittlung. Die AfD hat vorhin behauptet, wir würden die Wissensvermittlung vernachlässigen. Mitnichten! –

Dieser Dreiklang der Lehrpläne zieht sich durch den Unterricht und den Schulalltag unserer Schülerinnen und Schüler. Das ist gut so. Diese Qualität werden wir bei uns im Freistaat Sachsen beibehalten.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Guter Unterricht braucht Rahmenbedingungen, und zwar solche, die flexibel gestaltet werden können. Nur so, meine Damen und Herren Abgeordneten, kann den unterschiedlichen Bedarfen und den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort entsprochen werden. Das ist einer von vielen Aspekten – meiner Meinung nach der wesentliche –, denen ein Schulgesetz genügen muss. Das novellierte Schulgesetz tut das.

Gesellschaftliche Veränderungen, neue Anforderungen einer Wissens- und Informationsgesellschaft, aber auch vorliegende Gerichtsurteile – diese wurden schon erwähnt – haben eine Weiterentwicklung unseres Schulgesetzes überfällig gemacht. Der Fokus dieses Prozesses lag dabei immer auf einem modernen Schulgesetz, das nicht nur heute und morgen, sondern auch übermorgen Rahmenbedingungen und vor allem Rechtssicherheit auf der Grundlage unserer Sächsischen Verfassung für eine zukunftsfähige Schule bietet. Meine Damen und Herren! Ich spreche heute als Ministerin nicht über Gefühle, sondern über die Herausforderungen, die dieses Schulgesetz bestehen muss.

Erstens. Schulqualität muss mit Blick auf den demografischen Wandel und unabhängig von strukturellen Herausforderungen in der Fläche gewährleistet werden. Das heißt, wir sichern chancengerechte Bildung in Stadt und Land. Das Schulgesetz hat darauf eine Antwort. Die Schule gehört zum öffentlichen Leben. Sie ist eingebettet in die unmittelbare wohnortnahe Umgebung der Schülerinnen und Schüler. Deshalb erhalten wir die Schulen im ländlichen Raum. Das betrifft sowohl die Schulen in öffentlicher als auch in freier Trägerschaft.

Zweitens. Bei aller zunehmender Heterogenität der Schülerschaft müssen ein optimaler Lernerfolg und die Durchlässigkeit zwischen den Schularten ermöglicht werden. Die Grundschulen und vor allem die Oberschulen werden durch die Neuregelungen im Schulgesetz gestärkt. Ich möchte noch auf die Oberschulen eingehen. In Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern, Praxisberatern und Fachleitern können die Schulen den Schulerfolg der Schülerinnen und Schüler unterstützen, sie auf die Berufsausbildung vorbereiten oder auch den Weg zu einem studienqualifizierenden Abschluss ermöglichen. Wir

betonen als CDU im Besonderen den Weg in die Berufsausbildung oder zu einem studienqualifizierenden Abschluss. Das ermöglichen unsere Oberschulen.

Drittens. Mit der Globalisierung und den gesellschaftlichen Veränderungen geht auch ein wachsender Bildungs- und Erziehungsanspruch an die Schule einher. Dieser Anspruch wurde im Schulgesetz berücksichtigt. So ist der Bildungs- und Erziehungsauftrag im Gesetz ausführlich und unmissverständlich formuliert. Schüler, Eltern und

Schulträger werden noch stärker in die Entscheidungsprozesse bei der Gestaltung von Schule einbezogen. Indem sich Schule regional öffnet, kann der gemeinsame, in die Gesellschaft wirkende Auftrag mit allen an Schule Beteiligten besser umgesetzt werden, wenn sich die an Schule Beteiligten engagieren.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit Blick auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag werden wir uns alle Lehrpläne und Stundentafeln noch einmal ansehen müssen, um die Unterrichtsbelastung unserer Schülerinnen und Schüler zu senken, denn hier sind wir im Bundesländervergleich fast Spitzenreiter.

Viertens. Auch gleichberechtigte Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler am schulischen Leben ist Ziel der sächsischen Bildungspolitik. Das novellierte Schulgesetz stärkt das Elternwahlrecht und hebt die Förderschulpflicht auf – und ich betone –, wobei die Förderschulen im Freistaat Sachsen erhalten werden. Sie sind erforderlich und bieten für viele Schülerinnen und Schüler den notwendigen geschützten Raum. Mit den in der Beschlussempfehlung des Schulausschusses vorliegenden Änderungen wurde ein guter Kompromiss zwischen der unbestrittenen Notwendigkeit zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich der Inklusion einerseits und den zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie dem notwendigen zeitlichen Vorlauf für eine erfolgreiche flächendeckende Einführung andererseits erzielt.

