Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Auch ich möchte eine Kurzintervention zum ursprünglichen Redebeitrag von Frau Dr. Muster machen.

Frau Dr. Muster, Sie offenbaren in Ihrem letzten Redebeitrag ein nicht nur merkwürdiges, sondern im Kern auch rechtsstaatsfeindliches Verständnis

(Dr. Kirsten Muster, AfD: Oooh!)

von dem, wann etwas offenbar verfassungswidrig bzw. zulässig ist oder nicht. Sie haben nämlich zwei entscheidende Argumentationsfiguren ins Feld geführt. Zum einen verstehen Sie offensichtlich Landtagsanhörungen und die Frage, ob etwas verfassungskonform ist oder nicht, als einen Zählbetrieb, nach dem Motto: Wir haben die Anhörung zwei zu eins gewonnen. Es kann doch nicht Sinn der Sache und vor allem nicht die Antwort auf die Frage sein, ob etwas verfassungskonform ist, dass Sie beginnen, Sachverständigenmeinungen durchzuzählen. Dann hätte Ihre Fraktion übrigens viele Sachverständigenanhörungen im Innenausschuss zu Ihren Gesetzen eins zu zwölf verloren. Das nur zu Ihrer Kenntnis.

(Dr. Kisten Muster, AfD: Sie auch!)

Ich betreibe diesen Zählbetrieb, im Gegensatz zu Ihnen, nicht.

Die Antwort auf die Frage nach der Verfassungswidrigkeit, der Verfassungsordnung und was für GRÜNE ablehnbar ist, ist für uns nicht das Zählen von Sachverständigen, sondern für uns gelten die Werte und Prinzipien des Grundgesetzes.

Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass Sie vorhin von der Mehrheit in der Bevölkerung, die dahinter stehen würde, gesprochen haben. Ich warne vor dieser Argumentationsfigur. Zum einen gab es in der Bundesrepublik Deutschland schon häufiger Mehrheiten für verfassungswidrige Ziele, beispielsweise zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Zum anderen bezweifle ich, ob man auch mit Ihrem bloßen Zählen – es gibt eine Mehrheit dafür, dann hat man sich als Parlament dem zu beugen – wirklich gut fährt. Aber Ihre Fraktion ist ja dafür bekannt, dann als rechtspopulistische und rechtsextreme Partei im Zweifel die Fahnen in den Wind zu hängen.

Allerdings: Dann sollten Sie bitte konsequent sein, und ich erwarte vor diesem Hintergrund, dass Sie den morgigen Tagesordnungspunkt 12 mit ihrem Antrag zum Thema

„Verfassungskonformität gleichgeschlechtlicher Ehe

prüfen lassen“ zurückziehen; denn dafür gibt es eine breite Mehrheit in der deutschen Bevölkerung.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Frau Dr. Muster, bitte.

Das war solch ein bunter Strauß. Ich würde jetzt nur zwei Punkte herausgreifen. Sie haben gesagt, es hat sich gezeigt, wie viele Verfassungswidrigkeiten ich begangen habe. Ich habe gleich zum Ende meines ersten Redebeitrages gesagt: Ich hoffe, dass dieses Mal die Diskussion nicht durch Political Corectness und auch nicht durch die Gefahr der Fremdenfeindlichkeit unterbrochen oder eingeschränkt wird. Genau das ist passiert. Das ist schade.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Wenn Sie bezüglich der Umfragewerte in Deutschland etwas sagen, so möchte ich noch etwas nachlegen: Wenn man im Januar 2017 unter www.Burkaverbot schaut, dann sieht man, dass 55 % aller Wähler der GRÜNEN auch ein Vollverschleierungsverbot wollen.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Wenn es keinen weiteren Redebedarf von den Fraktionen gibt, dann frage ich die Staatsregierung. – Herr Minister Ulbig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Dr. Muster, weder Ihre Reden noch Ihre Zwischenfragen oder Ihre Kurzinterventionen haben dazu beigetragen, dass ich meine Einstellung zu Ihrem Gesetzentwurf geändert habe. Ich möchte es klar und deutlich sagen: Ich halte diesen Gesetzentwurf für verfassungswidrig.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Warum es so ist, dazu haben Experten vorgetragen, und es ist aus meiner Sicht von der Mehrheit der Redner hier im Landtag auch sehr sachlich argumentativ unterlegt worden.

Natürlich lebt unsere Demokratie davon, Gesicht zu zeigen. Deshalb gehört es nach meinem Dafürhalten auch dazu, vor Gericht, beim Meldewesen, in Vorlesungen, in Kindertagesstätten, an Schulen, bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten und bei Wahlen zweifelsfrei identifizierbar zu sein. Aber, bei allem Verständnis für die Sorgen der Menschen im Lande, denen einen solches Teilverbot nicht weit genug geht, müssen wir akzeptieren: Ein

generelles, ein umfassendes Verbot widerspricht unserer Auffassung von Religionsfreiheit.

