Protokoll der Sitzung vom 11.04.2017

Entscheidend ist an dieser Stelle, dass es ein Übergangsgesetz ist. Ich weiß – das hat meines Wissens auch der Innenminister schon öffentlich gesagt –, dass bereits an einem Gesetzentwurf über ein Vollgesetz zum Vollzug von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam gearbeitet wird.

Jetzt kommen wir einmal zu Ihrem Antrag, Frau Zais. Mir ist immer noch nicht klar, warum Sie Ausreisegewahrsam nur in der Überschrift erwähnen. Aber neben den Fragestellungen, die Sie inhaltlich auch auf dem Weg einer Kleinen Anfrage hätten klären können, geht es Ihnen um scheinbare Alternativen zur Abschiebehaft und zum Ausreisegewahrsam – scheinbar deshalb, weil Sie implizit unterstellen, dass die Maßnahmen willkürlich zur Anwendung kommen, ohne zuvor mildere Mittel anzuwenden.

(Zuruf der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Das Gegenteil ist doch aber Realität. Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam sind auch bezüglich der Verhältnismäßigkeit ausreichend geregelt. Ein Blick ins Aufenthaltsgesetz verdeutlicht, was ich meine. Herr Kollege Hartmann hat den entscheidenden Abs. 1 des § 62 des Aufenthaltsgesetzes zitiert. Ich würde noch etwas hinzufügen, denn in § 62 b ist wiederum das Ausreisegewahrsam geregelt. Dort steht in Abs. 3: „In § 62 Abs. 1 … finden entsprechend Anwendung.“

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Frage der Anwendung von Alternativen oder milderen Mitteln ist bereits geregelt. Es wird auch deutlich, dass die Anwendung von Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam für Familien und Kinder ohnehin nur in sehr, sehr seltenen Fällen zur Anwendung kommen kann. Sie wollen das per Antrag implizit ausschließen und damit letztlich das Bundesrecht aushebeln. Das finde ich rechtlich zumindest schwierig.

Viel wichtiger würde ich es allerdings finden, wenn wir darüber diskutieren würden, welche Bedingungen in der Einrichtung für Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam in Sachsen für die Betroffenen herrschen sollen. Vor allem die besonders schutzwürdigen Menschen und Familien brauchen natürlich ganz andere Bedingungen, und es geht ganz klar auch um eine Trennung von allein untergebrachten Personen.

Es macht überhaupt keinen Sinn, über dieses Thema mit einem separaten Antrag zu diskutieren. Ich lade Sie deshalb vielmehr ein, sich mit Ihren Gedanken in die Debatte über das Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz einzubringen. Diese werden wir sicherlich bald im Innenausschuss und später auch hier im Plenum führen. Ihr Antrag ist deshalb in meinen Augen und in den Augen meiner Fraktion nicht nur inhaltlich nicht ganz korrekt, sondern auch unnötig. Wir lehnen ihn deshalb ab.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Nun für die AfD-Fraktion Herr Abg. Wippel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Wenn ich in ein Land einreise, dann mache ich mir vorher Gedanken über die Umstände und über meinen Verbleib. Das sollte man sich zumindest bewusst machen.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Das ist ja wohl zynisch!)

Wenn ich in ein Land illegal einreise, dann muss ich mir darüber auch Gedanken machen. Das heißt nämlich, dass ich von vornherein weiß, dass ich das Rechtssystem dieses Landes im besten Fall gebrauche und im schlimmsten Fall bewusst missbrauche. Das zieht Konsequenzen nach sich, und zwar in jedem Land der Welt. So muss es auch in Deutschland sein.

(Beifall bei der AfD)

Diese Konsequenzen kann ich vielleicht nicht wollen, aber ich nehme sie in Kauf bei meiner Entscheidung, in dieses Land zu gehen und nicht in ein anderes.

Halten Sie sich einmal eine Woche lang mit einem abgelaufenen Visum in Australien auf, dann werden Sie wissen, dass die Polizei nicht lange fackelt, wenn man Sie erwischt. Dann sind Sie ratzfatz im Flieger nach Hause.

Ja, meine Damen und Herren, wir wollen in Deutschland Hilfe leisten. Das wurde auch gemacht, sogar so weit, dass man Artikel 16 a Abs. 2 des Grundgesetzes weitgehend ignoriert hat. Was will man denn noch an Entgegenkommen machen?

Der Schutz, den Deutschland bieten kann, auch quantitativ, ist schlicht und ergreifend begrenzt. Deswegen brauchen wir auch eine Obergrenze, aber die haben Sie allesamt hier in diesem Hohen Haus natürlich abgelehnt.

(Albrecht Pallas, SPD: Können Sie hier gar nicht entscheiden, Herr Wippel!)

