Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Integration erfordert einen viel differenzierteren Blick, als es der Gesetzentwurf oder die einbringende Fraktion jemals vermag. Wir müssen sehr genau unterscheiden zwischen integrationswilligen Menschen und jenen, die auf Basis ihres Glaubens oder ihrer Weltsicht extremistische Haltungen entwickeln und sich radikalisieren. Letztere müssen wir als Gesellschaft, muss aber auch der Staat genau im Blick behalten und natürlich gegensteuern. Mit Blick auf die Aktivitäten der Staatsregierung passiert da schon einiges.

Um das Landesamt für Verfassungsschutz als ein Beispiel zu nennen: Dort werden islamistische Gruppierungen schon lange beobachtet, und es ist so möglich, dass man konkrete Entscheidungen als Verwaltung, aber auch politische Entscheidungen auf diesen Beobachtungen aufbauen kann. Relativ neu ist noch beim Demokratiezentrum Sachsen im Geschäftsbereich der Staatsministerin für Integration und Gleichstellung, dass es dort ein Projekt zur Erforschung der Ursachen für Radikalisierung gerade im islamistischen Bereich gibt. Das ist doch der Weg, den wir gehen müssen. Sie können doch nicht allen Ernstes eine ganze Religionsgruppe kriminalisieren und stigmatisieren durch so einen plumpen Vorschlag. Wir müssen doch diejenigen, die sich integrieren wollen, herzlich aufnehmen und ihnen dabei helfen und diejenigen aber auch bekämpfen, die die offene und vielfältige

Gesellschaft ausnutzen. Durch die Arbeit des Demokratiezentrums werden wir in die Lage versetzt, mit diesen radikalen Kräften umzugehen. Allen anderen Menschen müssen und sollten wir offen begegnen und durch Vorschläge wie den hier vorliegenden nicht die zarten Pflänzchen der Integration zertrampeln. Ich empfinde Ihren Gesetzentwurf als reine Symbolpolitik auf dem Rücken einer ganzen gesellschaftlichen und religiösen Gruppe. Das möchte ich nicht unterstützen. Das wird die SPDFraktion im Sächsischen Landtag nicht unterstützen.

Als SPD setzen wir uns konsequent für Integration ein, sowohl funktional, was Sprache und Qualifizierung angeht, aber auch sozial, indem wir Austausch, indem wir Begegnungen ermöglichen – von den großen politischen Entscheidungen bis zu den kleinen tagtäglichen Engagements in den Stadtteilen, in den Städten und Gemeinden. Dazu brauchen wir alle interessierten Menschen, eben auch die wenigen Muslime, die in Sachsen leben. Dieser Gesetzentwurf hilft dabei nicht. Die SPD will Radikalisierung eindämmen, verhindern. Dieser Gesetzentwurf hilft dabei nicht. Die SPD will Gleichstellung zwischen Mann und Frau gerade auch bei den Zuwanderergruppen befördern. Ein Verschleierungsverbot taugt dazu nicht nur nicht, es wäre sogar schädlich. Unterm Strich kann der Gesetzentwurf lediglich als Symbol vermeintlicher Retter des Abendlandes angesehen werden.

Wir lehnen den Gesetzentwurf ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den LINKEN)

Eine Kurzintervention, Herr Urban?

Eine Kurzintervention zu diesem Redebeitrag. Es wurde sehr viel gesagt, es wurden sehr viele Fragen gestellt. Ich möchte das trotzdem noch einmal zusammenfassen. Die SPD hält die Vollverschleierung für ein Mittel der Integration. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Integration gerade so, wie sie hier im Freistaat praktiziert wird, ist eben weitgehend gescheitert. Sie wissen, wie schlecht die Sprachkurse besucht sind. Sie wissen, dass Gelder fehlgeleitet werden in solche Vereine wie Sächsische Begegnungsstätten. Das ist wie ein Integrationsprogramm. Am Ende sind es eben doch die Extremisten. Ich sage, wir als AfD befinden uns in guter Gesellschaft. Wir machen genau dasselbe, was die Franzosen machen, was die Belgier machen. Ich fühle mich da überhaupt nicht isoliert. Ihr Weg zur Integration mit Vollverschleierung ist der falsche.

(Beifall bei der AfD)

Herr Pallas, Sie reagieren?

Herr Urban, Sie zeigen einmal mehr, dass Sie ein Meister des Verdrehens von Worten sind. Wir können dann hinterher gern das Plenarprotokoll lesen, ob ich gesagt habe, dass Vollverschleierung ein

Beitrag zur Integration ist. Was ich gesagt habe ist, dass ein Verbot von Verschleierung für Integration schädlich ist. Dazu stehe ich auch.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt bitte Frau Abg. Meier für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wieder einmal möchte die AfD mit einer Debatte auf Kosten von Minderheiten polarisieren. Wir haben es vor allem gerade auch an den Zwischenfragen noch einmal gemerkt und natürlich, wie sie sich wieder einmal mit dem Kampf für die sogenannten westlichen Werte hervortun. Wir haben es gehört: Die AfD möchte Muslima das Tragen von Burka und Nikab in der Öffentlichkeit verbieten. Aber gerade das Tragen religiöser Kleidung ist durch das Grundgesetz geschützt. Wir haben es durch alle Vorredner gehört – Stichwort Bekenntnisfreiheit, Stichwort Grundrecht auf Entfaltung der Persönlichkeit. Gerade die Bekenntnisfreiheit des Grundgesetzes hat einen so hohen Stellenwert, dass sie nur durch ein anderes grundgesetzlich geschütztes Interesse, das in der Abwägung überwiegt, beschränkt werden kann. Schutzwürdige Grundrechte oder verfassungsimmanente Schranken, die ein Verbot der Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum rechtfertigen würden, findet man schlicht im Grundgesetz nicht.