Fünftens. Unsere Kinder und Jugendlichen kommen aus sehr verschiedenen Lebenswelten. Lehrerinnen und Lehrer müssen mit dieser Komplexität umgehen können und veränderungsbereit sein. Das ist eine große Herausforderung, denn sie werden mit digitaler Bildung, Umgang mit Flüchtlingskindern und kultureller Vielfalt in ihrem beruflichen Alltag konfrontiert. Auch politische Bildung und Demokratieerziehung rücken stärker in den Fokus der Schule.

Das novellierte Schulgesetz bietet den Schulen durch die Bereitstellung von pauschalisiertem Lehrerarbeitsvermögen – das hat Frau Friedel bereits erwähnt –, eigenen Haushaltsmitteln und Schulkonten mehr Freiheit und Eigenverantwortung, auch für professionelle Fortbildungs- und Unterstützungsangebote.

Sechstens. Meine Damen und Herren! Der Rückgang und der Alterungsprozess der Bevölkerung sind für ganz Deutschland bezeichnend. Besonders betroffen sind allerdings die ostdeutschen Länder, da hier demografischer Wandel und struktureller Umbruch nach 1989 zusammenfielen. Wir haben in Sachsen nicht genügend grundständig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, um die vielen Altersabgänge in den nächsten Jahren zu kompensieren. Das Schulgesetz sichert Schulen im ländlichen Raum. Gleichwohl erwächst daraus auch ein zunehmender zusätzlicher Lehrerbedarf. Hier muss ausgesprochen werden, dass durch einige Regelungen im Schulgesetz die Möglichkeiten des effizienten Lehrereinsatzes verringert werden. Exemplarisch sei von meiner Seite dazu erwähnt, dass die Nicht-Zusammenlegung von

Abschlussklassen, die Senkung der Mindestschülerzahl für Berufsschulzentren sowie einzügige Oberschulen in Mittelzentren ressourcenrelevant sind und große Herausforderungen für uns darstellen werden.

Siebentens. Unser gemeinsames Ziel, meine Damen und Herren, muss es sein – und hier wird sicher kein Widerspruch erhoben –, den Unterricht in allen Schularten und an allen Standorten fachgerecht abzusichern. Dafür werden wir in den nächsten Jahren auf Seiteneinsteiger zurückgreifen und sie entsprechend qualifizieren. Seiteneinsteiger, das zeigen alle Erfahrungen, sind ganz überwiegend eine Bereicherung für unsere Schulen. Sie müssen allerdings so qualifiziert werden, dass sie die Anforderungen an guten Unterricht erfüllen können. Ich habe eingangs erwähnt, dass Lehrpläne und Stundentafeln wegen der Unterrichtsbelastung der Schülerinnen und Schüler geprüft werden müssen. Klar ist aber auch, meine Damen und Herren, dass bei allen Maßnahmen die Ressourcenfrage zentral in den Blick genommen werden muss.

Meine Damen, meine Herren! Ich habe Ihnen dargelegt, dass das novellierte Schulgesetz Antworten auf veränderte Bedingungen und aktuelle Fragen bereithält. Es ist zeitgemäß, es setzt einen Rahmen für zukunftsfähige Schule und lässt Gestaltungsspielraum für die individuelle Schulentwicklung unter Einbeziehung aller Bildungspartner. Dabei richtet es den Fokus auf den optimalen Lernerfolg unserer Schülerinnen und Schüler und stärkt in großem Maße die Eigenverantwortung von Schule. Schule kann vor Ort individuell gestaltet werden.