Auf die mangelnde handwerkliche Qualität des vorliegenden Entwurfes will ich nicht weiter eingehen. Die juristischen Mängel wurden gerade hinreichend dargelegt. Es fehlen Ausnahmen für berufs-, sport-, sicherheits- oder gesundheitsbedingte Gesichtsbedeckungen. Ich hatte den Eindruck, wir sind bei unterschiedlichen Anhörungen gewesen. Jedenfalls hat nach meiner Überzeugung die öffentliche Anhörung, die am 4. Mai 2017 zu diesem Thema stattgefunden hat, das sehr eindeutig bestätigt. Die rühmliche Ausnahme war Herr Prof. Schachtschneider, der dort durch teilweise unsägliche Argumentationen aufgefallen ist, Verschwörungstheorien zum Mittelpunkt seiner Ausführungen machte und sämtliche Muslime in einen Topf wirft, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Wer den Unterschied zwischen Islam und Islamismus nicht kennt, dem fehlt es offensichtlich gerade bei diesem Thema an der notwendigen streng gebotenen Objektivität.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Ich hoffe, dass Sie bei der Auswahl Ihrer einzubestellenden Sachverständigen beim nächsten Mal sorgfältiger sind.

(Dr. Kirsten Muster, AfD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Wir haben bereits lange debattiert und ich denke, wir sollten bei diesem Thema auch einmal zum Ende kommen.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Zum Abschluss meines Beitrages möchte ich noch einige Worte zum Thema Teilverbot der Gesichtsverhüllung sagen. Der Bund hat hierbei vorgelegt und eine sinnvolle und verfassungskonforme sogenannte bereichsspezifische Lösung gefunden. Sie brauchen gar nicht so zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD, als würde das Thema nicht auch in anderen Bereichen bearbeitet werden. Es sind längst Rechtsgrundlagen auf Bundesebene geschaffen worden, und diese stehen – im Gegensatz zu Ihrem Entwurf – eben nicht im Widerspruch zum Grundgesetz.

Was die Übertragung dieser Rechtsgrundlagen auf die Landes-, auf die sächsische Ebene betrifft, so haben wir dies bisher in unterschiedlichen Diskussionen wahrgenommen. Wir haben unterschiedliche Positionen, deshalb kann ich meine eigene nur noch einmal vortragen und sagen: Ja, ich denke, wir sollten eine landesspezifische

Regelung haben. Daher befürworte ich ein Teilverbot für den öffentlichen Dienst in Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen, vor Gericht usw., also dort, wo eine schnelle Identifizierung der Person notwendig und geboten ist.

Die Diskussion zu diesem Thema wird weitergehen, aber aus den vorgenannten Gründen, die ich zu diesem Gesetzentwurf vorgetragen habe, schlage ich – auch als Vertreter der Staatsregierung – vor, den Antrag abzulehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung. Da der Ausschuss Ablehnung empfohlen hat, ist diese die Grundlage für die Abstimmung über den Gesetzentwurf der AfD. Ich schlage Ihnen vor, paragrafenweise darüber abzustimmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Dies ist nicht der Fall.

Ich beginne mit dem Gesetzentwurf der AfD-Fraktion. Aufgerufen ist: Sächsisches Gesetz über das Verbot der Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum. Ich beginne mit den Änderungsanträgen. Es gibt einen von der AfD-Fraktion in der Drucksache 6/10519. Ich bitte um Einbringung.

(Zurufe der Abg. Dr. Kirsten Muster und Uwe Wurlitzer, AfD: Er ist schon eingebracht!)

Er ist schon eingebracht. Gut. Gibt es zum Änderungsantrag noch Diskussionsbedarf? – Herr Bartl, bitte.

Der Änderungsantrag sieht unter anderem vor, dass § 4 aufgehoben werden soll. Der § 4 ist die Bestimmung, die im Gesetz momentan angibt, welche Grundrechte durch das Gesetz eingeschränkt werden, nämlich Artikel 2 Abs. 1, die allgemeinen Verhaltensrechte aus dem Grundgesetz, und unser Artikel 15 der Sächsischen Verfassung.

Nun ist § 4 aufgehoben. Jetzt werden also im Gesetz keine Regelungen getroffen, welche Grundrechte durch das Gesetz eingeschränkt werden. Wir haben vorhin gehört – das haben verschiedene Kollegen aus verschiedenen Fraktionen zusammengetragen –, wie viele Grundrechte in diesem Fall tatsächlich davon berührt und betroffen sind und ausgehöhlt werden; kein einziges ist jetzt mehr genannt. Artikel 19 Abs. 1 des Grundgesetzes sagt aber: Wenn ein Gesetz Grundrechte einschränkt, dann sind diese betreffenden eingeschränkten Grundrechte ausschließlich und vollständig aufzuführen. – Das nennt sich Zitiergebot.

Das ist das Haus des Gesetzgebers, meine Damen und Herren der AfD-Fraktion. Was Sie hier tun ist insofern auch eine Geringschätzung gegenüber der Funktion dieses Hauses. Sie ignorieren die elementarsten Voraussetzungen für eine rechtsförmliche und verfassungsgemäße Gesetzgebung. Das Sahnehäubchen ist dann, dass Sie jetzt gewissermaßen noch generell sagen: Wir nennen über

haupt keine Grundrechte, die eingeschränkt sind – obwohl solche handgreiflich im Dutzend verletzt werden.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Dr. Kirsten Muster, AfD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ihnen kann ich jetzt leider das Wort nicht wieder geben, Frau Dr. Muster. Ich hatte gefragt, ob Sie noch etwas einbringen wollen. – Gibt es noch weitere Fraktionen, die sich jetzt zum Änderungsantrag äußern möchten? – Das ist nicht der Fall. Somit lasse ich nun darüber abstimmen.