Dritte, also auch die AfD, können sich nicht auf ihre sogenannte negative Glaubensfreiheit und das Recht berufen, im öffentlichen Raum von der Konfrontation mit fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht klargestellt; Herr Anton hat es gesagt. In einer pluralistischen Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, und einem Rechtsstaat wie dem unseren muss es die oder der Einzelne einfach aushalten, Menschen mit Burka oder Nikab zu begegnen.

Nächstes Argument – das kommt ja nicht nur von der AfD – ist das sicherheitspolitische Argument, das es gebietet, hier angeblich im öffentlichen Raum die Gesichtsverschleierung zu verbieten. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt kein Superrecht auf Sicherheit, das uferlose Überwachungsmaßnahmen und sinnlose Verbote rechtfertigen würde. Darüber hinaus reichen auch schon die derzeitigen Regelungen, die Identität festzustellen, vollkommen aus. Dafür braucht es hier kein neues Gesetz, um in Behörden Burkas zu verbieten. Die im Gesetzentwurf aufgeführte willkürliche Ausnahme wie Volks- und Faschingsfeste – wir haben es heute hier auch schon gehört – oder die winterliche Kälte offenbaren dann auch wirklich die Inkonsequenz dieses hier vorliegenden Gesetzentwurfes. Weshalb sollte es auf einem Faschingsfest weniger gefährlich sein, vollverschleiert zu erscheinen, als anderswo? Von der herbstlichen Kälte, Sonnenschutz usw. haben wir schon gehört. Diese Regelungen sind einfach nur lächerlich und inkonsequent.

Aber werfen wir doch einmal einen Blick auf die Realität. Was wäre, wenn hier in Deutschland tatsächlich Vollverschleierung verboten wäre? Welche Folgen hätte dieses Verbot? Frauen würde verboten, bestimmte Kleidungsstücke zu tragen zu ihrem Schutz, wie viele selbst ernannte Verfechterinnen von Frauenrechten, auch in konservativen Kreisen, ja meinen. In einigen Ländern – Herr Urban hat es mehrmals dargestellt – ist es bereits Realität, Belgien, Frankreich. Wozu hat das dort geführt? Das haben Sie nämlich nicht ausgeführt. Es hat zu einer Polarisierung der Debatte geführt. In Belgien setzte der rechtsextreme Felip Dewinter nach dem Erlass des Verbots eine Belohnung von 250 Euro auf das Fotografieren und Anzeigen von Burkaträgerinnen in der Öffentlichkeit aus. In Nizza, Frankreich, zwangen drei Polizisten am Strand eine Frau, die einen Burkini getragen hat, diesen auszuziehen. Sind das die westlichen Werte, die Sie meinen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD? Pranger und demütigende, menschenverachtende Aktionen im Sinne des Fortschritts? Das kann ja wohl nicht sein.

(Beifall bei der CDU und den LINKEN)

Ja, die Vollverschleierung ist Ausdruck eines patriarchalen Gesellschaftsbildes und einer sehr konservativen Tradition im Islam. Es ist doch hier in Deutschland unsere Pflicht, Zwang und Unterdrückung gegenüber Mädchen, gegenüber Frauen im Namen des Patriarchats und der Religion zu bekämpfen. Aber ein Vollverschleierungsverbot wird uns an dieser Stelle nicht weiterhelfen. Denn anstatt der vermeintlichen Gleichberechtigung von Frauen erreichen Sie damit genau das Gegenteil: Frauen werden durch ihre Männer und Väter in die privaten Wohnungen verbannt und damit vom öffentlichen Leben gänzlich ausgeschlossen. Der Weg zu öffentlichen Behörden, zu Bildung, zu Arbeit würde ihnen völlig verwehrt bleiben.

(Zuruf von der AfD)

Dabei kann doch gerade der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, zu Anlaufstellen, zu Hilfeangeboten der Ausweg sein, wenn sie unter ihrer Unterdrückung leiden.

Und wenn – das möchte ich ganz deutlich sagen – Frauen aus ihrer eigenen Überzeugung heraus selbstbestimmt religiöse Kleidung tragen, dann ist das auch ihr gutes Recht. Sie per se als unmündige Wesen zu erklären, das ist – meine sehr verehrten Damen und Herren – der falsche Weg. Mit Ihrem Gesetzentwurf werden Muslime unter Generalverdacht gestellt, Ängste und Hass in der Gesellschaft geschürt und Integration verhindert. Genau deshalb wird unsere Fraktion diesen Gesetzentwurf ablehnen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gibt es vonseiten der Fraktionen noch Redebedarf? – Frau Dr. Muster, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Änderungs

antrag zu unserem Gesetzentwurf ins Plenum einbringen. Inhaltlich werden nur die Wünsche des Plenardienstes eingefügt.