Meine Damen und Herren, wenn wir Schutz bieten wollen, dann ist es natürlich auch richtig, dass wir den Missbrauch unserer Gesetze und den Missbrauch der Hilfsangebote, die wir machen, vermeiden. Insofern sind auch eine konsequente Ausreise und deren Umsetzung zwingend erforderlich.

Der Antrag, den wir heute haben, ist in diesem Sinne nicht nur überflüssig, weil er im Grunde genommen die milderen Mittel, die nach dem Gesetz schon geprüft werden müssen, schlicht und ergreifend ignoriert, sondern er ist auch schädlich. Sie versuchen eigentlich, darauf hinzuwirken, dass man der Ausreisepflicht nicht mehr nachkommen muss.

Derjenige, der hier bleibt, obwohl er eine Ausreiseverfügung hat, handelt rechtswidrig. Das heißt, mit Ihrem Antrag, den Sie hier stellen, machen Sie eines: Sie wollen die Rechtswidrigkeit und das rechtswidrige Handeln verstetigen. Dieser Prozess findet schon jahrelang in Deutschland statt, indem sich Menschen immer wieder der Abschiebung bzw. der Ausreisepflicht entziehen. Sie wollen dieses Rad immer weiter drehen.

Mit dem Antrag heute machen Sie aber noch etwas anderes. Sie werfen uns immer Zynismus vor. Das ist es aber tatsächlich nicht. Zynisch sind Sie; denn Sie wiegen die Menschen in falscher Hoffnung, dass sie hierbleiben können. Das ist unmoralisch. Sie machen die Menschen zur Verfügungsmasse Ihrer Politik und zum Spielball.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Das ist doch Schwachsinn!)

Es gibt natürlich Alternativen zum Ausreisegewahrsam und auch zur Abschiebehaft. Die erste ist eigentlich ganz klar, sie liegt auf der Hand: Man reist erst gar nicht ein, wenn man kein Visum hat oder sonst nicht legal einreisen darf.

Die zweite: die freiwillige Ausreise mit der Ausreiseverfügung. Mit der Ablehnung des Asylantrags haben wir das Recht auf die Prüfung des Asylantrags erfüllt. Wir sind als Staat zu der Erkenntnis gekommen, ein Schutzgrund liegt nicht vor. Dann ist es die Aufgabe, die Koffer zu packen, tschüss zu sagen und nach Hause zu gehen.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Das ist zynisch!)

Meine Damen und Herren! Sie erklären heute hier mit diesem Antrag die Weigerung, sich dem Recht zu unterwerfen, quasi zum Normalfall. Das Recht zu befolgen sollte allerdings der Normalfall sein. Eigentlich müssten wir über diesen Antrag in einem funktionierenden Rechtsstaat heute überhaupt nicht sprechen.

Dieser Antrag fördert die Weigerung der Ausreise und den Asylmissbrauch. Er ist rundweg abzulehnen.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde in der Aussprache. Gibt es aus den Reihen der Fraktionen Redebedarf für eine weitere Runde? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Ulbig, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ganz klar: Das Asylrecht ist ein hohes und wichtiges Gut. Es ist eine Errungenschaft unserer humanistischen Tradition.

Wenn jemand bei uns aus den verschiedensten Gründen um Asyl bittet, dann prüft das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge genau, ob diesem Antrag stattgegeben werden kann und ob der betreffenden Person ein Bleiberecht bei uns zusteht, welches wir dann im Falle eines positiven Bescheides selbstverständlich gewähren. Dazu sind wir nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich verpflichtet.

Wenn aber nach genauer Prüfung unserer Behörden – und in einem Rechtsstaat, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir uns schon auf das Urteil verlassen können – eine Ablehnung des Antrags steht, dann ist

dieser erstens zu akzeptieren und zweitens ist ihm Folge zu leisten.

Außerdem wissen Sie alle: Jeder, dessen Antrag abgelehnt wird, kann diese Ablehnung gerichtlich anfechten. Jedem, der triftige Gründe hat, kann eine Duldung ausgesprochen werden. In besonders schweren Fällen gibt es die Härtefallkommission, über die ich vorhin gesprochen habe.

Wenn aber auch all das nichts an der Entscheidung des BAMF und der Ausländerbehörden ändert, wenn also kein Aufenthaltsstatus erlangt werden kann, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann muss die Ausreise erfolgen. Dazu sage ich klar: Alles andere wäre ein Rechtsbruch.

Deshalb steht zunächst die freiwillige Ausreise, eigentlich eine Pflicht des Ausreisepflichtigen. Wir unterstützen das mit unterschiedlichen Programmen. Die gibt es auf Bundesebene. Wir haben staatliche Rückkehrprogramme. Die Kollegin Köpping und ich sind dabei. Sie sind auch entsprechend ausgestattet. Ich will auf die Zahlen im Detail nicht eingehen. Darüber hinaus nimmt Sachsen an verschiedenen weiteren Programmen zur Rückkehrberatung teil.