Im Vergleich der Bildungssysteme der deutschen Bundesländer, meine Damen und Herren, ist Sachsen seit zehn Jahren an der Spitze. Sachsen hat nachweislich ein erfolgreiches, ein leistungsfähiges und ein anerkanntes Bildungssystem. Dieses haben wir stetig weiterentwickelt und dabei die bewährte Struktur niemals infrage gestellt. Das wird auch mit dem novellierten Schulgesetz so bleiben. Ich kann Ihnen vor diesem Hintergrund empfehlen, dem Gesetz zuzustimmen und möchte mich abschließend bei allen bedanken, die an der Erarbeitung dieses Gesetzes mitgewirkt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Sie wissen, dass das Änderungsgesetz nach Nummern aufgebaut ist. Deshalb möchte ich Ihnen vorschlagen, dass wir zu den Artikeln nummernweise abstimmen. Wir haben die Änderungsanträge den einzelnen Nummern zugeordnet, um den Überblick zu behalten, weil es eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen gibt. Die Nummern, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, würde ich in der Abstimmung gleich zusammenziehen. Können wir so verfahren? – Gut.

Aufgerufen ist das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens im Freistaat Sachsen. Wir stimmen ab auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule und Sport, Drucksache 6/9118. Ich beginne mit der Überschrift und Artikel 1, Änderung des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen, und nehme gleich noch Punkt 1 dazu, weil es keine Änderungsanträge gibt. Wer möchte seine Zustimmung geben? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Eine ganze Reihe von Stimmenthaltungen, keine Gegenstimme. Damit ist der Überschrift unter Nummer 1 zugestimmt.

Ich rufe Nr. 2 von Artikel 1 auf, Drucksache 6/9246, Änderungsantrag der AfD-Fraktion. Wird Einbringung gewünscht? Frau Kersten, bitte.

Unser Begehren ist eingebracht. Es geht hier nur um die Überschrift.

Möchte sich noch jemand zu diesem Änderungsantrag äußern? – Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über diesen Änderungsantrag jetzt abstimmen. Wer stimmt zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Wenige Stimmen dafür, keine Stimmenthaltungen, die Mehrheit waren Gegenstimmen. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Ich rufe Drucksache 6/9271 zu Artikel 1 Nr. 2 auf – Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN. Frau Zais, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Antrag an dieser Stelle ein und werde ihn bei den weiteren Punkten dann nicht noch einmal einbringen.

In unserem Änderungsantrag geht es um das Thema Gemeinschaftsschulen. Wir haben in der heutigen Generaldebatte schon an vielen Stellen darüber gesprochen. Nach unserer Auffassung gibt es bei objektiver und nüchterner – aber weniger emotionaler – Betrachtung viele Gründe, die tatsächlich für ein längeres gemeinsames Lernen an Sachsens Schulen sprechen.

In der Anhörung wurden Anfang März gute und erfolgreiche Beispiele unserer Nachbarn aus Thüringen vorgestellt. Gemeinschaftsschulen verhindern mitnichten Leistung. Dieses immer wieder zu hörende schräge Vorurteil über Gemeinschaftsschulen konnte in der Anhörung klar widerlegt werden.

Wir sind der Auffassung, dass sich Sachsens CDU ein Beispiel nehmen sollte an den konservativen Kolleginnen und Kollegen in Thüringen, die einem nachgewiesen erfolgreichen Bildungsansatz mit erfrischender Offenheit begegnen.

Gemeinschaftsschulen erweitern die Schulvielfalt, eröffnen neue Spielräume und bieten durch den Verzicht auf die frühe Selektion in die Schularten mehr Chancen, Entwicklungspotenziale tatsächlich auszuschöpfen.

(Christian Piwarz, CDU: Warten wir einmal die PISA-Ergebnisse im nächsten Jahr ab!)

Sie sind auch eine Antwort auf die wachsende Heterogenität in den Klassenzimmern.

Überall dort – und das ist im Grunde Inhalt unseres Antrags –, wo das Einverständnis der Beteiligten, nämlich der Schulträger, der Schulkonferenz etc. vorliegt, soll entsprechend unserem Antrag Gemeinschaftsschule

möglich sein. Darauf zielt unser Antrag. In den Folgeparagrafen werden dann die entsprechenden Bedingungen formuliert.

Uns geht es nicht darum – wie uns so häufig unterstellt wird –, flächendeckend Gemeinschaftsschulen zu verordnen. Wir wissen, wie wichtig der Schulfrieden ist. Aber der Schulfrieden ist auch gefährdet – das hat Prof. Melzer in seinem Interview heute hier noch einmal deutlich gesagt –, wenn eine größere Gruppe von Eltern ihre Vorstellungen von Schule und Bildungskonzepten nicht im Rahmen öffentlicher, staatlicher Schulen umsetzen kann.