Nun zu den Redebeiträgen meiner Kollegen. Sie betonen immer die Freiwilligkeit der Vollverschleierung. Ich kann das nicht nachempfinden. Ich möchte ein Zitat von Prof. Schachtschneider bringen: Die Gesichtsverschleierung „ist ein Symbol der Unterwerfung“. Schließlich heißt Islam Unterwerfung unter Allah. Es ist ein Symbol der Unterwerfung unter die Scharia. Es ist ein Symbol der Unterwerfung der Frau unter den Mann, der nach dem Koran an vielen Stellen eindeutig über der Frau steht.

Weil wir heute darüber noch gar nicht gesprochen haben, wollen wir doch einfach einmal die Stellung des Mannes im Islam beleuchten. Nur der Mann hat das Recht auf Polygamie, nur der Mann hat das Recht der Züchtigung der Frau, und nur der Mann hat das alleinige Recht auf Scheidung. Die Worte und Begriffe, die wir alle so gern benutzen, wie Freiwilligkeit, die kommen jetzt gerade bei diesem Bereich nicht vor. Es sind mehr Unterwerfung, Unterordnung und Gehorsam, die dort anklingen. Herr Pallas, Sie haben die Sure 24 zitiert, da steht die Verhüllung der Brust. Ich denke, zwischen Verhüllung der Brust, der Verhüllung des Gesichtes und der vollständigen Verhüllung des Gesichtes gibt es einen Unterschied.

(Albrecht Pallas, SPD: Als Juristin dürfte Ihnen Auslegung nicht fremd sein!)

In den Suren ist die volle Verhüllung des Gesichtes nicht genannt. Lesen Sie noch einmal im Urtext nach. Das ist gar kein Problem.

(Beifall bei der AfD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mir das gerade gedacht, bevor ich hier in den Ring ging: Wir spüren die Toleranz gegenüber Intoleranz. Hervorragend. Sie ist gut sortiert, und sie äußert sich kräftig.

Aber ist es denn von Ihnen tolerant, wenn Sie sagen, dass Sie von drei anstehenden Fragen eine diskutieren möchten, nämlich nur den Glauben des Islam? Sie möchten nicht über die Staatsform und über die Verfassungsmäßigkeit reden.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Ist es denn tolerant, wenn Sie sagen, dass Sie von drei Gutachtern nur das Ergebnis des einen mit mir besprechen wollen?

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Das machen Sie doch genauso!)

Die anderen beiden möchten Sie gar nicht hören.

(Zuruf von den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ich nehme das zur Kenntnis. Es verwundert mich auch nicht. Aber lassen Sie mich Ihnen zurufen: Freie Fahrt der Intoleranz und freie Fahrt der Parallelgesellschaft.

(Zuruf des Abg. Harald Baumann-Hasske, SPD)

Nun komme ich zur Rechtmäßigkeit des Gesetzes. Sie haben sich unaufhörlich Gedanken gemacht, ob es verfassungsmäßig ist. Im ersten Teil bin ich auf die Verfassungsmäßigkeit eingegangen. Schauen wir doch einmal nach der Bestimmtheit. Wir haben im Gesetzentwurf gesagt – Zitat –: „Öffentlicher Raum ist der gesamte Raum, der nicht dem Schutzbereich des Grundgesetzes auf Unverletzlichkeit der Wohnung unterfällt.“

Die meisten, die hier gesprochen haben, waren Juristen. Die anderen haben sich auch mit dem Thema beschäftigt. Sie, Herr Pallas, als Polizist wissen, wie viel Rechtsprechung es zum Begriff Wohnung gibt. Dazu gibt es kilometerweise Rechtsprechung. Das ist ein ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff, der ganz klar vom Bundesverfassungsgericht definiert ist. Er ist also bestimmt.

(Zuruf des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die politische Aussage passt Ihnen nicht. Die Zielrichtung ist nicht die Ihrige, aber es bleibt trotzdem verfassungsmäßig.

Jetzt kommen wir noch einmal kurz zu den Ausnahmen. Wir haben die winterliche Kälte und den Karneval genannt. Im Vorfeld hat sich auch der Herr Piwarz über die Schweißer Gedanken gemacht, generell über die Arbeitskleidung.

(Heiterkeit bei der AfD)

Ich finde es gut, dass Sie sich so damit auseinandersetzen. Ich muss Sie aber enttäuschen. Es wird Ihnen beim näheren Hinsehen und Überlegen der Gedanke kommen müssen, dass das bereits in spezialgesetzlichen Regelungen des Bundes und des Landes geregelt ist. Dass man mit Fahrradhelmen, dass man mit Motorradhelmen, dass man mit Arbeitskleidung im öffentlichen Raum durch die Gegend laufen kann, ist bereits spezialgesetzlich an anderer Stelle geregelt.

(Beifall bei der AfD)