Wenn aber all das nicht fruchtet und auch nach dem Angebot der Unterstützung der Ausreise die Ausreise nicht freiwillig erfolgt, dann ist eine Abschiebung, meine sehr verehrten Damen und Herren, die logische Konsequenz.

Klar ist dabei auch: Wenn diese Abschiebung in Gefahr steht, nicht durchgeführt werden zu können, etwa weil die betroffene Person untertauchen könnte, wenn Meldeauflagen nicht eingehalten werden oder wenn Leistungseinschränkungen nichts bewirken oder – das ist in letzter Zeit auch zunehmend ein Thema – wenn es sich um mehrfache Straftäter oder Gefährder handelt, dann muss in der Reihenfolge entweder Gewahrsam oder die Abschiebehaft möglich sein und auch angewendet werden.

Jeder, der in Abschiebungshaft genommen wird, kann dies verhindern, indem er die Möglichkeit nutzt, vorher freiwillig und gegebenenfalls auch mit finanzieller Unterstützung auszureisen. Wenn er dies aber nicht tut, dann muss der Staat handeln und das Zustandekommen der Abschiebung entweder über Gewahrsam oder über Abschiebehaft gewährleisten. Dazu sehe ich dann keine Alternative, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Aus diesem Grund schlägt die Staatsregierung vor, diesen Antrag abzulehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Das Schlusswort hat Frau Abg. Zais für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Manchmal frage ich mich schon, Kollege Pallas und auch ein paar andere, ob unsere Anträge richtig gelesen werden. Es ging hier nicht

um die Frage, ob wir Abschiebung wollen oder nicht, wie wir dazu stehen. Es ging auch nicht um die Frage, was der Unterschied zwischen Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft ist. Sie wissen genau, wohin das mündet, dass wir eine Abschiebehaftanstalt in Sachsen bauen wollen. Aber die rechtlichen Voraussetzungen – egal, wo sich derjenige dann aufhält – für diesen Aufenthalt liegen tatsächlich – und das ist der Sinn unseres Antrages – in der Prüfung milderer Mittel vorher. Wenn es uns um die Frage gegangen wäre, ob wir für Abschiebung sind oder nicht, wäre das hier eine ganz andere Debatte geworden. Aber darum geht es nicht.

Es geht um den Vollzug des Bundesrechts, wie Sie richtig gesagt haben. Ich bin Jule Nagel sehr dankbar, dass sie darauf verwiesen hat, dass wir das nicht müssen. Der Gesetzgeber schreibt Sachsen nicht vor: Ihr müsst bis übermorgen ganz schnell eure Abschiebehaft fertig haben, und die muss vom Strafvollzug separat sein, sonst dürft ihr das nicht machen. Das sind nämlich keine Häftlinge, die dort sind. Es sind einige Schwierigkeiten, die wir in Sachsen haben. Aber wir müssen das nicht machen.

Der Ansatz unseres Antrages ist es, dem Plenum einmal vorzulegen, was die Alternativen kosten, was die Alternativen sind. Dann könnte man das einmal in das Verhältnis zu dem setzen, was eine Abschiebehafteinrichtung kostet. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel – Herr Hartmann hat es indirekt sogar bestätigt –, dass wir im letzten Jahr de facto ungefähr 3 400 Abschiebungen hatten, die alle keine Zwangsabschiebungen waren – zumindest nach der Auffassung der Staatsregierung und der CDU. Ich sehe das an vielen Stellen ein wenig anders. Das bedeutet, dass diese Leute nicht untertauchen wollten. Ihnen, Herr Pallas, verzeihe ich diesen Touch mit dem Untertauchen überhaupt nicht. Vom Generalsekretär der CDU sind wir gewohnt, dass alle Flüchtlinge mit abgelehnten Asylanträgen per se untertauchen wollen. Aber wir brauchen das nicht, wir müssen das nicht machen. Ich glaube, es ist legitim, zu sagen: Wir möchten gern, dass die milderen Mittel geprüft werden. Ich kenne Fälle – das muss ich wirklich sagen – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Zais?

Danke, Herr Präsident. Frau Zais, würden Sie mir recht geben, dass Sie mich vorhin möglicherweise missverstanden haben, wenn Sie mir jetzt unterstellen, ich hätte vorhin gesagt, dass alle abgelehnten Asylbewerber die Abschiebung verhindern wollen? Habe ich nicht vielmehr davon gesprochen, dass einige das tun, dass ich das individuell nachvollziehen kann? Würden Sie mir da recht geben?